Übersicht der Märchenliteratur/Die neuere oder volkstümliche Märchenliteratur

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die ältere Märchenliteratur Übersicht der Märchenliteratur (1914)
von Antti Aarne
Nachwort
[21]
II. Die neuere oder volkstümliche Märchenliteratur.

Die älteren literarischen Varianten der Märchen bleiben doch an Zahl zurück im Vergleich zu den vielen dem Volksmunde entnommenen Aufzeichnungen, die der Forscher in den neueren Märchensammlungen antrifft. Die volkstümlichen Varianten werden immer die Hauptmittel der Untersuchung sein.


Europa.

Ich beginne meine Übersicht über die volkstümliche Märchenliteratur mit Deutschland, der Heimat der Märchenforschung.

Der erste Teil der grimmschen Sammlung KHM erschien im Jahre 1812, der zweite 1815. Die Anzahl der Märchen betrug anfangs im ersten Teile 85 und im zweiten 70, wurde aber in den späteren Auflagen so vermehrt, dass sie schliesslich auf 200 stieg. Die Sammlung ist in Deutschland oft aufgelegt worden. Durch Übersetzungen sind die grimmschen Märchen in vielen Ländern bekannt geworden, haben Interesse für die Märchen geweckt und sind das Vorbild für die besonders in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in so grossem Masse ausgeführte Sammelarbeit der Volksmärchen gewesen.

Die grimmschen Märchen stammen zum grössten Teil aus mündlicher Überlieferung, sie sind von den Freunden der Brüder Grimm und alten Frauen erzählt worden, einige sind jedoch aus der mittelalterlichen Literatur und aus späteren Schwank- und Fabelbüchern entnommen. Bei der Redaktion der Sammlung wurden die Brüder Grimm von dem Bestreben geleitet, den Märchen die Form zu erhalten, in welcher sie erzählt wurden. Sie machten in den Erzählungen [22] nur kleinere Veränderungen: verbesserten die Unebenheiten und Entstellungen, auch schufen sie bisweilen aus zwei oder mehreren mangelhaften Stücken ein ganzes. Die Veränderungen ergaben sich daraus, dass sie neben der wissenschaftlichen Absicht die Redaktion eines Lese- und Unterhaltungsbuches für das deutsche Volk im Auge hielten.

Aber die von den Brüdern Grimm in den Märchen vorgenommenen Veränderungen machen die Sammlung doch nicht für wissenschaftliche Zwecke unbrauchbar. Über das, was sie veränderten, hat der Forscher Gelegenheit sich zu unterrichten. Im dritten Teil der Sammlung, der selbständig 1822 und vermehrt 1856 erschien, wird die Zusammensetzung jedes Märchens dargelegt und die Herkunft samt die bis dahin bekannten Varianten angegeben. Der Leser staunt über die Kenntnisse der Brüder Grimm bezüglich der Märchenliteratur ihrer Zeit. In dem Werke werden sowohl das klassische Altertum als die ältere und neuere morgen- und abendländische Literatur in Betracht gezogen. Es ist gerade dieser dritte Teil, der zunächst den Grund für die wissenschaftliche Forschung der Märchen gelegt hat. In Bezug auf die Zusammensetzung der grimmschen Sammlung siehe H. Hamann’s Die literarischen Vorlagen der Kinder- und Hausmärchen und ihre Bearbeitung durch die Brüder Grimm (Palaestra XLVII 1906) und E. Tonnelat’s Les contes des frères Grimm (1912).

Aber so wertvoll die grimmschen Anmerkungen den Märchenforschern auch gewesen sind, sind sie beim Fortschreiten der Forschung und beim Anwachsen der Literatur veraltet und mangelhaft geworden. Die Redaktion einer erneuerten Ausgabe derselben unternahmen zwei der vorzüglichsten Märchenforscher und Märchenkenner unserer Zeit, die Professoren J. Bolte und J. Polívka, und vor einiger Zeit wurde der erste Band ihrer umfangreichen Arbeit Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder [23] Grimm, neu bearbeitet, die 60 ersten Märchen umfassend, im Druck fertig gestellt. Die Redakteure zählen die Varianten der verschiedenen Märchen aus der ganzen bekannten Marchenliteratur auf und geben z. T. den Inhalt an. Wenn das Werk vollständig vorliegt, wird es für die Forschungsarbeit die erste und unentbehrlichste Hilfsquelle bilden. Was die grimmschen „Anmerkungen“ für die Märchenforschung im Laufe der Zeit gewesen sind, das werden sie von nun an in ihrer neuen Form in noch viel reicherem Masse sein.

Für die übrige deutsche Märchenliteratur verweise ich vor allem auf das in H. Paul’s Grundriss der germanischen Philologie (II 1909, S. 1219–1258) befindliche von J. Meier ausgearbeitete verdienstvolle Verzeichnis. Neben anderen Sammlungen der Volkspoesie werden hier auch nach Landschaften geordnet die deutschen und die niederländischen Märchen- und Sagensammlungen aufgezählt. Ein ausführliches Verzeichnis sowohl der deutschen als der anderweitigen Märchenliteratur befindet sich auch in A. Thimme’s Werk Das Märchen (1909, S. 166–201), schade nur, dass der Verfasser dabei nicht genug Kritik und Sorgfalt angewendet hat.

Es ist natürlich, dass das von den Brüdern Grimm gegebene Beispiel im Sammeln der Volksmärchen in erster Linie Nachfolger in ihrem Heimatland fand. In Deutschland wuchs die Anzahl der volkstümlichen Märchensammlungen schneller als in anderen Ländern. So haben wir von der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Menge aus dem Volksmunde stammende deutsche Sammlungen. Aber da man damals auf genaue Wiedergabe der Volksüberlieferung nicht so viel Wert legte wie zu unserer Zeit, muss der Forscher bei der Verwendung der Sammlungen die Ursprünglichkeit der Aufzeichnungen im Auge behalten. Ich werde von ihnen einige erwähnen. Meistens Sagen, aber zum Teil auch Märchen enthalten K. Müllenhoff’s Sagen, Märchen und Lieder (aus Schleswig-Holstein 1845), J. W. Wolf’s Deutsche [24] Märchen und Sagen (1845), G. Schambach’s und W. Müller’s Niedersächsische Sagen und Märchen (1854), 34 Märchen, und Th. Colshorn’s Märchen und Sagen (1854). Wertvoller für die Forschung der eigentlichen Märchen sind J. W. Wolf’s umfangreiche Deutsche Hausmärchen (1851) – die Märchen zum grössten Teil von Soldaten erzählt und in gewissem Grade „ausgearbeitet“ –, und E. Meier’s 90 Märchen enthaltende Deutsche Volksmärchen aus Schwaben (1852). In den letzteren werden zu den Märchen auch Anmerkungen zugefügt, die genau den Aufzeichnungsort der verschiedenen Märchen erwähnen; die Hinweise auf andere Parallelen beschränken sich auf einige wenige Werke. Reichhaltig sind auch der Brüder I. und J. Zingerle Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, 2 Bde (1852 und 1854), von denen der erste 40, der zweite 75 aus mündlicher Überlieferung herstammende Erzählungen enthält, H. Pröhle’s Kinder- und Volksmärchen (1853), 78 meist auf dem Oberharze gesammelte Märchen und Märchen für die Jugend (1854), 64 Nummern, und J. Haltrich’s Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen (1856). Die Anzahl der Märchen in der dritten Auflage der letzterwähnten Sammlung (1882) beträgt 119. Auch J. Haltrich’s Werk Zur Volkskunde der Siebenbürger Sachsen, kleinere Schriften in neuer Bearbeitung herausgegeben 1885 enthält ca. ein halbes Hundert Märchen. Die mit ihnen verknüpften Erläuterungen können dem Forscher von Nutzen sein. Erwähnung verdienen noch aus den sechziger Jahren L. Curtze’s Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck (1860), die viele Märchen und Sagen enthalten, und Th. Vernalekens’ Österreichische Kinder- und Hausmärchen (1864, mehrere spätere Auflagen), 60 Märchenaufzeichnungen. Curtze hat seine Aufzeichnungen schon vor 15 und mehr Jahren gemacht.

In späterer Zeit ist die Anzahl der deutschen Märchenveröffentlichungen sehr gewachsen. Ich wähle von ihnen [25] als Beispiele folgende Sammlungen: U. Jahn’s Volksmärchen aus Pommern und Rügen (I 1891), J. R. Bünker’s Schwänke, Sagen und Märchen in heanzischer Mundart (1906) und Wilhelm BuschUt ôler Welt (1910). Jahns direkt dem Munde des Volkes entnommene Märchen sind mit Anmerkungen versehen, in denen der Aufzeichnungsort der Märchen genau bestimmt und bisweilen noch erwähnt wird, von wem der Erzähler das Märchen gehört hat. Mitunter werden sogar mehrere pommersche Varianten wiedergegeben. Nach der auf dem Titelblatte befindlichen I zu schliessen hat der Herausgeber die Absicht gehabt seine Sammlung fortzusetzen, aber keine Folge ist erschienen. Bünker’s Märchen, 113 an der Zahl, fallen dadurch auf, dass sie alle von ein und derselben Person, von einem alten Manne erzählt sind, der sie teils von seinem Grossvater, teils von niederösterreichischen Arbeitsgenossen gehört hatte. Die an die Märchen geknüpften Hinweise vermehrt J. Bolte in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (XVII S. 333–334). In Busch’s Sammlung finden sich neben den 41 Märchen viele Sagen u. a. Er hat seine Aufzeichnungen schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gemacht, obwohl sie erst 1910 in die Öffentlichkeit gelangten.

Märchensammlungen sind auch in der Schweiz veröffentlicht worden. Von ihnen erwähne ich erstens O. Sutermeister’s Kinder- und Hausmärchen (1869), 56 Nummern. Auf Grund dieser Sammlung erklärt S. Singer in seinem Werke Schweizer Märchen, 2 Bde (1903, 1906) die Schweizer Märchen, anderswo angetroffene Varianten referierend. Die neueste Sammlung ist J. Jegerlehner’s Sagen und Märchen aus dem Oberwallis, deren erster Teil 1909 und zweiter 1913 erschien. Jegerlehner hat alle seine Erzählungen aus der volkstümlichen Überlieferung geschöpft. Die von H. Bächtold ans Ende des zweiten Teiles geknüpften Hinweise, welche sich auf ca. 30 Märchensammlungen gründen, erhöhen den Wert des Werkes bedeutend.

[26] In Zusammenhang mit den deutschen Märchensammlungen will ich O. Dähnhardt’s Natursagen, eine Sammlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden erwähnen, die von 1907 an in 4 dicken Bänden herausgekommen ist. In der Sammlung ist eine grosse Menge in verschiedenen Ländern und Erdteilen aufgezeichnete Varianten zusammengefasst, und sie ist auch sonst ein so wertvolles Werk, dass der Märchenforscher sich notwendig mit demselben bekannt machen muss.

Aber ausser in den Sammlungen trifft man Märchenaufzeichnungen auch in anderen Publikationen. Wichtige Quellenwerke sowohl in Bezug auf die deutsche als auch andere Märchenliteratur bilden die Volksdichtung oder ihr nahe stehende Zweige der Wissenschaften behandelnden deutschen Zeitschriften. Von ihnen erwähne ich hier die folgenden, rein folkloristischen: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (1891–1913, 23 Bde), Hessische Blätter für Volkskunde (1902–13, 12 Bde), Zeitschrift für österreichische Volkskunde (1895–1913, 19 Bde) und Blätter für pommersche Volkskunde (1893–1902, 10 Bde). Die drei ersterwähnten enthalten seltener eigentliche Aufzeichnungen, aber ihre Bedeutung besteht darin, dass sie durch die Bücherbesprechungen, Übersichten und in anderer Weise den Forscher mit der folkloristischen Literatur bekannt machen. Besonders sei die Berliner Zeitschrift des Vereins für Volkskunde hervorgehoben. Die darin befindlichen Übersichten J. Bolte’s über die neue Märchenliteratur und J. Polívka’s Referate der südslavischen und russischen Märchenveröffentlichungen sind mit solcher Sachkenntnis und Gründlichkeit geschrieben, dass sie dem Forscher unschätzbaren Nutzen bringen. Durch ihre Hinweise kann der Leser mitunter einen Begriff von jedem einzelnen Märchen der neuen Sammlung bekommen. Über die neue böhmische und polnische folkloristische Literatur gibt dort A. Brückner Auskunft.

[27] Von der deutschen Märchenliteratur muss ich noch erwähnen die von J. Bolte veröffentlichten Kleinere Schriften zur Märchenforschung von Reinhold Köhler (= Kleinere Schriften von Reinhold Köhler, I Bd. 1898). In dem Werke sind Köhlers sämtliche in verschiedenen Zeitschriften befindliche Artikel über Märchenstoffe gesammelt, die viele Hinweise auf Varianten enthalten. Der Nutzen ihrer Wiederveröffentlichung ist umso grösser, als einige von ihnen schon sehr schwer zugänglich waren. Der Herausgeber hat ein Literaturverzeichnis und ein Sachregister hinzugefügt, mit Hilfe dessen man schnell Aufklärung bekommt, an welcher Stelle von jeder beliebigen Sache die Rede ist. Weil Köhler 1892 starb, und auch die hie und da vom Herausgeber gemachten Zusätze natürlich nur bis zum Erscheinungsjahre des Werkes reichen, bleibt die neueste Literatur unberücksichtigt, aber dessen ungeachtet gehören „Kleinere Schriften“ zu den Quellenwerken, die der Märchenforscher zunächst zu Rate ziehen wird.

Von den handschriftlichen Sammlungen deutscher Volksdichtung erwähne ich Professor Richard Wossidlo’s riesige mecklenburgische Sammlungen in Waren. Von seinen ca. eine Million umfassenden Aufzeichnungen bezieht sich die Hälfte auf die Volksdichtung. In Wossidlo’s Sammlungen sind die Sagen gut vertreten. Weniger Aufmerksamkeit hat er auf die Märchen verwendet, doch befindet sich dort auch eine ziemliche Anzahl von Tiermärchen, Schwänken u. a. Die Sammlungen werden bei Professor Wossidlo aufbewahrt und ihre Benutzung steht jedem Forscher frei, ebenso wie seine Auszüge aus der Fachliteratur.

