ADB:Curtius, Theodor

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Artikel „Curtius, Theodor“ von Paul Curtius in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 602–606, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Curtius,_Theodor&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 12:43 Uhr UTC)
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Curtius: Theodor C., Dr. jur., Senator, in den Jahren 1869/70, 1873/74, 1877/78 regierender Bürgermeister von Lübeck, wurde daselbst am 6. März 1811 geboren, ein Sohn des im J. 1857 hochbetagt verstorbenen Syndikus Dr. Karl Georg C. Des Vaters langjährige, hervorragend staatsmännische, echt patriotische Thätigkeit zum Wohle seiner Vaterstadt reichte hinauf bis in die letzten Tage des ehemaligen Deutschen Reiches. Des Sohnes staatsmännisches Wirken begann als Mitglied des Senates zu einer Zeit, wo des Vaters Kräfte zu erlahmen anfingen; für wenige Jahre fand aber ein Zusammenwirken von Vater und Sohn statt, wie es in einem Gemeinwesen wie Lübeck nicht leicht sich wiederholen wird.

C. absolvirte das Gymnasium in Lübeck, studirte auf den Universitäten Göttingen und Heidelberg die Rechte, wo er neben fleißigem Studium als flotter, tüchtiger Corpsbursche die Freuden des Studentenlebens genossen hatte, und kehrte 1834 in seine Vaterstadt zurück, um sich dort als Advocat niederzulassen. Neben seiner advocatorischen Thätigkeit beschäftigte sich C. vielfach [603] mit publicistischen Arbeiten und wandte sich mit regstem Interesse und Eifer den öffentlichen Angelegenheiten seiner Vaterstadt zu; kaum 35 Jahre alt berief ihn das allgemeine Vertrauen am 2. Februar 1846 in den Senat. Die an seine Wahl geknüpften Erwartungen und Hoffnungen hat der Gewählte in vollstem Maaße erfüllt.

C. hat während einer fast 40jährigen Thätigkeit als Mitglied des höchsten Staatskörpers auf den verschiedenartigsten Gebieten sich ganz hervorragende Verdienste um seine Vaterstadt erworben; von berufener Seite ist C., so lange er seine Stelle im Senat bekleidete, sehr treffend verglichen worden mit einem Steuermanne auf einem Schiffe, der sein Ziel kennt, mit sicherer Hand das Steuer lenkt. C. hat vor allem mit Energie, Umsicht und staatsmännischem Blicke unablässig dafür gestrebt und gewirkt, daß die Handels- und Verkehrsverhältnisse von Lübeck, die zur Zeit seines Eintritts in den Senat sehr im Argen lagen und einer gewissen Stagnation verfallen waren, durch Erschließung neuer lebensfähiger Verkehrswege aus ihrer traurigen Lage sich herausarbeiten konnten.

Bei allen wichtigen Fragen und Unternehmungen, bei denen es sich um die gesunde Fortentwicklung der staatlichen und wirthschaftlichen Verhältnisse Lübecks handelte, hat C. während seiner langen Amtsdauer durch geschickte, unermüdliche Bemühungen, durch kluges und energisches staatsmännisches Handeln stets einen höchst bedeutsamen, wenn nicht entscheidenden Einfluß ausgeübt. Schon wenige Monate nach seinem Eintritt in den Senat wurde er mit einer sehr wichtigen Mission betraut. Lübeck hatte Jahre lang unter dem Drucke dänischer Politik zu leiden gehabt, und vor allem hatte Dänemark im angeblichen Interesse von Kiel und Altona jede Eisenbahn-Verbindung Lübecks mit Hamburg und dem deutschen Inlande verhindert. Da alle Vorstellungen bei der dänischen Regierung ohne Erfolg, zum Theil unerwiedert blieben, so wurde C. im August 1846 von dem Senat beauftragt, das Interesse der beiden Großmächte Preußen und Oesterreich für Lübecks gute und gerechte Sache zu wecken bezw. neu zu beleben. Das Ergebniß seiner diplomatischen Mission in Berlin, wo C. durch Vermittlung des Prinzen von Preußen und Alexander v. Humboldt’s eine Audienz beim König Friedrich Wilhelm IV. erhielt, wie nicht minder beim Fürsten Metternich in Königswart war ein äußerst zufriedenstellendes; den Antrag, welchen Lübeck in seiner Eisenbahnsache alsdann beim Bundestage einbrachte, konnte C. nicht allein während des Winters 1846/47 in Frankfurt a. M. persönlich fördern, sondern er fand auch von Preußen, Oesterreich und anderen Staaten die nachdrücklichste Unterstützung, so daß Dänemark sich endlich zum Abschluß des am 23. Juni 1847 unterzeichneten Staatsvertrages über die Herstellung einer Eisenbahn von Lübeck nach Büchen veranlaßt sah. Mit diesem Erfolge hatte C. sich seine ersten Sporen als diplomatischer Vertreter seiner Vaterstadt verdient, denen weitere folgen sollten. Nachdem er in den ersten Monaten des Jahres 1848 in Frankfurt a. M. als Bundestagsgesandter eine wesentlich hervortretende Stellung eingenommen hatte, kehrte er im Mai desselben Jahres auf seinen Wunsch in seine Vaterstadt zurück.

