Über den Einfluss des Korsetts auf die somatischen Verhältnisse

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Autor: Oscar Kraus
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Titel: Über den Einfluss des Korsetts auf die somatischen Verhältnisse
Untertitel: Vortrag, gehalten in der Sitzung der Gesellschaft für innere Medizin und Pädiatrie am 28. Jänner 1904
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Entstehungsdatum: 1904
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Verlag: Moritz Perles
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Erscheinungsort: Wien
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[1]

Über den

Einfluss des Korsetts

auf die

somatischen Verhältnisse.


Von

Dr. Oscar Kraus, Karlsbad:

Vortrag,

gehalten in der Sitzung der Gesellschaft für innere Medizin und Pädiatrie
am 28. Jänner 1904.

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Wien, 1904.

Verlag von Moritz Perles, k. und k. Hof-Buchhandlung,
I., Seilergasse 4 (Graben).
[2]

Alle Rechte vorbehalten.

[3] Seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts, da Söm­mering in die Contouren der mediceischen Venus ein nor­males Thoraxskelett einzeichnen ließ, um es mit einem durch die Schnürbrust veränderten weiblichen Torso zu vergleichen, ist über die schädlichen Wirkungen des Mieders soviel geschrieben worden, daß es fast vermessen erscheinen muß, diese Frage vor einem ärztlichen Forum neu aufzurollen. Denn, wie Hyrtl sagt, „ein Arzt, von dem man mit Fug und Recht voraussetzen darf, daß er die räumlichen Beziehungen des Thoraxskeletts, der Bauch- und Brusteingeweide genau kennt, bedarf keiner wortreichen Erörterung der Übelstände, welche durch eine am Becken ihre Stützpunkte findende Kompressions­maschine der Brust notwendig herbeigeführt werden und in welcher Brustübel, hohe Schulter, Rückgratsverkrümmungen, Cardialgie, Störungen des Kreislaufes, Krankheiten der Ge­schlechtsorgane, der Schwangerschaftsperiode und des Wochen­bettes ihre ersten Entstehungsmomente finden“.

Und seit Meister Hyrtl diesen Ausspruch getan, ist die Reihe der Krankheitszustände bereits wieder vermehrt worden, die man mit dem Gebrauche des Korsetts in ursäch­lichen Zusammenhang bringt.

Trotzdem wird derjenige Arzt, welcher Veranlassung findet, den vom Korsett bedeckten Organen und deren Affek­tionen sein besonderes Augenmerk zuzuwenden, zu der Über­zeugung gelangen, daß der Mechanismus der Korsettwirkung denn doch noch nicht in allen Punkten vollkommen klar liegen muß, sonst wäre es wohl nicht erklärlich, daß die einen Ärzte, und zwar Spezialisten von Rang, das Korsett absolut verwerten, die anderen es unter gewissen Bedingungen und in gewisser Form – auch außerhalb seiner Verwendung in der orthopädischen Chirurgie und Geburtshilfe – für zulässig erklären, ja selbst befürworten.

Es liegt durchaus nicht in meiner Absicht, Ihnen hier wieder einmal die wohlbekannten Veränderungen des[4] Thoraxskelettes, der Muskulatur, der Brust- und Baucheingeweide sowie alle jene Krankheitszustände in extenso anzu­führen, für deren Zustandekommen man das Korsett verant­wortlich macht. Nicht die, in ätiologischer Beziehung übrigens nicht immer ganz einwandfreien, dauernden Organveränderungen möchte ich besprechen, ich möchte vielmehr bloß über die Ergebnisse von Untersuchungen referieren, die ich mit Zuhilfe­nahme moderner technischer Behelfe, zunächst zu dem Zweck unternommen habe, um die Veränderungen zu studieren, die durch das Anlegen des Korsetts unmittelbar erzeugt werden.

Diese Untersuchungen, Messungen, photographischen und radiographischen Aufnahmen wurden, soweit dies sich als zweckdienlich und ausführbar erwies, bei einem und demselben Individuum stets mit und ohne Mieder vorgenommen. Daß sich speziell die radiographischen Aufnahmen hart an der Grenze des heutzutage technisch Möglichen bewegten, werden mir diejenigen gerne glauben, die mit dieser Art von Arbeiten vertraut sind.

Ich muß dies von allem Anbeginne betonen, um Ihre Erwartungen nicht allzu hoch zu spannen. Trotzdem glaube ich doch, manches gefunden zu haben, was auch Anderen dienen kann und deshalb mitteilenswert erscheint.

Zunächst ein Wort über das Material. Auch diesbezüg­lich sind diese Untersuchungen nicht ganz einfach. Ehe man Veränderungen studiert, muß man die Norm studieren und da beginnt eben bereits die Kalamität. Denn selbst die Mädchen der arbeitenden Klassen umgürten bei uns ihre Lenden mit dem Mieder so frühzeitig, so oft und so lange, als es nur angeht, und zwar gerade in jener Lebensperiode, in welcher Skelett und Weichteile besonders leicht modellierbar sind und das Wachstum nichts weniger als abgeschlossen ist. Es wird daher von vorneherein nur in seltenen Ausnahmefällen gelingen, bei erwachsenen Mädchen somatische Verhältnisse zu finden, die nicht bereits unter dem Einflusse des Mieders gelitten haben. Die zweite und Hauptschwierigkeit liegt aber darin, daß sich gesunde weibliche Personen begreiflicherweise nur selten dazu verstehen werden, alle nötigen Messungen und Aufnahmen, die überdies sehr ermüdend sind, an sich vor­nehmen zu lassen. Man ist daher fast ausschließlich auf die Verwendung von Berufsmodellen angewiesen. Diese Mädchen haben ebenfalls nahezu ausnahmslos Korsett getragen und das Miedertragen erst beim Eintritt in ihren letzten Beruf ent­weder dauernd oder doch fast gänzlich aufgegeben.

Da es sich mir aber nicht um Anstellung umfangreicher Sammelforschung über die Charaktere der unveränderten[5] weiblichen Formen handelte, sondern nur um die Immediat­wirkung des Korsetts, so hatte dieser Übelstand wenig Belang. Bei vergleichsweiser Heranziehung der analogen Verhältnisse vor Eintritt der Pubertät bei Individuen, die noch kein Mieder getragen haben, läßt sich mit ziemlicher Sicherheit erkennen, was der Miederwirkung zuzuschreiben ist.

Wir haben die verschiedensten Korsetts untersucht. Von der bereits erwähnten Schnürbrust Sömmerings ange­fangen bis auf unsere Tage, bis auf die letzte Pariser Création, die den bezeichnenden Namen "La Sylphide" führt, hat die Form des Korsetts wohl in Kleinigkeiten gewechselt, ist aber im Prinzipe gleich geblieben. Der hoch hinaufreichende Küraß, die niedere Ceinture, das tiefe Mieder, das auch die Hüften und einen Teil des Gesäßes komprimiert, alle haben nur einen Zweck: die Erzeugung der Taille. Das heutige Korsett reicht an die Brüste kaum heran, wir können daher die früher wohl auch beabsichtigte Hebung oder Unterstützung der Brüste aus dem Bereiche der Erörterung lassen.

Die Taille, die Erzeugung einer zirkulären Einschnürung ist heute der Endzweck.

