ADB:Albrecht, Wilhelm (Staatsrechtler)

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Artikel „Albrecht, Wilhelm Eduard“ von Rudolf Hübner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 743–750, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Albrecht,_Wilhelm_(Staatsrechtler)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 12:15 Uhr UTC)
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Albrecht: Wilhelm Eduard A., hervorragender Vertreter der Wissenschaft vom deutschen Recht, wurde als Sprößling einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie zu Elbing am 4. März 1800 geboren. Er begann Ostern 1818 seine juristischen Studien auf der Universität Königsberg; Ostern 1819 wandte er sich nach Göttingen. Hier fühlte er sich besonders von Karl Friedrich Eichhorn angezogen, dem er schon jetzt als Student persönlich näher treten konnte und den er zeitlebens als seinen eigentlichen Meister verehrt hat. Am 1. April 1822 promovirte er unter Hugo’s Decanat; dann hielt er sich längere Zeit in Berlin auf, hauptsächlich um Savigny’s Vorträge zu hören; in dieser Berliner Zeit wurde der Grund zur Freundschaft mit Homeyer gelegt. Nachdem er darauf seine Lehrjahre mit einer im Sommer 1823 nach Süddeutschland und der Schweiz unternommenen Reise abgeschlossen hatte, habilitirte er sich in der juristischen Facultät seiner Heimathsuniversität; das Königsberger Vorlesungsverzeichniß vom Sommer 1824 enthält seine ersten Ankündigungen: er begann seine Docentenlaufbahn mit Vorträgen über deutsches Privatrecht und Handelsrecht, denen sich im Wintersemester 1824/25 solche über Lehnrecht und über Theorie des Civilprocesses anschlossen. Seine Habilitationsschrift erschien erst in seinem dritten akademischen Semester im Druck; sie führt den Titel „Doctrinae de probationibus secundum ius germanicum medii aevi adumbratio; pars prior“; er vertheidigte sie am 13. Juni 1825. Bald darauf, am 26. August 1825, erfolgte seine Ernennung zum außerordentlichen Professor für deutsches Recht, womit ihm die gesammte Vertretung dieses damals in Königsberg anderweit nicht besetzten Faches zufiel; auch Staatsrecht nahm er schon jetzt in sein Lehrprogramm auf. Dem ersten Theil seiner Habilitationsschrift ließ er 1827 den zweiten folgen und in demselben Jahre (die Vorrede ist vom April 1827 datirt) beendete er sein epochemachendes Hauptwerk: „Die Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts“ (Königsberg 1828). Auch diesmal fand er schnell die äußere Anerkennung für seine wissenschaftliche Leistung; am 28. Januar 1829 wurde er, von Homeyer dem Ministerium aufs wärmste empfohlen, zum ordentlichen Professor in seiner Facultät ernannt, allerdings unter Belassung seines früheren Gehalts von 300 Thalern.