Sehr bald wurde ihm die Leitung der Verkehrsangelegenheiten, des Post- und Telegraphenwesens und der Eisenbahnsachen, sowie der Handels- und Schifffahrtsangelegenheiten, ferner des Militärwesens anvertraut. In allen diesen Ressorts hat C. Hervorragendes geleistet. Als Präses des Postdepartements hat er zu Anfang der fünfziger Jahre die Reform des lübeckischen Postwesens bearbeitet, und seinem energischen Vorgehen ist es in erster Linie zu danken, daß die Stelle eines städtischen Postmeisters endlich mit einem [604] theoretisch und praktisch gebildeten Postbeamten besetzt wurde. Die schwierigsten Verhandlungen in Post- und Telegraphenangelegenheiten hat C. daheim und mit auswärtigen Regierungen geführt; 1851 nahm er Theil an der ersten deutschen Postconferenz in Berlin, viele wichtige und für Lübeck vortheilhafte Postverträge mit Preußen, Hannover, Thurn und Taxis, und vor allem mit Dänemark im J. 1852 wurden von C. mit großer Sachkenntniß und diplomatischem Geschick abgeschlossen.

Für das lübeckische Militärwesen hat er viele Jahre als Präses des Militärdepartements segensreich gewirkt; günstige Vertragsabschlüsse mit Oldenburg und den Schwesterstädten erzielt, wobei es sich vor allem (1859) um Befreiung Lübecks von der Cavalleriegestellung handelte.

An den Verhandlungen zur Ablösung des Sundzolls, die in dem Vertrage vom 14. März 1857 ihren Abschluß fanden, hat C., anfänglich als Vertreter der drei Hansestädte Theil genommen; vor allem aber wendete er um dieselbe Zeit seine Thätigkeit mit Interesse und Eifer dem Transitzoll zu, dessen Beseitigung oder mindestens erhebliche Ermäßigung für Lübeck wichtiger war, als die Abschaffung des Sundzolls. Seine rastlosen Bemühungen führten schließlich zu einer wesentlichen Herabminderung des den lübeckischen Handel schwer bedrückenden dänischen Transitzolles.

Bei dieser an sich schon aufreibenden Thätigkeit, womit wiederholte Reisen von kurzer und längerer Dauer verknüpft waren, war C. unablässig darauf bedacht, die vorhandenen Verkehrsstraßen weiter auszubauen und neue Verbindungen zu schaffen, ohne welche ein kräftiges Emporblühen von Handel und Wandel undenkbar war. Die Trajectanstalt bei Lauenburg, an deren Stelle die von C. von jeher angestrebte feste Elbbrücke im November 1878 getreten ist; vor allem der Bau einer directen Bahn nach Hamburg, mit welchem Project er in Lübeck auf heftigen, wie die Zukunft gezeigt hat, gänzlich unbegründeten Widerstand gestoßen war; die Bahnverbindungen nach Eutin und Mecklenburg und zu Anfang der achtziger Jahre die von C. wiederholt, speciell 1866 geforderte Bahn nach Travemünde sind Unternehmungen, die unter seiner Mitwirkung, größtentheils durch seine unermüdliche persönliche Thätigkeit allein zu Stande gekommen sind. C. hat überdies schon seit dem Jahre 1853 der Commission für auswärtige Angelegenheiten angehört, deren Präsidium er im Laufe der sechziger Jahre übernahm und bis zu seinem Ausscheiden aus dem Senat (1885) beibehalten hat. Auch in dieser seiner Eigenschaft hat er wiederholt Gelegenheit gehabt seine ganz besondere Befähigung auf dem diplomatischen Gebiete zu bethätigen; mit der ihm eigenen Gewandtheit hat er viele Jahre hindurch mit den Vertretern auswärtiger Staaten zum Segen seiner Vaterstadt gewirkt.

