ADB:Chodowiecki, Daniel

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Artikel „Chodowiecki, Daniel“ von Alfred Woltmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 132–135, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Chodowiecki,_Daniel&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:14 Uhr UTC)
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Chodowiecki: Daniel Nikolaus Ch., geb. 16. Oct. 1726 zu Danzig, † 7. Febr. 1801, Maler und Kupferstecher, ist einer der interessantesten deutschen Künstler in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, namentlich im Sittenbilde höchst originell, der erste Schilderer des bürgerlichen Lebens seiner Epoche. Sein [133] Vater war Kornhändler, aber zugleich Dilettant im Zeichnen, und gab ihm wie seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Gottfried in den Mußestunden Unterricht. Als der Vater 1740 starb, kam Gottfried nach Berlin, Daniel genoß weiteren künstlerischen Unterricht von einer Schwester seiner Mutter, die in Email arbeitete, und später begann er mit Feder und Tusche Kupferstiche nach Marten de Vos, Bloemart, Callot, Lancret, Watteau zu copiren. Aber er sollte Kaufmann werden, kam zu einer Wittwe, die einen Spezereiladen hatte, und wurde erst frei, als dieses Geschäft zu Grunde ging. Er hatte unterdessen das Zeichnen nicht vernachlässigt, das, was das tägliche Leben seiner Beobachtung darbot, festzuhalten gesucht, aber in dieser Zeit doch keine Fortschritte gemacht. Im J. 1743 kam er in das Geschäft seines Onkels Ayrer nach Berlin, erfüllte die Pflichten des kaufmännischen Berufes, aber bildete daneben sein künstlerisches Talent weiter, namentlich unter der Leitung eines Malers Haid, Schülers von G. Ph. Rugendas. Erst 1754 gab er den Kaufmannsberuf ganz auf. Es eröffneten sich ihm Beziehungen zu angesehenen Malern, Pesne, Lesueur, dem Radirer Meil und Rode. Da die Akademie ganz herabgekommen war, hatte letzterer ein Privatatelier errichtet, in dem Abends nach dem Modell gezeichnet wurde. Ch. war ein eifriger Theilnehmer, suchte nach Kräften seine unzusammenhängende Kunstbildung zu ergänzen, machte die ersten Versuche in der Oelmalerei und (schon 1754) im Radiren. Im J. 1755 verheirathete er sich mit Jeanne Barez, der Tochter eines Goldstickers in Berlin.

Oelgemälde von seiner Hand sind in öffentlichen Sammlungen nicht häufig. Zwei Bilder, junge Welt bei gesellschaftlichen Spielen im freien, besitzt das Berliner Museum; sie sind dem Gegenstande wie der Behandlung nach von französischen Bildern der Rococoperiode beeinflußt. Ein sehr anmuthiges und in der Beleuchtung treffliches Bildchen, eine Nähschule bei Kerzenlicht, besitzt der Unterstaatssecretär z. D. v. Gruner in Berlin. In Email malte er namentlich in früherer Zeit Dosen, Porträte, auch größere Compositionen. Eine Passionsfolge befindet sich bei Professor E. du Bois-Reymond in Berlin, einem Nachkommen des Künstlers. Sein eigentliches Feld aber fand er erst, als er sich in Handhabung der Radirnadel mehr vervollkommnet hatte. Er begann damit, Gestalten aus der nächsten Umgebung festzuhalten, einen krummbeinigem Würfelspieler, der sich in Berliner Wirthshäusern herumtrieb, Bettelbuben, Soldatenweiber, einen kleinen Bratenwender, das Gefolge der türkischen Gesandtschaft, russische Gefangene aus der Zeit des siebenjährigen Krieges, dann, in Zeichnung wie in Stich, besonders häufig Gruppen aus dem eigenen Familienleben, endlich Friedrich den Großen zu Pferde (1758), ein höchst charakteristisches Bildniß des Monarchen. Den ersten durchschlagenden Erfolg hatte Ch. 1767, als er eine größere Platte begann: den Abschied des Calas von seiner Familie. Ein französischer Kupferstich, diese Scene darstellend, war ihm in die Hand gefallen, er copirte ihn in Oel (Berliner Museum) und begann dann die Composition neu und besser durchzuarbeiten und zu stechen. Die Calas-Tragödie und die Revision des Processes auf Voltaire’s Veranlassung waren noch im Gedächtniß des Publicums, der Gegenstand wie die glückliche Auffassung ließen Ch. mit diesem Blatte Eindruck machen. Von nun an wurden die Aufträge immer häufiger. Für die Akademie der Künste, deren Mitglied er seit 1764 war, für einheimische