ADB:Cloots, Jean-Baptiste

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Artikel „Cloots, Jean-Baptiste“ von Emanuel Leser in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 337–339, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Cloots,_Jean-Baptiste&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 01:16 Uhr UTC)
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Cloots: Johann Baptist v. C. war geb. am 24. Juni 1755 auf dem Schlosse seines Vaters Gnadenthal im Cleve’schen, † 24. März 1794. Beide Eltern stammten aus Holland; die Mutter gehörte einer angesehenen Familie an, die auf ihre Verwandtschaft mit den de Wit’s stolz war, ihr Bruder war der Geschichtschreiber Cornelis de Pauw. Er erhielt schon im Vaterhaus eine französische Erziehung und wurde dann im Alter von neun Jahren zuerst nach Brüssel, dann nach Mons, endlich nach Paris geschickt, um in geistlichen Schulen seine Ausbildung fortzusetzen. Von hier kam er mit der Bestimmung, sich dem Soldatenstande zu widmen, in die Berliner Kriegsschule. Als aber gerade zu der Zeit, da er seine Volljährigkeit erlangte, der Tod seines Vaters ihn zum Erben eines großen Vermögens machte, verließ er mit einem Urlaub des Königs Berlin und siedelte nach Paris über, brennend vor Begierde, es den Männern gleich zu thun, die von diesem Mittelpunkte der gebildeten Welt aus durch Geistesthaten den Klang ihres Namens überallhin verbreiteten. Zunächst bemühte er sich, in die litterarischen Kreise Eingang zu erhalten und den hervorragenden Schriftstellern persönlich bekannt zu werden; dann boten ihm der Tod Voltaire’s und die darüber umlaufenden Erzählungen Gelegenheit, sich als Adepten der Aufklärung zu beweisen und einen ersten litterarischen Versuch zu wagen, der durch seinen Titel „Voltaire triomphant ou les prêtres dêçus“ nach Form und Inhalt hinlänglich charakterisirt ist. Ein umfangreicheres Werk im Sinne des Deismus veröffentlichte er Ende 1779 in der Schrift „Certitude des preuves du mahométisme“ (angeblich Londres 1780), die einen heftigen Angriff gegen die geoffenbarten Religionen enthält. Das Buch machte jedoch keinen großen Eindruck, und C. mußte, wollte er von sich reden machen, andere Mittel dazu aufsuchen. So hielt er denn in der nächstfolgenden Zeit öffentliche Vorträge, von denen er einen, der besonders viel Widerspruch hervorgerufen hatte, als „Lettre sur les juifs“ drucken ließ, trat mit dem Plan zu einer Nationalkirche hervor und begann zuletzt sich mit auswärtiger Politik zu beschäftigen und hier eigenthümliche Ansichten zu entwickeln, die er dann in den „Voeux d’un Gallophile“ auch gedruckt der Oeffentlichkeit übergab. Der Regierung selbst war die Propaganda für Frankreich unangenehm, und C. wurde 1784 veranlaßt, England zu besuchen. Im folgenden Jahre nahm er einen längeren Aufenthalt in den Niederlanden und machte darauf große Reisen durch das südliche Europa und Nordafrika. Erst nach dem Ausbruch der Revolution kehrte er im Juli 1789 nach Frankreich zurück. So stürmischen Eifer er auch für die Sache der Bewegung zeigte, so wollte es ihm doch nicht gelingen, bei den Parisern Ansehen zu gewinnen; seine Person war mißliebig, und seine Ansichten wurden selbst im Jacobinerclub, an dessen Debatten er sich zu betheiligen versuchte, als überspannt und politisch unklug verlacht. Einen Namen machte er sich erst, als ihm einfiel, an der Spitze einer Anzahl Ausländer in der Abendsitzung der Nationalversammlung vom 19. Juni 1790 zu erscheinen, um für sich und sein Gefolge die Erlaubniß auszuwirken, als „Deputation des Menschengeschlechts“ am Föderationsfeste des 14. Juli theilnehmen zu dürfen. Es waren im Ganzen 36 Personen, denen er als Sprecher diente, meist holländische und brabanter Flüchtlinge, auch einige Deutsche und Engländer. Damit aber nicht zufrieden, bestimmte C. zwei französische Orientalisten, einen Chaldäer und einen Araber vorzustellen; der letztere wollte nach C. auch seinerseits zur Versammlung [338] sprechen, und da zeigte sich der Gelehrte in der öffentlichen Rede so ungewandt, daß seine stotternd vorgebrachten Worte allgemein unverstanden blieben und als arabisch hingenommen wurden. In Cloots’ Leben war die Komödie epochemachend; er erschien sich von dem Tage an wie der