In den Niederlanden sind Märchen fleissig gesammelt worden. Es gibt eine Serie von zum Teil umfangreichen Sammlungen z. B. A. Joos’ Vertelsels van het vlaamsche volk, 4 Bde (1889–1892), P. de Mont’s und A. de Cock’s Vlaamsche vertelsels (1898), eine grosse Anzahl Erzählungen und Vlaamsche Wondersprookjes (1896), 38 Märchen. Auch [28] die niederländische Zeitschrift Volkskunde: Tijdschrift voor Nederlandsche Folklore (1888–1913, 24 Bde) enthält Märchenaufzeichnungen. In ihr veröffentlichte G. J. Bockenoogen (in mehreren Jahrgängen) seine reichhaltige Sammlung Nederlandsche sprookjes en vertelsels, mit nützlichen Anmerkungen versehen.

Wenn wir darauf zu den Skandinavischen Ländern übergehen, kommen wir zuerst in das kleine Dänemark. Nur in wenigen Ländern ist auf dem Gebiete der Volkspoesie so fleissig gearbeitet und so viel vollbracht worden wie hier, und die Märchen sind auch immer in Betracht gezogen worden. Der Begründer der dänischen Volksdichtungsforschung Sv. Grundtvig sammelte Volkspoesie schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts und veröffentlichte seine Sammlung Gamle danske Minder i Folkemunde, 3 Bände (1854–61). Grundtvig’s vorzügliche Sammlung enthält nebst den Märchen auch Lieder und Sagen. Nur Märchen gibt es in seiner späteren Sammlung Danske Folkeaeventyr, 3 Bde (1876, 1878, 1884). Die zwei ersten Bände sind auch ins Deutsche übersetzt worden (Grundtvig, Dänische Volksmärchen. Von W. Leo u. A. Strodtmann, 1878–79).

Grundtvig gelang es, viele andere zur Sammelarbeit der Volksdichtung anzuregen. Der fleissigste von diesen und einer der merkwürdigsten Sammler von Volksdichtung in der ganzen Welt wurde E. T. Kristensen, der sein ganzes Leben lang unermüdlich die begonnene Sammelarbeit fortgesetzt hat. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen haben die Märchen einen bemerkenswerten Platz. In der ausführlichen Serie Jyske Folkeminder, 13 Bde (1871–1897) sind die Bände V (1881), VII (1884), XII (1895), XIII (1897) unter dem besonderen Namen Aeventyr fra Jylland den Märchen gewidmet. Von den anderen Märchensammlungen Kristensen’s seien Folkeaeventyr optegnede af Folkemindesamfundet (1884), Fra Bindestue og Kolle, [29] 2 Bde (1896, 1897), Bindestuens saga (1897) und Fra Mindebo (1898) erwähnt. Auch die von ihm redigierte Zeitschrift Skattegraveren (12 Bde, 1884–89) enthält ausschliesslich Volkspoesiesammlungen, zum grossen Teil Märchen. Kristensen’s Aufzeichnungen sind rein volkstümlich und in ihrer Art das wertvollste Material für die Forschung.

Von anderen dänischen Sammlungen erwähne ich die älteste, M. Winther’s Danske Folke-eventyr (1823), K. Berntsen’s Folke-Aeventyr, 2 Bde (1873–83) und J. Kamp’s Danske Folkeaeventyr, 2 Bde (1879–81); reich an Märchen sind auch seine Danske Folkeminder (1877). – Vergleichende Anmerkungen kennen die dänischen Sammlungen nicht.

Im Zusammenhang mit der dänischen Märchenliteratur ist H. F. Feilberg’s Bidrag til en ordbog over jyske almuesmal (1886–1911 mit ihren Beilagen) zu erwähnen – ein grosses Werk, das nicht nur einen reichen Wortvorrat der jütischen Mundart enthält, sondern auch für die vergleichende Märchenforschung ein wertvolles Quellenwerk ist. In dem Werke hat der Verfasser in Form kurzer Hinweise seine umfassenden Kenntnisse der Märchenliteratur niedergelegt. Schade, dass es bisher von den Forschern nicht mehr bemerkt worden ist.

Die Resultate der Sammelarbeit von dänischer Volkspoesie beschränken sich nicht auf die gedruckten Sammlungen. Ausser ihnen gibt es grosse Vorräte von Handschriften, welche alle im Druck erscheinen werden, obgleich das Unternehmen wegen der Menge der Arbeit und der Kosten des Druckes kaum in der nächsten Zukunft sich verwirklichen kann. Die Märchen werden in den für die vergleichende Forschung wichtigen Hauptzügen gekürzt herausgegeben. Aber die handschriftlichen Vorräte sind jetzt schon für die Forschung nicht ohne Nutzen. Sie werden in einer besonderen Abteilung der Königl. Bibliothek zu Kopenhagen, in „Dansk Folkemindesamling“ verwahrt, wo der [30] Forscher der Volkspoesie auch anderes interessantes vorfindet, und sind hier täglich zu bestimmten Stunden zugänglich. Von dem Inhalt der Handschriftsammlungen gibt der Vorsteher der „Dansk Folkemindesamling“, der vorzügliche dänische Forscher der Volkspoesie Axel Olrik eine eingehende Beschreibung in FFC 1. Von den Märchensammlungen sind auch hier Sv. Grundtvig’s ungefähr 1000 und E. T. Kristensen’s ungefähr 3000 Aufzeichnungen die reichsten. Sie sind zum grössten Teil dem Inhalte nach typenmässig geordnet, weswegen der Forscher ohne mühsames Suchen die ihn intressierenden Varianten bald herausfindet.

Ein wertvolles, eingehendes Verzeichnis der dänischen und anderen skandinavischen aus der mündlicher Überlieferung geschöpften Sammlungen der Volkspoesie hat J. A. Lundell in H. Paul’s Grundriss der germanischen Philologie (II 1909, S. 1136–1177) veröffentlicht.

Die isländischen Märchen werden durch eine der allerwertvollsten Märchenveröffentlichungen repräsentiert, die der Forscher zu seiner Benutzung bekommen kann, Adeline Rittershaus, Die neuisländischen Volksmärchen (1902). Bei der Abfassung des Werkes – es enthält 127 Nummern Märchen, Schwänke und den Märchen nahe stehende Erzählungen – sind zum grössten Teil handschriftlich erhaltene Aufzeichnungen benutzt worden. Mitunter werden auch zwei isländische Varianten des Märchens wiedergegeben. Der Ursprung jeder Aufzeichnung ist genau erwähnt. In den an die Märchen geknüpften Anmerkungen, zu deren Verfassung 50 Werke benutzt worden sind, werden die Varianten nicht nur aufgezählt, sondern auch ihr Inhalt in den Hauptzügen referiert. In der Einleitung ihrer Sammlung legt die Verfasserin ihre Ansichten über den Ursprung der Märchen, über die Aufgaben der Märchenforschung u. a. dar. Ihre Ausführungen sind in meinem Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung besprochen worden. Die Sammlung kann man in Bezug auf die isländischen Märchen [31] als erschöpfend betrachten. Da in derselben auch auf die früheren isländischen Märchensammlungen hingewiesen wird (Arnason, Gering u. a.), lasse ich diese hier bei Seite und erwähne J. Jakobsen’s umfassende färöische Sammlung Faeröske folkesagn og Aeventyr (1898–1901). Neben zahlreichen Sagen befinden sich darin 80 Märchen. Die Hinweise am Ende des Werkes beschränken sich ausschliesslich auf nordische (dänische, schwedische, norwegische) Quellen.

In Schweden erschien schon in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine verdienstvolle Märchensammlung von G. O. Hyltén-Cavallius und G. Stephens: Svenska folksagor och äfventyr (1844 und 1849) (deutsch von C. Oberleitner unter dem Titel Cavallius & Stephens, Schwedische Volkssagen und Märchen). Die Sammlung enthält zwar nur 22 Märchennummern, aber neben den Hauptmärchen werden oft auch andere schwedische Varianten ausführlich mitgeteilt. Bei der Redigierung des Werkes sind hauptsächlich wissenschaftliche Zwecke massgebend gewesen. Über ihre Methode äussern die Herausgeber im Vorworte: „Was gesammelt worden ist, haben wir ohne willkürliche Zusätze oder Veränderungen herausgegeben. Das einzige, was uns gehört, ist die äussere Form der Erzählung.“ Der Aufzeichnungsort wird im Anfang jedes Märchens erwähnt, ebenso gibt es Hinweise, natürlich sehr wenige, auf die Märchenliteratur der anderen Länder. Die Sammlung kann man noch immer für die verdienstvollste der schwedischen Märchensammlungen halten. Schade, dass die Herausgeber keine Fortsetzung ihres Werkes veröffentlichten, wie es ihre Absicht gewesen zu sein scheint.

In späterer Zeit sind viele schwedische Sammlungen herausgegeben worden, von denen ich einige erwähne. Von dem fleissigen Sammler der Volkspoesie August Bondeson gibt es drei solche: Halländska sagor (1880), Svenska folksagor från skilda landskap (1882) und Historiegubbar på Dal (1886). Bondeson’s Märchen stammen alle aus dem [32] Volksmunde – viele von ihnen sind im Dialekt geschrieben – obgleich sie nicht in allen Beziehungen ihre ursprüngliche Form gewahrt haben. Im Vorwort der ausführlichsten, mittleren Sammlung (90 Märchen) sagt der Herausgeber: „Ich habe sorgfältig versucht, die Märchen von allen falschen Zusätzen zu bewahren.“ In der Sammlung von G. Djurklou Sagor och Äfventyr (1883), 30 Aufzeichnungen, sind den Märchen auch Anmerkungen beigefügt, in denen einige einzelne Varianten aufgezählt werden. Märchensammlungen trifft man auch in der Serie Nyare bidrag till kännedom om de svenska landsmålen och svenskt folkliv, z. B. V 1 (1884) Eva Wigström’s Sagor och äfventyr, 67 in Schonen aufgezeichnete Märchen. Zu derselben Serie (XI 1, 1895) gehört auch A. Ahlström’s Aufsatz Om folksagorna, der eine interessante, populäre Darstellung der Märchenforschung und besonders der schwedischen Märchen bietet.

Aber noch sind nicht alle in Schweden gesammelten Märchenvorräte im Druck erschienen. Es existieren mehrere handschriftliche Volkspoesiesammlungen, die auch Märchen enthalten. In Stockholm besitzt die Königliche Bibliothek Hyltén-Cavallius und Stephens und die Akademie für Schönliteratur, Geschichte und Antiquität die von Eriksson (ca. 100 Märchen) und Albrekt Segerstedt (ca. 75 Märchen) hinterlassenen Sammlungen. Die Universitätsbibliothek in Upsala hat P. A. Säve’s Handschriftsammlungen (aus Gottland), ca. 200 Märchen und, die Landsmålsförening mehrere Sammlungen, die ungefähr 50 Märchen enthalten. Alle diese Sammlungen sind den Forschern zugänglich. Man kann sich mit ihnen auch in Lund bekannt machen, denn Docent C. W. v. Sydow hat von ihnen für seinen Privatgebrauch Abschriften gemacht, die er gern zur Verfügung stellt. Dr. Sydow besitzt ausserdem ein paar Hundert von ihm selbst gesammelte Märchen. Das Sammeln der Volkspoesie wird in Schweden fortgesetzt – für den Fortschritt der Arbeit wird vom Staate ein Beitrag gewährt – und [33] die Sammlungen werden sich augenscheinlich bald bedeutend vermehren.

Das Verzeichnis der schwedischen, sowohl gedruckten als handschriftlichen Märchenvarianten ist bei Dr. Sydow unter Arbeit und wird in nächster Zukunft vollendet sein.

Märchen der finländischen Schweden sind in 2 grossen Teilen in der Serie Nyland, samlingar utgifna af Nyländska Afdelningen (Bde II 1887 und VI 1896) herausgegeben. Die Anzahl der Märchen (auch Sagen) ist im ersten 366, im zweiten 335. Bisweilen gibt es von ein und demselben Märchen mehrere Varianten. Aber der grösste Teil der bei den finländischen Schweden gesammelten Märchen ist noch ungedruckt. Die schwedische Literaturgesellschaft in Finland besitzt eine grosse Menge handschriftliche Sammlungen, zu welchen unter anderem 2000 Märchenaufzeichnungen gehören. Die Sammlungen werden im Lokale der Gesellschaft (in Helsingfors) verwahrt, wo die Forscher sie benutzen können. Dr. O. Hackman hat einen inhaltsmässigen Katalog der Märchen ausgearbeitet (siehe FFC 6). In den nächsten Jahren sollen diese Sammlungen veröffentlicht werden (die Märchen referatweise und ausserdem die besten Varianten in extenso).

Schon ein wenig früher, als Hyltén-Cavallius und Stephens ihre schwedische Märchen veröffentlichten, erschien in Norwegen eine Sammlung, die in ihrer Art zu den besten gehört, nämlich P. Chr. Asbjörnsen’s und J. Moe’s Norske Folke-Eventyr. Sie kam 1842 im Druck heraus (deutsch von F. Bresemann unter dem Namen Asbjörnsen und Moe, Norwegische Volksmärchen, 2 Bde 1847) und hat viele neue Auflagen erlebt. Die zweite Auflage (1852) hat J. Moe mit Anmerkungen versehen, welche dadurch Beachtung verdienen, dass in ihnen andere (oft mehrere) norwegische Varianten mitgeteilt werden. Die Hinweise auf die entsprechenden Märchen der anderen Länder sind natürlich veraltet. Der Aufzeichnungsort der Märchen wird [34] genau angegeben. Asbjörnsen’s und Moe's Sammlung enthält 60 Märchen, aber zusammen mit der von Asbjörnsen allein herausgegebenen neuen Sammlung, Norske Folke-Eventyr, Ny samling (1871), 45 Märchen, repräsentiert sie gut den norwegischen Märchenschatz. Von den neueren norwegischen Märchensammlungen erwähne ich R. Löland’s Norsk eventyrbok (1905), 75 Märchen, die alle auf mündlicher Tradition fussen, und Norske eventyr og sagn, optegnet av Sophus Bugge und Rikard Berge, 2 Bde (1909 und 1913). Das letztgenannte schön ausgestattete Werk, ist weniger seines Inhaltsreichtums wegen – es enthält nur 17 u. 20 Märchen – als dadurch bemerkenswert, dass der Aufzeichner der bekannte Sophus Bugge ist. In der allerletzten Zeit sind zwei Sammlungen erschienen, die erwähnt zu werden verdienen: O. T. Olsen’s Norske folkeeventyr (1912), 26 in Nordland aufgezeichnete Märchen und Johannes Skar’s Sogur I (Gamalt or Saetesdal VI 1913), 30 südnorwegische Märchen. Skar wird in nächster Zeit noch einen zweiten Band herausgeben.