Wie C. für die Geschicke seiner engeren Heimath, so hatte er auch für diejenigen seines Vaterlandes ein warmes Herz und einen weiten Blick. Er gehörte zu den Männern, die frühzeitig einsahen, daß Preußen allein berufen und befähigt sei, die nach Einheit ringenden Staaten zusammenzufassen und die Führung Deutschlands zu übernehmen. Er war es daher auch, der, als im Juni 1866 die Stunde der Entscheidung schlug, mit voller Entschiedenheit nicht allein für den Anschluß Lübecks an Preußen mit Erfolg eintrat, sondern auch in einer am 21. Juni 1866 in Hamburg unter seinem Präsidium stattgehabten hanseatischen Conferenz von Vertretern der drei Senate die zaghaften Schwesterstädte mit sich fortzog. Schon am 10. Juli nach den entscheidenden Schlachten nahm Bismarck Veranlassung, dem Senator Dr. Curtius durch den Gesandten v. Richthofen den Dank der königlich preußischen Regierung aussprechen zu lassen, für die spontane und rechtzeitige Entschlossenheit, mit welcher [605] Lübeck diesen patriotischen Weg betreten. Preußen wisse solches in vollem Maaße zu schätzen und werde dieses Vorangehens der alten Hansestadt eingedenk sein. Auch Kaiser Wilhelm hat im J. 1874 bei Gelegenheit eines Gespräches mit einem hohen preußischen Beamten, welcher die gute deutsche Gesinnung Lübecks betonte, ausdrücklich geäußert: „Ja, das hat Alles der Bürgermeister Curtius zu Wege gebracht“. –

Als C. als Vertreter Lübecks an den Berathungen über die Feststellung der norddeutschen Bundesverfassung, wie auch später an den ersten Verhandlungen des Bundesraths sich zu betheiligen hatte, benutzte er die Zeit seines Berliner Aufenthalts, um sich über das Für und Wider in der Frage eines Anschlusses Lübecks an den Zollverein klar zu werden, und über die etwaigen Bedingungen eines Anschlusses mit den maßgebenden Persönlichkeiten sich in Verbindung zu setzen. Gleichzeitig beschäftigte sich C. eingehend mit den Vorfragen für den bevorstehenden Uebergang des lübeckischen Postwesens in die Bundesverwaltung und mit dem Abschluß einer Militärconvention, die vom preußischen Kriegsministerium bei Lübeck angeregt worden war. In beiden Fällen hat er ein für seine Vaterstadt höchst günstiges Abkommen getroffen, indem die preußische Regierung bezw. die Bundesverwaltung auf alle Wünsche bereitwilligst einging, die C. als Vertreter Lübecks vorgetragen hatte.

Den am 11. August 1868 erfolgten Eintritt Lübecks in den deutschen Zollverein hat C. unter äußerst günstigen, früher niemals zugestandenen Bedingungen bewirkt, insbesondere unter Ueberlassung des vollen Ertrages der Nachversteuerung an Lübeck, so daß ihm die Bürgerschaft in ihrer Sitzung vom 15. Juni 1868 für seine patriotische und erfolgreiche Thätigkeit bei den Verhandlungen über den Anschluß ihren Dank und ihre Anerkennung durch Erheben von den Sitzen ausdrückte. „Meine Erfolge in den Militairsachen“ – schreibt C. – „wie vor Allem in der Zollanschlußfrage konnte ich nur dadurch erreichen, daß ich mit richtiger Fühlung entschlossen und energisch – zum Theil auf eigene Verantwortung – vorging. Es galt den Moment zu erfassen, die Stimmung zu erkennen und zu benutzen“. – Ohne Frage liegt eine große Wahrheit in diesen Worten, dazu kommt, daß C. eine wahrhaft edle, vornehme, liebenswürdige Persönlichkeit besaß, die ihm bei seinen wiederholten diplomatischen Actionen unzweifelhaft von Nutzen gewesen ist.