Wir haben gefunden, daß die Definition des Begriffes Taille ziemlich kontrovers ist. Wenn man eine Beschreibung der Taille geben soll, wie sie sich, nehmen wir an, unsere Frauen vorstellen, so gehört zu deren Begriff die allmähliche Verengerung des Brustkorbes von der Schulterhöhe bis etwa handbreit unter die Mitte des Sternums und die ebenso all­mähliche Verbreiterung von hier gegen die Hüften zu. Die Taille unserer Frauen findet somit ihren Ausdruck einerseits in einer horizontalen Linie des kleinsten Leibesumfanges, anderseits in dem Taillendreieck, das in der Frontansicht beider­seits tief einspringt und dessen Spitze in dieser horizontalen Umfangslinie liegt.

Das dritte Erfordernis einer modernen Taille ist die Erzeugung einer gehörigen Ausbiegung in der Lendengegend, die Lendenlordose. Darin unterscheidet sich die moderne Taille von jener aus der Zeit Sömmerings.

Wir wollen uns zunächst mit diesen drei Punkten befassen.

Betrachten wir uns vor allem das Bild eines Mädchens, das noch kein Mieder getragen hat.

Fig. 1. Therese L., 12 Jahre.
Fig.  1. Therese L., 12 Jahre. Was dem Beschauer sofort in die Augen fallen muß, ist die gänzliche Abwesenheit einer „Taille“, auch von einem Taillendreieck ist keine Spur, wie dies bei Kindern die Regel ist. Vom unteren Rande der vor­deren Achselfalte an fällt der seitliche Thoraxcontour fast perpendikulär bis auf den Hüftbeinkamm, um erst hier in[6] sanft geschwungener Linie nach außen abzulenken. Wir sehen also, daß sich hier der Körpercontour von der Mitte an nach abwärts zwar verbreitert, aber von oben bis zur Mitte schein­bar nicht verringert hat. Diesem geradlinigen Verlaufe des Weichteilcontours entsprechen auch die Querdurchmesser des Thorax. Am unteren Rande der vorderen Achselfalte beträgt dieser Durchmesser 20 cm und ebenso viel am unteren Rande des Thorax, an der zehnten Rippe in derselben Frontalebene gemessen. Wenn wir, besonders bei einem bekleideten Mäd­chen, trotzdem den Eindruck einer Taille erhalten, so rührt dies eben daher, daß Schultern und Rollhügel tatsächlich vor­springen und dadurch die Mitte einspringend erscheinen lassen. Hier betrug die Biacromialdistanz 31, die der Trochanteren 28 gegen 18·5 cm des kleinsten Querdurchmessers der Weichen. Allein der Thorax verjüngte sich nicht nach unten zu.

Bei heranwachsenden Mädchen ist das freilich nicht mehr so schön zu sehen, dank der modellierenden Wirkung des Korsetts.

Fig. 2. Marie D., 16½ Jahre.

Fig. 2. Marie D., ein Modell von 16½ Jahren, hat vor zirka drei Jahren nur ganz kurze Zeit ein Korsett getragen und es angeblich seither nicht mehr oft angelegt. Wir sehen hier eine ca. 3 cm breite, seichte Schnürfurche, die wohl auch von den Rockbändern herrühren kann. Taille und Taillen­dreieck ebenfalls noch sehr wenig ausgebildet. Querdurch­messer an der Achselfalte 24, an der 10. Rippe 23, Biacromial­distanz 34, Trochanteren 33. Kleinster Querdurchmesser der Weichen 22 cm.

Fig. 3. Isabella P., 19 Jahre.

Fig. 3. Isabella P., 19 Jahre, hat vor fünf Jahren zum erstenmale Korsett angelegt, in den letzten Jahren, seit sie Modell geworden ist, angeblich weniger häufig. Bei ihr ist die Taille wieder mehr ausgeprägt als bei der vorhergehenden. Oberer Durchmesser des Thorax 24, unterer 22, Biacr. 33, Troch. 31, Weichen 20. Schnürfurche vorhanden.

Fig. 4. Marie H., 17½ Jahre.

Fig. 4. Marie H., 17½ Jahre, trägt seit mehr als vier Jahren Korsett, aber angeblich in der letzten Zeit, seit sie Modell wurde, nur selten. Sie ist ziemlich groß (161·5) und noch auffällig im Längenwachstum begriffen, wie sich aus den Epiphysenfugen an der Hand bei der Durchleuchtung entnehmen läßt. Beine besonders lang, leichter Pes valgus, 3 cm breite Schnürfurche, Taille markiert. Durchmesser oben 24, unten 22, Biacr. 34·5, Troch. 30, Taille quer 21.

Fig. 5. Grete H., 25 Jahre.
Fig. 5. Grete H., 25 Jahre, seit acht Jahren Korsett. Angeblich in den letzten Jahren nur ausnahmsweise. Aus­gebildetes Taillendreieck, oberer Querdurchschnitt 25, unterer 23, Biacr. 36, Troch. 33, Weichen quer 22. Mäßige Schnürfurche.[7]
Fig. 6. Albertine C., 17·5 Jahre.

Fig. 6. Albertine C., 17·5 Jahre, trägt das Korsett erst seit ca. 3½ Jahren, allein sie ist konstant, und zwar sehr stark geschnürt. Trotzdem sie eines der jüngsten der hier an­geführten Mädchen ist, ist ihr Thorax am stärksten ver­ändert. In der Frontansicht prominiert das achte Rippen­paar im seitlichen Contour und der Thorax verschmälert sich nach abwärts von dieser Rippe wieder, um seine größte Enge an der 11. Rippe zu zeigen. Wohlgemerkt immer in derselben Frontalebene der Messung. Oberer Querdurch­schnitt 21·5, unterer 18, Biacr. 31. Troch. 30, Weichen quer 19. (Die Weichteile sind an dieser Stelle „angeschoppt“.) Starke Schnürfurche.

Wir sehen also in den angeführten Fällen, daß die Ver­kürzungen des queren Durchmessers von oben bis gegen die Leibesmitte zu um so größer sind, je längere Zeit seit dem ersten Anlegen des Mieders verflossen war, je unausgesetzter das Korsett getragen wurde und je stärker es einschnürte. So konnten in unserem Falle Fig. 6 die Veränderungen nach drei Jahren bereits hochgradiger sein, als die in Fall 5 nach acht Jahren bestehenden.

Wir sind daher vollständig der Meinung Brückes, der in seiner Studie über „Schönheit und Fehler der menschlichen Gestalt“ „von einem wohlgeformten weiblichen Thorax ver­langt, daß er sich in seinem unteren Umfange nicht unnatür­lich verenge“.

Betrachten wir eine Reihe von weiblichen Figuren von der Seite her, so fällt uns an ihnen die Verschiedenheit des Rückenprofils, respektive der Krümmungen der Wirbelsäule auf. Diese Verschiedenheiten gehen Hand in Hand mit ver­schiedener Beckenneigung und bilden, wie natürlich auch beim Manne, jene verschiedenen Typen des Rückens, die wir als flachhohle, hohle und hohlrunde bezeichnen und die zum Teile als physiologische Spielarten gelten müssen. Hievon abgesehen, wird der Profilcontour auch noch durch die Haltung bedingt. Wir unterscheiden zwei Hauptformen der Wirbelsäulenkonfiguration, jene, welche ein Ausdruck der bequemen Haltung ist, und jene, welche der militärischen zukommt.

