ADB:Dürer, Albrecht

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Artikel „Dürer, Albrecht“ von Alfred Woltmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 475–485, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:D%C3%BCrer,_Albrecht&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:27 Uhr UTC)
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Band 5 (1877), S. 475–485 (Quelle).
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Dürer: Albrecht D., der große Maler, zugleich Kupferstecher, Zeichner für den Holzschnitt, Drucker und Verleger, Goldschmied, Plastiker, Architekt, Ingenieur und Schriftsteller, geb. zu Nürnberg am 21. Mai 1471, gest. daselbst 6. April 1528. Sein gleichnamiger Vater A. D. der Aeltere war Goldschmied, stammte aus Ungarn, und zwar aus Eytas, einer vermuthlich deutschen Ansiedlung bei Gyula, 8 Meilen von Großwardein, kam als Geselle auf seiner Wanderschaft im J. 1455 nach Nürnberg, fand daselbst Arbeit bei Meister Hieronymus Holper und heirathete 1467, 40 Jahre alt, dessen 15jährige Tochter Barbara. Das dritte Kind und der zweite Sohn aus dieser Ehe war Albrecht, der den berühmten Buchdrucker Anton Koburger zum Taufpathen hatte. Obwol die Familie bei wachsendem Kindersegen in knappen Verhältnissen lebte, erhielt Albrecht doch eine für die Zeit gute Erziehung, besuchte die Schule, in der er sich wahrscheinlich sogar die Anfangsgründe des Lateinischen aneignete, und ward dann Lehrling in der Goldschmiedswerkstatt seines Vaters. Aber seine Neigung zog ihn zur Malerei; eine frühe Probe seiner Feinheit in der Auffassung ist sein eigenes Bildniß von 1484, eine zarte Silberstiftzeichnung (Wien, Albertina), als Arbeit eines Dreizehnjährigen staunenswerth. Der Vater gab endlich nach und that [476] ihn 1486 zu Michel Wolgemut auf drei Jahre in die Lehre. Dieser, der bedeutendste Maler in Nürnberg, war nicht nur in der Malerei, sondern auch in der Zeichnung für den Holzschnitt sein Meister, dann wahrscheinlich auch im Kupferstich, wenn Thausing’s Vermuthung richtig ist, daß die in der Mitte unten mit W bezeichneten Blätter großentheils, wie man früher annahm, von Wolgemut herrühren (nicht von Wenzel von Olmütz, dem sie Bartsch zu Anfang unseres Jahrhunderts ohne ausreichenden Grund hat zuschreiben wollen). In den Jahren 1490–94 unternahm D. die übliche Wanderschaft und kam, soweit wir nach beiläufigen Andeutungen und Studienblättern urtheilen können, an den Oberrhein, nach Straßburg, Colmar, Basel und wol auch über die Alpen nach Venedig. Landschaftliche Studien, welche unbefangene Auffassung der Natur, selbst Verständniß für den Farbenreiz der Landschaft verrathen, Ansichten von Innsbruck, Trient, der Venediger Klause etc., gehören wol schon in diese frühe Zeit. Eingehend studirte D. die Kupferstiche des oberrheinischen Meisters Martin Schongauer und des Andrea Mantegna, der ihm zuerst Eurythmie, Proportionen und classische Stoffe der italienischen Renaissance erschloß. Auf des Vaters Wunsch kehrte er im Mai 1494 von der Wanderschaft heim und heirathete am 7. Juli 1495 Agnes, Tochter des Hans Frey, aus einer angesehenen, begüterten Familie. Die Ehe war kinderlos; in späterer Zeit ist sie als eine besonders unglückliche verrufen worden, doch nur eine verbitterte Aeußerung von Wilibald Pirkheimer, dem Jugendfreunde Dürer’s, in einem zwei Jahre nach dessen Tode geschriebenen Briefe, liegt dem zu Grunde, und man muß sich hüten, diesem Ausfall zuviel Glauben beizumessen. Die Frau erscheint in ihren Bildnissen vielleicht nicht eben liebenswürdig, dem Humanisten mochte die Gattin von schlicht bürgerlichem Wesen nicht als ebenbürtige Gefährtin seines geistig höher stehenden Freundes erscheinen; D. selbst aber hat in Eintracht mit ihr gelebt. Auch nach der Verheirathung wohnte er zunächst im Hause des Vaters in der heutigen Burggasse, Ecke der Schmiedgasse. Die ruhige Existenz in rastloser Thätigkeit wurde dann nur durch zwei längere Reisen unterbrochen, aber auch diese machten kaum tiefere Einschnitte in seiner künstlerischen Entwicklung, welche sich ruhig und von innen heraus vollzog.