Auch in Norwegen existiert eine ziemlich grosse Anzahl[WS 1] handschriftlicher Volkspoesiesammlungen, die bisher in der Privatwohnung des Professors Moltke Moe aufbewahrt worden sind, aber in das neue Bibliotheksgebäude der Universität überführt werden sollen, sobald dies fertig sein wird. Hier werden sie eine besondere Folkeminde-Abteilung bilden, und werden allen zugänglich sein. Eine typenmässige Anordnung der zu den Sammlungen gehörenden Märchen ist geplant.

Von Norwegen wollen wir nach dem Nachbarlande Skandinaviens jenseits der Nordsee, nach Grossbritannien übergehen. Auch hier sind viele Sammlungen, sowohl englische als keltische, veröffentlicht. Die bekannteste davon ist J. F. Campbell’s Sammlung keltischer Märchen Popular Tales of the West Highlands, die in 4 dicken Bänden 1860–62 (neue Ausgabe 1890–93) erschien [35] und zu den wertvollsten aller Märchensammlungen gehört. Die Märchen, deren Anzahl 86 beträgt, sind sowohl keltisch als auch in englischen Übersetzungen mitgeteilt. Das Vertrauen zu den Aufzeichnungen wird durch die genauen Mitteilungen über den Ursprung derselben vermehrt: Es werden die Aufzeichnungszeit, der Ort, der Erzähler und der Aufzeichner derselben angegeben. Nach den Hauptmärchen folgen bisweilen andere keltische Varianten und Hinweise auf das Vorkommen der Märchen bei anderen Völkern. Die Bekanntschaft mit der umfangreichen Sammlung Campbell’s wird durch das deutsche Referat der Märchen der 2 ersten Bände (57 Stücke) von R. Köhler in der Zeitschrift Orient und Occident (II 1864, S. 98–126, 294–331, 486–506, 677–690 = Klein. Schriften I S. 155–270) erleichtert. Nützlich sind auch Köhler’s an die Märchen geknüpfte Anmerkungen, die viel reicher sind als diejenigen von Campbell selbst. Andere keltische Sammlungen sind P. Kennedy’s Legendary Fictions of the Irish Celts (1866), die eine grosse Menge Märchen enthalten und The Fireside Stories of Ireland (1875), G. Dottini’s Contes Irlandais (1901), deren Fortsetzung Contes et Légendes d’Irlande (1901) ist, sowie J. Jacobs’ Sammlungen Celtic Fairy Tales (1892) und More Celtic Fairy Tales (1894). Von den letzterwähnten enthält die erstere 26 und die letztere 20 Märchen.

J. Jacobs hat auch zwei Sammlungen englischer Märchen herausgegeben: English Fairy Tales (1890) und More English Fairy Tales (1894), zusammen 87 Nummern. Alle seine Sammlungen sind auf dieselbe Weise redigiert: neben der wissenschaftlichen Absicht sind auch die Bedürfnisse der Kinderwelt ins Auge gefasst worden. Jacobs ist auch vorgeworfen worden, die Volkserzählung bearbeitet zu haben. Seine Märchen sind aber alle volkstümlich, und ihr wissenschaftlicher Wert erhöht sich durch die den Sammlungen beigegebenen Anmerkungen. Wichtiger für die Märchenforschung [36] ist z. B. S. O. Addy’s Household Tales (1895), deren 52 Märchen alle treu dem Volksmunde nacherzählt sind, ohne andere zu erwähnen. In Bezug auf die englischen Sammlungen mache ich auf Ludwig Lenz’ Werk Die neuesten englischen Märchensammlungen und ihre Quellen (1902) aufmerksam.

Ein gutes englisch verfasstes Quellenwerk ist W. A. Clouston’s Popular Tales and Fictions, their Migrations and Transformations, 2 Bde (1887). Darin werden viele gewöhnliche Märchen besprochen und eine grosse Menge Varianten referiert, hauptsächlich morgenländische.

Die bemerkenswerteste der englischen folkloristischen Zeitschriften ist Folk-Lore (24 Bde, 1890–1913), die früher Folk-Lore Record (5 Bde, 1878–82) und Folk-Lore Journal (7 Bde, 1883–89) genannt wurde. Sie enthält viel in verschiedenen Ländern, u. a. in den englischen Kolonien gesammelte Stoffe und zugleich führt sie den Forscher in die folkloristische Literatur ein. Im Folk-Lore Journal hebe ich die „Tabulation of Folktales“ (VII 1889) hervor, worin sich Hinweise auf die Varianten der vorkommenden Märchen befinden.

In der französischen Märchenliteratur trifft man einige sehr bemerkenswerte Sammlungen. E. Cosquin’s Contes populaires de Lorraine, 2 Bde (1886) halte ich nach Grimm’s KHM für die verdienstvollste aller Märchensammlungen. Sie erweckt nicht so viel Aufmerksamkeit durch die Anzahl der Märchen – sie sind in den beiden Bänden zusammen 84 – als durch die auf eine umfangreiche Literatur gestützten Anmerkungen. In ihnen werden sowohl ältere als neuere, sowohl morgen- als abendländische literarische Quellen herangezogen, und der Inhalt fremder Varianten wird oft referiert, bisweilen so eingehend, dass die Benutzung des Originalwerkes unnötig wird. Der Inhaltsreichtum der Anmerkungen macht sie für jeden Märchenforscher nützlich. Erwähnung verdient auch die die Sammlung [37] einleitende Untersuchung, in der Benfey’s Auffassungen entwickelt werden und das dem Schluss beigefügte Bücherverzeichnis.

Die anderen französischen Märchensammlungen gehören meist zu zwei wertvollen Bücherserien: Les Littératures populaires de toutes les nations (vom Jahre 1881 an ca. 50 Bde erschienen) und Collection de contes et de chansons populaires (vom Jahre 1881 an 36 Bde). In jener sind die meisten eigentlichen französischen Sammlungen enthalten, in dieser werden auch mehrere aussereuropäische getroffen. Von den Provinzen Frankreichs ist die Bretagne gut repräsentiert. Von dort stammen die von F. M. Luzel gesammelten Légendes chrétiennes de la Basse-Bretagne, 2 Bde (Litt. pop. I, II, 1881), und Contes populaires de Basse-Bretagne, 3 dicke Bde (Litt. pop. XXIV–XXVI, 1887), zusammen 78 Märchen und P. Sébillot’s Contes populaires de la Haute-Bretagne, ebenso 3 Bde (1880–82), ungefär 200 Märchen. Aus der Bretagne stammen auch A. Orain’s Contes de l’Ille-et-Vilaine (Litt. pop. XLII 1901), 52 Aufzeichnungen. M. J. F. Bladé hat eine umfangreiche 3-bändige Sammlung gascognischer Märchen Contes populaires de la Gascogne (Litt. pop. XIX–XXI, 1886) herausgegeben. Bladé’s Märchen hat R. Köhler mit Hinweisen versehen, die erst in dem Werke Klein. Schriften I (S. 114–137) in die Öffentlichkeit kamen. Von den französischen Sammlungen erwähne ich noch E. H. Carnoy’s Contes français (Collection d. cont. VIII 1885) und Littérature orale de la Picardie (Litt. pop. XIII 1883), wo neben den Märchen auch andere Volksdichtung vorkommt, sowie L. Pineau’s Les contes populaires du Poitou (Collection d. cont. XVI 1891). P. Sébillot’s Contes des provinces de France (1884), 66 Märchen, sind zum grössten Teil aus den älteren Sammlungen entnommen. Märchen hat man auch bei den Wallonen in Belgien gesammelt (z. B. A. Gittée’s und J. Lemoine’s Contes populaires du pays Wallon 1891).

[38] Auch einige französische Zeitschriften enthalten aus verschiedenen Ländern gesammelte Märchen, z. B. Revue des traditions populaires (28 Bde, 1886–1913), La Tradition (vom Jahre 1887 beginnend), Mélusine (11 Bde, 1878–1912) und Wallonia (1893–1912). Als Literaturquelle der romanischen Völker sei noch auf Gröber’s Grundriss der romanischen Philologie hingewiesen.

Die älteste spanische Märchensammlung Cuentos y poesias populares andaluces veröffentlichte F. Caballero (1859) welcher unter dem Einflusse der Brüder Grimm stand. Ein paar Jahrzehnte später (1878) erschien seine zweite Sammlung Cuentos, oraciones, adivinas y refranes populares. Von anderen spanischen Sammlungen erwähne ich Maspons y Labrós'’ Lo Rondallayre. Cuentos populars catalans, 3 Bde (1871–74), zusammen 80 Nummern und Cuentos populars catalans (1885), 20 Nummern. Sébillot hat eine Anzahl spanischer Märchen französisch unter dem Namen Contes espagnols (1898) herausgegeben. Die Insel Mallorca ist durch zwei gute Sammlungen vertreten: L. Salvator’s Märchen aus Mallorca (1896), die 54 wörtlich aus dem Volksmunde aufgezeichnete Märchen und Sagen enthält und A. M. Alcover’s Rondayes mallorquines (1896). Die Märchen der beiden zählt J. Bolte in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde auf (VII 1897, S. 451–53), denselben einige Varianten beifügend.

Im Zusammenhang mit Spanien erwähne ich die baskischen Märchen, die auch einige Male veröffentlicht sind, z. B. in W. Webster’s Werke Basque legends (1877) eine ganze Menge, und ebenso in J. Vinson’s Le folk-lore du pays basque (Litt. pop. XV 1883) neben anderer Volkspoesie.

Die portugiesische Märchenliteratur umfasst mehrere Sammlungen. Besonders günstig für dieselbe scheint die Zeit um 1880 gewesen zu sein. Damals wurden veröffentlicht u. a. F. A. Coelho’s Contos populares portuguezes [39] (1879), 75 Märchen und Contos nacionaes (1882), J. L. Vasconcellos’ Tradiçoes populares de Portugal (1882) und T. Braga’s Contos tradicionaes do povo portuguez, 2 Bde (1883). Von den von C. Pedroso gesammelten portugiesischen Märchen sind 30 Stücke englisch unter dem Titel Portuguese Folk-Tales (1882) erschienen. Sie sind nach den originalen Handschriften von Miss H. Monteiro ins Englische übersetzt. Die neuesten portugiesischen Sammlungen sind A. Oliveira’s Contos tradicionaes do Algarve, 2 Bde (1900 und 1905), C. Pedroso’s Contos populares portugueses (1910) und die in J. L. Vasconcellos’ Ensaios Etnographios (IV Bd. 1910) befindlichen Aufzeichnungen. Eine Bibliographie der portugiesischen folkloristischen Literatur bis zum Jahre 1910 liefert Vasconcellos in Ensaios Etnographios.

Von der pyrenäischen Halbinsel gelangen wir nach Italien, nach der Heimat Straparola’s und Basile’s. Italienische Märchensammlungen sind eine ganze Menge erschienen. Mit besonderem Eifer scheint die Sammelarbeit in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts betrieben worden zu sein. Von den damals veröffentlichten italienischen Märchensammlungen erwähne ich erstens L. Gonzenbach’s wertvolle Sicilianische Märchen, 2 Bde (1870), die 92 Märchen enthalten. Der Wert der Sammlung wird durch R. Köhler’s Anmerkungen vermehrt, in welchen Varianten zu den Märchen teils aufgezählt, teils referiert werden. Gonzenbach’s Sammlung zog auch noch später Köhler’s Aufmerksamkeit auf sich. Er schrieb nämlich zu seinen früheren Anmerkungen Zusätze, die J. Bolte nach Köhler’s Tode in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (VI 1896, S. 58–78 und 161–175) veröffentlichte und seinerseits noch vervollständigte. Von dem Inhalt der Märchen Gonzenbach’s, soweit sie in dem Verzeichnis der Märchentypen vorkommen, gibt uns die in FFC 10 (S. 13, 14) befindliche Übersicht einen Begriff.

[40] Zu derselben Zeit erschien die umfangreichste der italienischen Märchensammlungen, G. Pitré’s Fiabe, novelle, e racconti popolari siciliani, 4 dicke Bde (1875), in denen sich zusammen 300 Erzählungen und Anmerkungen mit anderen italienischen Varianten finden, einige andere Sammlungen von Pitré, A. Gubernatis’ Le novelline di Santo Stefano di Calcinaia (1869), V. Imbriani’s La novellaja fiorentina (1871) u. a., J. Bernoni’s Fiabe popolari veneziane (1875) u. a., D. Comparetti’s Novelline popolari italiane (1875), 70 Nummern, I. Visentini’s Fiabe mantovane (1879), 50 Märchen, u. a. Sammlungen. Vom Anfang der 80-er Jahre sind G. Finamore’s Tradizioni popolari abruzzesi I (1882), und Antonio De Nino’s Usi e costumi abruzzesi III (1883), 75 Märchenaufzeichnungen.

Die grosse Anzahl der italienischen Volkspoesiesammlungen ist zum grossen Teil G. Pitré’s Verdienst. Er ist der fleissigste Sammler und Herausgeber gewesen. Die ausführliche Publikationsserie der Volksdichtung Biblioteca delle tradizioni popolari siciliane, die vom Jahre 1871 an in 22 Bände erschienen ist, ist von Pitré redigiert. Die schon erwähnten Fiabe, novelle etc. bilden die Bände IV–VII dieser Serie und auch der Band XVIII Fiabe e leggende popolari siciliane (1888) ist den Märchen gewidmet. Von Pitré’s Sammlungen, die alle in derselben Weise redigiert sind, sei auch die 76 Erzählungen enthaltende Novelle popolari toscane (1885) erwähnt. Pitré hat noch eine andere Buchserie Curiosita popolari tradizionali (darin z. B. IX Bd. 1890 Francesco Mango’s Novelline popolari sarde, 26 sardinische Märchenaufzeichnungen) veröffentlicht und die der Volksdichtung gewidmete Zeitschrift Archivio per lo studio delle tradizioni popolari (28 Bde, 1882–1912), in der auch Märchenaufzeichnungen vorkommen, wird gleichfalls von ihm redigiert.

Aus der neuesten Zeit erwähne ich Giggi Zanazzo’s Novelle, favole e leggende romanesche (1907), wo 50 Märchen und 28 Legenden enthalten sind.