Somit hatte er in raschestem Aufsteigen mit noch nicht 30 Jahren das Ziel der akademischen Laufbahn erreicht; wenn er gleichwohl in Königsberg nicht völlige Befriedigung fand, so war das in dem allgemeinen Darniederliegen der juristischen Studien dort begründet; kam er infolge der Gleichgültigkeit der Studirenden doch nicht einmal dazu, deutsche Rechtsgeschichte lesen zu können. Da traf es sich denn für ihn äußerst glücklich, daß gerade jetzt ein germanistischer Lehrstuhl frei wurde, und zwar von allen der angesehenste: der Eichhorn’s in Göttingen. Eichhorn selbst schlug seinen Schüler zu seinem Nachfolger vor, und so wurde A. am 29. October 1829 zum Ordinarius für Göttingen (als Lehrer des deutschen, Staats- und Kirchenrechtes) ernannt. Ostern 1830 eröffnete er dort seine Thätigkeit und damit begann, wie er selbst stets empfunden hat, die schönste Zeit seines Lebens; Jahre, die durch das hebende Bewußtsein einer [744] reichen, einfluß- und erfolgreichen Lehrthätigkeit und durch das beglückende Gefühl angenehmster persönlicher Beziehungen ihm in Göttingen, wie er später noch oft erklärt hat, seine eigentliche geistige Heimath schufen. Sie fanden bekanntlich für ihn wie für seine nächsten Freunde ein plötzliches, tragisches Ende durch den Staatsstreich des Königs Ernst August. Als das berüchtigte, das hannöversche Staatsgrundgesetz für unverbindlich erklärende Patent vom 5. Juli 1837 bekannt wurde, da gehörte A. sofort zu denen, die hierin einen Staatsstreich, einen brutalen Rechtsbruch erkannten; er stellte sogleich im Verein mit Dahlmann und Jacob Grimm beim Senat den Antrag, über die Gültigkeit des Patents zu verhandeln. Der Antrag wurde abgelehnt; wie berechtigt er gewesen war, das zeigte sich, als der König sein zweites Patent vom 1. November erließ, in dem er alle königlichen Diener des auf die Verfassung von 1833 geleisteten Eides entband. Unter den berühmten Göttinger Sieben, die von der Noth ihres Gewissens getrieben diesem die Rechtsgrundlagen des Staates zerstörenden Gewaltact des absoluten Königthums mannhaft entgegentraten und damit dem ganzen Volke ein leuchtendes Vorbild unbeugsamer Ueberzeugungstreue wurden, nahm A. von Anfang an eine hervorragende Stellung ein; nicht nur weil er als Lehrer des Staatsrechts die Rechtswidrigkeit der That besonders scharf beurtheilen mußte, sondern mehr noch, weil seine ganze Persönlichkeit gegründet war in unerschütterlicher Achtung vor dem auch sittlich verpflichtenden Rechtsgebot. So steht denn sein Name als zweiter, hinter dem Dahlmann’s und vor dem Jacob Grimm’s, unter dem von Dahlmann entworfenen Protest, der von den Sieben dem Universitäts-Curatorium übersendet wurde, und so theilte er das Schicksal seiner Genossen, am 11. December 1837 ohne Untersuchung und Recht durch königliches Rescript seines Amts entsetzt zu werden. A. erfuhr bald, wie zündend sein und seiner Genossen Protest überall in Deutschland wirkte. Schon am 21. December ernannte die philosophische Facultät der Universität Königsberg ihn auf Lobeck’s Antrag zum Dr. phil. hon. c. und wenn sie auch nicht wagte, in dem Ehrendiplom ausdrücklich den Grund der Auszeichnung zu nennen, so ließ sie doch durch die sofortige Absendung der Urkunde keinen Zweifel über ihre Absicht; und am 27. December ging eine Adresse aus Elbing an ihn ab, um ihm die bewundernde Zustimmung seiner Mitbürger auszudrücken; diese Adresse war es, die den Elbingern den bekannten scharfen Verweis des Ministers des Innern v. Rochow zuzog, dem das geflügelte Wort vom beschränkten Unterthanenverstand seine Entstehung verdankt. Den Sieben mußte daran liegen, daß ihre That, die in kürzester Zeit zu einem europäischen Ereigniß geworden war, in richtigem Sinne, in dem Sinne, in dem sie unternommen war, aufgefaßt wurde. Es war A., der sie vom staatsrechtlichen Standpunkt aus in einer eigenen Schrift zu rechtfertigen unternahm und zwar ausdrücklich im Namen aller Betheiligten: „Die Protestation und Entlassung der sieben Göttinger Professoren“ (Leipzig 1838). Sein Name ist auf dem Titel nicht genannt; Dahlmann hat sie herausgegeben, in dem von ihm verfaßten kurzen, vom Censor übrigens arg verstümmelten Vorwort aber A. ausdrücklich als Verfasser bezeichnet. Die Schrift geht, wie Dahlmann sagt, „den graden Weg rechtlicher Erörterung, unter geflissentlicher Vermeidung aller der Verhältnisse, die, so schwer sie dem Menschen wiegen, doch in der Wagschale rechtlicher Entscheidung keinen Ausschlag geben“. Ihre Absicht ist vor allem darauf gerichtet, die Handlung vor dem Vorwurf eines revolutionären Schrittes zu vertheidigen; zu dem Zweck widerlegt A. die der Protestation selbst und die der Veröffentlichung der Protestation gemachten Vorwürfe der Gesetzwidrigkeit und zeigt, daß vielmehr die Entlassung ein widerrechtlicher Act gewesen sei, weder nach den hannöverschen Gesetzen noch nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 zu rechtfertigen.