Bildnisse sind aus den früheren Jahren die besten Proben von dem, was D. als Maler leistete, in ihnen zeigt er sich bei klarer Auffassung der Vorbilder und feiner Helligkeit des Colorits als unmittelbarer Nachfolger Wolgemut’s, aber übertrifft diesen an innerer Beseelung. So in dem Bildniß des Vaters D. von 1490, noch vor Antritt der Wanderschaft gemalt (Florenz, Uffizien), in dessen späterem Porträt von 1497 (Sion House bei London), dem Selbstbildniß des Künstlers in eleganter Modetracht, von 1498 (Madrid), dem Porträt des häßlichen, doch höchst lebendigen Oswald Krell, von 1499 (München, Pinakothek). Derselben Gruppe ist die liebevoll durchgeführte, ganz individuelle Halbfigur einer betenden Madonna von 1497 beizuzählen (Augsburg); wahrscheinlich hat ein Mädchen aus der Familie Fürleger, deren Wappen auf Copien (Frankfurt a. M.) vorkommt, als Modell gedient. Im J. 1500 malte D. in Leimfarben auf Leinwand ein Bild aus der classischen Mythe, Hercules im Kampfe mit den Harpyien (Nürnberg, Burg; ganz verdorben). Vorzugsweise aber waren die deutschen Malerwerkstätten auf Production von Altären oder Altarflügeln angewiesen, bei denen die Zeichnung des Meisters gewöhnlich handwerksmäßig von Gesellen ausgeführt ward. Solche Kirchenbilder aus Dürer’s Werkstatt sind das in Leimfarben auf Leinwand für die Allerheiligenkirche in Wittenberg gemalte Triptychon: Maria mit dem Kinde, auf den Flügeln Antonius der Eremit und Sebastian (Dresden), dann der große Altar mit der figurenreichen Kreuzigung, auf den Flügeln Kreuztragung und Noli me tangere, auf deren Außenseiten Sebastian [477] und Rochus, für Friedrich den Weisen ausgeführt (Erzbischof von Wien, Ober St. Veit, der Entwurf des Mittelbildes, 1502, Basel, die Skizzen der Flügel Frankfurt a. M.), die Beweinungen Christi für die Familien Glim und Holzschuher (München; Nürnberg, Moritzcapelle). Etwas später und künstlerisch bedeutender ist der Paumgärtner’sche Altar aus der Katharinenkirche in Nürnberg, mit Christi Geburt und zwei ritterliche Heiligen neben ihren Streitrossen auf den Flügeln (München).

Für Dürer’s künstlerisches Interesse aber traten solche Schulbilder zurück gegen Arbeiten anderer Gattung, in denen er sich selbst nachdrücklicher aussprechen konnte. Der deutschen Kunst war eine Stellung im öffentlichen Leben, wie sie die italienische einnahm, versagt, sie hatte auf keine private Gemäldeliebhaberei der Reichen und Vornehmen, wie die flandrische Kunst, zu rechnen, dafür diente sie der Masse des Volks zum Organ der Mittheilung und gewann im intimen Leben des Hauses Platz. In Kupferstich und Holzschnitt, gangbarer Waare des Marktes, sprechen die Meister ihre eigenen Erfindungen aus, vervielfältigen die Fülle von Einfällen ihrer reichen Phantasie, lassen das Leben in seiner ganzen Mannigfaltigkeit zur Erscheinung kommen. Obwol auf Farbe verzichtet wird, beginnt doch gerade eine reichere Ausbildung des rein Malerischen in diesen Arbeiten zeichnender Technik. D., der in Kupfer sticht, für den Holzschnitt zeichnet und durch sein Verständniß dieser Technik den Formschneidern neue Bahnen weist, weiß die Mittel der Licht- und Schattenwirkung, das Verhältniß der Figuren zum umgebenden Raum auf eine neue Stufe zu heben.

In den früheren Kupferstichen bietet der Künstler was auf dem Markte verlangt wurde, Heiligenbilder und profane Darstellungen. Da breitet sich das damalige deutsche Leben aus, der Postreiter sprengt über Land, die Landsknechte stehen vor uns in ihrer malerischen Tracht, Damen und Cavaliere in enganschließendem Modekostüm, Koch und Köchin, derbe, tölpelhafte Bauern, selbst fremdartige Türkenfiguren treten auf, als Rarität wird die Mißgeburt eines Schweins festgehalten. Das Alter, das nicht vor Thorheit schützt, findet, wie im Volksliede, seine Stelle („Liebesantrag“), dem Pfaffen, der hinter dem Ofen eingeschlafen, flüstert ein Teufelchen unlautere Phantasien ein, die im Bilde verkörpert erscheinen („Der Traum“), die Spukgestalten, die in der Vorstellung des Volkes leibhaft existiren, sind vergegenwärtigt, die Hexe fährt auf ihre Tänze, hinter dem wandelnden Liebespaar lauert das Schreckbild des Todes („Spaziergang“). Daneben entstehen religiöse Darstellungen, die Madonna mit der Heuschrecke, der Hieronymus in der Wüste, die Madonna mit der Meerkatze, stärker an italienische Vorbilder erinnernd. Die humanistische Bildung der Zeit, die geistigen Anregungen eines Hartmann Schedel, eines Wilibald Pirkheimer, die Studien und Reminiscenzen aus Italien, die Vorbilder des Andrea Mantegna führen zu Studien aus dem Alterthum, die ein neues Reich für die Phantasie erschließen und die Gelegenheit zur Darstellung nackter Figuren liefern, wie „Das Meerwunder“, „Die Folgen der Eifersucht“, eigentlich Hercules im Kampfe mit dem Centauren, der Dejanira entführt hat (der Centaur mittelalterlich als Satyr aufgefaßt), die vier nackten Weiber, wol Allegorien der Altersstufen, unter dem Namen „die vier Hexen“ bekannt etc. Merkwürdig aber, daß viele dieser Arbeiten nicht Originale sind, sondern Copien nach dem Meister W, das heißt (nach Thausing) Wolgemut, zu dem D. fortgesetzt in einem Verhältniß des Wetteifers und geistigen Austausches blieb. Auch in selbständigen Arbeiten versenkt D. sich dann vorzugsweise in der Darstellung des nackten Leibes (Sebastian von vorn; Schmerzensmann) und dringt bis zu jener schweren, unschönen aber großartig realistischen Auffassung vor, wie sie der Frauenkörper der „Nemesis“ zeigt. Bei diesem Blatte, bei vielen andern tritt die seine, heimathtreue [478] und stimmungsvolle Auffassung der Landschaft uns immer anziehender entgegen, so auch bei dem verlorenen Sohne und dem heiligen Eustachius, Blättern, die zugleich ein von liebenswürdigem Humor und echtem Natursinne inspirirtes Studium der Thierwelt zeigen, während der tiefe, geistige Inhalt der Darstellung, dort die Seelenangst und Zerknirschung, hier die andächtige Demuth doch die Hauptsache bleibt.