Bei der ersteren befindet sich das Hüftgelenk in der Mittellage, d. h. die Längsachse des Körpers fällt etwa in die Verbindungslinie der Hüftgelenke, und an dieser Achse „prä­gen sich die physiologischen Krümmungen der Wirbelsäule in dem Profilcontour in Form einer schönen Wellenlinie aus, deren Wellentäler und Wellenberge jeweils die gleiche Höhe haben“ (Hoffa). In dieser Lage des Körpers braucht der[8] betreffende Mensch seine Muskeln nicht „anzuspannen“. In der militärischen Haltung hingegen spannen sich die Rücken­muskeln straff an, um die Wirbelsäule gerade zu strecken. Bei „Bauch hinein!“ wird das Becken etwas weniges nach hinten geschoben, so daß die Körperachse nunmehr vor die Hüftgelenksachse fällt; bei „Brust heraus!“ wird die Wirbelsäule im Lendensegment stärker durchgebogen, die Lendenlordose vermehrt, so daß bei gleichzeitig „durchgedrückten Knien“ der ganze Oberkörper etwas vorwärtsgeneigt erscheint. Mit Recht wird immer hervorgehoben, daß „die militärische Hal­tung nichts anderes ist, als ein nur für küzere Zeit einhalt­bares Extrem“ [1]).

Gerade in dieser extremen Haltung ist aber die Lenden­lordose besonders stark ausgeprägt, ein Umstand, auf den man in letzter Zeit, mit Rücksicht auf die Ätiologie der Enteroptose, besonders geachtet hat. Der Grund hiezu ist ja augenfällig.

Es wurde wiederholt darauf hingewiesen, daß sich eine schlanke Taille nur bei aufrechter Körperhaltung formt [2]), und wir sahen, daß selbst das 12jährige Mädchen in aufrechter Haltung die Andeutung einer Taille – eine seichte Einziehung des Weichteilcontours – aufwies. Die schlanke Taille weist immer auf eine vermehrte Beckenneigung hin. Wir wissen ferner, daß sich die Weichen im Sitzen oder in der Hocke, wegen Verkürzung des Bauchraumes, mit den Eingeweiden stärker füllen, wobei die Taille verstreicht und einen „lose angelegten Gürtel bis an das Brustblatt hinauf verschiebt“ (Langer; ibid.). Ferner, daß sich die Weichen in der Rückenlage buchten und die Bauchwand einsinkt ­– kurz, daß die Weichen – inde nomen – weich und nach­giebig sind und sein müssen. Deshalb ist auch der quere Durchmesser der Weichen, den ich hier angeführt habe, natürlich etwas Wechselndes und ist nur im Zusammenhalt mit dem Durchmesser fixer Teile zu verwerten.

Je stärker die Lordose und Beckenneigung, um so mehr verlängert sich die Bauchhöhle, um so mehr rücken die Kontenta aus den Flanken in die vorderen, tieferen Partien, da die lordotische Rückwand die Bauchhöhle zu einem schlechteren Exzipiens macht als beispielsweise die Brust- und Beckenhöhle, wo die kyphotischen Teile der Wirbelsäule den Charakter der Höhle besonders hervortreten lassen.

Ich brauche wohl nicht erst darauf hinzuweisen, daß gerade der fortwährende Wechsel der Konfiguration der[9] Bauchwand und der Lagerung der Bauchorgane und die Mög­lichkeit dieses Wechsels für den Ablauf wichtiger Funktionen, für die Peristaltik, wie für alle Sekretionsvorgänge, aber auch für alle Vorgänge, die mit der Bauchpresse im direkten oder indirekten Zusammenhange stehen, wie die Atmung, Ekkoprose, Harnentleerung etc. Bedeutung haben muß.

Für das Verständnis des Zustandekommens der Entero­ptose waren mir speziell die folgenden Bilder äußerst lehrreich.

Fig. 7.

Fig. 7 zeigt uns die nach einer meiner Aufnahmen angefertigte Profilskizze der kleinen 12jährigen Therese, die uns schon ab anteriori bekannt ist. Sie steht in bequemer Haltung und, ohne diese Haltung nur im geringsten zu ver­ändern, wurden, um den Contour rein zu erhalten, die Arme von einem Gehilfen leicht gehoben und im Ellbogengelenk gebeugt. Daß sich tatsächlich an der bequemen Haltung nichts geändert hat, sieht man an der Stellung des Kopfes.

Wir sehen hier eine sehr geringe Beckenneigung, eine sehr geringe Lendenlordose. Legen wir hier an den vorderen Rand der Symphyse (der etwa dem vorderen Oberschenkel­contour entspricht) senkrecht nach aufwärts eine Tangente, so schneidet diese Linie nur den am stärksten prominierenden, geblähten Teil des Abdomens, die Nase und – weil sich das Kind, wie gesagt, schlecht hält – ein Stück von der Stirne ab.

Fig. 8.

Ähnlich auch bei Fig. 8. Anna B., 15 Jahre alt, Dienst­mädchen, die vor einem Jahre zum erstenmal Korsett angelegt hat, es aber fast nie trägt, da es ihr Dienst nicht erlaubt. Nur die Nasenspitze, ein schmaler Streifen des Sternums und die Kuppe des Bauches fallen vor die Symphysentangente, Kopf und Gesicht, Brustkorb und Becken liegen symmetrisch übereinander.

Fig. 9.

Ganz anders bei Fig. 9, deren en face-Bild wir in Fig. 4 sahen. Sie trägt seit drei Jahren Korsett. Die starke Lordose ist besonders auffällig und die Symphysentangente schneidet bei ihr den größten Teil des Gesichtes, der Mammen, das vordere Drittel des Oberleibes, und zwar Brust und Oberbauch ab.

Es ist natürlich nicht möglich, hier alle Photogramme wiederzugeben, die ich angefertigt habe; ich muß mich mit einer Auswahl begnügen. Aus allen konnte ich ersehen, daß auch der Grad der vermehrten Lordose mit der Dauer der Einwirkung des Korsetts im direkten Verhältnisse stand, ebenso wie die Tiefe des Taillendreieckes und der Tailleneinschnürung.

Es ist mir aber weiter aufgefallen, daß gerade bei jenen Individuen, bei denen die geringsten Veränderungen des Thoraxskelettes und der Weichteile vorhanden waren, die[10]
Fig. 10.

tiefste Einsenkung des Rückens bedeutend tiefer gelegen war als jene, welche „die Bauchwand oberhalb des Nabels schneidet“ und welche Langer als die vordere Demarkation der Taille anführt. Man sieht dies auch wieder bei den beiden Mädchen hier (Fig. 7 und 8). Bei beiden verläuft der kürzeste antero­posteriore Durchmesser schräg von vorne oben nach hinten unten. Das würde also heißen: Am nicht oder wenig deformierten Thorax verläuft die Taillenebene nicht horizontal, sondern schräg von vorne oben nach hinten unten. Erst die Wirkung des Korsetts bringt sie in eine Ebene, wie Fig. 9 zeigt. Hier verläuft sie ganz horizontal, und zwar stehen ihre Endpunkte vorne relativ tiefer, rückwärts höher als bei nicht deformierter Taille. Betrachten wir die scharfwinklige Lordose, welche der Weichteilcontour von Fig. 10 zeigt, der von demselben Mädchen wie Fig. 6 herrührt, so werden wir in der Meinung nur noch bestärkt, daß die horizontale Taillen­linie etwas Artifizielles ist. So scharfwinklig ist ein normaler Contour nie.