Schon die Prinzessin, nachherige Kaiserin Augusta hat zu Curtius’ Bruder Ernst, dem Erzieher des Kaisers Friedrich, gelegentlich die Aeußerung gethan: „Ich habe kürzlich keinen Mann kennen gelernt, der eine so ansprechende, gleich vom ersten Augenblick an gewinnende und Vertrauen einflößende Persönlichkeit besitzt, als Ihr Bruder, der Herr Senator“. –

Curtius’ Beziehungen zum preußischen Königshause waren überhaupt sehr freundliche, nicht allein zum hochseligen Kaiser Wilhelm, dem C. im Januar 1861 in Anlaß seiner Thronbesteigung die Glückwünsche des Senats zu überbringen hatte, und der gelegentlich seines Besuches der alten Hansestadt am 13. September 1868 im Curtius’schen Hause abgestiegen war, sondern auch zum Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der wiederholt in den Mauern Lübecks geweilt hat, stand C. in einem nahen Verhältniß. Zu den beiden Nachbarfürsten, dem Großherzog von Mecklenburg-Schwerin und dem Großherzog von Oldenburg, wußte er die besten Beziehungen aufrecht zu erhalten, nicht zum Schaden seiner Vaterstadt, und da C. wesentlich dazu beigetragen hat, der deutschen Politik Preußens unter der ewigdenkwürdigen Leitung des Alt-Reichskanzlers bei den Freien Städten Anerkennung zu verschaffen, so ist auch sein Verhältniß zu Bismarck stets ein vorzügliches [606] gewesen: Letzterer hat bei wiederholten Gelegenheiten der alten Hansestadt sein besonderes Wohlwollen zu erkennen gegeben. C. hat auch noch in den siebziger Jahren, sofern er nicht durch sein Amt als Bürgermeister an Lübeck gebunden war, hin und wieder an den Verhandlungen des Bundesraths, wie auch an sonstigen Conferenzen in Berlin mit Erfolg Theil genommen; zum letzten Mal vertrat er seine Vaterstadt bei der Domfeier in Köln am 15. October 1880. Bei seinen wiederholten Kaisertoasten, wozu C. als regierender Bürgermeister berufen war, hat er nicht allein der unbegrenzten Liebe und Verehrung für den Begründer deutscher Einheit stets den beredtesten Ausdruck gegeben, sondern er verstand es auch meisterhaft, in herzinniger Freude über allen und jeglichen Fortschritt auf deutschem Gebiete der regelmäßig wiederkehrenden Situation immer eine neue Seite abzugewinnen und seinen Worten bei vornehmem, ruhig gemessenem Vortrage ein besonderes Gepräge zu geben.

Rheumatische Beschwerden, vor allem ein sich vorbereitendes Kopfleiden zwangen C., im Herbst des Jahres 1885 seine Versetzung in den Ruhestand nachzusuchen. Der Senat verlieh in Anerkennung der hohen Verdienste, welche C. während einer fast 40jährigen erfolgreichen Thätigkeit sich um seine Vaterstadt erworben hatte, seinem scheidenden Mitgliede die große goldene Staatsmedaille mit der Aufschrift „bene mementi“ und die Handelskammer infolge einstimmigen Beschlusses zeichnete ihn durch Ueberreichung ihrer goldenen Denkmünze aus. Am 25. October 1889 ist C. zur ewigen Ruhe eingegangen, ein edler Mann, einer der thätigsten und verdienstvollsten Männer Lübecks, dessen ganzes Leben mit seinen Arbeiten und Erfolgen ein gutes Theil der Geschichte des neuen Lübeck in sich schließt. Auf Veranlassung Eines Hohen Senates hat kürzlich ein lebensgroßes Oelgemälde von C. in der altehrwürdigen Kriegsstube des Rathhauses von Lübeck seinen Platz gefunden.

Bürgermeister Curtius. Lebensbild e. hanseatischen Staatsm. i. 19. Jahrh. Von Dr. Paul Curtius. Berlin 1903.

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