Unterdessen hatte D. im Holzschnitt ganz andere Bahnen betreten, 1498 erschien seine Folge von 15 Holzschnitten „Die heimliche Offenbarung Johannis’“. Diese überschwänglichen Visionen in ihrer wilden Phantastik bildlich festzuhalten, war eine Aufgabe, die fast die Grenzen der Kunst überschritt, aber man erkennt die hohe poetische Gewalt des Meisters, der des kaum Darstellbaren Herr wird und in dieser Schilderung der letzten Dinge zugleich der religiösen Gährung Ausdruck gibt, die schon damals das Volk durchdrang. Mit diesem Werke war zugleich ein neues Princip in der Holzschnitttechnik zur Geltung gebracht, das einer vollen malerischen Wirkung an Stelle bloßer Umrißmanier. Andere frühe Holzschnitte, das Männerbad, verschiedene Heiligengestalten oder legendarische Scenen, sind in der Ausführung meist geringer. Auch zur Illustration von Büchern, namentlich von Publicationen der Humanisten lieh D. öfter seine Anregung oder seine Hand.

In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts war für seine Bekanntschaft mit den Formen der italienischen Renaissance die Berührung mit dem Venetianer Jacopo de’ Barbari bestimmend, der damals eine Zeitlang in Nürnberg arbeitete und hier unter dem Namen Jacob Walch (der Wälsche) bekannt war. Als Vermittler italienisch und germanischen Geschmacks spielte dieser eine Rolle, die aus seiner eigentlichen künstlerischen Begabung nicht zu erklären wäre. Sein Zug zum Eleganten, Weichen, die Proportionen seiner nackten Figuren wirken auf D., der sich aber gleichzeitig zum Widerspruch getrieben fühlt, und indem er von dem Italiener lernt, doch wieder seine nationalen Eigenthümlichkeiten hervorkehrt. Ein Gemälde wie die säugende Maria von 1503 (Wien, Belvedere), kleinere Kupferstiche, wie Apollo und Diana, die Satyrfamilie, die säugende Madonna an der Hecke (1503), zahlreiche, besonders zart ausgeführte, colorirte Studien nach Pflanzen und Thieren zeigen ihn auf diesem Wege. Ganz selbständig steht er dagegen in anderen Arbeiten da, in dem tiefsinnigen Todeswappen (1503), dem technisch unvergleichlichen Wappen mit dem Hahn, dem Stich Adam und Eva von 1504, in welchem er aus reinem Naturstudium heraus zu angemessenen Proportionen gelangt. Gemüthvoll- humoristische Auffassung waltet in der Geburt Christi mit dem Gehöft, dem Blick durch das Bogenthor, dem Joseph am Ziehbrunnen (Kupferstich, 1504). Demselben Jahre gehört das erste religiöse Gemälde reicherer Composition an, welches mit voller künstlerischer Hingabe vollendet wurde, die für Friedrich den Weisen ausgeführte Anbetung der Könige (Florenz, Uffizien); ferner die gezeichnete Passionsfolge auf grünem Papier (Wien, Albertina), in der sich zuerst seine ganze Meisterschaft in der Composition, seine dramatische Energie entfalten. Gleichzeitig wurden die berühmten, erst später vollendeten Holzschnittfolgen des Marienlebens und der großen Passion begonnen.

Der Tod des Vaters am 20. Septbr. 1502 war dem Meister sehr zu Herzen gegangen, im J. 1503 hatte er selbst eine schwere Krankheit durchzumachen. Ende 1505 unternahm er sodann eine Reise nach Venedig, wo er bis in das J. 1507 blieb, während seine Frau unterdeß mit Kupferstich- und Holzschnittwaare die Frankfurter Messe bezog. Geschäftliche Gründe veranlaßten diese Reise. D. erwirkte den Schutz seines Monogramms auf den Kupferstichen und Holzschnitten, die von Italienern, besonders von Marcanton, vielfach copirt wurden. Er fand guten Absatz für kleinere Gemälde und erhielt Bildnisse zu [479] malen. Von der Genossenschaft der deutschen Kaufleute empfing er den Auftrag zu einem Altarbild für ihre Kirche. Dies ist das Rosenkranzbild von 1506 (Prag, Kloster Strahow, ganz ruinirt), die Rosenkranzandacht der Christenheit, in Geistliche und Weltliche geschieden, Papst und Kaiser an der Spitze, vor der Madonna, ein Werk, das auch in der Ausführung und Farbenpracht den Italienern imponirte. Ein halb improvisirtes Bild, der Christusknabe zwischen den Schriftgelehrten (Rom, Pal. Barberini) und das zart vollendete kleine Gemälde des Gekreuzigten (Dresden) fallen in dieselbe Zeit. Mit Pirkheimer, den D. neben seinem eigenen Bildnisse auf der Rosenkranzandacht angebracht, stand er damals in lebhafter Correspondenz. Dürer’s eigene Briefe sind erhalten und bilden ein unersetzliches historisches Zeugniß. Die ehrenvolle Aufnahme, die er fand, die Achtung welche ihm der angesehenste Meister, der greise Giovanni Bellini zollte, der Künstlerneid, der sich bei andern regte, treten uns anschaulich entgegen. Freudig nimmt D. an dem heitern, bewegten Leben Venedigs Theil, seine frohe Laune klingt in zahlreichen Briefen fast übermüthig durch. Von Venedig unternahm er noch eine Reise nach Bologna, um Unterricht in der Perspective zu nehmen. Der Heimath ließ er sich nicht abwendig machen, obwol der Rath von Venedig ihn durch ein Jahrgehalt fesseln wollte. Er erkannte, daß die Wurzeln seiner Kraft im Vaterlande ruhten.