Also: Durch das Korsett wird die ganze Ebene des kleinsten horizontalen Leibesumfanges nach abwärts geschoben. Die Punkte der tiefsten Einsenkung am Bauch und am Rücken, die ursprünglich nicht in einer horizontalen Ebene liegen, liegen nun auch in dieser, in der Taillenlinie. Der erstere ist hinab-, der letztere hinaufgerückt.

Wir sehen auch eine stärkere Lordose, die wir uns am besten durch einen Auswuchs der Mode versinnbildlichen können. Es dürfte Ihnen wohl auch noch in Erinnerung stehen, daß unsere Damen vor einigen Jahren eine eigene Art vorne bauschiger Blusen trugen, die man, wenn ich nicht irre, russische nannte. Sie erzeugten das, was Pariser Tailleurs einen "Estomac à la polichinel", einen Wurstelmagen, nannten. Bekanntlich trägt dieser Hampelmann nicht nur hinten, sondern auch vorne einen Höcker. Diesen Magenhöcker imitierten die erwähnten Blusen, und das Hinaufrücken des Scheitels der Lendenlordose bringt eben gerade die Magengegend stärker zum Prominieren. Und gerade diese „Linie“ ist das Ideal unserer Frauen! – Linien bezeichnet im Schneiderjargon immer das Künstliche, „Formen“ das Natürliche. Unsere Frauen wollen keine Formen, nur Linien zeigen! Sie wollen nicht natürlich, sie wollen stilisiert erscheinen.

Das ist aber ein höchst ungesunder Stil, denn Hand in Hand mit dieser verstärkten Lordose geht eine stärkere Beckenneigung. Das Becken steht weiter zurück und die Schwerlinien der Viscera fallen nun zum großen Teile nicht mehr in die Unter­stützungsebene, das heißt ins Becken, sondern vor das Becken, etwa so wie ein Senkblei, das man von der Spitze des schiefen[11] Turmes zu Pisa herabhängen ließe. Die Eingeweide werden nun nicht mehr eines auf dem anderen aufruhen, das unterste auf dem knöchernen Becken, sondern zum Teile bloß auf der weichen Bauchwand. So lange deren jugendliche Elastizität noch vorhanden ist, hat das relativ wenig Belang. Hat aber die Kon­traktilität der Muskulatur durch Geburten oder durch starke Fetteinlagerung gelitten, hat der Fettüberzug der Därme und somit ihr spezifisches Gewicht zu-, ihre Beweglichkeit abge­nommen, so liegen die Dinge natürlich anders. Man muß nur an extreme Fälle denken, um auch mittlere zu begreifen. Wenn man sich an Sektionsbefunde von fettleibigen Personen erinnert, wie da die Därme in starre, schwere Rohre verwandelt sind, so begreift man, daß dann die vermehrte Lordose im Vereine mit dem erhöhten spezifischen Gewichte der Viscera allein das Entstehen von Hängebauch und Enteroptose begünstigen wird.

Dazu kommt noch der Druck des Korsetts, der die Kontenta direkt nach abwärts und nach vorne treibt. Aus statischen Gründen muß aber ein Übergewicht vorne die Lordose nur noch mehr verstärken, denn, um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, muß der Oberkörper wieder um das Gewichts­äquivalent nach hinten geneigt werden. Wir haben also hier den Circulus vitiosus, daß die Lordose die vordere Bauchwand vorwölbt und die vorgewölbte Bauchwand wieder die Lordose vermehren hilft.

Mit dem „intraabdominellen Druck“ brauchen wir uns nicht zu befassen, nicht bloß weil dieses Schlagwort glück­licherweise außer Kurs gesetzt worden ist, sondern auch weil für uns nur die Schwerwirkung in Betracht kommt.

Wenn also Brücke am angeführten Orte schreibt, „daß zu starke Beckenneigung bei uns beim weiblichen Geschlechte ein viel häufigerer Fehler sei als zu geringe“, so müssen wir ihm an der Hand unseres Beobachtungsmaterials vor Anderen recht geben. Wir können aber noch hinzufügen, daß wir die Lordose um so stärker ausgeprägt gefunden haben, je länger das Individuum der Miederwirkung ausgesetzt gewesen war.

Nunmehr sollte ich eigentlich die Photogramme derselben Individuen, die ich soeben demonstriert habe, mit dem Mieder bekleidet vorführen, um die erzeugten Veränderungen ersichtlich zu machen. Dies wäre mir ein leichtes, da ich eine Unzahl derartiger Aufnahlnen angefertigt habe. Nur würden Sie nicht viel neues daraus lernen. Je nach der Form des Mieders, nach der stärkeren oder schwächeren Schnürung ist das Taillendreieck stärker oder schwächer einspringend, reicht das Mieder höher hinauf oder tiefer herab, behindert es die Freiheit der Beugung des Rumpfes mehr oder weniger. Immer aber erzeugt es das[12] Ideal unserer Frauen, d. h. die kreisförmig komprimierte Taille und die „moderne Linie“, das heißt die Fixation der Figur in jener Stellung, in welcher die Lendenlordose stark prononziert ist. Wir sprechen darüber noch und ich will sogleich zur Vorführung jener Bilder schreiten, welche tatsächlich besseres Beobachtungsmaterial bieten, nämlich zu den radiographischen Aufnahmen.

Sie wurden gleich den übrigen Untersuchungen in Dr. Kienböcks radiographischem Institut ausgeführt und ich danke ihm bei dieser Gelegenheit für die überaus liebens­würdige Weise, in welcher er mir sein ganzes Laboratorium zur Ver­fügung stellte und meiner Arbeit durch seine große fachmännische Erfahrung zuhilfe kam.

Fig. 11.

Da es sich mir nicht um die Vergleichung verschiedener weiblicher Formen unter einander, sondern um die Vergleichung der Form und Lagerungsverhältnisse an einem und demselben Individuum handelte, so mußte man vor allem darauf bedacht sein, jedesmal den Stamm genau und einwandfrei fixieren zu können. Hiezu diente eine einfache Vorrichtung, die nach Kienböcks und meinen eigenen Angaben angefertigt wurde und wohl noch anderweitige Verwendung finden mag. (Fig. 11.)

Sie besteht aus einem Paar vertikaler Eisenstangen von 1 m Länge, die in einem Abstande von 60 cm voneinander, 50 cm über dem Boden beginnend, mit Hilfe von Zapfen in die Wand eingelassen sind und somit über mannshoch hinauf­reichen. Diese Stangen sind in Centimeter geteilt und tragen jederseits zwei sagittal gestellte, 20 cm lange, 10 cm breite Holzbrettchen, die mit Hilfe von Flügelschrauben in ver­schiedener Höhe und in verschiedenen Abständen voneinander fixiert werden können. Zwischen beiden Stangen hängt ein entsprechend breites Reißbrett herab und läßt sich mittels zweier Rollen an Schnüren leicht auf- und abwärts bewegen und mit Hilfe eines Klemmbügels – nach Art eines Fenster­rouleaux – feststellen. Auf diesem Brette wird die photo­graphische Platte mit Hilfe von sogenannten Kodak-Stoßnadeln so befestigt, daß diese Reißnägel nur den Rand berühren, ohne das Papier der Platte zu lädieren.

Bei Frontaufnahmen lehnt sich die betreffende Person mit Brust oder Rücken an die Platte, die beiden unteren Seitenbrettchen werden am Becken, die oberen unter den Achseln an den Thorax angelegt, ohne aber zu drücken oder die Schultern zu heben. Die Centimetereinteilung ermöglicht ein vollständig symmetrisches Anlegen.