[745] A. schlug mit voller Absichtlichkeit den fast gleichgültigen Ton kühlster juristischer Deduction an, „den ruhigen Ton eines Beurtheilers, der bei der Sache gar nicht interessirt ist“, wie er selbst an Dahlmann schrieb. Damit erreichte er freilich, daß die Abhandlung selbst, wenn auch in Hannover verboten, so doch von der Censur gänzlich unbehelligt gelassen wurde; aber er schwächte damit doch unzweifelhaft ihre allgemeine Wirkung; auch schriftstellerisch steht sie hinter den Flugschriften zurück, die drei andere der Sieben im eigenen Namen veröffentlichten: Dahlmann’s „zur Verständigung“, Ewald’s „Worte für Freunde und Verständige“ und Jacob Grimm’s „über seine Entlassung“. Albrecht’s Sätze lassen auch nicht einen Hauch von jener tiefen Leidenschaft verspüren, die jeden Leser der Grimm’schen Schrift noch heute ergreift; auch Dahlmann’s im wesentlichen gleichfalls staatsrechtliche Erörterungen sind bei weitem persönlicher und wirkungsvoller; die wuchtigen Worte, mit denen Dahlmann vom Eid auf die Verfassung spricht, den der einzelne nicht bloß dem Könige, sondern dem Staate geschworen habe, finden bei A. nicht entfernt ihres Gleichen. Kein Wunder, daß Dahlmann mit dem Ton der Albrecht’schen Schrift nicht völlig einverstanden war.

Das schwerste Schicksal, die Verbannung, hatte nur Dahlmann, Jacob Grimm und Gervinus getroffen; aber auch die übrigen konnten an ein Bleiben in Hannover nicht denken. Dahlmann hatte in Leipzig, wo der Göttinger Verein begründet worden war, gastliche Aufnahme und vom sächsischen Ministerium Duldung gefunden; auf seine Veranlassung wandte sich auch A. im Frühjahr 1838 dorthin. Das Ministerium gestattete ihm, als Privatdocent Vorlesungen zu halten; unter sehr großem Andrang, mit lauten Hochrufen begrüßt, begann er zu lesen; zunächst im Sommersemester 1838 trug er Privatrecht vor, dann hielt er auch seine Vorlesungen über Staats-, Kirchenrecht und Rechtsgeschichte und fand sich bald völlig befriedigt von seiner Thätigkeit. Einen Ruf nach Basel lehnte er 1838 ab; schwerer wurde es ihm, den seit 1839 von Berlin aus gemachten Anstrengungen zu widerstehen, zumal er sich im Früjahr 1840 mit einer Berlinerin, einer Tochter des Professors Ideler verheirathete. Als aber einer 1839 zum ersten Mal gewährten Remuneration am 21. October 1840 die Ernennung zum ordentlichen Professor des deutschen Rechts an der Leipziger Universität gefolgt war, siegte schließlich das dankbare Gefühl für den Staat, der ihn nach seiner Absetzung gastfrei aufgenommen hatte, und er blieb von nun an Leipzig für immer treu; selbst einen Ruf nach Göttingen, der ihn 1848 traf und der ihm mehr Schwanken verursachte als ein gleichzeitiger nach Gießen und ein früherer (1842) nach Heidelberg, konnte ihn nicht zu einem erneuten Wechsel bewegen. Er las in Leipzig wie in Göttingen über Privatrecht, Handelsrecht, Kirchenrecht, Staatsrecht; die Vorlesungen über Staatsrecht waren auch hier seine berühmtesten und besuchtesten.