[41] Gonzenbach’s Sicilianische Märchen sind nicht die einzige italienische Märchensammlung, welche auch der des Italienischen nicht mächtige anwenden kann. Schon 1866 veröffentlichten zwei junge Deutsche G. Widter und A. Wolf ihre aus dem Volksmunde gesammelten Volksmärchen aus Venezien (Jahrbuch für rom. und englische Literatur VII S. 1–36, 121–154, 249–290), 21 Nummern, die R. Köhler mit beachtenswerten Anmerkungen (Klein. Schriften I S. 281–325) versehen hat. Zu derselben Zeit (1867) erschienen in deutscher Sprache Chr. Schneller’s 60 Märchen und Geschichten enthaltende Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Schnellers Märchen sind rein volkstümlich, aber sie mögen in der äusseren Form nicht ganz unverändert geblieben sein, obgleich der Herausgeber versichert, dass er keinen irgendwie wesentlichen Zug ausgelassen hat. Die zu den Märchen gehörenden seltenen Hinweise hat R. Köhler in den Göttingischen gelehrten Anzeigen (1868, S. 1361 = Klein. Schriften I S. 60–66) vervollständigt. Später erschienen u. a. zwei Sammlungen in englischer Sprache, die von R. H. Busk redigierte The Folk-Lore of Rome (1874) und T. F. Crane’s Italian popular tales (1885). Die letztere, deren sämtliche 109 Erzählungen anderen Sammlungen entnommen sind, enthält wichtige Anmerkungen und ein Verzeichnis der italienischen Märchenliteratur. Aus italienischem Gebiet sind auch J. B. Andrews’ Contes ligures, traditions de la Rivière (Collection d. cont. XVII 1892). Unter den Märchen werden darin einige Varianten aufgezählt. Zu den italienischen Märchen müssen auch die auf der Insel Korsika gesammelten gerechnet werden (J. B. F. Ortoli, Les contes populaires de l’ île de Corse = Litt. pop. XVI 1883).

Eine Sonderstellung nehmen zwei schöne Sammlungen von der Insel Malta ein: B. Ilg’s Maltesische Märchen und Schwänke, 2 Bde (1906), 139 Erzählungen, zu denen J. Bolte in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (XVI 1906, S. 455, 456 und 1907 S. 336) Nachweise gebracht hat [42] und H. Stumme’s Maltesische Märchen, Gedichte und Rätsel (1904).

In Bezug auf die italienischen Märchensammlungen weise ich zum Schluss auf G. Pitré’s umfassendes Literaturverzeichnis Bibliografia delle tradizioni popolari in Italia (1894) hin, in dem die Märchen u. a. dergl. eine besondere Abteilung bilden.

Zu der griechischen (und albanesischen) Märchenliteratur gehört eine der allerbemerkenswertesten Märchensammlungen, J. G. von Hahn’s Griechische und albanesische Märchen, 2 Bde (1864). Das Verhältnis der Hahnschen Märchen zu dem Verzeichnis der Märchentypen – sie sind 114 an der Zahl – geht aus der Übersicht in FFC 10 hervor. Die Bedeutung der zu der Sammlung gehörenden Anmerkungen für den jetzigen Forscher besteht darin, dass sie griechische Varianten der Märchen wiedergeben. Die Untersuchung am Anfang derselben, wo besonders die „Märchen- und Sagenformeln“ ins Auge fallen, hat einen geschichtlichen Wert. Ausser den Hahnschen Märchen existieren noch mehrere andere in allgemeiner bekannten Sprachen übersetzte Sammlungen der griechischen Märchen, z. B. B. Schmidt’s Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder (1877), 25 auf der Insel Zakynthos aufgezeichnete Märchen, E. Legrand’s Recueil de contes populaires grecs (Collection d. cont. I 1881), 30 Märchen, aus griechischen Originaltexten übersetzt, A. Dozon’s Contes albanais (Collection d. cont. III 1881), G. Georgeakis’ und L. Pineau’s Le folklore de Lesbos (1894), 31 Märchen u. a. Volkspoesie, M. J. Garnett’s u. J. S. Stuart-Glennie’s Greek Folk Poesy II (1896) und R. Paton’s Folktales from the Aegean (Folklore Bde IX–XI 1899–1901), 25 Aufzeichnungen, Garnett’s u. Stuart-Glennie’s zahlreiche Märchen sind mit Hinweisen versehen. Nützlich ist das im Werke enthaltene Verzeichnis der griechischen Folklore-Literatur.

In der Originalsprache sind griechische Märchen oft [43] veröffentlicht worden. Die grössten Sammlungen sind in den folgenden Publikationen enthalten: I. Pio’s Neohellenika paramythia. Contes pop. grecs, publiés d’apres les manuscrits du J. G. de Hahn et annotés (1879), 30 Märchen von der Hahnschen Sammlung, 11 unedierte aus Astypalaia und 6 aus Ano Syros, Neohellenika analekta, 2 Bde (1870–1874), 11 Märchen aus verschiedenen Gegenden Griechenlands und 47 Märchen von den Inseln Naxos und Paros, Deltion tes historikes kai ethnologikes etaireias tes Hellados, Bde I, IV u. V (1883, 1895 u. 1897), 22, 2 u. 1 (mit Varianten) Aufzeichnungen, Aster tou Pontou I Bd. (1885), 15 Märchen aus Pontos, Zographeios agon, Publikation der Griech. liter. Vereins in K(pel), 2 Bde (1891 u. 1896), zusammen 31 Märchen aus verschiedenen Inseln, P. Kretschner’s Der lesbische Dialekt (1906), 29 Märchen aus Lesbos, 1 aus Skopelos, K. Dieterich’s Sprache und Volksüberlieferung der südlichen Sporaden (1908), 9 Märchen, und Alb. Thumb’s Handbuch der neugriechischen Volkssprache (2 Auf. I 1910), 11 Märchen in griech. Mundarten d. Süd-Italien. Auch in der von N. G. Polites ausgegebenen Zeitschrift Laographia trifft man bisweilen Märchen.

In Griechenland ist die Sammelarbeit der Volksdichtung in den letzten Zeiten eifrig ausgeführt worden. Die von N. G. Polites gegründete Griechische Gesellschaft für Volkskunde hat unternommen sie zu ordnen und für sie zu sorgen. Was besonders die Märchen betrifft, gibt es neben den gedruckten Sammlungen auch handschriftliche. Die grösste von ihnen ist Prof. N. G. Polites’ Privatsammlung, die ungefähr 1100 aus verschiedenen Gegenden Griechenlands aufgezeichnete Märchen enthält. Prof. Adamantios Adamantiu besitzt eine Sammlung von ca. 300 Märchen von der Insel Tenos. Er hat aus seiner Sammlung nur ein Märchen herausgegeben (Deltion V 1897, S. 277–326) mit vielen Varianten und mit einer Einleitung, in welcher er u. a. interessante Mitteilungen über die Art der Erzählung [44] sowie der Abfassung der Märchen auf Tenos gibt. Eine Anzahl der Märchenaufzeichnungen befinden sich auch in den Sammlungen der Griechischen Gesellschaft für Volkskunde. Die Besitzer der Sammlungen haben gütigst versprochen, aus diesem unedierten Material alle gewünschten Mitteilungen zu geben. Ein typenmässiges Verzeichnis aller griechischen Märchenvorräte, sowohl der gedruckten als handschriftlichen[WS 2], ist bei Doktor G. A. Megas unter Arbeit und soll bald fertig werden.

Von den türkischen Sammlungen ist zunächst I. Kúnos’ Türkische Volksmärchen aus Stambul (1905) zu erwähnen, 51 aus dem Volksmunde aufgezeichnete Märchen, die früher schon in der Originalsprache erschienen waren. Die deutsche Übersetzung ist nicht wörtlich, obwohl der Inhalt des Originaltextes vollständig beibehalten worden ist. Der Übersetzer erklärt, dass er, allerdings nur ausnahmsweise, ein paar Varianten zusammengefasst oder eine Episode weggelassen hat. V. Chauvin zählt in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (XVI 1906, S. 240–43) die Märchen der Sammlung auf und fügt ihnen Varianten bei. Dem europäisch-türkischen Gebiet gehören auch einige von den letzten Händen der Buchserie W. Radloff, Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme an, z. B. V. Moschkoff’s Mundarten der bessarabischen Gagausen (X Bd. 1904, russ. Übersetzung). Die Moschkoffsche Sammlung ist sehr wertvoll (185 Märchen und Schwänke). Mitunter sind unter einer Nummer ein paar Varianten vereinigt. Die Märchen in I. Kúnos’ Mundarten der Osmanen (VIII Bd. 1899) sind in Stambul und in grösseren Städten Kleinasiens aufgezeichnet.

In Rumänien ist im Auftrage der Academia Româna viel folkloristisches Material veröffentlicht worden, u. a. auch Märchen. Zu den Publikationen der Akademie gehört u. a. Lasăr Săinenu’s wertvolle Basmele Române (1895). Sie ist eine der umfangreichsten aller Märchensammlungen. Neben den verschiedenen Märchen werden ihre rumänischen Varianten [45] referiert, bisweilen über zehn, und ebenso wird auf deren Vorkommen in vielen anderen Ländern hingewiesen. Die Referate sind so eingehend, dass sie gut den Bedürfnissen des Forschers genügen. Das Werk enthält ausserdem eine Übersicht der rumänischen Märchenliteratur, eine Untersuchung über den Ursprung u. a. der Märchen, ein Märchensystem, in welchem wie bei Hahn mythologische Namen gebraucht werden, sowie ein Motivverzeichnis.

Als Übersetzungen erschienen viele rumänische Märchen schon 1845 in A. Schott’s Sammlung Walachische Märchen. Aus späterer Zeit haben wir u. a. P. Sehullerus’ wertvolle Rumänische Volksmärchen aus dem mittleren Harbachtale (Archiv d. Ver. für siebenbürg. Landeskunde, neue Folge XXXIII 1906). Das Werk enthält 126 volkstümliche Aufzeichnungen. Für die fehlenden Anmerkungen bieten J. Bolte’s Hinweise in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (XVII 1907, S. 337–338) Ersatz.

Hier dürfte der richtige Platz sein, das Märchensammeln bei den Zigeunern zu erwähnen. H. Wlislocki hat zwei Sammlungen Zigeunermärchen veröffentlicht: Märchen und Sagen der transsilvanischen Zigeuner (1886) und Volksdichtungen der siebenbürgischen und südungarischen Zigeuner (1890). Die letztere enthält 100 von Wlislocki selbst aufgezeichnete Märchen und Sagen. Diese werden in wertvoller Weise durch F. H. Groome’s Gypsy Folk-Tales (1899) ergänzt, die 76 Märchen enthalten. Seine Märchen hat Groome mit vergleichenden Anmerkungen versehen.

In Ungarn hat man schon früh Märchen gesammelt und auch einem der ungarischen Sprache nicht kundigen Kreise zugänglich gemacht. G. von Gaal zeichnete sie schon vor dem Erscheinen des I Bandes der KHM der Brüder Grimm auf, leider gibt er in seinen 1822 in deutscher Sprache veröffentlichten Märchen der Magyaren die Märchen in derselben Weise bearbeitet wieder, wie es Musäus beim Herausgeben der deutschen Märchen gemacht hatte. Seine [46] Sammlung hat für die Märchenforschung ebenso wenig Bedeutung wie J. G. Mailáth’s zu derselben Zeit erschienene Magyarische Sagen, Märchen und Erzählungen, 2 Bde (1825). Einen wissenschaftlichen Zweck verfolgte dagegen G. Stier, als er seine Sammlung Ungarische Märchen und Sagen (1850) und Ungarische Volksmärchen (1857) veröffentlichte. Der erste Band enthält in deutscher Übersetzung 17 Märchen aus der dreibändigen 1846–48 im Auftrage der Kisfaludy-Gesellschaft veröffentlichten Sammlung von J. Erdélyi, der zweite 20 Märchen aus dem Nachlass von G. v. Gaal. Aus viel späterer Zeit (1889) stammt W. H. Jones’ und L. L. Kropf’s mehr als 50 aus verschiedenen ungarischen Sammlungen genommene Märchen enthaltende The Folk-Tales of the Magyars. Mit den Märchen sind auf viele Sammlungen sich stützende Hinweise und Parallelen verbunden. In jüngster Zeit ist E. Sklarek’s schöne Sammlung Ungarische Volksmärchen, 2 Bde (1901 und 1909) herausgegeben worden, die zusammen 80 Märchen enthält. Sie sind beinahe alle zwei wertvollen ungarischen Publikationen entnommen: der im Auftrage der Akademie herausgegebenen Zeitschrift Magyar Nyelvőr und der im Auftrage der Kisfaludy-Gesellschaft herausgegebenen Sammlung ungarischer Volksdichtungen Népköltési Gyűjtemény. Sklarek hat auch inhaltsreiche, vergleichende Anmerkungen.

Ungarisch sind im Laufe der Zeit viele Sammlungen herausgekommen. Neben den Volksdichtungs-Sammlungen von L. Merényi, 6 Bde (1861–1863), 63 Märchen, L. Arany Eredeti Népmesék (1862), 31 Märchen, J. Kriza Vadrózsák, Székely népköltési gyűjtemény (1863), J. Pap (1865), 6 Märchen, L. Kálmány, 5 Teile, (1877–78, 1881–82, 1891), 27 Märchen und Legenden, J. Istvánffy Palócz mesék (1890), 10 Märchen, A. Pintér A népmesékrös (1891), 13 Märchen, u. a. sind es vor allem die Publikationen der Kisfaludy-Gesellschaft, die in den bisher erschienenen 12 Bänden ihrer Neuen Folge der Népköltési Gyűjtemény [47] einen reichen Schatz an Märchen beigesteuert haben: im Bd. I (1872, 34 Märchen und Legenden), II (1872, 12 Märchen von J. Török), III (1882, 31 Märchen, Sagen und Legenden von J. Kriza, B. Orbán, A. Benedek und H. Sebesi), VI (1905, 18 von B. Vikár stenographisch aufgezeichnete Märchen), VIII (1906, 16 Märchen und Legenden von J. v. Sebestyén), IX (1907, 88 Märchen von J. Berze-Nagy) und X (1908, 53 stenographierte Märchen von A. Horger). Berze-Nagy’s Sammlung ist sehr reichhaltig und ihr Wert wird in hohem Grade durch die Anmerkungen vermehrt, in denen die ungarischen Varianten der Märchen zusammengestellt werden und die L. Katona mit Hinweisen auf die entsprechenden ausländischen Varianten bereichert hat. Die Neuausgabe der 1863 erschienenen Sammlung von J. Kriza mit 20 Märchen (als Bde XI u. XII der Népköltési Gyűjtemény 1911 erschienen) hat J. v. Sebestyén mit nützlichen vergleichenden Anmerkungen versehen. Im Bd. XIII erscheint A. Ipolyi’s alte handschriftliche Sammlung aus den 50:er Jahren. Die Bände XV u. XVI der Népköltési Gyűjtemény (im Druck) wird eine von J. Berze-Nagy ausgearbeitete Encyklopädie der ungarischen Märchenelemente bilden, der auch vergleichende Noten beigefügt werden. Auch die seit 1872 bisher in 43 Bänden erschienene, sprachwissenschaftlichen Zwecken dienende Zeitschrift Magyar Nyelvőr hat neben Volksdichtungen verschiedener Art eine grosse Zahl Märchen gebracht, die nicht nur wortgetreu, sondern auch lautgetreu aufgezeichnet sind. In gleicher Weise zuverlässiges Material bringt auch ab und zu die Zeitschrift der Ungarischen Ethnographischen Gesellschaft Ethnographia.