Der Erfolg der Reise war äußerlich ein lohnender gewesen. D. konnte nach der Rückkehr frühere Schulden bezahlen, 1509 das sogenannte Dürerhaus am Thiergärtner Thor kaufen. Hier starb 1514 seine Mutter bei ihm und hier wohnte er bis zu seinem Ende. Im selben Jahre 1509 ward er „Genannter“ des Rathes. Anspornung und Gelegenheit zum Schaffen hatte ihm die Reise gewährt, er hatte die Studien nach dem lebenden Modell bequemer als zu Hause gehabt, hatte noch mehr als bisher die architektonischen Formen der Frührenaissance kennen gelernt. Aber eine tiefer gehende Einwirkung des italienischen Kunstlebens erfuhr er nicht, schon vor der Reise hatte er seinen Stil ausgebildet, der auch fernerhin feststand. Gerade in die nächsten Jahre fallen seine Hauptwerke in der Malerei, die großen Gestalten von Adam und Eva, meisterhafte Actstudien, 1507 (Florenz, P. Pitti), die Marter der Zehntausend, für Friedrich den Weisen, 1508, eine Summe kühner Experimente in der Körperstellung (Wien Belvedere), die Himmelfahrt der Maria, 1509 (1674 beim Schloßbrande zu München zu Grunde gegangen). Seine Briefe an Jakob Heller in Frankfurt a. M., der diesen Altar für die dortige Dominicanerkirche malen ließ, sind uns erhalten; es war ein mit äußerster Sorgfalt durchgeführtes Werk. 1511 endlich vollendete D. das Allerheiligenbild für das von Matthäus Landauer gegründete Brüderhaus (Wien, Belvedere), die Perle unter allen noch erhaltenen Gemälden. Hier kann man die Principien seiner Farbengebung kennen lernen. Kein eigentlich coloristisches Gefühl; ein fröhliches Leuchten und Glitzern der einzelnen Töne, das an das Bunte streift und doch hier als Ausdruck himmlischer Glückseligkeit am Platze ist. Etwa gegen dieselbe Zeit entstand sein eigenes Bildniß ganz von vorn (München, Pinakothek, mit gefälschter Inschrift). Breiter sind die großen Kniestücke von Karl dem Großen und Kaiser Sigismund behandelt, 1512 für die Thüren des Reichskleinodienschreins im Auftrage des Nürnberger Rathes vollendet (Nürnberg, Rathhaus). Daneben beendigte D. 1511 die früher begonnenen Holzschnittcyklen des Marienlebens (20 Blatt) und der großen Passion (12 Blatt). Dort waltet eine ergreifende Innigkeit der Empfindung, eine Poesie des häuslichen Lebens, die in den Erscheinungsformen seiner eigenen Zeit zu Tage tritt, vom hold Idyllischen bis zu ernster Tragik sind alle Situationen erschöpft. Grade hier sind Naturleben und Landschaft bis in die unscheinbarsten Züge erfaßt und in das innerste Empfindungsleben der Darstellungen [480] hineingezogen. Die Passion aber kommt dem tiefsten religiösen Bedürfnisse des Volkes entgegen, noch sind nicht alle Nachwirkungen der älteren verzerrten und fratzenhaften Darstellung dieser Stoffe überwunden, aber Dürer’s Auffassung geht aus eigenstem, persönlichem sich Versenken in die biblische Erzählung hervor, sein Christus hat wenig mit dem älteren Typus zu thun, sondern ist eine neue, bei aller Hoheit und Milde heldenhafte Gestalt, und in den Compositionen entfaltet sich das höchste dramatische Leben. So groß ist dabei der Reichthum seiner Erfindung, daß er in derselben Zeit (1511) eine „kleine Holzschnittpassion“ von 37 Blatt beendigt, die ausführlicher, doch in größerer Schlichtheit der Composition und in volksthümlicher Kraft erzählt, dann im J. 1513 die Kupferstichpassion abschließt, bei der die Scenen wieder von ganz neuen Seiten erfaßt sind und D. auf feineres Durcharbeiten des Psychologischen ausgeht, wie es diese Technik gestattete. Ueberall war er selbst der Drucker und Verleger solcher Werke und Blätter, selbst die vollendete Ausbildung der lateinischen Druckschrift in den Texten geht auf sein Studium italienischer Vorbilder zurück. Mitunter versucht er sich auch als Poet, wenn er seinen Flugblättern einige anspruchslose Reime beigibt. In diese Jahre fallen sodann einige der schönsten Einzelblätter in Holzschnitt, z. B. die hochpathetische Dreifaltigkeit von 1511, sowie in Kupferstich, z. B. die Engel mit dem Schweißtuch, dann verschiedene Madonnenbilder in immer neuer Situation. Nicht eigentlich aus dem Mariencultus sind sie herausgewachsen, nicht Idealgestalten will D. schaffen, er betont vorzugsweise das rein mütterliche Verhältniß zum Kinde, mag Maria an der Stadtmauer von Nürnberg sitzen oder als Himmelskönigin über Wolken stehen. Motive aus dem täglichen Leben treten auch jetzt mitunter auf, wie der Dudelsackpfeifer (1514), die tanzenden Bauern (1514), die Marktbauern (1519), auch bildete er, wie früher, Naturmerkwürdigkeiten ab, so das erste Rhinoceros, das nach Europa gekommen (1515, Holzschnitt). In sein innerstes Gedankenleben lassen uns dann namentlich drei berühmte Stiche, offenbar Fragmente aus einer unvollendeten Folge der vier Temperamente blicken: die Melancholie (1514), in der das faustische Element der Epoche Gestalt gewonnen, der Hieronymus in der Zelle (1514), als Phlegmatiker, welcher der unbefriedigten Schwermuth des grübelnden Geistes gegenüber den Frieden des gläubigen Gemüthes verkörpert, endlich als Sanguiniker der Rittersmann zu Pferde, den Tod und Teufel nicht beirren (1513). Die Todesphantasien, welche die Kunst dieser Zeit immer wiederkehren läßt, erhalten hier bei D. eine neue Wendung. Eine interessante Episode dieser Zeit ist sein Verkehr mit Raphael, dem er sein Bildniß übersendete. Raphael bewunderte dieses aufs höchste und schickte als Gegengabe Zeichnungen von seiner Hand; ein Blatt mit zwei Actstudien für die Seeschlacht von Ostia im Vatican, beglaubigt durch eine handschriftliche Bemerkung Dürer’s mit der Jahreszahl 1515, befindet sich in der Albertina.