Vertreter der Menschheit bei der nationalen Revolution der Franzosen. Jetzt änderte er, sich dem durch Barthélemy neuerdings bekannt gewordenen skythischen Königssohn vergleichend, seinen Vornamen in Anacharsis und wandte sich so, in seinen Augen doppelt ein neuer Mensch, an Europa und zunächst an sein Heimathland, um die Grundsätze der Revolution zu verbreiten, in den Schriften „Anacharsis à Paris, lettre à un prince allemand“ und „Dépêche du Prussien Cloots au Prussien Hertzberg“. Als aber seine Ueberredungsversuche sichtlich ohne Wirkung blieben, ward er ein Anhänger des Gedankens, daß die Waffen den Anschluß der Nachbarstaaten an das revolutionäre Frankreich erzwingen müßten. Am 13. Decbr. 1791 petitionirte er vor den Schranken der Legislative um die Kriegserklärung und genoß den Triumph, daß der Druck seiner Rede beschlossen ward. Dadurch berauscht, übersendete er der Versammlung seine sämmtlichen früheren Schriften; allein sein Geschenk ward abgelehnt. Am 22. April 1792 erschien er wieder vor der Kammer, um für den Krieg 12000 Francs zu spenden; in dieser Begleitung wurde auch seine neueste Schrift „La république universelle ou adresse aux tyrannicides“ angenommen. Als am 24. Aug. die Aufnahme ausgezeichneter Ausländer unter die französischen Bürger beschlossen worden war, kam auf die aus achtzehn Namen bestehende Liste, die von Deutschen sonst noch Klopstock, Schiller, Campe, Pestalozzi und de Pauw enthielt, auch C. Auf Grund dieser Naturalisirung ließen ihn die Girondisten in zwei Bezirken zum Conventsmitglied wählen. Er nahm die Wahl für die Oise an, wo er eine Besitzung hatte, zeigte sich aber seinen Gönnern, die ihn im Convent auch noch zum Mitglied des diplomatischen Ausschusses ernannten, nicht dankbar, sondern schloß sich nach kurzer Zeit der Bergpartei an und trat sogar öffentlich gegen die Gironde auf, die er des Föderalismus beschuldigte. Er stimmte mit dem Berg für den Tod des Königs und gegen die Verhaftung Marat’s, dann war er durch Krankheit einige Zeit genöthigt, den öffentlichen Angelegenheiten fern zu bleiben. Nach seiner Wiederherstellung entfaltete er eine eifrige Thätigkeit in den Pariser Clubs und es gelang ihm jetzt, dieselben einigermaßen für seine propagandistischen Bestrebungen zu interessiren. Im November 1793 war er Präsident der Jacobiner; um dieselbe Zeit betheiligte er sich an den religionsfeindlichen Demonstrationen der Pariser Stadtbehörde, gehörte er zu der Deputation, die den Pariser Erzbischof zur Niederlegung seiner Würde bestimmte, und hielt in demselben Sinne im Convent eine mit Beifall aufgenommene Rede, indem er zugleich seine „Certitude du mahométisme“ überreichte. Jedoch die Genugthuung, daß er eine einflußreiche Richtung vertrat, sollte er nicht lange empfinden. Als der Wohlfahrtsausschuß sich entschlossen hatte, die Macht der Hauptstadt zu brechen, fiel C. diesem Zwecke als erstes Opfer. Die Nummer des „Vieux Cordelier“ vom 11. Dec. schleuderte die heftigsten Angriffe gegen ihn, am folgenden Tage wurde er auf die Anklage Robespierre’s hin aus dem Jacobinerclub ausgestoßen. Er suchte seine Grundsätze in der Schrift „Appel au genre humain“ (20. December) zu vertheidigen, allein sein Schicksal war beschlossen. Durch ein Gesetz, daß nur geborene Franzosen die Nation vertreten könnten, hörte er am 26. Decbr. auf Mitglied des Convents zu sein; in der Nacht vom 27. auf den 28. ließ ihn der Sicherheitsausschuß verhaften. Der Proceß wurde ihm erst gemacht, als es gelungen war, die Verhaftung aller Führer der Pariser Commune durchzusetzen; zusammen mit den Hebertisten stand er in den Tagen vom 21. bis 24. März 1794 vor dem Revolutionsgericht. Gleich nach der Verurtheilung [339] wurden alle Gefangenen unter dem Zulauf einer ungeheuren, lärmenden Menschenmenge hingerichtet; C. starb voll Fassung. Einer illegitimen Verbindung desselben entstammte eine Enkelin, die noch in unseren Tagen Schauspielerin auf einem Pariser Theater war. – C. hat neuerdings einen sehr fleißigen Biographen gefunden in Georges Avenel (Anacharsis Cloots, l’orateur du genre humain, 2 voll., Paris 1865); ganz unbedeutend ist dagegen das Schriftchen von Karl Richter, Anacharsis Cloots, ein historisches Bild aus der französischen Revolution von 1789, Berlin 1865.