ADB:Canstein, Karl Freiherr von

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Artikel „Canstein, Karl Hildebrand Freiherr von und zu“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 764–765, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Canstein,_Karl_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 11:36 Uhr UTC)
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Canstein: Karl Hildebrand Freiherr von und zu C., der Freund Spener’s und Gründer der Bibelanstalt, geb. 4. Aug. 1667 (a. St.[WS 1]), † 19. Aug. 1719 in Berlin. Einem der ältesten Adelsgeschlechter Westfalens entstammt, geboren auf dem väterlichen Gute Lindenberg bei Fürstenwalde in der Mark, Sohn des frommen und gelehrten, besonders auch theologisch gebildeten brandenburgischen Geheimraths und Obermarschalls Raban v. C., wurde er nach des Vaters frühem Tod (1680) von seiner Mutter und seinen Vormunden (unter denen ein Herr v. Bismark und v. Jagow) in dem frommen und strengen Geist erzogen, der damals in so vielen deutschen Adelsfamilien der herrschende war, widmete sich 1683–86 auf der Universität Frankfurt a/O. besonders unter Samuel Stryk dem Studium der Rechte, promovirte 1685 mit einer Abhandlung: „De usu et auctoritate juris Romani etc.“ und machte dann mit seinem Bruder Philipp Ludwig eine längere Reise durch Deutschland, Frankreich, Holland, England und Italien. Nach dem Tode des großen Kurfürsten, 1688, nach Hause zurückgekehrt, wurde er 1689 von Kurfürst Friedrich III. zum Kammerjunker ernannt, nahm aber, von dem Ton des Hoflebens abgestoßen, bald seinen Abschied und ging 1692 als Volontär zu den brandenburgischen Truppen nach Brabant, um eine Campagne gegen Frankreich mitzumachen. Zu Brüssel lebensgefährlich erkrankt, that er das Gelübde, im Fall seiner Genesung sein ganzes Leben dem Dienste Gottes zu weihen. Er kehrte nach Berlin zurück, trat in den Privatstand und lebte, im Besitz eines nicht unbedeutenden Vermögens, still und zurückgezogen von der Welt, aber im lebhaften persönlichen und brieflichen Verkehr mit gleichgesinnten Freunden (v. Natzmer, v. Canitz u. A.) und in eifriger Thätigkeit für Zwecke der Wohlthätigkeit und Förderung des Reiches Gottes, seit 1707 mit einem Fräulein Bertha v. Krosigk in kinderloser Ehe verheirathet. Den Tod dieser Gattin († 1718) überlebte er selbst nicht lange: von einer Reise nach seinem Stammgut Canstein in Westfalen krank zurückgekehrt, starb er am 19. Aug. 1719. – Epochemachend für sein inneres Leben wurde seine, wahrscheinlich vom J. 1694 datirende Bekanntschaft mit dem Propst in Berlin, Philipp Jakob Spener, dem Vater des Pietismus, sowie mit dessen Schülern und Freunden Hermann August Francke, Schade, J. Lange, Porst, Breithaupt u. A., mit denen er von jetzt an in ununterbrochenem Verkehr blieb. Hierdurch erhielt seine von seinen frommen Eltern ihm eingepflanzte, durch die Erfahrungen seines Lebens befestigte Frömmigkeit nun erst ihre bestimmtere Färbung und Richtung im Sinne des norddeutschen Pietismus und seine Wirksamkeit ihre praktischen Ziele. Nach Spener’s Tod (5. Febr. 1705), den C. als Augenzeuge beschrieben hat, trat er an die Spitze der pietistischen Kreise in Berlin, gab einen Theil von Spener’s Nachlaß heraus (unter dem Titel: „Letzte theologische Bedenken“, Halle 1711 nebst einer von C. verfaßten Lebensbeschreibung Spener’s) und ließ sich insbesondere die Förderung der frommen Stiftungen Francke’s in Halle (des Waisenhauses, der Buchdruckerei, des Pädagogiums, wo er auch seinen Verwandten, den jungen Grafen von Zinzendorf unterbrachte), mit Rath und That und besonders auch mit bedeutenden Geldopfern ernstlich angelegen sein. Vor Allem aber wandte er sich nun mit allem Eifer der Beschäftigung mit der heiligen Schrift zu: die Frucht derselben war theils eine litterarische Arbeit über die evangelische Geschichte, die ihn sieben Jahr lang beschäftigte („Harmonie und Auslegung der hl. vier Evangelisten“, Halle 1718 in 2 Foliobänden erschienen, 2. Aufl. ebend. 1727), theils aber dasjenige praktische Unternehmen, wodurch er sich das größte Verdienst und den dauerndsten Nachruhm [765] erworben hat – die Gründung der sogenannten Halle’schen oder Canstein’schen Bibelanstalt. Beseelt von dem Wunsch, die hl. Schrift dem christlichen Volk und besonders den Armen um einen möglichst geringen Preis in die Hände zu bringen, entwickelte er zuerst im J. 1710 in einer kleinen Flugschrift seinen Plan, durch Anwendung stehender Lettern, Ausschluß aller Speculation und Sammlung freiwilliger Beiträge einen möglichst correcten Druck des N. T. zu 2 Ggr., der ganzen Bibel zu 6 Ggr.[WS 2] herzustellen. Der Plan fand Beifall, zahlreiche Beiträge gingen ein und so konnte schon 1712 die erste Duodez-Ausgabe des N. T., 1713 die erste Gesammtausgabe der Bibel in gr. 8° erscheinen, woran dann eine ganze Reihe von weiteren, genau übereinstimmenden Ausgaben in verschiedenen Formaten, 12°, 8°, 4°, Folio, folgten. Er selbst hatte noch die Freude, die Herstellung und Bearbeitung von c. 100000 Exemplaren des N. T., von c. 40000 Exemplaren der ganzen Bibel zu erleben. Nach seinem Tod übernahm, zufolge seines testamentarischen Wunsches, die Direction des Waisenhauses in Halle, das er zugleich zu seinem Universalerben einsetzte, die Weiterführung des Werkes, das später (s. 1775) den Namen der „Canstein’schen Bibelanstalt“ erhielt und seither durch verschiedene Verbesserungen und Erweiterungen eine immer ausgedehntere und segensreichere Wirksamkeit erlangt hat, sodaß die Zahl der von der Canstein’schen Bibelanstalt und Bibeldruckerei verbreiteten Exemplare der hl. Schrift bis heute auf mehr als 6 Millionen sich berechnet.

Biographische Nachrichten über K. H. v. Canstein gibt zuerst Porst im Anhang seiner Leichenrede, Berlin 1719; dann A. H. Francke, Memoria Cansteiniana, 1722; Joachim Lange in seiner Ausgabe der Canstein’schen Biographie von Spener, 1740; Arnold in Herzog’s Theol. Real-Enc., 1854; besonders aber C. H. C. Plath, Halle 1861 mit Benutzung handschriftlicher Quellen, besonders der zahlreichen, auf der Waisenhausbibliothek in Halle befindlichen Correspondenz und Bibliothek des Freiherrn. Eine Geschichte und Beschreibung der Canstein’schen Bibelanstalt hat zuerst Aug. Hermann Niemeyer, Halle 1817, neuerdings O. Bertram, Halle 1863 gegeben.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. a. St.: „alten Stils“. Die gregorianische Kalenderreform von 1582, die zehn Tage übersprang, wurde in den protestantischen Teilen Deutschlands zum Teil erst 1700 eingeführt.
  2. Ggr.: Gutegroschen.