Ein unermüdliches Experimentiren in der Technik war für D. Bedürfniß. Er hatte sich während dieser Jahre mehrfach in Arbeiten mit der kalten Nadel, in Radirungen auf Kupfer und Eisen versucht. Bei seinem Hervorgehen aus einer Goldschmiedswerkstätte konnte ihm dann auch die Uebung in der Plastik im Kleinen naheliegen. Die Arbeiten aus Holz und aus Kehlheimer Stein, welche man ihm zuschreibt, rühren freilich ausnahmslos nicht von seiner Hand her und tragen gefälschte Monogramme, aber für Metallguß hat er gelegentlich modellirt. Lebhafter nahm er auf andere Art an der reichen kunstgewerblichen Production Nürnbergs theil durch Entwürfe für Arbeiten mannigfacher Art, für die holzgeschnitzten Rahmen seines Allerheiligenbildes, für Waffen und Goldschmiedsarbeiten, besonders für Gefäße. Manchmal ergreift er die von Italien übertragenen Formen der Renaissance, ist aber in denen der spätern Gothik eigentlich noch heimischer [481] und findet oft an einem zu weit gehenden Naturalismus, in den ja der entartete gothische Stil endete, Behagen. Reiner ist sein Geschmack in der Flächenverzierung, so in den sechs „Knoten“, Stickmustern in Holzschnitt, namentlich aber in der kalligraphischen Ornamentik wie sie das Gebetbuch des Kaisers Maximilian (München, Bibliothek) in Dürer’s unvergleichlichen Federzeichnungen aufweist (nach 1514): ein unendlich verschlungenes Linienspiel, auslaufend in Masken, Thiere, phantastische Gestalten, durch ernste Bilder wie durch eine Fülle scherzhafter Einfälle belebt.