Noch zwei Mal wurde seine in gleichmäßigster Pflichterfüllung ausgeübte Docententhätigkeit durch die Theilnahme an den öffentlichen Ereignissen unterbrochen. Zuerst im J. 1848. Es war erklärlich, daß, als es die ersehnte Neuschöpfung eines staatsrechtlich geeinten Vaterlandes vorzubereiten galt, A., der einstige Vorkämpfer politischer Freiheit, nicht gemißt werden konnte. Freilich wurde es ihm schwer genug, die wissenschaftliche Thätigkeit mit der staatsmännischen zu vertauschen; aber wenn auch mit vielen Bedenken nahm er doch den ihm vom Großherzog von Oldenburg (als Lehrer des Erbgroßherzogs war er ihm näher bekannt geworden) angebotenen Antrag an, an den Berathungen des vom Bundesrath für die Verfassungsrevision vorgeschlagenen Ausschusses theilzunehmen und als Vertreter der fünfzehnten Stimme des Bundesraths, d. h. von Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg, nach Frankfurt zu gehen. Hier traf [746] er mit dem alten politischen Kampfgenossen Dahlmann zusammen und schloß sich ihm wieder auf das engste an; sie wohnten beide im Römischen Kaiser, und als Dahlmann im Auftrag des Siebzehnerausschusses den „Entwurf des deutschen Reichsgrundgesetzes“ ausarbeitete, jenen berühmten ersten Vorläufer unserer Reichsverfassung, war A. sein treuer Helfer; ihm fiel es wohl hauptsächlich zu, Dahlmann’s und seiner Freunde politische Gedanken juristisch zu formuliren. Dann wurde er auch als Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt und zwar als Vertreter des elften hannöverschen Wahlbezirks für Harburg. Aber das parlamentarische Leben war, wie er bald einsah, für ihn durchaus unbefriedigend. Um als Redner sich geltend zu machen, fehlten ihm die physischen Mittel; um in der stilleren Thätigkeit der Commissionen eine Einwirkung zu versuchen, hätte er weniger von der Erfolglosigkeit alles Bemühens überzeugt sein müssen; er war zu kritisch, zu kühl, um sich unklaren Hoffnungen hinzugeben; er war zu leidenschaftslos, um an dem Kampf als solchem, an dem Aussprechen und Durchfechten persönlicher Ueberzeugungen ein Genüge zu finden. So legte er denn schon am 17. August 1848 sein Mandat nieder und kehrte nach einem Erholungsaufenthalt in Kissingen zu seiner akademischen Thätigkeit zurück.

Ihre letzte noch kürzere Unterbrechung fand diese im J. 1850. Aehnlich wie 1837 die hannöversche Regierung unternahm in diesem Jahre die sächsische einen Rechtsbruch: sie hob das Staatsgrundgesetz von 1848 auf, stellte die alte Verfassung von 1831 wieder her und berief die Kammern in der alten Gestalt. A. hätte seine Vergangenheit verleugnen müssen, wenn er nicht dagegen aufgetreten wäre. Er that es in der ihm möglichen Form, indem er im Senat beantragte, keinen Deputirten in den Landtag zu wählen. Sein Antrag wurde diesmal angenommen; von der Regierung trug er ihm nach Beendigung eines Disciplinarverfahrens einen Verweis ein. Im übrigen aber hatte die Angelegenheit für ihn keine Folge. Von nun an floß sein Leben in ungestörter Gleichförmigkeit dahin. Im J. 1866 starb seine Frau; dies Ereigniß bestimmte den schon seit lange kränklichen Mann, seinen Rücktrittsgedanken, die ihn seit Jahren nicht mehr losließen, Folge zu geben; er bat um seine Entlassung und erhielt sie am 1. April 1868; ausdrücklich wurde ihm das Recht zugesprochen, weiter lesen zu können. Er motivirte der Facultät seinen Schritt damit, daß er ein steigendes Ermatten seines inneren Dranges zum Katheder habe wahrnehmen müssen, das ihn das gelockerte Band nun gänzlich zu lösen nöthige; in einem späteren Briefe an Stobbe sprach er aus, daß er die Freude und Lust am Dociren verloren hatte. Nur einmal noch im Wintersemester 1871/72 hat er in Vertretung des ihm in letzter Zeit eng befreundeten Germanisten