Bei seitlichen Aufnahmen liegt die eine untere Platte am Gesäß auf, die andere etwas tiefer am Oberschenkel, die[13] eine obere dient als Rückenstütze, die zweite vordere liegt nicht dem Thorax auf, um die Atmung nicht zu beeinträchtigen, sondern dient den vorgestreckten Armen als Unterstützung, für welchen Zweck sie mit einem Polster versehen wird, um nicht zu drücken. Wenn man noch den Fußstand mit Kreide markiert, das Individuum vorsichtig heraustreten läßt, ohne die Röhre zu verschieben, so ist man sicher, dieselbe Stellung mit angelegtem Korsett zu erzielen, die man vorher ohne Korsett einnehmen ließ [3]).

Auch hier muß ich leider darauf verzichten, alle Auf­nahmen vorzuführen und mich auf eine kleine Auswahl be­schränken.

Fig. 12.
Fig. 13.

Zunächst wollen wir uns zwei addorsale Aufnahmen (Fig. 12 und 13) von unserer kleinen Therese betrachten. Die Aufnahme erfolgte bei 65 cm Röhrenabstand in Zwerch­fellhöhe, bei ruhiger Atmung. Versuche, die Aufnahmen im In­- oder Exspirationsstillstand auszuführen, scheiterten an dem Umstand, daß niemand imstande ist, sein Zwerchfell zweimal hintereinander in derselben Lage festzuhalten. Wir hätten so nicht vergleichen können. Wir haben bei ruhiger Atmung durch vier Minuten exponiert und bekamen natürlich auf diese Weise eine Exkursionszone des Diaphragmas.

Da unser kleines Medium überhaupt kein eigenes Korsett besaß, so legten wir ihm das einer erwachsenen Person an. Es war nun allerdings zu weit, allein durch eine Watteeinlage wurde die normale Kompression erzielt. Im Bilde erkennt man genau die perpendikulären Planchettes, die Metallösen der Schnürlöcher und den (punktierten) oberen Rand des Korsetts.

Auf den ersten Anblick fällt die starke Ausprägung des Taillendreieckes im korsettragenden Thorax gegenüber dem unbekleideten auf. Am unbekleideten Thorax sind die Flanken in aufrechter Stellung fast unmerklich eingezogen. Die Ver­bindungslinie der beiderseitigen Einsenkung schneidet den zweiten Lendenwirbel an der Grenze zwischen unterem und mittlerem Drittel und berührt fast die freien Enden der zwölften Rippe. Das Korsett macht diese Andeutung einer Taille zu einer wirklichen tiefen Taille und rückt sie zugleich nach abwärts, denn die Taillenachse durchschneidet nunmehr den dritten Lendenwirbelkörper zwischen mittlerem und oberem Drittel. Dementsprechend hat die Höhe des Dreieckes, das die zwölfte Rippe mit der Wirbelsäule und der Taillenachse bildet, fast um die Höhe eines Wirbelkörpers zugenommen.[14] während sich dessen Basis verschmälert hat. In unserem Falle hat der frontale Taillendurchmesser um drei Zehntel seiner ursprünglichen Länge abgenommen.

Die Distanz der freien Enden des zwölften Rippenpaares hat sich bedeutend verringert, noch mehr jene des elften Paares, so daß die freien Enden von elfter und zwölfter Rippe einander beiderseits fast berühren. Dementsprechend gehen diese, wie die nächsthöheren Rippenpaare, unter einem spitzen Winkel von der Wirbelsäule ab. Da sich auf diese Weise der seitliche Contour der Rippen von der sechsten Rippe nach ab­wärts stetig verjüngt, zeigt der Thorax nunmehr eine aus­gesprochene Tonnenform.

Betrachten wir nun den Zwerchfellstand, so ergibt sich, daß am miederlosen Thorax die obere Grenze des Zwerchfellschattens rechts an der Mitte des zehnten Brustwirbelkörpers beginnt, die zehnte Rippe ungefähr in der Mitte ihres dor­salen Anteiles schneidet und dicht über dieser Rippe nach außen verläuft. Die linke Hälfte beginnt am oberen Rande des zehnten Wirbelkörpers (sie fällt hier in den Herzschatten) und läuft ebenfalls dicht über der zehnten Rippe im neunten Intercostalraum nach außen.

Am korsettragenden Thorax erscheint die obere Zwerch­fellgrenze in der addorsalen Projektion beträchtlich nach auf­wärts verschoben. Rechts beginnt sie am oberen Rande des neunten Wirbels und zieht im Bogen bis an den Rand der achten Rippe nach außen. Hier beträgt die Verschiebung fast zwei Intercostalräume. Linkerseits folgt der Zwerchfellschatten, soweit er sich vom Herzschatten differenzieren läßt, dem Ver­lauf der neunten Rippe. Das Zwerchfell ist also an jenen Stellen, wo das Herz nicht aufliegt, stärker nach aufwärts ge­drängt worden.

Werfen wir nun – last not least – einen Blick aut das Herz selbst, so fallen uns sofort große Verschiedenheiten in der Konfiguration seiner Projektionslinien auf. Seine ganze Form hat sich geändert. In der Mitte taucht es ge­wissermaßen im Diaphragmaschatten unter. Die Herzspitze ist nach außen und oben gedreht worden. Am miederlosen Thorax fiel sie ungefähr in die Mitte der Projektion der zehnten Rippe, nach dem Anlegen des Mieders an den äußeren Rand der neunten Rippe. Der obere Contour des linken Ventrikels verlief vor dem Anlegen des Korsetts in leicht geschwungenem Bogen ziemlich steil von der siebenten über die achte und neunte bis an die zehnte Rippe. Der Schatten des linken Vorhofes und der Pulmonalis reichte nach oben bis an die dritte Rippe, der der Aorta bis an die vierte Rippe. Nach[15] Anlegen des Mieders war, wie gesagt, die Herzspitze nach außen und oben gerückt, der Zwischenraum zwischen ihr und der seitlichen Thoraxwand auf etwa ein Dritteil seiner ur­sprünglichen Breite reduziert, die seitliche Begrenzung des linken Ventrikels kreuzte die Rippen weniger steil, zeigte eine stärkere Konvexität nach außen und war von einer seitlichen zu einer oberen Grenzlinie geworden. Sie verlief nunmehr genau längs der siebenten Rippe. Dabei hat sich die Höhe des Herzschattens um etwa ein Fünfteil verkürzt und etwa um ebenso viel der Querdurchmesser des Herzschattens (senk­recht auf die Herzachse) abgenommen. Mit einem Worte: das Herz scheint in der Richtung von rechts unten nach links oben gehoben und macht den Eindruck, als wäre es im Sinne seines queren Durchmessers zusammengedrückt worden. Diese Verschiebung erfolgte aber nicht parallel mit seiner ursprüng­lichen Projektion, das Herz ist vielmehr mit seiner Spitze nach außen und oben rotiert worden, gewissermaßen als hätte man es um eine von rechts vorne oben nach links hinten unten etwa durch die großen Gefäße gelegte Achse nach aufwärts torquiert.

Fig. 14.
Fig. 15.

Die Profilaufnahme (Fig. 14 und 15), gewissermaßen der Sagittalschnitt, zeigt uns die deutliche Ergänzung dieses Be­fundes. Wir sahen, daß in diesem Falle die Verbindungslinie der stärksten Einsenkung am Bauche und Rücken nicht horizontal, sondern schief verläuft und folglich nicht den kürzesten antero-posterioren Durchmesser darstellen kann. Da­gegen ist der kleinste sagittale horizontale Durchmesser eben­falls hinabgerückt. Die Lendeneinsenkung ist in die künstlich erzeugte Taillenlinie hinaufgerückt.