Seit Maximilians Aufenthalt in Nürnberg im J. 1512 war D. in seinen Dienst gezogen worden. Die Person des Kaisers sollte namentlich durch ein Holzschnittwerk im großartigsten Maßstabe verherrlicht werden, den „Triumph“. Unter der Leitung des gelehrten Johannes Stabius, der durch seltsame Allegorien nach der Mode der Zeit an den Maler oft befremdende Anforderungen stellte, hatte D. zu arbeiten, 1515 war der erste Theil vollendet worden: die Ehrenpforte, mit ihrer Fülle von Figuren und Scenen. Für den zweiten Theil, den Triumphzug Maximilians, lieferte D. eine Reihe von Zeichnungen, aber die Arbeit wurde später von anderer Hand fortgesetzt und war bei dem Tode des Kaisers noch nicht beendigt. Die Hauptgruppe des Zuges, der Triumphwagen Maximilians, erschien in umgearbeiteter Composition 1522 in großen Holzschnitten. So unmittelbar wie andere Dürer’sche Schöpfungen wirken diese auf uns kaum, aber sie imponiren uns als künstlerische Leistungen durch die Pracht des Aufbaues, die stärkere Aneignung des Renaissancegeschmacks, die freie Meisterschaft in Proportionen und Bewegungen der Gestalten. Der Triumphwagen wurde dann, im Auftrage des Nürnberger Rathes, von Georg Penz als Wandbild im Rathhaussaal ausgeführt; für denselben Raum lieferte D. noch den Entwurf einer andern Composition, der Verläumdung, nach Lucian’s Beschreibung vom Gemälde des Apelles (Albertina). Für das Schwert des Kaisers (Wien, Ambraser Sammlung) stach D. in ein kleines Goldmedaillon, das in den Griff gefügt war, aber jetzt abhanden gekommen ist, den Heiland am Kreuz. Die Darstellung war eigentlich nicht zum Abdruck bestimmt, nur D. selbst machte ein paar Probedrucke, die jetzt zu den höchsten Seltenheiten gehören. Bei dem Reichstage zu Augsburg im J. 1518 erschien D. wieder vor dem Kaiser und zeichnete in dessen Gemach in der Pfalz sein Bildniß (Wien, Albertina), welches dem großen Holzschnitt, den er 1519 nach Maximilians Tode herausgab, zu Grunde liegt. Bei Gelegenheit dieses Reichstags zeichnete er auch den Kurfürsten von Mainz, Cardinal Albrecht von Brandenburg (Bremen, Kunsthalle), und gab 1519 den zarten Kuperstich, der dessen Gesicht zu Dreivierteln zeigt und als „der kleine Cardinal“ bekannt ist, heraus. Für seine Arbeiten hatte ihm der Kaiser 1515 bereits ein Jahrgehalt von 100 Gulden auf die Nünberger Stadtsteuer angewiesen. Nach Maximilians Tode hatte aber D. Mühe, sich dieses Einkommen zu sichern und ein neues Privileg von Seiten des Nachfolgers dafür zu erwirken. Die ihm für das J. 1519 angewiesene einmalige Zahlung von weiteren 200 Gulden wurde ihm dagegen verweigert.

Die Erlangung jenes Privilegs von Karl V. war der Hauptzweck einer größeren Reise, die er am 12. Juli 1520 nach den Niederlanden antrat, diesmal in Begleitung der Frau und einer Magd. Sein kurz gefaßtes Reisetagebuch unterrichtet uns genau über diese Zeit. Er ging rheinabwärts, hielt sich am längsten in Antwerpen auf, wohnte da dem Einzug Karls V., in Aachen seiner Krönung bei, folgte ihm nach Köln, kehrte vom Rheine nach Antwerpen zurück und machte Reisen durch das ganze Land. D. bewunderte die prächtigen flandrischen Städte, ihren Reichthum, ihre Kunstschätze, ward in allen Kreisen mit [482] Auszeichnung und gastfrei aufgenommen, trat mit den berühmtesten Künstlern in Verkehr und lernte Erasmus kennen. Von Ansichten, Gebäuden, Persönlichkeiten, Costümen brachte er kleine Silberstiftzeichnungen im Skizzenbuche, Federzeichnungen, oft auch durchgeführte größere Blätter, wie den 93jährigen Greis aus Antwerpen (Albertina) mit heim, malte Bildnisse und kam anderen Aufträgen nach, nahm endlich die Gelegenheit zum Handel mit seinen Stichen und Holzschnitten wahr, von denen er aber auch viele zu Geschenken verwendete. Am 12. Juli 1521 trat er die Heimreise an. Anerbietungen, die man ihm in Antwerpen gemacht, um ihn dort zu halten, hatte er auch diesmal zurückgewiesen.