Gerber, als dieser sächsischer Cultusminister geworden war, eine Vorlesung gehalten. Auch die 1869 erfolgte Ernennung zum lebenslänglichen Mitglied der ersten sächsischen Kammer entzog ihn nur kurz seiner Einsamkeit: nur im Winter 1869/70 hielt er sich in Dresden auf, nur ein einziges Mal ergriff er das Wort. Er genoß die beschauliche Muße dieser letzten Jahre „nicht ohne einen gewissen geistigen Epikureismus“, wie Stobbe sagt; mit regem Eifer verfolgte er alle Erscheinungen der Fachlitteratur, gern auch schöpfte er aus anderen Gebieten des Denkens und Dichtens Anregung, bis zuletzt erfreute und erfrischte er sich an der geliebten Musik; noch wenige Stunden vor seinem Tode erging er sich phantasirend auf dem Klavier. Der Lichtpunkt seines Alters war sein 50jähriges Doctorjubiläum, das er am 1. April 1872 unter allgemeiner Theilnahme feierte. Ein sanfter Tod ohne vorhergehende Krankheit machte am 22. Mai 1876 seinem Leben ein Ende; da er kinderlos geblieben war, hatte er die Universität Leipzig zur Erbin seines bedeutenden Vermögens eingesetzt, reiche Vermächtnisse zu wohlthätigen Zwecken angeordnet.

[747] Albrecht’s Ruhm ist durch die Schrift über die Gewere begründet worden; als Verfasser dieses Werkes wird er eine dauernde Stellung in der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft einnehmen. Es war die erste umfassende Monographie, die die von Eichhorn begründete Schule der neueren Germanistik hervorbrachte, eine Monographie, die eins der schwierigsten Capitel des deutschen Privatrechts zu lösen unternahm und ihre Aufgabe in einer im Verhältniß zum damaligen Stande der Wissenschaft und zur Jugend des Verfassers geradezu erstaunlichen Meisterschaft behandelte. A. war eine durch und durch dogmatische Natur; wenn Eichhorn als bahnbrechender Führer sich damit begnügt hatte, die neu erschlossenen Gebiete zugänglich, ihren Hauptzügen nach verständlich zu machen, so befriedigte das A. nicht: er war, wie Maurer sagt, von dem künstlerischen Streben nach scharf formulirten und zugleich alles Detail der Erscheinungen nachweisbar beherrschenden Grundbegriffen durchdrungen. So hatte er schon in seiner Habilitationsschrift eine fest umgrenzte Theorie der mittelalterlichen Regelung der Beweislast an der Hand der Quellen auszuführen versucht; so galt es ihm jetzt den Nachweis zu erbringen, daß das mittelalterliche deutsche Recht in seiner Gewere einen einheitlichen und durchaus eigenthümlichen Begriff ausgebildet habe, der den Schlüssel für sein gesammtes Sachenrecht liefere, einen Begriff, der es vom römischen Recht völlig unterscheide. Eine eindringende Untersuchung aller Fälle, in denen die Quellen der Rechtsbücherzeit von Gewere sprechen, führte ihn zu der Annahme, daß überall mit dem Ausdruck Gewere das Recht zur Vertretung der Sache bezeichnet werde; Gewere sei dasjenige, was einem Verhältnisse der Person zur Sache dingliche Wirksamkeit, d. h. eine dingliche Klage, oder Sicherheit gegen die dingliche Klage eines Anderen gebe. Darum gibt es einmal eine Gewere, die mit dem factischen Innehaben der Sache verbunden ist; darum aber kann auch demjenigen, der nicht besitzt, Gewere, die von A. sogenannte juristische Gewere, zugeschrieben werden: factische und juristische Gewere finden in der Idee der Vertretung der Sache vor Gericht ihren Vereinigungspunkt. Auf dieser Grundlage, die die begrifflichen Auseinandersetzungen des ersten allgemeinen Theiles herzustellen bestimmt sind, wird in dem zweiten besonderen Theile, in dem die Frage gestellt wird: wem kommt die Gewere zu? das gesammte Sachenrecht einer eindringenden Musterung unterzogen: Pfandrecht, Rentenkauf, Erbvertrag, Leibgeding, Treuhand, Vormundschaft, die Gewere zu Lehn- und zu Hofrecht werden abgehandelt.