Die Abnahme des horizontalen Sagittaldurchmessers ist indes geringer als die des queren und beträgt bloß ein Zehntel der ursprünglichen Länge. Sehr natürlich, denn bei der Kom­pression einer Ellipse (der Taille) auf die Kreisform wird be­greiflicherweise der längste Durchmesser, also hier der frontale, mehr verkürzt werden als der kürzere, der sagittale.

Vor dem Anlegen des Korsetts sahen wir den hinteren Zwerchfellcontour zwischen dem elften und zwölften Wirbel­körper abschneiden, nach Anlegen des Korsetts zwischen achtem und neuntem. Besonders demonstrativ sind die Bilder der Herzprojektion. Die Höhe des Herzschattens hat beträchtlich abgenommen, seine Tiefe dagegen zugenommen. Der Retro­cardialraum hat sich verkleinert und nun verstehen wir auch die scheinbare Kompression des Herzens: In demselben Maße, als sich die Herzspitze hob, senkte sich die Rückwand; das Herz hat sich bei dieser Drehung gewissermaßen aus der[16] frontalen Projektionsebene herausgedreht und sich mit einem schmäleren Durchmesser in diese Ebene eingestellt.

Nachtragen müssen wir noch, daß die „Lungenhelligkeit“ am Miederthorax auffallend geringer wurde, was auf Verdich­tung des Lungengewebes hindeutet.

Der Kubikinhalt des für die Lungen verfügbaren Thoraxraumes hat in allen Dimensionen ganz beträchtlich abgenommen.

Wenn wir also die Veränderungen nochmals rekapitu­lieren, welche das Anlegen des Korsetts bei diesem zwölf­jährigen Mädchen erzeugt hat, so sind es die folgenden:

  1. Die Gegend, welche etwa der Taille entspricht, wurde auf die Kreisform komprimiert, dabei verkürzte sich der antero­-posteriore Durchmesser um ein Zehntel, der frontale um drei Zehntel der ursprünglichen Länge.
  2. Die Ebene des kürzesten frontalen Durchmessers ist um die Höhe eines Lendenwirbelkörpers nach abwärts ver­schoben worden.
  3. Der Thorax erscheint seitlich von der siebenten Rippe nach abwärts so zusammengedrückt, daß die Enden der elften Rippe die größte seitliche Kompression zeigen und in ihrer Projektion die freien Enden der zwölften Rippe nahezu be­rühren, obgleich auch diese der Wirbelsäule genähert worden sind. Der Thorax ist faßförmig geworden.
  4. Das Zwerchfell wurde bedeutend nach oben ver­drängt. Der Grad dieser Verdrängung ist nicht überall gleich groß. In der Rückansicht erscheinen die Kuppe um mehr als einen, die Partes costales um nahezu zwei Intercostalräume hinaufgerückt. In der Profilansicht erscheint der Teil, welcher etwa den Zwerchfellschenkeln und dem hinteren Teile des Centrum tendineum entsprechen würde, um fast drei Wirbel­höhen nach oben gerückt. Am Sternum ist die Verschiebung nach aufwärts noch etwas beträchtlicher. Wir sehen also, daß die größere frontale Kompression – d. h. senkrecht auf die Sagittalebene – auch einen größeren Effekt gehabt hat als die geringere im antero-posterioren Durchmesser, also senkrecht auf die Frontalebene wirkende.
  5. Die Bauchhöhle ist also nach oben hin verlängert, die Brusthöhle von unten her verkürzt worden.
  6. Die Lungen erscheinen weniger lufthältig. Verminderte „Lungenhelligkeit“.
  7. Das Volumen der Lunge ist bedeutend verkleinert, besonders der laterale (besonders rechte) Pleurasinus nahezu verstrichen.[17]
  8. Das Herz ist nach außen oben verschoben und dabei so gedreht worden, daß sich die Spitze der seitlichen Brust­wand genähert und gehoben, die Rückwand (rechter Ven­trikel und linker Vorhof) der Wirbelsäule genähert und ge­senkt hat.
Fig. 16.
Fig. 17.
Fig. 18.
Fig. 19.
Fig. 20.
Fig. 21.

Die folgenden Radiogramme rühren von Fig. 2 unserer Modelle her. Man erinnert sich, daß das 16½ jährige Mäd­chen bereits ein Mieder getragen hat, jedoch nicht lange, nicht häufig und mit sehr mäßiger Schnürung. Ich will mich hier kürzer fassen und darauf beschränken, die wichtigsten Punkte kursorisch zu berühren [4]). Fig. 16-21.

  1. Verkürzung des frontalen Durchmessers der Taille um 2½ Zehntel, des sagittalen um nur ein Zehntel seiner ganzen Länge.
  2. Herabdrängung der Taille aus der Höhe der Mitte des 2. in die des 3. Lendenwirbels.
  3. Seitliche Kompression der unteren, besonders der 11. Rippe. Faßform des Thorax, der vor der Kompression noch keine Difformität zeigte.
  4. Deutliche Verstärkung der Lordose (Profilbilder), wie man am Verlauf des vorderen Contours der Wirbelsäule (stärkere Rundung) erkennt.
  5. Höhertreten des Diaphragmas: Rechts aus dem 8. in den 7. Intercostalraum, links vom Rande der 9. Rippe in den 7. Intercostalraum. In Sagittalansicht rückt der hintere Zwerchfellrand vom 11. zum 10. Wirbelkörper hinauf, die Vorderprojektion des Zwerchfells auch wieder etwas stärker nach oben als rückwärts.
  6. In der seitlichen Projektion zeigt sich ganz deutlich die Verstärkung der Lordose durch das Mieder.
  7. Am Herzen ähnliche Veränderungen: Hinaufrücken des ganzen Herzschattens. Verschiebung und Drehung gegen die seitliche Brustwand. Scheinbare Verkürzung des queren Durch­messers (besonders auffällig bei Vergleichung mit der Scapula [5]).[18]
  8. Auch hier ist die Herzwand gegen die Wirbelsäule stärker vorgebaucht worden.
  9. Wir haben hier noch eines kleinen Experimentes zu gedenken, das wir in diesem Falle anstellten. Vor der Aufnahme ließen wir eine zirka 2 cm lange, mit Wismut gefüllte Gelatine­kapsel verschlucken.

Wir verfolgten ihr Abwärtsgleiten auf dem Schirm. An der Bifurkation gab’s einen kleinen Aufenthalt, aber dann plumpste die Kapsel förmlich in den Magen und blieb an der Stelle liegen, an der sie in Fig. 16 zu sehen ist. Sie lehnt sich offenbar an die Magenwand und steht aufrecht in der Höhe der Mitte des 3. Lendenwirbels. Nach dem Anlegen des Korsetts scheint sie sich umgelegt zu haben, die Gelatine scheint sich zu lösen, der ganze Wismutschatten ist aber un­zweifelhaft tiefer getreten. Er liegt jetzt (Fig. 17) à cheval auf der Grenzlinie des 4. Lendenwirbels und der Zwischenwirbel­scheibe, dicht an der Wirbelsäule und man hat den Eindruck, als hätte sich die Kapsel einfach nach innen umgelegt. Wir ersehen also daraus, daß der Magengrund tiefer getreten ist, während die Cardia mit den Zwerchfellschenkeln hinauf­gestiegen ist. Der Magen wurde also „aufgestellt“ und ge­streckt, in die Länge gezogen.

