ADB:Christaller, Johann Gottlieb

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Artikel „Christaller, Joh. Gottlieb“ von Paul Steiner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 480–483, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Christaller,_Johann_Gottlieb&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 14:05 Uhr UTC)
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Christaller: Joh. Gottlieb Ch., Missionar und bedeutender Sprachgelehrter im Dienst der evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel. Ch. wurde am 17. November 1827 in dem württembergischen Städtchen Winnenden geboren, wo seine Familie in sehr bescheidenen Verhältnissen lebte. Er zeigte schon als Knabe außerordentliche Verstandesfähigkeiten und einen ungewöhnlichen Fleiß, der mit größter Ausdauer und Stetigkeit gepaart war, weshalb ihn auch der Präceptor der Lateinschule unentgeltlich am lateinischen und griechischen Unterricht theilnehmen ließ. Bei seiner reichen Begabung hätte ihn seine Familie gern studiren lassen, aber es fehlten hierzu die Mittel. Statt dessen trat der junge Ch. nach seiner Confirmation 1841 als Schreiber auf dem Rathhaus seiner Vaterstadt ein. Erst als er hier seine mehrjährige Lehrzeit [481] absolvirt und im Verwaltungsfach eine feste Stellung erhalten hatte, konnte er daran denken, sich auf ein philologisches Examen vorzubereiten, um dann auf der Universität den Studien für das höhere Verwaltungsfach obzuliegen. Ehe er indeß dazu kam, wurde er durch besondere Führung auf die Mission unter den Heiden aufmerksam und trat im September 1848 als Zögling in das Missionsseminar zu Basel ein. Er fand hier reichlich Gelegenheit, seine hervorragenden Gaben nach allen Seiten hin auszubilden und bei seiner ausgesprochenen Veranlagung für die sprachliche Wissenschaft lag es nahe, ihn in der Missionsarbeit in dieser Richtung zu verwenden. Als Arbeitsfeld wurde ihm nach vierjähriger gewissenhafter Vorbereitung die Goldküste in Westafrika zugewiesen, wo er die von Missionar H. N. Riis angefangenen, aber durch seinen Abgang (1850) abgebrochenen sprachlichen Arbeiten wieder aufnehmen und fortführen sollte. Nachdem Ch. in dem württembergischen Städtchen Backnang die Ordination erhalten hatte, schiffte er sich am 24. December 1852 in England ein und erreichte am 25. Januar 1853 die Goldküste. Seine Bestimmung lautete nach Akropong, das zwölf Stunden von der Küste landeinwärts auf dem Akwapemgebirge gelegen, den Mittelpunkt der Baseler Mission an der Goldküste bildete. Das Missionswerk hier befand sich damals noch in seinen ersten Anfängen und man sah sich den mannigfachsten Schwierigkeiten gegenüber. Besonders eine schwierige Aufgabe war vor allem noch zu lösen: die Erforschung und Bearbeitung der Landessprache, des von bedeutenden Völkerschaften, wie den Asante, gesprochenen Tschi, das überhaupt erst zur Schriftsprache erhoben werden mußte. An diese Aufgabe sollte Ch. gehen und er hat sie in der That im Laufe der Jahre aufs beste gelöst, indem er die Tschi-Sprache grammatikalisch und lexikographisch in gründlichster Weise bearbeitet und eine ansehnliche Litteratur in derselben geschaffen hat. Schon bald nach seiner Ankunft in Akropong, wo er zugleich am Katechistenseminar Unterricht ertheilte, fixirte er die Ergebnisse seiner Untersuchungen in Bezug auf die Verbalformen und die eigenthümlichen Laut- und Betonungsverhältnisse, die in den afrikanischen Sprachen von besonderer Wichtigkeit sind. Schritt für Schritt drang er immer tiefer in das Verständniß