In Ungarn ist jetzt unter der Leitung der ungarischen Sektion des Vereins FF und besonders ihres Vorsitzenden des Akademikers J. v. Sebestyén eine lebhafte Sammeltätigkeit auf dem Gebiet der Volkspoesie im Gange. Der Sekretär der Sektion Doktor Aladár Bán gibt in FFC 12 eine Beschreibung [48] dieser Tätigkeit. Nach den neuesten Nachrichten sind bis jetzt in 14 Provinzstädten Sammlerbunde organisiert, bei denen 39 Hoch- und Mittelschulen mit Schülern und Lehrern mitwirken. Die Ergebnisse der Sammelarbeit sind schon von Anfang an sehr reichhaltig gewesen, und es ist gewiss, dass im Laufe einiger Jahre umfangreiche Handschriftsammlungen in der Bibliothek[WS 3] des Ungarischen Nationalmuseums in Budapest angesammelt sein werden. Ein Teil des angehäuften Vorrats wird auf Kosten der Kisfaludy-Gesellschaft veröffentlicht; aber die Forscher können durch Vermittlung der Sektion auch die Handschriftsammlungen benutzen. Die Märchen werden in den Sammlungen einen bemerkenswerten Platz haben. Ein typenmässiger Katalog über den ganzen ungarischen Märchenschatz wird ausgearbeitet.

Die slavische Märchenliteratur ist sehr reich, obgleich sie von den westeuropäischen Forschern wegen der sprachlichen Schwierigkeiten bisher bei den Untersuchungen nicht genug in Betracht gezogen worden ist. Um sich von ihrem Reichtum zu überzeugen, braucht man nur die Variantenverzeichnisse von J. Bolte und J. Polívka in den Anmerkungen zu KHM der Brüder Grimm zu überblicken. Das slavische Material darin steht den anderen zu mindest nicht nach.

Ehe ich eingehender von den Märchensammlungen der verschiedenen slavischen Völker zu sprechen beginne, werde ich einige Hilfsmittel erwähnen, welche dem Forscher von Nutzen sein können, wenn er versucht, sich mit der slavischen Märchenliteratur bekannt zu machen. Ein solches Hilfsmittel bildet zuerst W. Nehring’s in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (I 1891) veröffentlichte Übersicht über die die slavische Volkspoesie behandelnde Literatur „Die ethnographischen Arbeiten der Slaven“. Die Märchenliteratur der verschiedenen Völker wird hier gesondert behandelt. Zweitens erwähne ich A. Leskien’s und K. Brugman’s nützliches Verzeichnis der slavischen Märchensammlungen [49] in dem Werke Litauische Volkslieder und Märchen (1882) und J. Polívka’s Literaturverzeichnis in seinem Pohádkoslovné Studie (1904, S. 205–211). Von J. Polívka’s und A. Brückner’s Literaturübersichten in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde ist schon früher im Zusammenhang mit der deutschen Märchenliteratur die Rede gewesen. Noch sind die Zeitschriften, welche die folkloristische Literatur behandeln, zu erwähnen. Ich mache hier besonders auf J. Polívka’s Besprechungen und Referate von slavischen Märchensammlungen im Archiv für slav. Philologie, im Národopisný Sborník Českoslovanský (11 Bde, 1897 ff.) und im Národopisný Věstník Českoslovanský (1906 ff.) aufmerksam.

Auf süd- und westslavischem Gebiete ist die tschechische (mährische, slovakische) Märchenliteratur gut vertreten und in diesen Gegenden ist auch die wissenschaftliche Forschungsarbeit fleissig betrieben worden. Originale tschechische Märchensammlungen kamen schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts heraus, z. B. Božena Němcová’s Národní báchorky a pověsti (1845, neu herausgegeben 1903), J. K. z Radostova’s Národní pohádky, 2 Bde (1856 und 1872), P. Dobšinský’s Slovenske povesti (1858), J. St. Menšik’s Moravské pohádky a pověsti (1862). Von den späteren Sammlungen seien Beneš Kulda’s Moravské národní pohádky, pověsti usw., 4 Bde (1874–1894), F. M. Vrána’s Moravské národní pohádky a pověsti (1880), P. Dobšinský’s Prostonárodnie slovenské pověsti (I–VIII 1880–83) und verschiedene Sammlungen von M. Václavek: Pohádky a pověsti z moravského Valašska (I–III 1888–89) u. a. erwähnt. K. J. Erben’s Sto prostonárodnich pohádek a pověsti (1863) enthält allgemein slavisches Material, im ganzen hundert aus dem Munde des Volkes stammende Aufzeichnungen. Tschechische Märchensammlungen wurden schon früh auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht: J. Wenzig’s Westslavischer Märchenschatz (1857) und [50] A. Waldau’s Böhmisches Märchenbuch (1860). Wenzig hat seine Märchen teils den gedruckten, teils den ungedruckten Sammlungen Kulda’s u. a. entnommen. Er hat sie „bearbeitet“, wie auf dem Titelblatt des Werkes gesagt ist, und das Hauptziel des Werkes ist „dem gebildeten Publicum einen ästhetischen, dabei aber zugleich lehrreichen Genuss zu verschaffen“. Auf dieselbe Weise ist Waldau’s Sammlung redigiert, die 45 Märchen enthält. Sie sind von Němcova, z Radostova u. a. genommen.

Besondere Erwähnung verdient die in Národopisný Věstník Českoslovanský befindliche Sammlung böhmischer Erzählungen aus der Grafschaft Glatz von J. Cubín. Die wertvolle Sammlung erhält grosse Bedeutung durch die von J. Polívka zu den Märchen verfassten Anmerkungen, die in ihrer Art die besten sind. Die Varianten werden von der Literatur der ganzen Welt genommen, und der Inhalt derselben wird genügend ausführlich referiert. Cubín-Polívka’s Sammlung ist dem Märchenforscher eines der allernützlichsten Quellenwerke. Märchentexte kommen auch in einigen anderen tschechischen Zeitschriften vor, z. B. in Český Lid und Slovenské Pohlady.

Von grossem Nutzen für die Untersuchung der tschechischen Märchen ist V. Tille’s Werk České pohádky do roku 1848 (tschechische Märchen bis 1848), herausgegeben von der Prager Akademie (1909). Darin wird der Wert aller älteren tschechischen Märchen- und Sagensammlungen kritisch dargestellt.

Eine von V. Tille ausgearbeitete Bibliographie der tschechischen Märchen nach Märchentypen bringt die Zeitschrift Národ. Sborník Českoslovanský (I 1897, S. 14–48).

Auch polnische Märchenveröffentlichungen sind reichlich vorhanden. Zu den älteren derselben gehören z. B. K. Baliński’s Powieści ludu z podań (1842) und R. Zmarskri’s Podania i baśni ludu w Mazowszu (1852). Von den übrigen seien O. Kolberg’s Lud, jego zwyczaje, sposób, mowa, [51] podania usw. erwähnt, wo auch Märchen vorkommen, sowie die Sammlungen der periodischen Publikationsserien der Krakauer Akademie Zbiór wiadomości do antropologii Krajowej (18 Bde, 1877–1895) und ihre Fortsetzung Materyały antropologiczno-archeologiczne i etnograficzne (1896 ff.). Zu der letzerwähnten gehört u. a. L. Malinowski’s reichhaltige Sammlung Powieści ludu polskiego na Śląsku (Bde IV, V, 1901), an die J. Polívka im Archiv für slav. Philologie (XXVI 1904, S. 457–470) vergleichende Anmerkungen geknüpft hat. Märchenaufzeichnungen kann der Forscher auch in der polnischen Zeitschrift Wisła finden. Die Redaktion der Zeitschrift hat auch eine besondere Serie Bibljoteka Wisły veröffentlicht, worin u. a. polnische Märchen gedruckt sind, so z. B. die wichtige Sammlung von St. Chelchowski Powieści i opowiadania ludowe z okolic Przasnysza (Bde III, VI, 1889–90). Märchen finden sich noch in verschiedenen ethnographischen Werken, so z. B. in St. Ciszewski’s Krakowiacy I (1894). C:s Märchen, die aus dem Munde des Volkes treu aufgezeichnet sind, hat J. Polívka im Archiv für slav. Philologie (XVII 1895, S. 572–83) mit Hinweisen versehen.

Dem Titel nach enthält auch A. J. Gliński’s Sammlung Bajarz polski, 4 Bde (2 Aufl. 1862) polnische Märchen, aber in Wirklichkeit sind diese weissrussisch, im Gouv. Minsk gesammelt. Übrigens ist die Wiedergabe sehr willkürlich. Von Gliński’s Märchen hat A. Godin 17 St. ins Deutsche überzetzt (Polnische Volksmärchen, nach der Original-Sammlung von Gliński). Irreführend ist auch der Titel der von F. H. Lewestam 1839 deutsch veröffentlichten K. W. Woycicki’ Polnischen Volkssagen und Märchen (27 St.), die sich auf Woycicki’s ein wenig frühere polnische Sammlung stützen. Die Sammlung enthält nämlich fast ausschliesslich Sagen.

Von den kaschubischen Märchensammlungen seien G. Bronisch’ Kaschubische Dialektstudien (II 1898) und [52] F. Lorentz’ Slovinzische Texte (1905) erwähnt. Sie enthalten eine grosse Menge in der Originalsprache geschriebener Geschichten, die jedoch zum grossen Teil zu den Sagen gehören.

Wendische Märchen sind ausser in der Originalsprache, z. B. in der Zeitschrift Łužičan, auch in deutschen Übersetzungen in L. Haupt’s und J. E. Schmaler’s Volkslieder der Wenden in der Ober- und Nieder-Lausitz (im Anhange) und E. Veckenstedt’s Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche (1880) herausgegeben. Veckenstedt’s Märchen sind nicht wörtlich nach den Erzählungen des Volkes wiedergegeben, wie wir dem Worte des Titelblattes „nacherzählt“ entnehmen können.

Bei den südslavischen (serbischen, kroatischen, bosnischen, slovenischen, bulgarischen) originalen Märchensammlungen beschränke ich mich darauf nur folgende zu erwähnen: Wuk Stef. Karadžić’s Српске народне приповијетке (1853, eine vermehrte Ausgabe 1870), M. K. Valjavec’s Narodne pripovjedke (1858), M. Stojanović’s Pučke pripoviedke i pjesme (1867), J. B. Vojinović’s Српске народне приповијетке (1869), D. K. Stefanović’s Српске народне приповедке (1871), Frau Mikuličić’s Narodne pripovietke i pjesme iz Hrvatskoga Primorja (1876), R. Strohal’s ganz inhaltsreiche Hrvatskih narodnih pripovije daka, kn. I–III (1886, 1901, 1904) und K. A. Šaprakev’s Сборникъ отъ балгарски народни умотворения. Ausser diesen sei aus der neuesten Zeit A. Gavrilović’s serbische Dvadeset srpskich narodnich pripovedaka (1906) erwähnt. Sie verdient zwar nicht wegen des Reichtums ihres Inhalts Beachtung – Märchen sind hier nur 20 und auch diese scheinen nicht vollständig in der volkstümlichen Form gehalten zu sein, – aber sie ist die erste serbische Sammlung, in welcher die Märchen mit vergleichenden Anmerkungen und Hinweisen versehen sind. Diese Hinweise hat J. Polívka in seiner im Archiv für slav. Philologie (XXIX [53] 1907, S. 469–473) veröffentlichten Besprechung vermehrt. Märchenaufzeichnungen enthalten auch einige südslavische Zeitschriften, z. B. Босанска Вила, Zbornik za narodni život, Kres, und grossartige Mengen bulgarischer Märchen finden sich in der bändereichen periodischen Publikation Сборникъ за народни умотворения, наука и книжнина[WS 4]. Sehr nützlich für den Forscher ist die in dem XXI Bande (1905) befindliche von M. Arnaydov ausgearbeitete Bibliographie der bulgarischen Märchen.

Als Übersetzungen sind von den südslavischen Märchen mehrere Sammlungen herausgekommen. Schon 1854 kamen Wuk S. Karadžić’s Volksmärchen der Serben, 50 Erzählungen von seiner Tochter übersetzt, heraus. In W. Denton’s Werk Serbian Folk-Lore (1874) befinden sich 26 Nummern aus den Sammlungen Karadžić’s u. a. genommene serbische Märchen. 1883 und 1884 gab F. S. Krauss seine umfangreiche Sammlung Sagen und Märchen der Südslaven, 2 Bde, heraus. Krauss hat seine Märchen, von welchen der erste Band 109 und der zweite 160 enthält, teils den gedruckten Sammlungen Valjavec’s u. a., aber zum grossen Teil bis dahin nicht veröffentlichten Quellen entnommen. Seine Sammlung ist sehr wichtig für diejenigen, welche slavische Originalwerke nicht benutzen können. Nützlich ist auch die von V. Jagić im Archiv für slavische Philologie (I 267–289, II 614–641, V 17–79; 1876–81) veröffentlichte Märchenserie „Aus dem südslavischen Märchenschatz“, wo 58 aus verschiedenen südslavischen Sammlungen gewählte Märchen (oft mehrere Varianten) referiert werden. R. Köhler hat die Märchen mit wertvollen Anmerkungen versehen (Klein. Schriften I S. 407–469). Aus letzter Zeit erwähne ich Milena Preindlsberger-Mrazović’s Sammlung Bosnische Volksmärchen (1905). Die Märchen – 15 an der Zahl – sind volkstümlich, obgleich die Quellen derselben leider nicht näher angegeben sind.