Fig. 22.
Fig. 23.

Ein gleiches Experiment haben wir auch mit unserer kleinen Therese angestellt, nur haben wir diesmal die Auf­nahmen adventral gemacht. Die Skizzen Fig. 22 und 23 bilden die Ergänzung und gewissermaßen die Bestätigung der vorigen. Das Mieder, das verwendet wurde, ist ein sogenanntes Corset Sylphide, ein tiefes Mieder. Es wird, wie man sieht, an der Seite eingehakt.

Auch hier ist die Wismutkapsel beträchtlich nach abwärts getreten, von der Höhe des oberen Randes des 4. Lenden­wirbelkörpers bis zur Mitte des 5. Wirbels.

War sie aber bei den früher gezeigten Bildern nach innen gerückt (umgefallen), so hatte in diesem Falle der der Wirbelsäule zunächst liegende Pol seine Distanz von dieser nicht verändert, dagegen war der äußere gehoben, die Kapsel aufgestellt worden. Also auch hier war der Magen nach unten gerückt und gestreckt worden. In der Skizze ist nicht zu er­sehen, daß auch das Colon tiefer getreten ist, was einige markante Gasblasen des Originals deutlich erkennen lassen. Feine Details des Originals gehen eben bei der Re­produktion und besonders bei der Verkleinerung verloren.

Fig. 24.
Fig. 25.

Die beiden nächsten Figuren 24 und 25 stammen von der 17½ jährigen Marie H., die wir schon en face (Fig. 4) gesehen haben. Ich will hier nichts hervorheben als die Skoliose,[19] die durch das Korsett ausgeglichen wird. Die übrigen Verhält­nisse sind wieder dieselben. Am Hüftbeinkamm zeigt sich deutlich die Epiphysenspange, durch eine Helligkeit vom übrigen Knochen getrennt, ein Beweis, daß das Knochenwachstum noch nicht beendet ist. An der Hand waren die Epiphysen­fugen ebenfalls noch nicht verstrichen.

Fig. 26.
Fig. 27.

Figur 26 und 27 zeigen die Profilaufnahme derselben Person und sind besonders gut gelungen.

Die Lordose ist auffällig verstärkt worden, der vordere Contour der Wirbelsäule ist vermehrt, die Keilform der Zwischenscheiben stärker zum Ausdrucke gebracht.

Fig. 28.
Fig. 29.
Fig. 30.
Fig. 31.

Die folgenden Bilder (Fig. 28-31) sind die Pièce de résistance meiner Sammlung. Sie stammen von Fig. 6 unserer Modelle, der 17jähr. A. C., die, wie erinnerlich, ca. 3 Jahre lang besonders kontinuierlich und besonders stark geschnürt war.

Bereits ohne Korsett ist die Faßform des Thorax auf­fällig, die untere Brustapertur frontal verengt. Das Zwerchfell senkt sich besonders markant von rechts außen oben vom Rande der achten Rippe schief im Bogen nach links außen unten längs der neunten Rippe herab, den oberen Rand des neunten Brustwirbels schneidend. Eine sehr geringe Skoliose ist unverkennbar. Das Korsett gleicht sie vollkom­men aus.

  1. Taillenverkürzung quer 2,3 Zehntel, sagittal 1,2 Zehntel des ursprünglichen Durchmessers.
  2. An der Taille sind bereits dauernde Veränderungen eingetreten, bereits vor dem Anlegen des Mieders fällt die Taillen­linie im Profilcontour in den dritten Lendenwirbel.
  3. Im Profilcontour hindern die besonders großen hängenden Brüste daran, den Herzschatten zu differenzieren. Nur dessen hintere Begrenzung ist deutlich wahrzunehmen.
  4. Die perpendikulären, punktierten Linien vorn und hinten deuten die Grenze zwischen Fett und Muskelschicht an. Ersteres ist durch das Korsett am Bauche und am Rücken in Taillenhöhe zusammengeschoben und massig geworden. Am unteren und oberen Rand des Mieders quellen die Weichteile hervor.
  5. Auch hier verstärkt das Korsett die Faßform des Thorax.
  6. Das Zwerchfell ist ziemlich symmetrisch, und zwar um einen ganzen Intercostalraum nach oben gewandert. Links etwas mehr, was zu der ausgeglichenen Skoliose stimmt.

Hier sind die Veränderungen der Herzprojektion besonders auffällig, die Höhe verkürzt, die Spitze stark nach außen verlagert, der Querdurchmesser scheinbar stark verkürzt. – Ich muß besonders hervorheben, daß das Mädchen Zeichen von[20] hochgradiger Chlorose zeigte und an jenen wohlbekannten nervösen und zirkulatorischen Störungen litt, die sich haupt­sächlich in Neuralgien, Hemicranien, Schwindel, Frösteln, kalten Füßen u. ä. äußern.

Ehe ich zum Schlusse komme, möchte ich aber noch, gewissermaßen zur Ergänzung meiner Bilder und auf ihnen fußend, einen Symptomenkomplex besprechen, der wohl einige Aufmerksamkeit verdient. Ich meine nämlich die Art, wie eine Frau ihr Korsett an- und ablegt.

Sobald das Korsett vorne eingehakt ist, werden die Schnürbänder rückwärts ad maximum zugezogen und dann wird es an seinem vorderen unteren Rande erfaßt und nach abwärts gezogen. Hierauf legt die Frau ihre Hände auf die Hüften, um das Korsett zu fixieren, und nun beginnt sie sich mit kleinen Rotationsbewegungen der Lendenwirbelsäule aus dem Mieder herauszuheben. Dann werden die Strumpfbänder festgehakt und es erfolgt meist noch eine Bewegung, die ich eine diagnostische nennen möchte: in Profilstellung wird der eine Vorderarm aufs Kreuz gelegt, um zu prüfen, ob die Lordosenlinie auch einwandfrei gelungen ist.

Analysieren wir diesen Mechanismus, so wird er uns folgendermaßen verständlich: Die Taille stellt ein Oval dar, dessen Längsachse frontal steht. Durch die Einschnürung wird zunächst die Kreisform erzeugt, das Mieder drängt hiebei die Eingeweide größtenteils nach abwärts. Diese haben natürlich das Bestreben, in ihre frühere Lage zurückzukehren und hie­durch das Korsett in die Höhe zu schieben. Das wird durch die Befestigung der Strumpfbänder verhindert.

Nicht minder lehrreich und, ich möchte sagen, pathogno­stisch typisch ist die Art, wie sich die Frau des Korsetts entledigt.

Im Augenblicke, da das Mieder ausgehakt wird, erfolgen eine oder mehrere tiefe Inspirationen, die Wirbelsäule sinkt zusammen – besonders die Brustkyphose wird vermehrt ­– und die freie Hand beginnt unbewußt die Bauchdecken an den Stellen der größten Einschnürung zu reiben und zu kneten. Auch hiefür sind die Ursachen einleuchtend. Die tiefen In­spirationen entspringen dem Bedürfnisse, die so lange beein­trächtigte Zwerchfellatmung besser in Gang zu setzen. Das Zusammenknicken der Wirbelsäule rührt daher, daß die Rücken­muskeln im Korsett ebenso atrophisch geworden sind, wie etwa die Muskulatur eines eingegipsten Beines. Sie versagen den Dienst. Und die Massagebewegungen lassen sich jenen ver­gleichen, die ein Gefangener ausführt, wenn man ihm die Fesseln abnimmt: er will in den gedrückten Partien die Zirkulation wieder in Gang bringen.[21] Diese einfache Beobachtung, die jedermann anzustellen in der Lage ist, wird die Wirkung des modernen Mieders richtig deuten lassen.

