ADB:Bartsch, Karl

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Artikel „Bartsch, Karl“ von Wolfgang Golther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 749–752, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bartsch,_Karl&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:09 Uhr UTC)
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Bartsch *): Karl Friedrich Adolf Konrad B., Germanist und Romanist, wurde am 25. Februar 1832 in Sprottau am Bober geboren. Sein Vater, 1816–1820 Artillerieofficier, ein energischer, leidenschaftlicher Mann, war hernach im Vermessungs- und Steuerdienst beschäftigt; er starb 1839 in Gleiwitz, wohin die Familie 1837 übergesiedelt war. Trotz der beschränkten Mittel gab die Mutter, eine geborene Friederike v. Winterfeld, den Kindern eine sorgfältige Erziehung. Karl, ein arbeitsamer, fleißiger Knabe von unbezähmbarer Lesesucht, kam 1842 zu Gleiwitz ins katholische Gymnasium, wo leerer, trockener Formelgeist herrschte, aber den Schülern doch viel Zeit und Freiheit zu eigener Beschäftigung blieb. Die Vorstellungen einer Wandertruppe erregten Karl’s Einbildungskraft zu eigenen poetischen Versuchen. 1846 kam er aufs Gymnasium nach Breslau, wo ein besserer Geist wehte als in der Gleiwitzer katholischen Anstalt. 1847 schrieb B. ein Schauspiel „Wilhelm von Oranse“ nach Wolfram, ein Beweis seiner Beschäftigung mit altdeutschen Stoffen. Aber mit Vorliebe wandte er sich den griechischen und römischen Dichtern zu und übte sich in Uebersetzungen und eigenen Dichtungen. Im Herbst 1849 bestand er die Reifeprüfung und bezog die Breslauer Hochschule, um classische Philologie zu studiren. Bei Weinhold hörte er auch germanistische Vorlesungen. Neben eifrigen Fachstudien fuhr er immer noch fort, eifrig zu dichten, u. a. auch ein Tannhäuserdrama. Die altdeutschen Studien traten trotz Weinhold’s Abrathen allmählich in den Vordergrund. Im Sommersemester 1851 ging er nach Berlin, um Lachmann zu hören. Aber der war am 13. März gestorben und so fand er eigentlich nur bei Wilhelm Grimm Anregung. Dafür hörte er bei Steinthal provenzalisch und bei Aufrecht[WS 1] angelsächsisch und altnordisch. Unter Mahn’s Leitung begann er seine Troubadourstudien. Das Berliner Hoftheater zog ihn durch Classikervorstellungen mächtig an. Im Sommer 1853 promovirte er in Halle über Otfried’s Metrik. Nach der Promotion reiste B. nach Paris, London und Oxford, um auf den Bibliotheken Troubadourtexte abzuschreiben. Den Winter 1853/54 weilte er in Breslau. Im Frühling ging er nach Berlin, um – Schauspieler zu werden, ließ sich aber noch rechtzeitig abrathen. 1854/55 verbrachte er als Gesellschafter bei Frhrn. v. d. Leyen auf der Leyenburg bei Crefeld. Im Herbst 1855 kam er als Custos an die Bibliothek des Germanischen Museums in Nürnberg, wo er mit Barack zusammentraf. Nun beginnt die außergewöhnlich fruchtbare schriftstellerische Thätigkeit auf germanischem und romanischem Gebiet mit des Strickers Karl und dem provenzalischen Lesebuch. Zu Ostern 1858 wurde B., der sich in Nürnberg verheirathet hatte, nach Rostock berufen, wo er bis Ostern 1871 als Germanist und Romanist Vorlesungen hielt und am 11. Juni 1858 das erste germanistische Seminar in Deutschland begründete. Zwei Mal wurde B. zum Rector gewählt und durfte am 12. März 1867 die Festrede zur Grundsteinlegung der neuen Universität halten. Zu seinen Vorlesungen fanden sich freilich in Rostock nur wenig Hörer, aber im Seminar war ihm erfreuliche Thätigkeit beschieden. Seine Forscherthätigkeit erhebt sich in den Rostocker Jahren zur höchsten Blüthe. Auf mehreren Studienreisen gewann er die Materialien zu seinen weitausholenden Arbeiten. 1871 wurde B., ebenfalls als Germanist und Romanist, auf Holtzmann’s Lehrstuhl nach Heidelberg berufen, wo ihm eine umfangreichere und erfreulichere Lehrthätigkeit, die Wirkung auf einen großen Zuhörerkreis beschieden war. 1873 eröffnete er hier das germanisch-romanische Seminar. Auch in Heidelberg war er 1881/82 [750] Prorector. Seine wissenschaftliche Thätigkeit nahm trotz der gesteigerten Anforderungen des Lehramts ungehemmten Fortgang. Seit Sommer 1886 begann er zu kränkeln und mußte mehrmals südliche Luftcurorte aufsuchen. Aber seine rastlose Thätigkeit erlosch trotzdem nicht. Bis in die letzten Tage arbeitete er durch. Am 19. Februar 1888 Nachmittags starb er, sechs Tage vor seinem 56. Geburtstag.