Unter den russischen Märchenveröffentlichungen [54] nimmt A. N. Afanasjev’s grosse Sammlung Народныя русскія сказки, die neben solche Fundamentalwerke der Märchenliteratur wie Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, Cosquin’s Contes pop. de Lorraine, Grundtvig’s Gamle danske Minder u. a. zu stellen ist, einen Ehrenplatz ein. Was die Zahl der Märchen betrifft – es sind mehrere hundert – übertrifft sie diese noch. Die Sammlung erschien ursprünglich in 8 Bänden (1855–63). In der zweiten und in der dritten Auflage (1873 und 1897) ist die Anzahl der Märchen sehr vermehrt, ihre Anordnung ist geändert u. a. Bei der Zusammenstellung seiner Sammlung hat Afanasjev als Hauptquelle die grosse handschriftliche Märchensammlung von Dal verwendet. Die Märchen sind volkstümlich, obgleich sie nicht in jeder Beziehung ihre ursprüngliche Form gewahrt haben. Das Verhältnis derselben zu dem Verzeichnis der Märchentypen erhellt aus der oft erwähnten Übersicht (FFC 10 S. 8–12). Leider war ich bei der Zusammenstellung der Übersicht gezwungen, mich auf die erste, veraltete Ausgabe zu stützen. Von den Varianten eines und desselben Märchens werden in der Sammlung oft mehrere mitgeteilt und in Anmerkungen die Märchen mit den bei anderen Völkern, zunächst den Slaven angetroffenen gleichartigen Märchen verglichen. Afanasjev verzeichnet mit grosser Sorgfalt die Varianten, welche in früheren (teilweise sehr seltenen) russischen Sammlungen, in Zeitschriften usw. veröffentlicht worden sind und in dieser Hinsicht haben seine Anmerkungen noch Bedeutung, obwohl sie sonst veraltet sind.

Afanasjev’s Märchen sind zum grössten Teil grossrussisch. Wichtige grossrussische Sammlungen sind auch I. A. Chudjakov’s Великорусскія сказки, 3 Bde (1860–62), A. A. Erlenwein’s Народныя русскія сказки, собранныя сельскими учителями (1863, 2 Aufl. 1882) und D. N. Sadovnikov’s Сказки и преданія Самарскаго края (1884). Chudjakov hat seine Märchen, 122 an der Zahl, aus verschiedenen [55] Gouvernements gesammelt. Sadovnikov’s Aufzeichnungen sind aus den östlichen Teilen des grossrussischen Gebietes, aus den Gouvernements Samara und Simbirsk. Die Nummeranzahl der Sammlung – sie enthält auch Sagen – ist 124, aber weil bisweilen unter einer und derselben Nummer sich mehrere Erzählungen vereinigen, ist die wirkliche Summe derselben 183. Einen guten Eindruck machen die von Sadovnikov gegebenen genauen Mitteilungen über die Erzähler und die Aufzeichnungsorte der Märchen. An diese Sammlungen reihen sich in der neuesten Zeit N. E. Oncukov’s sehr wertvolle und umfangreiche Сѣверныя сказки (1908), 303 Aufzeichnungen. Die Erzählungen – unter den Märchen gibt es auch Ortssagen, Schatzsagen, Sagen von Geistern, Hexen usw. – stammen alle aus dem nördlichen Russland, aus den Gouvernements Archangel und Olonetz. Sie sind zum grossen Teil von dem Herausgeber selbst gesammelt, aber teilweise auch einigen anderen Handschriftsammlungen entnommen. J. Polívka hat in seiner Besprechung im Archiv für slav. Philologie (XXXI 1910, S. 259–286) die Märchen mit vergleichenden Anmerkungen versehen.

Unter den grossrussischen Sammlungen sei noch die reichhaltige und wertvolle (sibirische) Sammlung von A. A. Makarenko Записки Красноярскаго Подъотдѣла Bocточно-Сибирскаго ОтдѢла Имп. Русск. Гeогр. Общeства по этнографіи I (1902) erwähnt. Demnächst wird in Petersburg die Sammlung der Brüder B. und J. Sokolov erscheinen, die eine grosse Menge von ihnen im Gouv. Novgorod aufgezeichnete Märchen enthalten wird.

Die grossrussischen Märchen sind meistens in der Schriftsprache aufgeschrieben, weshalb auch diejenigen, welche der russischen Sprache nicht ganz mächtig sind, sie leicht benutzen können. Anders verhält es sich mit den gewöhnlich im Dialekt gehaltenen weiss- und kleinrussischen Märchen.

[56] Von den weissrussischen Sammlungen seien E. R. Romanov’s Бѣлорусскій сборникъ III, IV und VI (1887, 1891, 1901), P. W. Šejn’s Матеріалы для изученія быта и языка русскаго населенія сѣверозападнаго края II (1893), W. N. Dobrovoljskij’s Смоленскій этнографическій сборникъ (Записки Имп. Русск. Геогр. Общества по отд. этногр. XX) I (1891) und M. Federowski’s Lud białoruski na Rusi litewskiej (1897–1903, mehrere Bände) erwähnt. Das sind alles reiche Sammlungen, in welchen neben den eigentlichen Märchen auch Volksdichtungen anderer Art vorkommen. Romanov hat in seiner Sammlung oft nach einander mehrere Varianten von einem und demselben Märchen, bald in vollständiger, bald in gekürzter Form gegeben, bisweilen auch Hinweise auf einige andere russische Sammlungen. Ebenso finden wir auch bei Šejn verschiedene Varianten ein und desselben Märchens. Zu Romanov’s und Federowski’s Märchen stellt J. Polívka in den Nachrichten der Abteilung für russische Sprache (Bd. 8, 4, S. 340–62 und Bd. 9, 1, S. 424–47) und zu Šejn’s Märchen im Archiv für slav. Philologie (XIX 1897, S. 247–262) Anmerkungen zusammen. Romanov’s Märchen hat auch N. F. Sumtsov im Anhange zu Band LXXV der Записки Имп. Академіи Наукъ 4 mit Hinweisen versehen.

A. J. Gliński’s weissrussische Sammlung ist im Zusammenhang mit der polnischen Märchenliteratur schon besprochen worden.

Von den kleinrussischen Märchen sind viele veröffentlicht worden. 1869 und 1870 erschienen I. Rudčenko’s 2 Teile Народныя южнорусскія сказки, zusammen 137 Nummern enthaltend und etwas später M. P. Dragomanov’s Малорусскія народныя преданія и разсказы (1876). Besonders reichhaltig, 292 Märchen, sind P. P. Čubinskif’s Малорусскія сказки (1878) (Труды этногр.-статист. экспедиціи II). Aus späterer Zeit stammen B. D. Grinčenko’s [57] zwei Sammlungen: aus dem Gouvernement Černigov und den angrenzenden Gouvernements gesammeltes Этнографическіе матеріалы I, II (1895 und 1897), in welchen sich auf andere russische Sammlungen gegründete Hinweise befinden (von J. Polívka im Archiv für slav. Philologie XXI 1899, S. 263–270, 273–285 vermehrt), und Изъ устъ народа, Малорусскіе разсказы, сказки и пр. (1900), die sehr reich an wertvollen Parallelennachweisen ist, O. Kolberg’s Pokucie, Obraz etnograficzny IV (1889) und I. I. Manšura’s Сказки, пословицы и т. п. записанныя въ Екатеринославской и Харьковской губ. (1890) (Сборникъ Харьк. Историко-филол. Общества II). N. F. Sumtsov hat in Этнографическое Обозрѣніе (XXII 1894, S. 97–135) Parallelennachweise zu Kolberg’s Pokucie und zu J. Moszyńska’s kleinrussischer Sammlung (Bajki i zagadki ludu ukraińskiego) gegeben. Der westlichste Teil des kleinrussischen Gebietes ist durch die reiche Volkspoesiesammlung Етнографічний збірник (ungefähr 33 Bde), herausgegeben von der Ethnogr. Kommission der Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften in Lemberg, vertreten, in der auch viele zum grössten Teil von V. Hnatjuk veröffentlichte Märchen enthalten sind. Hnatjuk fügt den Erzählungen slavische und westeuropäische Parallelen und einen gedrängten deutschen Auszug bei, um dadurch dem Forscher, der die russische Sprache nicht kennt, die Mühe bei der Benutzung der Aufzeichnungen zu erleichtern. Seine Sammlungen sind sowohl der Reichhaltigkeit des Inhalts als auch der Beschaffenheit nach sehr bemerkenswert.

Die kleinrussische Märchenliteratur erhält eine wichtige Ergänzung durch J. A. Javorskij’s Sammlung Иамятники галицко-русской народной словесности, die in nächster Zeit im Druck herauskommen wird. Diese an sich schon reiche Sammlung wird einen besonderen Wert dadurch haben, dass Javorskij die Märchen mit sehr vielen Hinweisen versieht.

[58] Ich habe hier dem Forscher einige der russischen Märchensammlungen vorgeführt. Aber ausser den besonderen Sammlungen sind im Laufe der Zeit viele Märchen teils in wissenschaftlichen teils in populären Zeitschriften und anderen verschiedenartigen Veröffentlichungen erschienen. Das Aufzählen derselben kann in meiner kurzen Übersicht nicht in Frage kommen. Von den russischen Zeitschriften, welche volkstümliche Stoffsammlungen enthalten, erwähne ich die petersburger Живая Старина (viele Bde). Der russischen und auch ausländischen ethnographischen und folkloristischen Literatur folgt mit besonderem Interesse die moskauer Zeitschrift Этнографическое Обозрѣніе (25 Bde). Diese beiden Zeitschriften sind gute Hilfsmittel für die Kenntnis der russischen Märchenliteratur.

Die russischen Märchen sind auch oft in die westeuropäischen Sprachen übersetzt worden. Solche Übersetzungen sind W. R. S. Ralston’s Russian folk-tales (1873), 51 aus den Sammlungen Afanasjev’s, Chudjakov’s u. a. genommene Märchen, W. Goldschmidt’s Russische Märchen (1883), 20 Nummern, R. N. Bain’s Russian Fairy Tales (1892) und Cossak Fairy Tales and Folk-Tales (1894) (die Märchen aus verschiedenen russischen Sammlungen) und vor allem die von A. Meyer übersetzten Russischen Volksmärchen, 2. Bde (1906 und 1910), eine Auswahl Märchen (63 St.) aus der Sammlung Afanasjev’s. Ganz neulich ist eine Sammlung russischer Märchen in der Serie Die Märchen der Weltliteratur (1914) herausgekommen.

Einige Sammlungen enthalten russische Märchen zusammen mit anderen slavischen Märchen. Eine solche ist J. T. Naake’s Slavonic Fairy Tales (1874), 40 aus verschiedenen russischen, süd- und westslavischen (Woycicki’s, Radostova’s, Karadžić’s u. a.) Sammlungen genommene Märchen und L. Leger’s Recueil de contes populaires slaves (Collection d. cont. V 1882), 33 Märchen, aus Rudćenko’s, Gliński’s, Erben’s u. a. Sammlungen.

[59] In wenigen Ländern hat der Forscher Gelegenheit sich mit geringer Mühe so genaue und eingehende Kenntnisse von der Märchenliteratur zu verschaffen wie in Russland. Es existiert nämlich eine von S. W. Savčenko verfasste umfassende Beschreibung der russischen Märchensammlungen, die unter dem Titel Русская народная сказка (Исторія собиранія и изученія) in den Nachrichten der Kijever Universität (Университетскія Извѣстія 1912, 1913) gedruckt ist. Savčenko hat durch sein Werk der vergleichenden Märchenforschung einen grossen Dienst geleistet.

Aber russische Märchen gibt es auch in Handschriftsammlungen, die noch nicht im Druck erschienen sind. Im Folgenden gebe ich einige Mitteilungen von den russischen Handschriftsammlungen, so weit es mir gelungen ist, darüber Auskunft zu erhalten.

In Petersburg existieren handschriftliche Märchenvorräte in den Archiven der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und der Kaiserlichen Russischen Geographischen Gesellschaft.

Die Akademie der Wissenschaften hat eine wertvolle Sammlung von Rudčenko, die kleinrussische, meist längere Märchen, ungefähr 1800 Nummern, enthält. Gedruckt sind von ihnen nur die Märchen, welche Rudčenko selbst in seinen beiden Bänden herausgegeben hat, sowie einige wenige Märchen in den gedruckten Sammlungen von Čubinskij und Manžura. Die Sammlung stammt zum grössten Teil aus den 60-er und 70-er Jahren und soll in wenigen Jahren gedruckt werden. Eine bulgarische Sammlung von Verković enthält ausser vielen Liedern 100 Märchen. Sowohl die Lieder als die Märchen sind schon zum Druck vorbereitet. Im übrigen volkskundlichen Material der Akademie sind ungedruckte Märchen, Anekdoten usw. ungefähr 60 enthalten.

Die Russische Geographische Gesellschaft besitzt grosse Mengen von allem möglichen volkskundlichen Material (in [60] erster Reihe russischen Ursprungs). An Märchen, Anekdoten, Natursagen usw. (mit Ausschluss reiner Ortssagen) sind über 2400 vorhanden. Die Aufzeichnungen gehören den verschiedensten Zeiten an, ein grosser Teil stammt aus den 40-er und 50-er Jahren des XIX. Jahrhunderts.

Die Erlaubnis zur Anwendung der erwähnten Sammlungen ist an berufener Stelle nachzusuchen. Dr. W. Anderson in Kasan hat für seinen Privatgebrauch einen typenmässigen Katalog von allen diesen Sammlungen (ausgenommen Rudčenko und Verkovič) zusammengestellt und er ist gern erbötig, jedem Forscher auf Grund des erwähnten Registers mitzuteilen, ob und wo sich in Petersburg handschriftliche Fassungen eines bestimmten Märchens oder Schwankes vorfinden (erforderlich ist dazu die genaue Beschreibung des betreffenden Märchentypus). Dr. Anderson’s Adresse ist in FFC 12, S. 8 zu finden.

In Moskau finden sich Manuskriptsammlungen im Archiv der ethnographischen Abteilung der Gesellschaft der Freunde der Naturkunde, Anthropologie und Ethnographie (ca. 100 gross- und kleinrussische Märchenaufzeichnungen), im Historischen Museum (eine kleinere Anzahl von N. N. Durnovo in dem Moskauer Gouv. gesammelt), im Rumjanzev’schen Museum und im Lazarev’schen Institut (im letzterwähnten einige tatarische Märchen) und Prof. Wl. Bagdanov’s Privatsammlung. Herr Bagdanov hat vor beinahe zwanzig Jahren im Smolensk’schen Gouv. ein grosses Material gesammelt, das auch einige Dutzend Märchen enthält. Alle diese Sammlungen sind den Forschern zugänglich. Weitere Auskünfte über dieselben sind durch Prof. W. Gordlevskij (Lazarev’sches Institut für morgenländische Sprachen) oder durch den Sekretär der folkloristischen Kommission Frl. E. E. Eleonskaja (Granatnij pereulok 14) zu beziehen.

