Über Überlichtgeschwindigkeiten in der Relativitätstheorie

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Wladimir Sergejewitsch Ignatowski
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Über Überlichtgeschwindigkeiten in der Relativitätstheorie
Untertitel:
aus: Physikalische Zeitschrift. 12. Jahrgang (1911), S. 776–778
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: S. Hirzel
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Michigan-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Über Überlichtgeschwindigkeiten in der Relativtheorie.
Von W. v. Ignatowsky.


Ich habe schon in meinen früheren Arbeiten[1] hingewiesen, daß die Lichtgeschwindigkeit nur für substantielle Punkte als Grenzgeschwindigkeit betrachtet werden kann. Denn in der Wurzel , welche in den Einsteinschen Transformationsgleichungen eintritt, bedeutet die Geschwindigkeit des Koordinatensystems. Nun ist ein solches System kein mathematisches Gebilde, sondern eine substantielle Welt mit ihren Beobachtern und ihrem Instrumentarium. Deshalb können wir annehmen, daß wir einen beliebig bewegten substantiellen Punkt auf Ruhe transformieren können. Die Bewegung irgendeiner Erscheinung, z. B. Fortpflanzung einer Phase, Dilatation usw.‚ können wir im allgemeinen nicht auf Ruhe transformieren, und kann deshalb diese Fortpflanzung beliebig sein.

Bezeichnet irgendeine Geschwindigkeit im ungestrichenen und im gestrichenen System, so ist

[2]. (1)

Ist senkrecht zu und gleich , so folgt aus (1)

(2)

und die zu senkrechte Komponente von ist wegen (2) gleich

. (3)

Um alle Verhältnisse klar zu übersehen, wenden wir uns zur graphischen Darstellung und nehmen zur Vereinfachung an, daß parallel zu ist. Dasselbe gilt dann auch für . Schreiben wir jetzt anstatt , so folgt dann aus (1)

. (4)

Wir setzen jetzt und und erhalten dann statt (4)

. (5)

Um den Nullpunkt zeichnen wir ein Quadrat mit der Seitenlänge (Fig. 1). Außerdem führen wir ein zweites Koordinatensystem ein, parallel dem ersten, und welches um das Stück

(6)

verschoben ist, wobei wir im neuen Koordinatensystem die positiven Abszissen nach links rechnen.

Es werden dann und , ausgedrückt in den neuen Koordinaten und sein:

(7)

Dies in (15) eingesetzt, ergibt:

. (8)

Wir erhalten demnach eine Hyperbel, deren Asymptoten die neuen Koordinatenachsen sind.

Aus (5) ersehen wir, daß die Hyperbel durch die Punkte und des Quadrats gehen wird, d. h. für ist immer . Hat ein negatives Zeichen, so erhalten wir die Hyperbel . Ist , so wird auch sein und umgekehrt, was im Einklang mit den Ausführungen von Einstein[3] ist. Für substantielle Punkte, also in allen Fällen, wo wir auf Ruhe transformieren können, werden wir uns innerhalb des Quadrats bewegen, welches von Hyperbeln für alle möglichen ausgefüllt wird. Sind z. B. und beide größer als , so ist dennoch . Dies ersieht man aus der Fig. 1, wo und ist. Es wird dann durch die Abszisse des Punktes der Hyperbel bestimmt. Bei Vernachlässigung des Relativitätsprinzips (also ) geht die Hyperbel in die Grade über, und wir hätten dann statt den Punkt erhalten und statt , .

Für ist . Für geht von bis , welch letzteren Wert es erreicht, falls wird. Hierbei bewegt sich längs dem zweiten Hyperbelast . Bei ist und bewegt
Fig. 1

sich dann längs dem ersten Hyperbelast und gelangt in das Quadrat , sobald wird.

Für einen Punkt der Hyperbel ist dem absoluten Wert nach gleich , aber von entgegengesetztem Zeichen. D. h. . Bezeichnen wir diesen Wert von durch , so folgt aus (4)

(9)

Für geht in über in Übereinstimmung mit der klassischen Kinematik.

Es bezeichne den Winkel zwischen einer zum bewegten Beobachter festen Linie, und der Richtung von . Dann ist[4]

, (10)

wo denselben Winkel für den ruhenden Beobachter bedeutet. Statt (10) können wir auch schreiben

. (11)

Ruht umgekehrt die Linie in bezug auf den ruhenden Beobachter und bedeutet den Winkel zwischen der Linie und , so ist laut (11)

. (12)

Wir gehen nun zu dem von Sommerfeld angegebenen Beispiel[5] über und wollen dasselbe näher untersuchen und an Hand desselben alle oben angegebenen Beziehungen zwischen und erläutern.

In dem Beispiel von Sommerfeld wird angenommen, daß sich ein Lineal (Fig. 2), welches mit der -Richtung (d. h. mit der

Fig. 2

Richtung von ) einen Winkel bildet, mit einer konstanten Geschwindigkeit senkrecht zu (Richtung des Pfeiles) bewegt. [Der Schnittpunkt zwischen und bewegt sich dann mit einer Geschwindigkeit

. (13)

Dies alles bezieht sich auf das ruhende System.

Für das bewegte System ist wegen (4)

. (14)

Der Winkel für das bewegte System, d. h. , wird aber nicht mehr durch Gleichung (12) bestimmt, sondern ergibt sich folgendermaßen.