des Tschi ein und verwerthete die gewonnenen Kenntnisse für die praktische Missionsarbeit. Es entstanden kurz nacheinander Uebersetzungen von biblischen Geschichten alten und neuen Testaments, einzelnen Theilen der Heiligen Schrift, ein Katechismus, verschiedene Schulbücher und eine größere Anzahl von Kirchenliedern, eine Agende u. a., alles Arbeiten, an denen er immer und immer wieder berichtigte und besserte, bis er nach Jahren ein Werk nach dem andern in vollständiger und vervollkommneter Weise herausgeben konnte; denn gerade auf letzteren Punkt legte Ch. so viel Gewicht, daß er nicht leicht etwas in den Druck gab, das nicht in jeder Hinsicht die gründlichste Bearbeitung und eine möglichst vollkommene Gestalt erhalten hatte. – Bei dem ungesunden Klima der Goldküste sah er sich genöthigt, im Juli 1855, zu seiner Erholung eine kleine Seereise der Küste entlang bis zur Insel Fernando Po und von da zurück bis Sierra Leone zu unternehmen. Es gab ihm dies Gelegenheit, sich mit den bedeutendsten Sprachen des westafrikanischen Küstenstrichs bekannt zu machen und seine Sprachkenntnisse zu erweitern. Er arbeitete hierauf noch drei weitere Jahre in Akropong, wo er sich auch 1857 verheirathete, und kehrte dann 1858 mit sehr angegriffener Gesundheit in die Heimath zurück. Hier setzte er seine sprachlichen Arbeiten unermüdlich fort, bis er 1862 wieder auf sein afrikanisches Arbeitsfeld zurückkehrte. Diesmal wurde ihm die verhältnißmäßig gesund gelegene Station Aburi als Arbeitsstätte zugewiesen. Um jedoch [482] den in Akem und Asante gesprochenen reineren Dialekt der Tschisprache an Ort und Stelle zu studiren, ließ er sich 1865 nach Kyebi, der Hauptstadt von Akem, mehrere Tagereisen landeinwärts, versetzen. Das dortige ungesunde Klima kostete indeß seiner Frau das Leben und er selbst hatte so darunter zu leiden, daß er 1867 Kyebi verlassen und im folgenden Jahre 1868 nach Europa zurückkehren mußte. Zugleich brachte er das fertige Manuscript der vollständigen Bibelübersetzung mit, ein Werk, an dem er Jahre lang gearbeitet und revidirt hatte und das eine meisterhafte Uebertragung der hl. Schrift aus dem Grundtext in die Tschi-Sprache genannt werden muß. Er führte dann diese Bibelübersetzung in den Jahren 1870/71 durch die Presse und gab damit einer großen und weitverbreiteten Völkerfamilie Westafrikas die Bibel in die Hand.

Mit seiner Rückkehr nach Europa war seine afrikanische Laufbahn abgeschlossen. Er ließ sich in Schorndorf (Württemberg) nieder, wo er sich auch 1871 wieder verehelichte, und hat hier bis an seinen Tod unausgesetzt seine sprachlichen Arbeiten weiter getrieben. Neben dem Tschi führte er auch seit dem Tode von Missionar J. Zimmermann (1876) dessen Spracharbeiten in der Gâ- oder Akrasprache fort. In der Stille der Gelehrtenstube entstand eine Reihe werthvoller Bücher für die afrikanische Mission an der Goldküste; von hier aus führte er die Producte seiner Geistesarbeit durch die Presse, revidirte ältere Ausgaben und machte sie für neuere Auflagen druckfertig. Auch manches, was in neuerer Zeit von anderen Missionaren auf dem afrikanischen Missionsfeld übersetzt oder abgefaßt wurde, ging durch seine berichtigende Hand. Gern wäre er noch einmal auf sein früheres Arbeitsfeld in Afrika zurückgekehrt, aber das herannahende Alter und die Rücksicht auf seine Familie ließen den Wunsch nicht zur Ausführung kommen; doch pflegte er fleißig den schriftlichen Verkehr mit geschulten Afrikanern, um sich seine Kenntniß des Tschi frisch zu erhalten. Das Verzeichniß dessen, was er