Das moderne Mieder vermehrt die Lendenlordose, d. h. es fixiert den Rumpf in der militärischen Haltung. Nun haben wir aber gehört, daß diese Haltung nur durch Anspannung der Rückenmuskeln erzeugt werden kann, daher nicht geeignet ist, längere Zeit eingehalten zu werden, wenigstens nicht aktiv, ohne Kunsthilfe. Die erheblich geringere normale Lendenlordose ist aber dadurch bedingt, daß die Zwischen­wirbelscheiben vorne höher sind als hinten. Sie sind aber kompressibel und infolge dessen ist jeder Mensch am Abend niedriger als am Morgen, d. h. nach der durch die Körper­last erzeugten Kompression kleiner als vorher. Hyrtl fand Unterschiede bis zu einem halben Zoll und darüber und auch ich habe gefunden, daß Mädchen (nachdem sie bereits einen halben Tag auf den Beinen gewesen waren) durch das Anlegen des Korsetts noch um ½ bis ¾ cm größer wurden. Das Sich-aus-dem-Mieder-Herausheben hat also offenbar den Zweck, den Thorax auf den oberen trichterförmig erweiterten Teil des Korsetts möglichst breit aufzulagern, zu suspendieren und dadurch die Zwischenwirbelscheiben zu entlasten. Die Rückenmuskeln werden dagegen durch den eigenartigen Zu­schnitt und den Bandapparat des Korsetts entlastet. Für diesen Mechanismus ist es ganz gleichgiltig, ob es sich um ein hohes Korsett, eine niedere Ceinture oder ein tiefes Mieder handelt. Immer wird die Taille nach abwärts gerückt, höchstens wird noch überdies die vordere Bauchwand durch ein tiefes Korsett komprimiert. Sehr tief kann es ja nie reichen, weil es sonst beim Sitzen und Bücken hinderlich wäre.

Über zwei Punkte möchte ich noch einige Worte sagen. Wir haben gesehen, daß, abgesehen von der allgemeinen Kom­pression der Lungen, besonders der laterale rechte Pleurasinus fast gänzlich verstrichen war. Mit Rücksicht hierauf war mir die Mitteilung eines Wiener Spezialarztes sehr interessant, der sich als erfahrener Praktiker und verläßlicher Beobachter allgemeiner Anerkennung erfreut. Ihm sind nämlich in seiner Praxis in letzter Zeit besonders hartnäckige Katarrhe aufgefallen, die ausschließlich bei Frauen auftraten, natürlich bei miedertragenden, und alle rechts vorne unten in einer Zone zwischen vorderer Axillarlinie und dem Rippenbogen lokalisiert waren. Bekanntlich ist der rechte Bron­chus kürzer und weiter und sein Abgang von der Trachea ein der­artiger, daß die Respirationsluft viel direkter nach rechts geleitet wird, Fremdkörper, Staub etc. viel leichter nach rechts gelangen.[22] Das würde uns die Erklärung geben, warum die Katarrhe erzeugenden Schädlichkeiten leichter dorthin gelangen als auf die linke Seite. Warum aber diese Katarrhe hartnäckiger sind und warum gerade bei Frauen, würde nicht gut einsichtlich sein, denn was für die Inspiration gilt, gilt ja auch für die Lungenventilation, für Expektoration etc. Auch diese müßten leichter vonstatten gehen. Wir haben aber gesehen, daß bei miedertragenden Frauen gerade der rechte Pleurasinus be­sonders komprimiert ist, daher schlechte Expektoration, schlechte Heilungsbedingungen!

Wahrscheinlich wird die rechterseits besonders auf­fällige Verlagerung der unteren Lungengrenze auch den Bron­chus betreffen.

Sie wissen, daß bei der Inspiration niemals der ganze Luftvorrat der Lunge auf einmal erneuert wird, sondern nur ein aliquoter Teil, ein Vorgang, der hauptsächlich der allmählichen Ausgleichung der Temperaturdifferenzen der Außen­- und Innenluft zugute kommt. Durch die Kompression des Lungengewebes wird nunmehr der untere besonders wichtige Teil der Lunge ganz ausgeschaltet, die Expansionsfähigkeit der ganzen Lunge wesentlich eingeschränkt. Das sehen wir deutlich an der verminderten Lungenhelligkeit. Welchen Aus­fall dies für alle Vorgänge des Gaswechsels, der Oxydation und der Blutbereitung haben muß, brauche ich wohl hier nicht erst zu detaillieren, ebenso wenig die Bedeutung solcher Verhältnisse für die Entstehung von Chlorose.

Nun kommt aber zu diesen Einschränkungen der normalen Respiration auch noch überdies eine unzweifelhafte Lageveränderung des Herzens, eine Drehung, die nicht ohne eine Torsion, scheinbar auch Hebung der großen Gefäße, denkbar ist. Der rechte Ventrikel wird von dieser Lagever­änderung am meisten betroffen, denn er liegt nun dem Zwerch­fell mit einer größeren Oberfläche an als vorher. Das kann auch wieder für den Lungenkreislauf nicht gleichgiltig sein.

Eine derartige Lageveränderung kann aber auch nicht ohne Torsion und Zerrung der zahlreichen ner­vösen Elemente, die diesen Organen benachbart sind, ablaufen. Und gerade der Plexus cardiacus und das übrige Vagusgebiet spielen bei den Reflexneu­rosen eine solche Rolle, daß wir uns fragen müssen, ob denn von den vielen „Krisen“ der Mädchen und Frauen, die man so kurzerhand als hysterische bezeichnet, nicht gar manche auf Zerrung oder Torsion nervöser Elemente durch das Korsett zurückzuführen wäre.


  1. 1) Hoffa, Lehrbuch der orthop. Chirurgie, 4. Aufl. 1902, pag. 242 u. f.
  2. 2) Langer, Anatomie der äußeren Formen des menschlichen Körpers.
  3. 3) Wie sich dieser einfache Apparat auch für Kopfaufnahmen verwerten läßt, wird an anderem Orte gesagt werden.
  4. 4) Hier, wie bei den folgenden Figuren, darf man die starken Schatten der Planchettes am Rande des Rippencontours nicht für den Randcontour des Korsetts halten. Der steht weiter außen.
  5. 5) Hier waren schon größere Schwierigkeiten zu überwinden, besonders die Profilaufnahmen mußten oft wiederholt werden, ehe wir eine brauchbare erhielten, und selbst bei dieser war durch die größere Fettablagerung in den Weichen sowie an den Brüsten vieles rekonstruktionsbedürftig ausgefallen. Da wir aber nur Unzweifelhaftes abgebildet haben, so wurden die rekonstru­ierten Teile der Wirbelsäule durch punktierte Linien angedeutet. Diese Rekon­struktion, sowie die Übertragung und Verkleinerung der Kopien für die Zinkogravure sind die Arbeit des Herrn akademischen Malers Kiss, der in radiographischen Arbeiten besonders geübt ist und sich durch pedantische Ge­wissenhaftigkeit auszeichnet.