Fragen wir nun, worin die epochemachende Bedeutung des Buches, sein ungemein weitreichender Einfluß begründet gewesen ist, so läßt sich nicht leicht eine kurze Antwort finden. Die Thatsache seines außergewöhnlichen Einflusses steht fest; noch 1872 konnte Heusler in dem Vorwort zu seiner Gewere sagen, Albrecht’s merkwürdiges Buch übe bis auf den heutigen Tag einen räthselvollen Zauber und eine geheimnißvolle Macht aus. Von bestrickender äußerer Form etwa kann dieser Zauber nicht ausgegangen sein; denn wie alles, was A. geschrieben hat, ist das Werk schwer zu lesen; der höchst gedrängte, man kann sagen unanschauliche Stil stellt an den Leser große Anforderungen; Heinze erzählt, daß A. später selbst von dem „abstrusen Buch“ gesprochen und die Studirenden vor seiner Lectüre gewarnt habe. Aber auch die Methode der Untersuchung erscheint keineswegs einwandsfrei; vor allem auffallend ist die völlige Vernachlässigung des historischen Gesichtspunktes; wie das ausgebildete Recht des Mittelalters geworden ist, bleibt völlig unberücksichtigt, die in den Kreis der Untersuchung einbezogenen Quellenstellen werden etwa wie die Bestimmungen einer einheitlichen Codification rein dogmatisch in Zusammenhang gesetzt. In dieser Beziehung bezeichnete die nächste größere germanistische Monographie, Beseler’s Erbverträge, einen gewaltigen Fortschritt. Und endlich waren [748] auch die Ergebnisse Albrecht’s keineswegs befriedigend; das Künstliche seiner Construction konnte nicht lange verborgen bleiben; manche Grundstützen seiner Lehre mußten sich als verkehrt erweisen, wie z. B. die völlige Identificirung von Mobiliar- und Immobiliarsachenrecht. Demnach kann, wie das z. B. Georg Beseler schon 1838 hervorgehoben hat, die Bedeutung des Buches nur darin gelegen haben, daß es zum ersten Mal durch sein praktisches Beispiel zeigte, daß auch das rein deutsche Recht juristisch-dogmatischer Behandlung zugänglich sei, daß es nicht als „ein Aggregat wunderlicher vereinzelter Bestimmungen, sondern als ein organisches, eng verbundenes Ganze“ aufgefaßt werden müsse. Erst mit Albrecht’s Gewere war die civilistische Gleichwerthigkeit des deutschen Privatrechts mit dem römischen und gemeinen Recht nachgewiesen. Damit steckte A. durch sein Buch der germanistischen Wissenschaft auf dem Gebiet des Privatrechts zum ersten Mal das Ziel; und wenn sich auch herausstellte; daß er selbst im Streben nach ihm vielfach geirrt hatte, der Ehrgeiz war geweckt, der Maßstab war gefunden, und die zahlreichen nachfolgenden Bearbeitungen des alten deutschen Besitzrechts haben gezeigt, daß, wie Gierke sagt, kein anderer Weg zum Ziele führe als der, den A. betrat, indem er einen zugleich selbstständigen und einheitlichen Gewerebegriff suchte.

