ADB:Coccejus, Johannes

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Coccejus, Johannes“ von Heinrich Heppe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 376–378, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Coccejus,_Johannes&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 02:50 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Köchlin, Michael
Band 4 (1876), S. 376–378 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johannes Coccejus in der Wikipedia
Johannes Coccejus in Wikidata
GND-Nummer 118676504
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|4|376|378|Coccejus, Johannes|Heinrich Heppe|ADB:Coccejus, Johannes}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118676504}}    

Coccejus: Johannes C., geb. 1603 zu Bremen, † 5. Nov. 1669. Sein Vater, Timann Koch, ein frommer, sittlich strenger Mann, bekleidete zu Bremen das Amt eines Stadtsecretärs. Mit großer Sorgfalt zur Gottesfurcht und Wahrheitsliebe erzogen, erhielt C. seine erste theologische Bildung auf der reformirten Akademie zu Bremen, worauf er in dem lutherischen Hamburg bei einem Rabbiner die morgenländischen Sprachen studirte und sich in die rabbinische, allegorische Schriftauslegung einlebte. Um von dem wüsten Leben auf den deutschen Universitäten nicht berührt zu werden, setzte C. seine Studien auf einer außerdeutschen Hochschule, zu Franecker in Westfriesland, fort. C. fand hier die Gemüther von den ernstesten Streitfragen erregt, indem der Professor Maccovius alles aufbot, um die eben erst in Dortrecht festgestellte kirchliche Orthodoxie zur allgemeinen Geltung zu bringen, wogegen der aus England geflüchtete fromme Puritaner Amesius, gegen kirchliche Rechtgläubigkeit gleichgültig, vor allem auf Erweckung frommen Lebens unter der akademischen Jugend hinarbeitete und dessen Freund, der Friese Sixtinus Amama den Studirenden das Studium der Grundsprachen und des Grundtextes der heil. Schrift als Hauptaufgabe hinstellte. Die theologische Richtung, welche sich der jugendliche C. auf [377] der Akademie zu Bremen angeeignet hatte, wies daher denselben mit seinem ganzen Herzen den Gegnern des Maccovius und des Dortrechter Orthodoxismus zu. Nach Beendigung seiner Studien kehrte dann C. in die Vaterstadt zurück, wo er 1629 als Professor der biblischen Philologie an der Akademie angestellt ward. 1636 folgte er einem Rufe nach Franecker, von wo aus sein Name zuerst in weiteren Kreisen bekannt ward. 1650 übernahm er die Professur der Dogmatik zu Leyden, wo er gestorben ist. – C. war durch und durch Schrifttheologe und ist als solcher in zwiefacher Beziehung wirksam gewesen: einmal indem er das Studium des Grundtextes der heil. Schrift als die Hauptsache des theologischen Studiums zur Geltung brachte, und sodann indem er den Grundsatz vertrat, daß die heil. Schrift nicht nach dem kirchlichen Dogma, sondern aus sich selbst heraus erklärt werden müsse. Sein hermeneutischer Grundsatz war: „Die Worte der heil. Schrift bedeuten das, was sie in ihrem Zusammenhange und in Uebereinstimmung mit einander bedeuten können.“ Daher kannte C. nur biblische nicht aber kirchliche Lehre: als letztere sollte nur das gelten dürfen, was sich bei einer vollkommen schriftmäßigen Auslegung der biblischen Bücher als wirklicher Inhalt derselben heraushebe. Von diesem Gedanken und von dieser Stellung zur Autorität der heil. Schrift aus kam C. zu seiner energischen Vertretung der Föderaltheologie. Dieselbe charakterisirt sich dadurch, daß sie die religiösen Ideen lediglich unter dem Gesichtspunkt eines von Gott geordneten Bundes desselben mit dem Menschen auffaßt. Ueber Gott und den Menschen spricht sie daher lediglich im Sinne der Frage: Was ist von Gott und was ist von dem Menschen zu sagen, indem und insofern Gott des Menschen Bundesgott sein will, und der Mensch zum Bunde mit Gott bestimmt ist? Hierbei wird nun der Bund Gottes vor und nach dem Sündenfalle unterschieden. Vor dem Falle bestand ein foedus naturae oder operum mit dem Menschen überhaupt, in welchem Gott dem Menschen unter der Bedingung vollkommnen Gehorsams das ewige Leben zugesagt hatte; nach dem Falle ist an dessen Stelle das foedus gratiae getreten, welches Gott nur mit den von ihm Erwählten aufgerichtet hat. Dieser schon in der Ewigkeit beschlossene Gnadenbund gründet sich auf das ewige Gelöbniß des Sohnes Gottes, einst in der Zeit für die Sünden der vom Vater Erwählten Genugthuung leisten zu wollen. Dabei werden in der göttlichen Handhabung des Gnadenbundes drei Oekonomien unterschieden, die Oekonomie vor dem Gesetze Mose’s, unter dem Gesetz und unter Christus, so daß die gesammte Geschichte des Reiches Gottes und die biblische Theologie in die föderaltheologische Dogmatik mit aufgenommen werden. – Neuerdings ist es üblich geworden, sich die Föderaltheologie des C. in einem solchen Gegensatz zur orthodoxen Prädestinationslehre der reformirten Kirche zu denken, daß sie (nach der Ansicht Göbel’s, Ebrard’s u. A) von dieser durchaus unabhängig sein soll, indem man sagt, bei C. trete an die Stelle des kirchlichen Begriffes der Gnadenwahl der biblische Begriff der Gnadenführung des Volkes Gottes; allein mit Unrecht. Denn der ganze Bestand des Gnadenbundes beruht nach C. auf der freien Erwählung Einzelner durch den Vater als auf seiner tiefsten Grundlage, und das ganze föderaltheologische System ist daher von der Prädestinationslehre durchzogen und getragen. Ebenso wird herkömmlich gesagt, C. sei der eigentliche Urheber der Föderaltheologie, aber auch dieses ist nicht richtig. Auch was Gaß (in seiner übrigens sehr tüchtigen Ausführung S. 270) über „die Anwendung des Bundesbegriffes auf die Personen der Trinität“ als angeblich „eigentlich neuer Zuthat des C.“ (zur bisherigen Föderaltheologie) sagt, welche sich „vor ihm nirgends finde“, bedarf der Berichtigung, – indem sich diese angebliche neue Zuthat des C. schon bei Olevian vorfindet. Die reformirte Dogmatik hatte überhaupt von Anfang an danach gestrebt, sich auf dem Begriffe [378] des foedus Dei als auf dem Grundbegriffe des religiösen Bewußtseins aufzubauen. Bereits bei Bullinger, Wolfgang Musculus und Polanus läßt sich diese Thatsache nachweisen; und in der deutschreformirten Dogmatik der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelangte die Föderaltheologie zu ihrem vollständigsten Ausbau. Auf der Akademie zu Bremen war sie namentlich durch Martinius heimisch geworden; hier hat sie C. kennen gelernt und von da hat sie derselbe in die niederländische Kirche eingeführt. Allerdings leidet die exegetische Methode mit welcher C. seine föderaltheologischen Ideen biblisch nachzuweisen und zu begründen sucht, an der (seit der Hamburger Studienzeit) ihn beherrschenden Neigung zu typologisirenden und allegorisirenden Spielereien, und den Gegnern des C. sind dessen Schriften eben darum widerwärtig geworden. Aber die Begeisterung und Energie und die umfassende theologische und philologische Gelehrsamkeit, mit welcher C. den Föderalismus vertrat, bewirkten es, daß erst durch ihn derselbe im ganzen Umfang der reformirten Kirche Boden und dem Dortrechter orthodoxen Scholasticismus gegenüber feste Stellung gewann. Dadurch ist es geschehen, daß C. zu einer der mächtigsten Säulen der gesammten reformirten Kirche und zum Ausgangspunkte eines ganz eigenthümlichen, das Schriftstudium und zugleich das religiöse Leben ganz neu erregenden und aufrichtenden theologischen Strebens ward. Unter den Gegnern des C. war der weitaus bedeutendste der Scholastiker Guisbert Voet; aber weit hervorragender an Zahl und innerer Tüchtigkeit als die scholastische Gegnerschaft in der reformirten Kirche war der Chor begeisterter Anhänger, der sich um ihn sammelte und der seine Lehrweise von ihren vielfachen Wunderlichkeiten mehr und mehr gereinigt fortführte. Der Gegensatz der Coccejianer oder Föderalisten und der Voetianer oder Scholastiker drang daher in das Leben der reformirten Kirche, zunächst der Niederlande, so tief und mächtig ein, daß er hier sogar politische Bedeutung gewann und zu einem politischen Parteigegensatze wurde, indem die Voetianer sich zu der 1650 bis 1672 unterdrückten oranischen, die Coccejianer dagegen sich zu der damals herrschenden aristokratisch-republikanischen Partei hielten.