Der Wert der zu senkrechten Komponente von ist für den bewegten Beobachter wegen (3) gleich . Deshalb ist für den letzteren die Geschwindigkeit des Schnittpunktes in bezug auf die für ihre bewegte Achse gleich und in bezug auf ihn selbst . D. h. es ist

. (15)

Aus (13), (14) und (15) erhalten wir demnach

. (16)

Für geht (16) in (12) über, wie es auch sein muß.

Gleichung (16) läßt sich auch auf einem anderen Wege ableiten.

Die Linie ist eine feste in bezug auf das ruhende System. Deshalb ist

. (17)

Ebenfalls sollen und feste Punkte in bezug auf das ruhende System sein und die Entfernung so gewählt werden, daß . Es ist dann

(18)

Und für den bewegten Beobachter ist

. (19)

Nach der Zeit soll der Stab für den ruhenden Beobachter die Lage haben. Für den bewegten Beobachter wird im Moment der Punkt in liegen, aber der Punkt wird für ihn im selben Moment nicht in , sondern in liegen. Deshalb ist für den bewegten Beobachter . Der Punkt liegt in für den bewegten Beobachter im Moment . Die Zeitdifferenz ist

, (20)

und da die zu senkrechte Komponente der Geschwindigkeit des Stabes für den bewegten Beobachter gleich ist, so berechnet sich die Strecke zu


, (21)

und deshalb

(22)

in Übereinstimmung mit (16).

Ist die rechte Seite von (22) gleich Null, also auch , d. h.

(23)

und demnach

, (24)

so ist für den bewegten Beobachter der Stab parallel zu ‚ also für diesen Beobachter bewegt sich der Schnittpunkt mit unendlich großer Geschwindigkeit. Verkleinern wir , so vergrößert sich , und wird laut (14) negativ, und zwar ändert es sich von bis , falls sich von zu bewegt. Für bis , geht von bis zu dem Wert . Alles dies läßt sich auf der Fig. 1 übersehen, wie wir dies eben ausgeführt haben.

Wir nehmen nun an, habe einen Wert , der kleiner ist als der Gleichung (23) entspricht. Dann ist, wegen (22), . D. h. während sich für den ruhenden Beobachter der Schnittpunkt von links nach rechts bewegt, wird sich derselbe Schnittpunkt für den bewegten Beobachter von rechts nach links bewegen, weil in dem angenommenen Fall eben ist. Würde das Lineal ruhen, mit demselben Winkel , so würde auch, wie aus (12) folgt, sein. Bei dem Übergang von Ruhe zur konstanten Bewegung geht von einem positiven zu einem negativen Wert über. Dies erklärt sich folgendermaßen. Bei dem genannten Übergang wird das Lineal für den bewegten Beobachter einen Knick[6] aufweisen, der sich für diesen Beobachter von rechts nach links bewegen wird, weshalb für letzteren das linke Ende sich später zu bewegen anfangen wird. Bei Abwesenheit des Relativitätsprinzips ()‚ würde bei einem beliebigen auch stets sein.

Bekanntlich kann sich ein Signal nicht mit Überlichtgeschwindigkeit fortpflanzen. Wir wollen, anknüpfend an die Fig. 1, hierfür einen elementaren Beweis anführen.

Es seien und zwei zum ruhenden System feste Punkte auf der -Achse. Die Richtung von zu ist positiv in der Richtung der -Achse. Von werde ein Signal mit der Geschwindigkeit nach gesandt, welches dort eine Wirkung auslösen soll. Wir ziehen durch (Fig. 1) eine zu parallele Gerade und betrachten dieselbe als neue Abszissenachse. Die Abschnitte der entsprechenden Ordinaten zwischen LT und der Hyperbel geben uns die Relativgeschwindigkeit des Signals in bezug auf die Strecke , von bewegtem Beobachter aus beurteilt. Ist , so wird, wie aus der Figur ersichlich, stets positiv sein, das heißt, es wird in diesem Fall, von einem beliebigen System aus beurteilt, das Signal in zu einer späteren Zeit ankommen, als es von abgesandt worden ist. Ist , z. B. , so können wir zwischen und dem Quadrat immer ein Koordinatensystem einschalten und dann nach (6) berechnen. Für den Beobachter, welcher sich mit dieser Geschwindigkeit bewegt, wird sein, da hierbei der zweite Ast der Hyperbel zu berücksichtigen ist. Es wird also hierbei für den bewegten Beobachter das Signal in früher eintreffen, als es von abgegangen ist. Hieraus schließen wir in bekannter Weise, daß ein Signal sich nicht mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen kann.

Berlin, im Juli 1911.

(Eingegangen 1. August 1911.)

  1. Ann. d. Phys. 33, 607, 1910, diese Zeitschr. 11, 972. 1910 und Archiv der Mathematik und Physik III. Reihe. 17, 1 und 18, 17.
  2. v. Ignatowsky, diese Zeitschr. 12, 164, 1911.
  3. Einstein, Ann. d. Phys. 17, 891, 1905.
  4. v. Ignatowsky, Archiv d. Mathematik und Physik, III. Reihe, 18, 17.
  5. Siehe die Diskussion zu meinem Königsberger Vortrag, diese Zeitschr. 11, 972, 1910.
  6. v. Ignatowsky, diese Zeitschr. 12, 414. 1911 und Ann. d. Phys. 38, 607, 1910.