und auswärtige Buchhändler fertigte er Stiche. Seine Productivität war eine staunenswerthe, das Verzeichniß der Stiche im Werke von Engelmann weist 950 Nummern auf, häufig gehen aber ganze Folgen, bis zu 12 Blatt, auf Eine Nummer. Gewöhnlich bewegt C. sich in kleinem Taschenbuchformat, sticht Titelblätter, Vignetten, Illustrationen zu Büchern, Kalenderkupfer. Den Gegenständen nach sind diese Darstellungen höchst verschiedenartig. Biblische und mythologische [134] Figuren von seiner Hand, auch seine mittelalterlichen Ritter, sein Cherusker Hermann, sein Götz von Berlichingen befriedigen uns heut am wenigsten. Bilder von Hamlet, Macbeth, Coriolan, selbst die Falstaffscenen erscheinen uns als Wiedergabe nicht ganz glücklicher Bühnendarstellungen. Vielleicht sind die Blätter zum Gil Blas, namentlich die zarten Bilder ganz kleinen Formates, die einzigen Darstellungen aus anderer Zeit und Sitte, die ganz auf der Höhe des Künstlers stehen. In seiner eigenen Zeit, namentlich im Kleinleben und Familienleben, ist er ganz zu Hause. Er illustrirt eine große Anzahl zeitgenössischer Autoren, Voltaire, Rousseau’s Neue Heloise, die Romane der Engländer Goldsmith, Smollet, Richardson. Diesen hat er die Charaktere der Clarisse und des Lovelace meisterhaft nachempfunden. Illustrationen zu Lessing’s Minna von Barnhelm waren seine ersten Kalenderkupfer (1769). Gellert’s Fabeln, Hippel’s Lebensläufe, Basedow’s Schriften, die heut fast vergessenen Romane Sophiens Reise, Sebaldus Nothanker wurden sein Vorwurf, dann aber auch Goethe’s Werther, Schiller’s Jugendwerke, die Räuber und Cabale und Liebe. Etwas später folgten die Kupfer zu Hermann und Dorothea. In den Bildern zu Iffland’s Jägern trifft er den Ton des bürgerlichen Rührstücks vortrefflich. Minder ist er in der Welt des Landvolkes zu Hause, wie in den Kupfern zu Pestalozzi’s Lienhart und Gertrud. Eigentliche Caricatur ist seltener, aber die Götter und Helden im Hofcostüm Ludwigs XV. zu Blumauer’s travestirter Aeneide sind höchst belustigend. Im Tone Hogarth’s, ohne so schneidig zu sein wie dieser, versucht er sich im „Leben des Lüderlichen“ und im „Leben des schlecht erzogenen Frauenzimmers“. Anspruchsloser, nicht so stark moralisirend und oft allerliebst in Auswahl und Gegenüberstellung der Situationen ist die Folge „Natürliche und affectirte Handlungen des Lebens“; heitere Laune waltet in der Folge der Heirathsanträge. Häufig bildet König Friedrich II. den Gegenstand. Er erscheint in Chodowiecki’s Darstellungen nicht sowol als der große Kriegsheld und Philosoph, als vielmehr in der populären Gestalt des „Alten Fritz“, die in zahlreichen Anekdoten die Hauptrolle spielt. Chodowiecki’s feine Beobachtung und gefällige Auffassung weiblicher Gestalten aus der damaligen Welt, die reizvolle Interieur-Wirkung, die er zu erreichen fähig ist, lernen wir ganz besonders in der Folge „Beschäftigung der Damen“ kennen. Schalkhafte Grazie ist noch mehr sein Element als drollige Laune. Allerliebst sind die Darstellungen der Berliner Moden, der Haartrachten der Damen. Eine Reihe köstlicher Typen marschirt in den Bedientencharakteren, Anfängen eines „Orbis pictus“ vor uns auf. Seine lebhafte Phantasie verkündigt sich in dem Blättchen „La cervelle d’un peintre“, einer Fülle von Gestalten und Gesichtern, wie sie vor dem inneren Auge des Künstlers auftauchen. Die überströmende Einbildungskraft veranlaßte ihn oft, namentlich während der späteren Zeit, „Einfälle“ in den Plattenrand zu ritzen. Diese ganz flüchtig hingehauchten Zuthaten, allerlei Gestalten aus dem Leben, spielende Kinder, Amoretten, Schäfer und Schäferinnen, kleine Landschaften etc., bilden eine werthvolle Eigenthümlichkeit der Probedrucke. Aber auch ein paar größere Blätter zeigen ihn auf seiner Höhe: „Le cabinet d’un peintre“, vorn seine Gattin mit den Kindern, weiter zurück er selbst in Beobachtung dieser Gruppe; ein bewundernswerthes Stimmungsbild, dann die übermüthige „Wallfahrt nach Französisch-Buchholz“. Der taube Antiquar Lippert, der sich mit dem Kupferstecher Zingg unterhält, während hinten Ch. sitzt und beide abzeichnet, ist die Frucht einer Reise nach Dresden. Schon etwas früher (1773) unternahm er eine Reise nach Danzig, um seine