Eine Gesammtausgabe der zahlreichen Werke des C. ward von dessen Sohne Johann Heinrich C. unter dem Titel besorgt: „Joh. Cocceji Opera omnia theologica exegetica, didactica, polemica, philologica“, Francof. ad Moenum 1602. 8 Tomi fol. Unter denselben sind insbesondere zu nennen die „Summa doctrinae de foedere et testamento Dei“ von 1648, die „Summa theologiae ex scripturis repetita“ (2. Aufl. 1665) und „Lexicon et Comentar. sermonis hebraici et chaldaici“ (1669). Die ersten 5 Bände der Gesammtausgabe des C. sind ausschließlich exegetischen Inhalts. Der Herausgeber hat dem Ganzen auch eine Lebensbeschreibung des Vaters beigefügt. Diese Gesammtausgabe der Werke des C. ist daher die Hauptquelle zur Kenntniß des Lebens und der Wirksamkeit desselben.

Außerdem vgl. Gaß, Geschichte der protest. Dogmatik, Bd. II. S. 253 bis 285; Dorner, Geschichte der protest. Theologie, München 1867, S. 452 bis 460; Göbel, Gesch. des christl. Lebens in der rheinisch-westfälischen Kirche, Bd. II. S. 147–160; Heppe, Die Dogmatik des deutschen Protestantismus im 16. Jahrhundert, Bd. I. S. 188–204 und Diestel, Studien zur Föderaltheologie (in den Jahrbüchern für deutsche Theologie, 1865, Bd. X. S. 209 ff.).