Kleinrussische Handschriftsammlungen existieren ausserdem in Lemberg. Die Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften [61] besitzt eine ziemlich bedeutende Sammlung von Volksliedern und Erzählungen. Von den letzteren ist ein Teil schon gedruckt worden. Professor Dr. Volodymyr Hnatjuk (Supinśkyjgasse No. 21) hat eine recht beträchtliche Privatsammlung von Erzählungen und Liedern, die in den Publikationen der Ševčenko-Gesellschaft gedruckt werden. Die Prosaaufzeichnungen stammen aus jüngster Zeit, von den 80-er Jahren des XIX Jahrhunderts an. Diese beiden Sammlungen können von Gelehrten jederzeit ohne irgendwelche Hindernisse benutzt werden. Da sie nicht katalogisiert oder systematisch geordnet sind, kann weder ihr Umfang noch die Klassifikation genauer bestimmt werden.

Auch in Krakau in der Krakauer Akademie der Wissenschaften befinden sich Folklore-Sammlungen, hauptsächlich aus dem Nachlasse des O. Kolberg.

Überdies besitzen kleinrussische Materialsammlungen einige in Kijev und in dem Gouvernement Charkov wohnende Privatpersonen, aber, da es mir nicht bekannt ist, welche Möglichkeiten die Forscher zur Benutzung derselben haben, werde ich hier nicht näher darauf eingehen.

Das Interesse für die Märchen ist in Russland in letzter Zeit gewachsen und die Sammelarbeit wird sicher noch grosse Reichtümer aus dem russischen Volksmärchenschatze zu Tage fördern.

Märchen sind auch bei anderen in Russland wohnenden Völkern gesammelt worden.

Von den litauischen Märchensammlungen sind zu erwähnen das mehrbändige Werk J. Basanaviczius’ Lietuviszkos pasakos (1898) und M. Dowojna-Sylwestrowicz’ Podania zmujdzkie, 2 Bde (Bibljoteka Wisły XII, XIII, 1894). Einige Sammlungen sind auch deutsch veröffentlicht worden. Schon 1857 erschienen im Druck A. Schleicher’s Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder, 40 Märchen und 1882 A. Leskien’s und K. Brugman’s verdienstvolle Litauische Volkslieder und Märchen. Die Zahl der [62] Märchen ist in der letzterwähnten Sammlung nur 47, aber den Wert des Buches bilden W. Wollner’s Anmerkungen, in welchen die slavischen Varianten ausführlich vorgelegt werden. Diese Anmerkungen sind besonders dem der slavischen Sprachen nicht mächtigen Forscher zu empfehlen. C. Jurkschat’s Litauische Märchen und Erzählungen I (1898) enthalten 62 im Dialekt geschriebene Märchen, welchen eine deutsche Übersetzung beigefügt ist. Auch in der neuesten litauischen Märchensammlung H. Scheu’s und A. Kurschat’s Pasakos apie paukščius, Žemaitische Tierfabeln (1913) – 81 Nummern – liegen die Märchen sowohl in der Originalsprache als auch in deutscher Übersetzung vor.

In Wiłna sind grosse Mengen handschriftlicher litauischer Märchen vorhanden, teils in Privatbesitz, teils im Besitz der Litauischen Wissenschaftlichen Gesellschaft.

Von den lettischen Märchen und Sagen ist in der Originalsprache die sehr umfangreiche Sammlung von Lerchis-Puschkaitis Latweeschu tautos teikas un passakas, Bde I–VII (1891–1902) erschienen. Sehr erwähnenswert sind F. J. Preiland’s ins Russische übersetzte Латышскія народныя сказки (Сборникъ матеріаловъ по этнографіи, издаваемый при Дашковскомъ этногр. Музеѣ II 1887). Den Westeuropäern war M. Böhm’s deutsche Sammlung Lettische Schwänke und verwandte Volksüberlieferungen (1911) ausserordentlich willkommen. Böhm hat 54 lettische Schwänke übersetzt und denselben noch nützliche, vergleichende Anmerkungen beigefügt, die J. Polívka im Archiv für slav. Philologie (XXXIII 1912) vermehrt.

Im östlichen Russland existieren einige handschriftliche Sammlungen der tschuwaschischen Märchen, nach der Mitteilung von Dr. W. Anderson. Es sind: a) Sammlung von N. V. Nikolskij (nach Angabe des Sammlers ca. 1000 Märchen), b) Sammlung von N. I. Ašmarin (nicht kleiner als die vorige) und c) Sammlung des Priesters Grigorij Timofejev. Die zwei ersterwähnten befinden sich in Kasan [63] und die dritte im Dorfe Aljšeevo im Gouv. Simbirsk (Альшеево, Буинскаго у., ст. Новоселки). Herr Nikolskij hat sich bereit erklärt, die Benutzung seiner Materialien freizustellen, und Dr. Anderson hat begonnen sie zu katalogisieren.

Die Märchen der in Russland (zum Teil auf asiatischer Seite) wohnenden finnisch-ugrischen Völker trifft man an verschiedenen Stellen, bald als grössere, bald als kleinere Sammlungen. Der sie suchende hat Ursache sich zunächst mit den Publikationen der Finnisch-ugrischen Gesellschaft bekannt zu machen, in denen als Sprachproben Produkte der Volksdichtung, oft auch Märchen verwendet werden. Als Beispiele erwähne ich H. Paasonen’s Proben der mordwinischen Volksliteratur (Journal de la Soc. Finno-ougrienne XII 1894), 18 Märchen, die von A. Genetz veröffentlichten, von V. Porkka gesammelten Tscheremissische Texte (Ib. XIII 1895), wohin 10 Märchen gehören, und Y. Wichmann’s Wotjakische Sprachproben (Ib. XXI 1901), 55 Nummern Märchen und Erzählungen. In allen diesen folgt auf den Originaltext eine deutsche Übersetzung. Märchen der Mordwinen enthalten auch die von der orthodoxen Missionsgesellschaft in Kazan veröffentlichten Образцы Мордовской народнои словесности II (1883) und A. A. Schachmatov’s Мордовскій этнографическій сборникъ (1910). Ebenso begegnet man Märchen der finnisch-ugrischen Völker in den Publikationen der russischen wissenschaftlichen Anstalten und Vereine (besonders der Moskauer und Kasaner). Für die finnisch-ugrischen Völker interessieren sich z. B. Иэвѣстія Общества Археологіи, Исторіи и Этнографіи при Имп. Казанскомъ Университетѣ.

Die Finnisch-ugrische Gesellschaft in Helsingfors besitzt eine Anzahl handschriftlicher Volksdichtungssammlungen der finnisch-ugrischen Völker.

Wegen des lebhaften Interesses für das Sammeln von [64] Volksdichtungen verdienen die Esten eine besondere Besprechung. Bei ihnen sind so grosse Volksdichtungsvorräte aufgezeichnet worden, dass sehr wenige Völker in dieser Hinsicht mit ihnen zu vergleichen sind.

Von den estnischen Märchensammlungen erwähne ich zuerst einige deutsche Übersetzungen. 1869 erschienen, von F. Löwe übersetzt, F. Kreutzwald’s Estnische Märchen, 24 Märchen, die R. Köhler und A. Schiefner mit Anmerkungen versehen haben. Die Märchen sind der von Kreutzwald auf Kosten der Finnischen Literaturgesellschaft 1866 veröffentlichten estnischen Sammlung Eesti rahva ennemuistesed jutud entnommen. Viel grösser ist H. Jannsen’s Sammlung Märchen und Sagen des estnischen Volkes, 2 Bde (1881 u. 1888). Im ersten Bande befinden sich 18, im zweiten 58 Märchen. Die von O. Kallas redigierten Achtzig Märchen der Ljutziner Esten (Verhandlungen d. Gelehrten Estnischen Gesellschaft XX 1900) sind eigentlich in der estnischen Sprache veröffentlicht, aber nach dem Originaltexte folgt von 12 Märchen eine vollständige deutsche Übersetzung und von den anderen eine kurze Inhaltsangabe. Das Fehlen der vergleichenden Anmerkungen ersetzen J. Bolte’s Hinweise in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde (XI 1901, S. 99–100).

In der Originalsprache sind grosse Mengen der estnischen Märchen veröffentlicht worden. Sie bilden zum grössten Teil kleine Büchelchen, von denen die meisten mit dem Namen des eifrigen Freundes der Volksdichtung M. J. Eisen verknüpft sind. Von den estnisch geschriebenen Sammlungen seien erwähnt J. Kunder’s Eesti muinaisjutud (1885) und M. J. Eisen’s Kalevipoja esi-isad (1910), Talupoisid kuningate väimeesteks (1910), Hans ja vanapagan (2. Aufl. 1910), Eesti rahvanali (1910), Eesti ennemuistsed jutud (1911), Eesti muistsed jumalad ja vägimehed (1913) und Miks? (1913). Ein Verzeichnis der von M. J. Eisen bis z. J. 1902 erschienenen Publikationen befindet sich in Finn.-ugr. Forsch. II 2.

[65] Aber die gedruckten Sammlungen sind nur ein kleiner Teil der Märchenmenge, die aus dem Volksmunde aufgezeichnet worden ist. In Estland wiederholt sich die Erscheinung, die man in vielen von den Ländern sieht, wo auf dem Gebiete der Volksdichtung viel zu Stande gebracht worden ist, nämlich dass eine oder nur wenige Personen das Centrum der Bestrebungen sind, deren eifriges Interesse andere zur Arbeit anregt. Der Reichtum der estnischen Manuskriptsammlungen ist in erster Linie das Resultat der unermüdlichen Arbeit des vor einigen Jahren gestorbenen Doktors J. Hurt und des eben erwähnten M. J. Eisen. Die grossartigen Sammlungen von Hurt, die nebst anderen 10,000 Märchenaufzeichnungen enthalten, werden vorläufig in Helsingfors bei der Finnischen Literaturgesellschaft verwahrt. Von den Manuskripten sind zum Teil Abschriften und deutsche Übersetzungen (zu O. Dähnhardt’s Natursagen) gemacht worden und diese bleiben in Helsingfors, während die Originale mit der Zeit nach Estland (nach Dorpat) zurückgesandt werden. Das typenmässige Ordnen der Märchen wird in nächster Zeit ausgeführt werden. Gegenwärtig sind die Sammlungen im Hause der Finnischen Literaturgesellschaft den Forschern zur Benutzung überlassen. Eisen’s Sammlungen enthalten noch grössere Märchenvorräte. Von den Manuskripten, die 49,000 Seiten füllen, fällt die Hälfte den Märchen zu. Die Anzahl der Märchenaufzeichnungen ist ungefähr 14,000. Auch von ihnen gibt es noch keinen Katalog über den Inhalt. Eisen’s Sammlungen sind bei ihm in Dorpat (Юpьeвъ), wo die Forscher Gelegenheit haben sie zu benutzen.

Eine kleine Anzahl Märchenaufzeichnungen gibt es noch in den Handschriftsammlungen der Estnischen Literaturgesellschaft und der Gelehrten Estnischen Gesellschaft in Dorpat.

Auch Märchen der fern am Ufer des Eismeers lebenden [66] Lappländer sind für die Forschung aufgeschrieben und im Druck veröffentlicht worden. 1871 erschien die Sammlung von J. A. Friis Lappiske eventyr og folkesagn, die nach den Worten des Herausgebers in ganz derselben Form sind, in welcher das Volk sie erzählt hat. Hauptsächlich auf die Friis’sche Sammlung gründen sich J. C. Poestion’s Lappländische Märchen, Volkssagen usw. (1886). Poestion hat aber einen Teil von seinen Stoffen anderswoher genommen, und unter diesen sind solche, die man ihrem Ursprunge nach nicht als lappländisch ansehen kann. Zu derselben Zeit erschien im Druck J. Qvigstad’s und G. Sandberg’s Sammlung Lappiske eventyr og folkesagn (1887).

Von den finnischen gedruckten und handschriftlichen Märchensammlungen gibt der Unterzeichnete im Vorworte zu dem im FFC 5 erschienenen Katalog der finnischen Märchen Finnische Märchenvarianten eine ausführliche Beschreibung, auf welche er hier hinweisen möchte. Er beschränkt sich deswegen hier darauf, folgende Umstände zu erwähnen: 1852–66 erschien die älteste Sammlung von finnischen Märchen, E. Rudbeck’s oder Salmelainen’s Suomen kansan satuja ja tarinoita, 4 Bde (zum grossen Teil von E. Srhreck unter dem Titel Finnische Märchen ins Deutsche übersetzt, 1887). Später sind unter der Redaktion von K. Krohn zwei Sammlungen veröffentlicht worden: Suomalaisia kansansatuja I „Eläinsatuja Tiermärchen“ (1886) und II (mit Lilli Lilius) „Kuninkaallisia satuja I“ (1893), in denen neben einigen vollständig gedruckten Märchen grosse Mengen Varianten in gekürzter Form vorkommen. In den Handschriftsammlungen der Finnischen Literaturgesellschaft (in Helsingfors) gibt es heutzutage im ganzen über 30,000 Märchenaufzeichnungen (unter ihnen auch Orts- u. Ursprungssagen), die die Forscher zu bestimmten Stunden benutzen können. In dem eben erwähnten typenmässigen Katalog sind ungefähr 26,000 Aufzeichnungen berücksichtigt worden.