Mutter zu besuchen. Er führte ein originelles Reisetagebuch in Zeichnungen, das jetzt auf der Bibliothek der Berliner Kunstakademie zu finden ist. Seine Aufnahme in der Heimath war höchst ehrenvoll, er malte hier viele Miniaturbildnisse und [135] führte während seines Aufenthaltes die Kupfer zum „Lobe der Narrheit“ aus Eine zweite Reise nach Danzig fand nach dem Tode der Mutter 1780 statt. Andere Reisen der folgenden Jahre gingen nie über das nördliche Deutschland hinaus. Sonst führte er eine ruhige, bürgerliche Existenz ohne äußere Schicksale, glücklich und behaglich in seinem Familienleben, voll Unermüdlichkeit bei der Arbeit, die er bis tief in die Nacht und oft selbst bei Krankheitsanfällen nicht ruhen ließ. Er war liebenswürdig, wohlthätig, von aufopfernder Treue gegen die Seinigen, ein gewissenhafter Verwalter seines wohlerworbenen Vermögens. In seinem Hause herrschte ernste religiöse Zucht, er bekleidete Ehrenämter in der französischen Gemeinde, der er durch seine Gattin angehörte. Ch. erlebte noch die Umwälzungen der Sitte und des Geschmacks, welche der französischen Revolution folgten. Seine spätesten Blätter, die Illustrationen von Lafontaine’s Hermann Lange, zu „Luise“ von Voß sind geistreiche Belege für die damaligen Wandlungen der Mode. Die Darstellung der Flucht der Offenbacher nach Hanau (1797) ist eine lebendige Schilderung jener Wirren, welche aus den Revolutionskriegen hervorgingen. Im übrigen blieb Ch. wie er war, von keinen neuen künstlerischen Bewegungen ergriffen, friedlich fortarbeitend auf dem Felde, welches ganz sein eigenes war. Seit 1788 Vicedirector der Berliner Akademie, wurde er, nach dem Ableben Rode’s, 1797 deren wirklicher Director. Er starb 1801 an der Schwelle eines Jahrhunderts, das nicht mehr das seinige war. Sein Bruder, Gottfried Ch. (geb, 1726, † 1781) und sein Sohn, Wilhelm (geb, 1765, † 1805) haben in seinem Stil gearbeitet.

Ch. ist ein unvergleichlicher Schilderer seiner eigenen Welt, vor allem des bürgerlichen Kleinlebens und Familienlebens im nördlichen Deutschland. Die Luft der Aufklärung, der einfachen Vernünftigkeit und Humanität, wie sie in der Zeit Friedrichs des Großen weht, ist auch die seine. Die feine gesellschaftliche Bildung im damaligen Berlin, zumal in den Kreisen der französischen Colonie, dann namentlich auch die Empfindsamkeit der Epoche treten uns in seinen Figuren entgegen. Die Richtung auf das Wirkliche und Gegenwärtige, auf die Verwerthung des eigenen Lebens, wie sie in der damaligen Litteratur, bei den englischen Romandichtern, bei Diderot und Lessing auftritt, ist auch für seine künstlerische Auffassung bestimmend. Oft wird bei ihm ein moralisirender Ton angeschlagen, aber das ist eher ein Fehler der Zeit als der Persönlichkeit. Jedenfalls ist er niemals so tendentiös und lehrhaft wie sein berühmter Vorgänger, der englische Sittenmaler Hogarth, mit dem man Ch. oft zu seinem Verdruß verglichen hat; er ist auch nie so herb und bitter, wie dieser, weidet sich nicht am Hässlichen. „Unser wackerer Chodowiecki“, sagt Goethe, „hat manche Scenen der Unnatur, der Verderbniß, der Barbarei und des Abgeschmacks trefflich dargestellt, allein was that er? Er stellte dem Hassenswerthen sogleich das Liebenswürdige entgegen, Scenen einer gesunden Natur, die sich ruhig entwickelt, einer zweckmäßigen Bildung, eines treuen Ausdauerns, eines gefälligen Strebens nach Werth und Schönheit.“ In seiner Technik hat er vielleicht das Dilettantische seiner Jugendbildung nie völlig überwinden können, aber wenigstens in Zeichnungen und bei Handhabung der Nadel bildete er sich einen ganz eigenthümlichen und in seiner Art unübertrefflichen Stil, Namentlich bei kleinerem Format verleiht er den Gestalten das feinste Leben. Die Figuren, besonders die jugendlichen, sind, dem Zeitgeschmack entsprechend, auffallend schlank, aber wirkungsvoll modellirt, naiv beobachtet. Meisterhaft ist die Perspective gehandhabt, die Formen sind klar und durchsichtig, und die Behandlung ist schlicht bei aller Zartheit, ohne einen Zug von prunkender Bravour.

Wilh. Engelmann, Daniel Chodowiecki’s sämmtliche Kupferstiche, Leipzig 1857 (mit Biographie von A. Weise). – Nachträge und Berichtigungen etc., Leipzig 1860.