Nach dem Jahre 1828 hat A. nichts mehr veröffentlicht. Er trug sich eine Zeit lang mit dem Gedanken, ein Werk über die Vogtei als Gegenstück zu seiner Gewere auszuarbeiten; aber er kam nicht zur Ausführung; ebenso blieben andere Pläne in den ersten Stadien der Vorbereitung stecken. Nur einige Recensionen zeigten dem weiteren Publicum, wie er im stillen in seiner Wissenschaft fortarbeitete; zumal die Besprechungen von Sydow’s Erbrecht des Sachsenspiegels, von Duncker’s Reallasten, von Beseler’s Erbverträgen sind ausgeführte kritische Abhandlungen von großem Werth. Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, den Mann, der sich mit einem Schlage durch eine allgemein als meisterhaft anerkannte Jugendschrift in die vorderste Reihe der Fachgenossen gestellt hat, von dem Augenblick ihrer Veröffentlichung an fast vollkommen verstummen zu sehen. Man wird sicherlich den tiefsten Grund für diese auffallende Erscheinung in seiner eigenartigen Persönlichkeit zu suchen haben. Es lag etwas Aengstliches in seiner Natur, eine mit den Jahren zunehmende und zuletzt jede Lust am Produciren ertödtende Scheu vor der Formulirung fertiger Ergebnisse; Kränklichkeit und ein nicht zu verkennender Hang zur Bequemlichkeit steigerten diese in Schwäche ausartende Neigung zur Selbstkritik. Aber man wird Konrad Maurer Recht geben, wenn er daneben auch das Gebiet und den Zustand der von A. litterarisch betriebenen Studien zur Erklärung heranzieht. A. mußte selbst erkennen, daß die in der Gewere gehandhabte Methode den seiner Wissenschaft zunächst obliegenden Aufgaben nicht gewachsen war. Seine dogmatische Begabung wäre an ihrem richtigen Platze gewesen, wenn er „an den letzten Ausbau seiner Wissenschaft die kunstsinnige, zugleich vertiefende und fein ausschleifende Hand“ hätte legen können; er kam zu früh, er kam in eine Zeit, da „diese Wissenschaft der Förderung der rohen Erze, ihres Ausschmelzens und schwerer Schmiedearbeit bedurfte“ (Maurer); das massenhaft zuströmende neue Material verlangte vor allem historisch geordnet und entwickelt zu werden; der Dogmatiker, der sich nicht auf historisch gesichteten Stoff stützen konnte, mußte erkennen, daß er vergeblich arbeite; viel längere Dauer versprach das umgekehrte Verfahren, bloße Zusammenstellung historischen Stoffes unter Verzicht auf jede Construction, wie die fast gleichzeitig mit Albrecht’s Gewere entstandenen Grimmschen Rechtsalterthümer zeigen. So verzichtete denn A. völlig auf die eigne Production; er mochte ein Gefühl von der vorläufigen Vergeblichkeit seines Bemühens haben und seine einmal befolgte Methode zu ändern, sich in neue [749] Quellengebiete einzuarbeiten, war er nicht elastisch genug. Neidlos überließ er die Fortführung der Forschung anderen, jüngeren Kräften; ja ohne jede Empfindlichkeit sah er es mit an, wie sein kunstvoller Bau erst durch Stobbe an entscheidenden Stellen angegriffen, dann durch Laband und Heusler in seinen Grundfesten erschüttert wurde; er schrieb an Heusler, daß, wenn durch dessen Buch seiner Lehre der Todesstoß gegeben würde, ihn das keineswegs verletzt oder auch nur überrascht habe; „ich selbst bin schon seit langer Zeit an der in meinem Buche niedergelegten Ansicht irre geworden; daher hat Ihr Buch an mir einen ganz unbefangenen Leser gefunden und ich in ihm eine rechtshistorische Leistung ersten Ranges“.