Bartschens Thätigkeit ist durch die Vereinigung germanistischer und romanistischer Wissenschaft ausgezeichnet. Er bewährte sich vornehmlich als Herausgeber von Texten, denen umfassende litterargeschichtliche Einleitungen und Untersuchungen beigefügt waren. Bei den altdeutschen Texten verfuhr er metrisch und sprachlich in Einzelheiten anders als Lachmann und gerieth dadurch wie auch in der Nibelungenfrage in Zwist mit der Berliner Schule. B. schrieb gemeinverständlich, aber nicht wie zuweilen Pfeiffer mit Rücksicht auf unwissenschaftliche Leser. Immerhin ergab sich auch hieraus ein Gegensatz zu den wissenschaftlichen Ausgaben der älteren Lachmann’schen Schule, die nur für die engste Zunft berechnet waren. Wenn in den unzähligen Ausgaben und Abhandlungen, die B. veröffentlichte, manche Versehen und Flüchtigkeiten mit unterliefen, so dürfen daraus keine ungerechten und übertriebenen Vorwürfe gegen seine im ganzen doch höchst fruchtbare und ergebnißreiche Forscherthätigkeit erhoben werden.

Zuerst erschienen von mhd. Texten Stricker’s Karl 1857, die Erlösung 1858, Berthold von Holle 1858; dann in Rostock Mitteldeutsche Gedichte 1860, Albrecht von Halberstadt und Ovid 1861, Meleranz 1861, über Karlmeinet 1861, Meisterlieder der Kolmarer Handschrift 1862, deutsche Liederdichter des 12.–14. Jhdts. 1864, Untersuchungen über das Nibelungenlied 1865, die lateinischen Sequenzen des Mittelalters 1868, Herzog Ernst 1869; für Pfeiffer’s deutsche Classiker des Mittelalters Kudrun 1865, Nibelungenlied 1866, Wolfram’s Parzival und Titurel 1870/71. Die letztgenannten Ausgaben wurden wie auch die Liederdichter mehrmals aufgelegt. Von 1869 bis 1887 leitete B. die Germania, wozu er viele Aufsätze und umfangreiche bibliographische Jahresberichte beisteuerte. Auch in Heidelberg erlahmte die bewundernswerthe schriftstellerische Fruchtbarkeit nicht: Reinfried von Braunschweig 1871; Konrad von Würzburg 1871; Rolandslied 1874; der Nibelunge Not: Text 1870, Lesarten 1876, Wörterbuch 1880; die Klage 1875; Walther von der Vogelweide (Schulausgabe) 1875; Demantin von Berthold von Holle 1875; Anmerkungen zu Konrad’s Trojanerkrieg 1877; Hugo von Montfort 1879; Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg 1879/80; Ditfurth’s historisch-politische Volkslieder des 30jährigen Krieges 1882; die Schweizer Minnesänger 1886; die altdeutschen Handschriften der Universitätsbibliothek in Heidelberg 1886; Beiträge zur Quellenkunde der altdeutschen Litteratur 1886. Es sind dies lauter Bücher von mehreren hundert Seiten; und von den vielen Aufsätzen und Vorträgen, die daneben herlaufen, gibt der 1881 erschienene Sammelband nur einen kleinen Theil. Zu all dem hatte B. die Neubearbeitungen der Litteraturgeschichten von Gervinus (1871–74) und Koberstein (1872–73) übernommen.

Die gleichmäßige Beherrschung der romanischen und germanischen Philologie kam vornehmlich den Untersuchungen über die mhd. Liederdichter, übers Rolandslied und den Parzival zu gut. Ein Beispiel vergleichender Litteraturgeschichte ist die Abhandlung über Ovid im Mittelalter.

Am werthvollsten sind die Untersuchungen übers Nibelungenlied. Den Streit zwischen Lachmann’s A und Holtzmann-Zarncke’s C entschied B. dahin, daß die Urschrift weder hier noch dort liege, vielmehr verloren sei. Aus dieser [751] Urschrift flossen zwei Bearbeitungen, der Nibelunge Not (B und A) und der Nibelunge Lied (C); B wahrt den Urtext am besten, A hat viele willkürliche Aenderungen. Vom Original glaubte B., es sei vor Heinrich von Veldeke in Assonanzen gewesen und hernach in reine Reime umgesetzt worden. Die rechte Lesart sei einmal in B, das andere Mal in C bewahrt. B. übertrug also Ansichten, die sich ihm aus den Untersuchungen über andere in mehreren Bearbeitungen vorliegende mhd. Gedichte des 12./13. Jhds. ergeben hatten, in scharfsinniger Weise aufs Nibelungenlied. Seine Meinung über das Original in Assonanzen, als dessen Verfasser der Kürenberger vermuthet wurde, fand keine dauernde Zustimmung. Aber daß der von B. auf B begründete Text dem Wortlaut der Urschrift sehr nahe, mindestens viel näher als A und C steht, wird immer mehr erkannt. Die Untersuchungen führten auch zu metrischen Ergebnissen, die Lachmann in Einzelheiten berichtigten.