Die Zustände im Vaterlande waren unterdessen in einer durchgreifenden Wandlung begriffen durch die Fortschritte der Reformation. Luther’s erstes Auftreten hatte bereits mächtigen Eindruck auf D. gemacht, wie ja auch seine nächsten Freunde, Pirkheimer und Lazarus Spengler, bald zu Luther’s entschiedenen Anhängern gehörten. D. trat schnell in persönliche Beziehungen zu Luther und gab seiner Gesinnung am deutlichsten kurz vor der Reise nach den Niederlanden in einem Briefe an Spalatin Ausdruck: ihm habe „der christliche Mann aus großen Aengsten geholfen“. Der Geist, der D. beseelte, seine Gemüthswärme, persönliche Hingabe und schlichte Aufrichtigkeit bei Darstellung religiöser Gegenstände, war demjenigen Luther’s nahe verwandt. Als er in den Niederlanden die Kunde von Luther’s Entführung auf der Rückreise von Worms erhielt, brach er in den Angstruf eines verzweifelten Herzens aus. Trotz aller Kämpfe hielt er in der Folge an seiner Ueberzeugung fest. „Des christlichen Glaubens wegen“, schreibt er später von Nürnberg an Nikolaus Kratzer, „müssen wir in Schmach und Gefahr stehen, denn man schilt uns Ketzer. Aber Gott verleihe uns seine Gnade und stärke uns in seinem Worte, denn wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Diese Gesinnung spricht sich auch in seinen Werken aus. Heiligenbilder und Madonnen treten jetzt mehr zurück, wenn sie auch nicht gänzlich verschwinden. Nur St. Christophorus kommt mehrfach vor (Stiche von 1521); den ließ ja auch Luther gelten, er liebte diese Legende als „ein schönes Gedicht“ und sah in Christophorus, gewiß nicht ohne Hinblick auf Dürer’s Stiche, „ein Bild, wie ein Christ sein sollte, der den Heiland durch das wüthende Meer, die Welt trägt.“ Darstellungen des Abendmahls (Zeichnung, Albertina, Holzschnitt von 1523), der Kreuztragung und der Grablegung (Florenz, Frankfurt a. M.) kommen mehrfach vor, meist figurenreich, in breitem Format, bei höchster malerischer Klarheit der Composition. Namentlich aber überwiegen Charakterbilder der Apostel, in welchen D. dem Volke die Vertreter göttlicher Wahrheit vor Augen stellen will. So setzte er 1523 eine früher begonnene Folge der Apostel in Kupferstich fort, die Fragment blieb, und vollendete 1526 die zwei Apostel- und Evangelistenbilder mit den großen Gestalten von Johannes und Petrus, Paulus und Marcus, zugleich als Vertreter der vier Temperamente charakterisirt, Johannes und Paulus vorn, einander gegenüberstehend, in gedankenvoller Milde und in feuriger Kraft, wie ideale Charakterbilder von Melanchthon und Luther (ersterer in der That an die Züge Melanchthon’s erinnernd). Diese Bilder (München, Pinakothek) verehrte D. seiner Vaterstadt als ein Vermächtniß, und sie sind das nicht nur im Hinblick auf die Gesinnung, welche sie durchdringt, sondern auch in künstlerischer Beziehung. Bekannt ist der von Melanchthon überlieferte Ausspruch Dürers: früher habe er an der reichen Mannigfaltigkeit in seinen Arbeiten Freude gehabt, jetzt aber habe er erkannt, daß Einfachheit der höchste Schmuck der Kunst sei, darum seufze er jetzt, wenn er seine Bilder ansehe, seiner Schwachheit gedenkend. Am Ziel seines Wirkens war ihm die Nothwendigkeit klar geworden, [483] den phantastischen Zug seines Wesens in Schranken zu halten, nach Maß und Klarheit zu streben. In den Formen, den Charakteren, dem herrlichen Faltenwurf, der Anordnung kommt er hier dieser Einfachheit nahe. Ein verwandter Stil tritt in den Bildnissen der späteren Zeit zu Tage, dem Porträt Hans Imhof’s des Aelteren von 1521 (Madrid), dem des Jakob Muffel von 1526 (Paris, Sammlung Narischkine) und dem des greifen Hieronymus Holzschuher (1526, Nürnberg), das trotz der staunenswerthen Ausführung in Runzeln und Silberhaar doch zur vollen, ruhigen Einheitlichkeit der Wirkung kommt. Aehnliche Vorzüge haben der große in Holzschnitt vorgeführte Kopf des Ulrich Varnbühler (1522, Zeichnung, Albertina) und die damaligen Bildnisse in Kupferstich. In Seitenstücken erschienen Cardinal Albrecht von Brandenburg („der große Cardinal“, 1523) und Friedrich der Weise (1524), dann zwei Vertreter des Humanismus und der Reformation, Wilibald Pirkheimer (1524) und Melanchthon (1526). Letzteren hatte D. bei seinen Besuchen in Nürnberg kennen gelernt und ihm war er vorzugsweise nahe getreten. Das gleichzeitig gestochene Bildniß des Erasmus wird dagegen den feineren Eigenthümlichkeiten dieser Natur nicht so völlig gerecht.

Im Ganzen tritt aber in diesen Jahren die künstlerische Production mehr und seit 1526 vollständig gegen die theoretischen Studien zurück. D. ist der Ueberzeugung, daß in der Kunst ein Lernen und Unterweisen auf wissenschaftlicher Grundlage an Stelle des bisher in Deutschland üblichen rein empirischen Verfahrens treten müsse. Studien über Perspective, über geometrische Construction in Anwendung auf ornamentale Formen und über die Proportionen des menschlichen Körpers reichen bei ihm über Jahrzehnte zurück. Den Euklid, den Vitruv, die italienischen Theoretiker hat er studirt, steht aber in seinen Grundanschauungen immer noch fest auf dem Boden der heimathlichen Kunst und in der Auffassung der architektonischen Form noch unter der Herrschaft der deutschen Spätgothik und ihrer Steinmetzenlehre. 1525 erschien die „Unterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheit“. Als Ingenieur von Bedeutung zeigt sich D. sodann in dem 1527 publicirten „Unterricht zur Befestigung der Städte, Schlösser und Flecken“. Ende 1528, nach seinem Tode, erschienen „Die vier Bücher von menschlicher Proportion“, das wichtigste dieser Werke. Alle theoretischen Studien führen ihn aber nicht zu abstracten Formeln, aus denen nur der Manierismus hervorgehen kann, sondern immer wieder zur Natur zurück. Er warnt den Künstler, von ihr abzugehen, sein Werk werde desto vollkommener sein, je genauer es dem Leben entspreche, sein Können aber sei kraftlos gegen Gottes Schaffen. Nur aus dem Studium der Natur erwachse ihm die Fähigkeit, neue Creaturen künstlerisch hervorzubringen. Als Schriftsteller zeigt D. sich in diesen Werken als ein Meister in der von Luther neu belebten deutschen Prosa, voll Kraft, Klarheit, Sachlichkeit und Originalität des Ausdrucks. Die Bücher sind durch Holzschnitte nach seiner Zeichnung reich illustrirt.