So ging denn A. völlig in seiner Lehrthätigkeit auf. Und alle Zeugnisse von ihr lassen erkennen, daß sie eine höchst bedeutende und einflußreiche gewesen ist; in Göttingen, wo man stark zweifelte, ob er Eichhorn würde ersetzen können, wurde er bald im allgemeinen Urtheil noch über seinen Vorgänger gestellt; in Leipzig gehörte er zu den beliebtesten Lehrern. Zwar war er nichts weniger als ein glänzender Docent; er legte nicht das geringste Gewicht auf den Vortrag, sprach mit dünner, anfangs nicht leicht verständlicher Stimme; er dictirte „wortwörtlich ein kunstvoll ausgearbeitetes Heft“ und gab dazu einen fortlaufenden Commentar; dabei verschmähte er es, irgendwie durch Herabsteigen von der Höhe strengster, volle Aufmerksamkeit erfordernder Sachlichkeit den Hörern entgegenzukommen, in Detail ließ er sich nicht ein, nicht einmal Hinweise auf Litteratur und Quellen zu geben hielt er der Mühe werth; Uebungen hielt er niemals ab. Was aber seinen Vorlesungen einen so eigenartigen Zauber, eine so große Bedeutung für die Ausbildung seiner Schüler verlieh, das war das Beispiel schärfster Gedankenthätigkeit, das er in seinem Vortrag gab. Wie Maurer es rühmt: man lernte in unübertrefflicher Weise, indem man seinen Worten folgte, juristisch denken und construiren, man wurde auf die beherrschenden Principien hingewiesen, man erkannte, was die Systematik, was folgerichtige logische Gedankenarbeit für die Jurisprudenz bedeutet. Besonders wirksam müssen diese Eigenschaften seines Vortrages in den Vorlesungen über Staatsrecht hervorgetreten sein, obwohl er auch hier die ihm so nahe liegende Ausschmückung mit Bemerkungen persönlicher Art streng vermied; niemals hat er im Colleg von seinen Göttinger Erlebnissen gesprochen. Aber wenn er auch davon schwieg, er wirkte vor allem doch auch auf dem Katheder durch dieselben Eigenschaften, die ihn in seinem öffentlichen Auftreten leiteten und ihn in seiner politischen Thätigkeit nach Maurer’s schönem Wort durchaus unpolitisch handeln ließen: durch das imponirende Beispiel wissenschaftlicher Sittlichkeit und Rechtschaffenheit, vollendeter Selbstlosigkeit, unbeugsamen Rechtsgefühls.

Schriften: „Doctrinae de probationibus secundum jus Germanicum medii aevi adumbratio“ (Pars Prima. Regimonti 1825. Pars secunda 1827); „Die Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts“ (Königsberg 1828); „Die Protestation und Entlassung der sieben Göttinger Professoren“ (herausgegeben von Dahlmann, Leipzig 1838). Recensionen (verzeichnet von Stobbe): über „v. Sydow, Erbrecht des Sachsenspiegels“ (Berliner Jahrbücher f. wiss. Kritik 1830, 502–515); „Maurenbrecher, Grundzüge des deutschen Staatsrechts“ (Gött. gel. Anz. 1837, 1489–1504); „Duncker, Reallasten“ (Richter und Schneider’s Jahrbücher 1839, 302–324); „Beseler, Erbverträge“ (ebd. 1842, 321–353); „Schulze, Recht der Erstgeburt“ (Litterar. Centralblatt 1851, 673); „Marquardsen, Haft und Bürgschaft bei den Angelsachsen“ (ebd. 1852, 686); „Arnold, Geschichte der deutschen Freistädte“ (Schletter’s Jahrbücher 1855, 330).

[750] Stobbe, Wilhelm Eduard Albrecht, Im neuen Reich. 1876, II, 10–26, 41–55. – Heinze, Augsburger Allgemeine Zeitung 1876, Nr. 155. – Konrad Maurer, Münchener Kritische Vierteljahrsschrift XIX, 1877, 181 bis 189. – Leipziger Illustrirte Zeitung 24. Juni 1876 Nr. 1721 (mit Porträt). – Teichmann in Holtzendorff’s Rechtslexikon I³ (1880), 72, 73. – G. Beseler, Zur Beurtheilung der sieben Göttinger Professoren und ihrer Sache. In Briefen. Rostock 1838, 26–32. – Die sieben Göttinger Professoren nach ihrem Leben und Wirken, Braunschweig 1838, 19–24. – Die Universität Göttingen (Dr. Oppermann), Leipzig 1842, 102. – Gareis, Joh. Mich. Franz Birnbaum, Gießen 1878, 42, 43.