B. war ein gründlicher Kenner altdeutscher Handschriften und bewährte diese Kenntnisse in vielen förderlichen und selbständigen Kritiken von Textausgaben anderer Forscher.

Die romanistische Thätigkeit Bartschens umfaßt wie die germanistische Textausgaben, Textkritik, Litteraturgeschichte und Metrik. B. plante, angeregt durch die Werke von Diez und durch den Umgang mit Mahn in Berlin (1851/53) eine kritische Gesammtausgabe aller Troubadourbiographien und Dichtungen. 1855 erschien das provenzalische Lesebuch, 1856 folgten die Denkmäler der provenzalischen Litteratur und 1857 Peire Vidal’s Lieder. Dadurch wurde das Studium des Provenzalischen in Deutschland aufs glücklichste angeregt. Zugleich führte B. zum ersten Mal feste kritische Grundsätze für Ausgaben romanischer Texte durch. Aus dem Lesebuch entstanden später zwei ganz neue und selbständige Werke: die „Chrestomathie provençale“ 1868 und der „Grundriß zur Geschichte der provenzalischen Literatur“ 1872. Trotz mancher Flüchtigkeiten gehören beide Bücher zu den nützlichsten und förderlichsten der romanischen Philologie. Durch zahlreiche kleinere Beiträge, durch Aufsätze und Anzeigen erweiterte und vertiefte er die provenzalische Forschung. Fürs Altfranzösische verfaßte er eine „Chrestomathie de l’ancien français (VIII–XVe siècle)“, zuerst 1866, in fünfter Auflage 1884 erschienen. Eine zweite, noch bessere Sammlung afz. Texte kam 1887 heraus: „La langue et la littérature françaises depuis le IXème siècle jusqu’au XIVème siècle“. Die Auswahl ist geschickt getroffen, Wörterbuch und Grammatik, d. h. Formenverzeichniß sind ausreichend. An diesem Buche haben wol die meisten Romanisten eine Zeit lang einen zuverlässigen Führer und Lehrmeister gefunden. 1870 gab B. die altfranzösischen Romanzen und Pastourellen heraus. Die Liederdichtung der Süd- und Nordfranzosen zog ihn also besonders an und darüber handeln auch die meisten seiner Aufsätze. Ich hebe daraus besonders die Abhandlung über romanische und deutsche Tagelieder hervor (1865), aus der Bartschens vergleichende Litteraturforschung und seine Begabung für poetische Uebertragung alter Gedichte ins Neuhochdeutsche zu erkennen ist. Auch seine Dante-Uebersetzung (1877) und seine alten französischen Volkslieder (1882) zeichnen sich durch genauen Anschluß an die Originale und gewandte Form aus.

B. lebte und wirkte in einer Zeit, da die germanische Philologie noch in Schulen zerfiel und wo persönliche Anfeindung und Befehdung an der Tagesordnung waren. So wurde von gegnerischer Seite der beispiellos fruchtbare und emsige Forscher oft verkannt. Die Geschichte unserer Wissenschaft räumt aber auch Karl Bartsch den wohlverdienten Ehrenplatz ein. Die Arbeiten des rastlos thätigen Mannes bedeuten auch dort, wo sie überholt werden, eine kräftige Förderung und sein Name bleibt mit der Erforschung [752] zahlreicher deutscher und romanischer Denkmäler des Mittelalters für immer verknüpft.

Vgl. Bartsch, Aus der Kinderzeit (Gesammelte Vorträge u. Aufsätze, 1883). – Friedrich Meyer von Waldeck, Allgem. Zeitung 1888, Nr. 71, 75, 80, 83. – v. Bahder, Zeitschr. f. deutsche Philologie 21, 466 ff. – K. J. Schröer, R. Bechstein, G. Ehrismann, Fritz Neumann, Germania 33, 59 ff. – Kürzere Nachrufe brachten das Literaturblatt f. germ. u. rom. Philologie 9, Nr. 3; die Lpz. Illustr. Ztg. 90, S. 202; W. Bartels, Neuphilol. Centralbl. 2, Nr. 4; A. Jeitteles, Unsere Zeit 1888, Heft III.

[749] *) Zu Bd. XLVI, S. 225.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Theodor Aufrecht (1822–1907).