Seit der niederländischen Reise war D. von einer Krankheit befallen, von der er sich nicht mehr erholte; er magerte ab und mußte sich in der Folge auch vom Verkehr mit den Freunden fern halten. Sein Ende aber trat plötzlich und unerwartet ein. Auf dem Johanniskirchhof wurde er bestattet. Er hinterließ geordnete Verhältnisse, ein Vermögen von etwa 6000 Gulden. Seine Gattin überlebte ihn bis 1539. Als Schüler und Gehülfen seiner früheren Zeit kann man nennen Hans Scheuffelin, Hans von Kulmbach, dann Dürer’s jüngsten Bruder Hans, später Hofmaler in Krakau. Auch Hans Baldung Grien stand eine Zeit lang unter Dürer’s unmittelbarem Einfluß, ohne sein eigentlicher Schüler zu sein. In späteren Jahren hielt D. kaum eine eigentliche Malerwerkstätte, aber [484] es war wol Georg Penz eine Zeit lang sein Schüler, und er wie die beiden Brüder Hans Sebald und Barthel Beham, die berühmtesten unter den sogenannten Kleinmeistern, haben sich auch im Kupferstich nach ihm gebildet. Sein Einfluß aber durchdrang außerdem das deutsche Kunstleben in den weitesten Kreisen.

D. war eine universell angelegte Natur. Nicht nur seine künstlerische Größe, sondern sein Genius und sein Charakter überhaupt sichern ihm eine ebenbürtige Stellung neben den bedeutendsten Persönlichkeiten im damaligen deutschen Leben. Er war ein Mensch von inniger Tiefe des Gemüthes, seltener Klarheit des Verstandes, Lauterkeit, Ehrbarkeit und Treue des Wesens. Er hatte sich eine Bildung angeeignet, die weit über seinen Stand hinausging und nahm in der Epoche des Humanismus und der Reformation an allen geistigen Bestrebungen der Zeit theil. Als Schriftsteller, als Theoretiker wirkend, war er doch vorzugsweise Künstler, aber er erfaßte die Kunst in ihrer Totalität und hatte für ihre verschiedensten Zweige Verständniß. In technischer Beziehung ist er vorzugsweise Zeichner, aber einer der größten, welche je gelebt haben, im Reichthum künstlerischer Erfindung steht er überhaupt ohne Gleichen da und ist auf allen Stoffgebieten, die seinem Bewußtsein zugänglich waren, zu Hause. Der Realismus, welcher in der flandrischen Kunst des 15. Jahrhunderts zuerst in ganzer Schärfe zu Tage tritt, ist auch sein Princip. Volle, unbedingte Wahrheit in der Auffassung menschlicher Individualität, sowie der Landschaft, der Umgebung, ist ihm die Hauptsache. Mit Liebe, mit Hingabe, mit dem Streben, Gott in seinen Creaturen zu erkennen, tritt er vor die Erscheinungen der wirklichen Welt. Aber die befangene Demuth und Schüchternheit der altflämischen Kunst, die zur Stille und Handlungslosigkeit führte, ist bei D. überwunden. Seine Weltanschauung ist der Humor, der von der gemüthvollen, innigen Belauschung des Unscheinbarsten bis zur schalkhaftesten Laune und herzhaften Freudigkeit alle Stufen des Ausdrucks durchläuft. Auch das Ergreifende, das Tragische weiß er auszusprechen, von dem Phantastischen und Geheimnißvollen hebt er den Schleier. Gewissenhaftigkeit ist in seiner Auffassung der Formen das Maßgebende: sie streift oft an das Peinliche, und oft wird D. im einzelnen unruhig und seltsam durch die Gedankenfülle, die in die Formen mehr Ausdruck zu legen strebt, als sie zu fassen vermögen. Aber klar und vollendet bleibt er in der Composition, ein Meister in der Gruppenbildung, der Abwägung der Massen, und so wenig er verhältnißmäßig malt, stets von rein malerischer Anschauung. Er schuf inmitten eines vielfach beengten kleinbürgerlichen Lebens, die wirthschaftlichen Bedingungen waren seinem Schaffen ungünstig, vom Nürnberger Rathe, klagt er einmal, habe er nicht für 1000 Gulden Arbeit gehabt; aber ohne ein Gefühl der Beklemmung, in ungetrübter Freudigkeit und Gesundheit steht er auf dem vaterländischen Boden und das heimathliche Volksthum gewinnt in seinen Werken so echt und so mannigfaltig, wie niemals wieder in der Kunstgeschichte, Ausdruck.

Dürer’s Briefe, Tagebücher und Reime, herausgegeben von M. Thausing, III. Bd. der Quellenschriften für Kunstgeschichte, Wien 1872, Uebertragung des Textes, mit Anmerkungen. Originaltext (oft corrumpirt) bei Campe, Reliquien von A. D., Nürnberg 1828, einzelnes correcter an anderen Orten, so die Briefe aus Venedig, herausg. von Eye; Jahrbücher für Kunstwissenschaft II. Vgl. dazu Lochner, Die Personennamen in Dürer’s Briefen aus Venedig, Nürnberg 1870. – Biographien etc.: A. v. Eye, Leben und Wirken A. Dürer’s, Nördlingen 1860; M. Thausing, Dürer, Geschichte seines Lebens und seiner Kunst, Leipzig 1876; A. v. Zahn, Dürer’s Kunstlehre und sein Verhältniß zur Renaissance, Leipzig 1866. – Verzeichnisse der Werke: J. Heller, Das Leben und die Werke A. Dürer’s, Bamberg 1827, 2. (einziger) [485] Band; für Kupferstiche und Holzschnitte der Peintre-Graveur von Bartsch und der von Passavant; R. v. Retberg, Dürer’s Kupferstiche und Holzschnitte, ein kritisches Verzeichniß, München 1871.