[67] Ehe wir Europa verlassen, erwähne ich ein auf der Grenze Europas und Asiens befindliches Land, dessen Märchen einen besonderen Reiz haben, weil dieses Land ein Grenzgebiet zwischen Morgen- und Abendland bildet, nämlich Kaukasien. Eine wichtige Quelle der kaukasischen Volksdichtung bildet das grosse russische Sammelwerk Сборникъ матеріаловъ для описанія мѣстн. и племенъ Кавкаэа, das von 1881 an in vielen dicken Bänden erschienen ist. Viele von den Bänden dieser Sammlung enthalten auch aus dem Munde des Volkes aufgezeichnete Märchen. M. Wardrop hat eine Anzahl kaukasischer Märchen, 38 St., in englischer Übersetzung unter dem Titel Georgian Folk Tales (1894) veröffentlicht. Er hat sie drei verschiedenen gedruckten Quellen entnommen. Noch seien A. Schiffner’s Awarische Texte (Mémoires de l’Académie Imp. des Sciences de St.-Pétersbourg, VII série, T. XIX nr. 6, 1873) erwähnt, zu denen R. Köhler ausführliche Anmerkungen hinzugefügt hat (Klein. Schriften I S. 537–576) und armenische Sammlungen: F. Macler’s Contes arméniens (Collection d. cont. XXIX 1905) und Abgar Joannisiany’s Armenische Bibliothek IV: Märchen und Sagen, mit einer Einleitung von Gr. Chalatianz. In der Einleitung des letzterwähnten Werkes sind viele Märchen kurz wiedergegeben. Ausserdem will ich noch auf ein Buch hinweisen, welches unter den Folkloristen nicht so bekannt ist, wie es verdient, nämlich A. S. Chachanov’s Очерки по исторіи груэинской словесности, 4 Bde. Der erste Band (1895) enthält einen ausführlichen Bericht über die georgische volkstümliche Literatur und u. a. auszugsweise eine grosse Anzahl Märchen.

In den anderen Weltteilen ist das Sammeln der Volkspoesie nicht ebenso intensiv wie in Europa betrieben worden. Sammlungen gibt es zwar viele, sicher mehr als ein mit den Sachen Unbekannter erwarten würde, aber ihr Herauskommen ist mehr zufällig gewesen. In einigen Ländern [68] sind mehrere Sammlungen veröffentlicht worden, dann wiederum sind weite Gebiete von der Sammelarbeit ganz unberührt geblieben. Dieses die Forschung störende Missverhältnis vermindert sich doch allmählich, denn die Zahl der Sammlungen wächst auch ausserhalb Europas immer mehr an.

Was die Sprache der aussereuropäischen Märchensammlungen betrifft, kann kaum vorausgesetzt werden, dass die Forscher andere als in europäischen Sprachen verfasste Übersetzungen benutzen würden. In den erschienenen Sammlungen ist gewöhnlich die Sprache desjenigen europäischen Volkes gebraucht worden, von dessen Kolonie in dem betreffenden Falle die Rede ist. Die am häufigsten vorkommenden Sprachen sind Englisch, Französisch, Holländisch, Deutsch und Russisch. Die Aufzeichnungen sind mitunter in sprachwissenschaftlicher Absicht gemacht worden, und die europäische Übersetzung bildet dann gewöhnlich einen Anhang zu dem Originaltext. Bisweilen sind die an den Geisteserzeugnissen des heidnischen Volkes interessierten Missionäre die Sammler gewesen.


Asien.

In Asien ist Indien das Land, in welchem am meisten Märchen gesammelt sind. Die Berühmtheit der alten indischen Märchenliteratur und die Bedeutung, welche man Indien in der Geschichte der Märchen hat zueignen wollen, haben ihrerseits die Sammelarbeit in Indien gefördert. Ich erwähne als erste der indischen Sammlungen M. Frere’s Old Deccan Days (1868), 24 Märchen von einer zum Christentum übergetretenen indischen Kinderwärterin. Die Sammlung ist auch von A. Passov ins Deutsche übersetzt unter dem Namen Märchen aus der indischen Vergangenheit (1874), und schon früher ins Dänische. Etwas später veröffentlichte der Russe I. P. Minajev seine in Kamaon gesammelten Индѣйскія сказки и легенды (1877). Aus den [69] 80-er Jahren des 19. Jahrhunderts besitzen wir mehrere indische Sammlungen: M. StokesIndian Fairy Tales (1880), 30 Märchen mit Anmerkungen, von denen es sich lohnt Kenntnis zu nehmen, Lal Behari Day’s Folk-Tales of Bengal (1883 und 1892), 22 Märchen, F. A. Steel’s und R. C. Temple’s Wideawake Stories (1884), eine grössere Anzahl Märchen, des Missionärs J. H. Knowles’ Folk-Tales of Kashmir (1888) u. a. Auch J. Jacobs hat eine Sammlung indischer Märchen Indian Fairy Tales (1892), 29 an der Zahl, veröffentlicht, übrigens in derselben Weise redigiert wie seine englischen Märchen. In den Anmerkungen der Märchen werden die in einigen anderen, zunächst in den indischen Sammlungen, angetroffenen Varianten aufgezählt. In späteren Zeiten ist die Zahl der indischen Sammlungen sehr angewachsen. Ich erwähne von den neuesten Sammlungen E. Dracott’s Simla Village Tales, or Folk-Tales from the Himalayas (1906), und die reiche C. H. Bompas’ Folklore of the Santal Parganas (1909). Die indischen Inseln werden durch C. M. Pleyte’s Bataksche Verteilingen (1894) und T. J. Bezemer’s Sammlungen repräsentiert, z. B. Volksdichtung aus Indonesien, Sagen, Tierfabeln und Märchen (1904), die 110 von 15 Volkstämmen erhaltene Erzählungen bringt. Von ihnen ist ein Teil holländischen Zeitschriften entnommen, ein Teil direkt aus dem Javanischen und dem Malayischen übersetzt.

Was die übrige asiatische volkstümliche Märchenliteratur anlangt, begnüge ich mich damit, einige einzelne Sammlungen aus verschiedenen Teilen Asiens zu erwähnen: H. Parker’s Village Folk-Tales of Ceylon (1910), eine reiche Sammlung, in der nach jedem Märchen seine indischen Varianten mitgeteilt werden, E. Prym’s u. A. Socin’s Der neu-aramaeische Dialekt des Tûr ’Abdîn, II Teil Übersetzung (1881), eine grosse, 85 Nummern enthaltende Sammlung, und Kurdische Sammlungen, 2 Bde (1887 u. 1890), M. Lidzbarski’s Geschichten und Lieder aus den neu-aramäischen [70] Handschriften (1896), eine grosse Anzahl mit vergleichenden Hinweisen versehene Erzählungen, W. Radloff’s Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme (1866–1907), 10 dicke Bände, in denen sich neben anderer Volksdichtung auch kirgisische, tatarische u. a. Märchen finden (die letzten Bände sind schon in Zusammenhang mit der europäisch-türkischen Märchenliteratur erwähnt worden), N. P. Ostroumov’s Сарты (1893), 26 turkestanische Märchen, G. J. Ramstedt’s Kalmückische Märchen (Mémoires de la Soc. Finno-ougr. XXVII), W. F. O’Connor’s Folk Tales from Tibet (1906), 24 Volkserzählungen enthaltende Sammlung, unter denen einige am allgemeinsten verbreitete Märchen, B. H. Chamberlain’s Aino Folk-Tales (1888), eine ziemliche Anzahl meistens kurzer Märchen, die früher in der Zeitschrift Folklore Journal veröffentlicht worden sind, A. B. Mitford’s Tales of Old Japan (1871, 1891), D. Brauns’ Japanische Märchen und Sagen (1885), die aber eigentliche Märchen verhältnismässig wenig enthalten und J. Macgowan’s Chinese Folk-Lore Tales (1910), 11 Erzählungen.

Viele asiatische Märchen sind in verschiedenen sowohl abend- als morgenländischen Zeitschriften und Publikationsserien verstreut. Ich erwähne ausser denen, welche wir schon bei der Besprechung der europäischen Märchen kennen gelernt haben, noch Tijdschrift voor indische Taal-, Land- en Volkenkunde, The Indian Antiquary, North Ind. Notes and Queries (I–V 1891–95), Записки Вост. Снбирскаго ОтдѢла Имп. Русск. Геогр. Общества по этногр. und Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

Im Zusammenhang mit den asiatischen Märchensammlungen erwähne ich V. Chauvin’s vorzügliche Bibliographie des ouvrages arabes (11 Bde, 1892–1909), die für den Märchenforscher eines der allernützlichsten Quellenwerke bildet. Der bemerkenswerteste Teil des Werkes ist derjenige, der von der Sammlung Tausend und eine Nacht [71] (Bände IV–VII, 1900–1903) handelt, in dem gleichzeitig mit einem kurzen Referate bei jeder Erzählung die sie betreffende sowohl morgen- als abendländische Literatur ausführlich aufgezählt wird. Die Anzahl der Varianten ist bisweilen sehr gross.


Afrika.

Afrikanische Märchen begannen verhältnismässig früh in der Öffentlichkeit aufzutreten. Südafrikanische Aufzeichnungen kommen in der Literatur schon um die Mitte des letzten Jahrhunderts vor, und 1864 erschien W. H. I. Bleck’s Sammlung Reynard the Fox in South Africa, or Hottentot Fables and Tales, in der 42 Tiermärchen enthalten sind (deutsch 1870 unter dem Namen Reineke Fuchs in Afrika) und zu derselben Zeit C. Callaway’s Nursery Tales, Traditions, and Histories (1868). Spätere südafrikanische Sammlungen sind G. M. Theal’s Kaffir Folk-Lore (2 Ausgabe 1886), in der die Anzahl der Märchen etwas über 20 beträgt, E. Jacottet’s Contes populaires des Bassoutos (1895) (Collection d. cont. XX), H. A. Junod’s Les chants et les contes des Ba-Ronga de la baie de Delagoa (1897), neben den Liedern 30 Märchen, E. J. Bourhill’s u. J. B. Drake’s Fairy Tales from South Africa (1908), ungefähr 20 Erzählungen und J. A. Honeÿ’s South-African Folk-Tales (1910), von dessen Märchen viele anderen Sammlungen entnommen sind. Aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind auch die ersten west- und mittelafrikanischen Märchen. 1854 veröffentlichte S. W. Koelle seine Sammlung African native literature or proverbs, tales, fables and hist. fragments in the Kanuri or Bornu language, die W. Grimm in den Anmerkungen zu KHM (Reklam S. 377 usw.) referiert. Später hat man auch in diesen Teilen Afrikas viele Märchenaufzeichnungen gemacht. In Chatelain’s Sammlung Folk-Tales of Angola (1894) gibt es 50 und in W. Lederbogen’s [72] Kameruner Märchen (1902) 61 getreu dem Volksmunde nacherzählte Märchen. E. Dayrell’s Folk Stories from Southern Nigeria West Africa (1910) enthält 40 Aufzeichnungen und eine Menge Märchen und Fabeln gibt es auch in J. Schönhärl’s Sammlung Volkskundliches aus Togo (1909). Gute Sammlungen sind noch die zur Collection de contes gehörenden L.-J.-B. Bérenger-Féraud’s Recueil de contes populaires de la Sénégambie (IX 1885) und C. Monteil’s Soudan français, Contes soudanais (XXVIII 1905). In dem ostafrikanischen Gebiet sind die suahelischen Märchen in grösserem Masse als andere aufgezeichnet und veröffentlicht. Von diesen gibt es eine Anzahl in E. Steere’s Sammlung Swahili Tales as told by natives of Zanzibar (1870) sowohl in der Originalsprache als auch ins Englische übersetzt und etwa zwanzig bis dreissig in C. G. Büttner’s Lieder und Geschichten der Suaheli (1894). C. Velten’s Märchen und Erzählungen der Suaheli (1898) enthält 64 und G. Lademann’s Tierfabeln und andere Erzählungen in Suaheli (1910) 100 meist kurze Erzählungen. Erwähnung verdient auch H. Rehse’s Kiziba, Land und Leute (1910), in dem sich u. a. 45 sowohl in der Originalsprache als deutsch mitgeteilte Märchen befinden. Auch die Inseln Ostafrikas sind vertreten. Von dort stammen G. Ferrand’s Contes populaires Malgaches (Collection d. cont. XIX 1893), meistens früher unedierte Märchen, C. Renel’s zwei Bände umfassende Contes de Madagascar (Collection d. cont. XXXVII, XXXVIII 1910) und C. Baissac’s Le folk-lore de l’ île-Maurice (Litt. pop. XXVII 1888), das ausser anderer Volkspoesie eine Menge Märchen und Legenden enthält. Die nordafrikanischen Märchen sind in wertvoller Weise durch R. Basset’s Contes populaires berbères (Coll. d. cont. XII 1887) und deren Fortsetzung Nouveaux contes berbères (Collection d. cont. XXIII 1897) und H. Stumme’s Sammlungen z. B. Märchen der Schluh von Tazerwalt (1895), wo die Anzahl der Erzählungen 34 beträgt, repräsentiert. [73] Die letzterwähnten Sammlungen sind alle mit Anmerkungen versehen, von denen die von Basset besondere Aufmerksamkeit verdienen, da sie sich auf eine umfassende Literatur stützen. G. Spitta-Bey hat den Forschern in seinem Werke Contes arabes modernes (1883) 12 von den ägyptischen Arabern erhaltene Märchen gegeben. Ausserdem erwähne ich R. Basset’s wertvolle Contes populaires d’Afrique (Litt. pop. XLVII 1903), in denen 170 verschiedenen deutschen, französischen und englischen Veröffentlichungen entnommene afrikanische Märchen mitgeteilt werden und T. v. Held’s Märchen und Sagen der afrikanischen Neger, 60 Erzählungen. In diesen beiden sind die verschiedenen Teile Afrikas repräsentiert.

Unter den früher genannten Zeitschriften trifft man besonders in der Revue de trad. populaires und der Folk-Lore afrikanische Märchen.


Amerika und Australien.

Übrig sind noch Amerika und Australien. Die Anzahl der aus dem Volksmunde aufgezeichneten Erzählungen ist auch in diesen Erdteilen ziemlich gross. Die Sammlungen sind meistens englisch, seltener deutsch oder in einer anderen Sprache. In Bezug auf die amerikanische und australische Märchenliteratur weise ich zunächst hin auf die amerikanische, gut redigierte Zeitschrift The Journal of American Folklore (26 Bände, 1888–1913), und auf die oft erwähnte englische Folk-Lore, die deren Anwachsen angeben und gleichzeitig selbst Material enthalten. Auch in J. Bolte’s Übersichten in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde wird die amerikanische und australische Märchenliteratur berücksichtigt. Wenn ich noch hinzusetze, dass A. Thimme in seinem Literatur-Nachweise (Das Märchen S. 190–191) eine Anzahl amerikanische und australische Sammlungen [74] aufzählt, kann ich darauf verzichten, die einzelnen Werke hier zu erwähnen. Die Sammlungen sind bisweilen ganz reichhaltig, ihre Erzählungen zum grössten Teil den Märchen des alten Kontinentes fremd.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: grosszahl Ane
  2. Vorlage: handschritlichen
  3. Vorlage: Bibliotek
  4. Vorlage: книжника


Die ältere Märchenliteratur Nach oben Nachwort
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.