in der Tschi-Sprache geschaffen, füllt eine lange Liste. Seine bedeutendsten Werke, die auch in philologischen Kreisen große Anerkennung gefunden haben, sind außer der schon genannten Bibelübersetzung seine Grammatik und ein Wörterbuch der Tschi- oder Asante-Sprache. Jene erschien im J. 1875, dieses 1881. In beiden steckt eine Fülle von Gelehrsamkeit, die sich auf ein großes Gebiet der sprachlichen Wissenschaft erstreckt. Mit unermüdlichem Fleiß ist auch in seinem Wörterbuch alles zu Gebote stehende historische und geographische Material über die Goldküste herbeigezogen, wie denn auch in beiden Werken die vergleichende Sprachwissenschaft zu ihrem Rechte kommt. Für die Grammatik ehrte ihn das „Institut de France“ durch Verleihung der goldenen Medaille, während ihm von Seiten des eigenen deutschen Vaterlandes unbegreiflicher Weise keinerlei ehrende Anerkennung zu Theil geworden ist, so viel er auch der deutschen Wissenschaft und ihren Vertretern mit seinen sprachlichen Kenntnissen und linguistischen Untersuchungen gedient hat. Sie hätte damit nur sich selbst geehrt. Ihm persönlich lag wenig an solchen Auszeichnungen und sie hatten in seinen Augen nur eine Bedeutung für die von ihm vertretene Sprachwissenschaft, der sein ganzes Dasein, sein Leben und Wirken galt. Daß er eine Autorität auf dem Gebiet der sprachlichen Wissenschaft war und ein Bahnbrecher für die Auffassung und Behandlungsweise der afrikanischen Sprachen, das ist von Philologen mehrfach bezeugt worden, weshalb er auch von solchen oft und viel zu Rathe gezogen wurde; denn seine Sprachkenntnisse reichten weit hinaus über den engeren Kreis der von ihm bearbeiteten Sprachen der Goldküste. Er war ein geschätzter Mitarbeiter verschiedener Fachblätter, wie z. B. der „Zeitschrift für afrikanische Sprachen“. Zu nennen [483] sind auch seine Publicationen: „Die Sprachen Afrikas“ (1892) und „Die Töne der Negersprachen und ihre Bezeichnung“ (1898). Eine seiner letzten Arbeiten war die Drucklegung des im J. 1895 erschienenen englischen Werkes „History of the Gold Coast and Asante“, von dem eingeborenen Geistlichen C. C. Reindorf verfaßt. Ch. stellte in demselben die schwankende Schreibweise der unzähligen Namen fest, berichtigte und ordnete den Text des Manuscripts, führte es durch die Presse und versah es mit einer einleitenden englischen Vorrede. Jahre lang gab er auch ein Gemeindeblatt in Tschi und Gâ für die christlichen Gemeinden der Goldküste heraus und betheiligte sich an der Herausgabe von Schriften in der Duala-Sprache in Kamerun. – Aus dieser umfangreichen Arbeit, der er selbst einen großen Theil der Nachtstunden widmete, wurde Ch. ganz plötzlich herausgerissen. Am 8. December, nachdem er noch zuvor bis in die Nacht hinein gearbeitet hatte, erkrankte er plötzlich an einer Darmverschlingung. Er ließ sich zum Behuf einer Operation ins Diakonissenhaus nach Stuttgart bringen, aber die Kräfte reichten nicht mehr aus. Noch ehe die Operation ausgeführt werden konnte, entschlief er am 16. December 1895. In Schorndorf, wo er so viele Jahre in aller Stille gelebt und gearbeitet hatte, wurde er am 20. December zur Ruhe bestattet. In dem anspruchslosen, bescheidenen Mann war ein Großer im Kreise der Gelehrten aus der Welt geschieden, aber so lange heidenchristliche Gemeinden auf der Goldküste die von ihm übersetzte Bibel lesen und seine ins Tschi übertragenen Kirchenlieder singen, wird sein Name unvergessen sein.

Eigene Erinnerungen. – Handschriftliches Archiv des Missionshauses zu Basel. – Evang. Missions-Magazin 1896.