ADB:Elisabeth Charlotte (Pfalzgräfin bei Rhein)

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Artikel „Elisabeth Charlotte, Pfalzgräfin, Herzogin von Orléans“ von Bernhard Kugler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 28–34, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Elisabeth_Charlotte_(Pfalzgr%C3%A4fin_bei_Rhein)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 23:08 Uhr UTC)
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Elisabeth Charlotte, Pfalzgräfin, Herzogin von Orléans, ist am 27. Mai 1652 geboren. Ihr Vater war Karl Ludwig, Kurfürst von der Pfalz, ihre Mutter Charlotte, eine hessische Prinzessin. Die Ehe der Eltern war nicht glücklich, wurde nach kurzer Zeit aufgelöst und nun vermählte sich der Kurfürst mit dem schönen Kammerfräulein Luise v. Degenfeld, welcher er den Titel einer Raugräfin ertheilte. Während dieser Vorgänge wurde die junge E. Ch. nach Hannover geschickt, um dort bei ihrer Tante, der trefflichen und geistvollen Kurfürstin Sophie, ihre erste Erziehung zu empfangen. Der Aufenthalt in Hannover war eine sehr glückliche Zeit für die Prinzessin. Denn sie erhielt dort in der Person des Fräuleins v. Offeln, der spätern Frau v. Harling, nicht allein eine sehr tüchtige Erzieherin, sondern sie schloß auch mit ihrer Tante Sophie, zunächst in der Form kindlicher Liebe, jene innige Verbindung, die fast der hellste Punkt, die reinste Freude in ihrem Leben werden sollte. Außerdem war es ein großes Glück für sie, daß inzwischen die ehelichen Verhältnisse ihres Vaters eine feste und erfreuliche Gestalt annahmen. Die Raugräfin Luise v. Degenfeld war eine sehr anmuthige Dame und hing mit treuer Liebe an ihrem Gemahl. Die Ehe war mit einer großen Zahl wohlbegabter Kinder gesegnet, und so wurde es E. Ch. leicht, nach ihrer Rückkehr in die Pfalz sich auch diesen Verwandten in herzlicher Zuneigung anzuschließen. Anfangs war dies von Seiten der Prinzessin eine rein kindliche Neigung; in späteren Jahren freute sie sich mit klarer Erkenntniß über die tüchtige Art ihrer Stiefgeschwister; aber bezeichnend für sie ist, daß sich in dieses Verhältniß neben traulicher Herzlichkeit auch ein ganz bestimmtes Gefühl der Pflicht einmischte, so daß sie wol sagte: „Was unser Herr Vater lieb hat, das ist mir auch lieb.“

Im übrigen erscheint die junge „Liselotte“ vor allem als ein urkräftig derbes Naturkind, das an jedem ausgelassenen Spiel und an wilder, oft gefährlicher Jagd Gefallen fand. Lieber als ein Mädchen wäre sie ein Knabe gewesen, [29] und als sie zur Jungfrau herangeblüht war, zeigte sie geraume Zeit wenig Lust sich zu vermählen. Einem Herzog von Kurland, der nach dem Willen der Eltern um sie anhalten sollte, obgleich er schon eine würtembergische Prinzessin leidenschaftlich liebte, erklärte sie unumwunden, er solle nur seiner ersten Liebe treu bleiben, und einem badischen Markgrafen gab sie in ebenso naiver Weise einen Korb. Schließlich aber wurde sie genöthigt, sich ganz wider Wunsch und Willen zu verheirathen. Denn im J. 1671 warb der Bruder Ludwigs XIV., der Herzog Philipp von Orléans, der so eben durch den Tod seiner Gemahlin Henriette von England Wittwer geworden war, um ihre Hand und ihr Vater ging auf den Antrag ein, in der Meinung, daß die Verschwägerung mit dem mächtigen Frankreich vortheilhaft für die Pfalz sein werde. Er verurtheilte hierdurch die Tochter zu dem traurigen Schicksal, mit ihrem offen- und warmherzigen Wesen an dem ränkevollen Hofe zu Versailles eine nur aus politischen Rücksichten geschlossene Ehe zu führen. E. Ch. hatte daher Ursache zu dem schmerzlichen Ausruf: „So bin ich denn das politische Lamm, das für den Staat und das Land soll geopfert werden; Gott gebe, daß es wohl anschlage,“ – aber dem väterlichen Willen streng gehorsam, fügte sie sich in die Vermählung mit dem Herzog Philipp von Orléans.

Nachdem sie unter bitteren Thränen von der geliebten Heimath Abschied genommen hatte, mußte sie während der Reise durch Frankreich von der reformirten Religion zum Katholicismus übertreten, und als sie endlich das Hoflager Ludwigs XIV. erreicht hatte, war es ihr nach ihren eigenen Worten, als wäre sie vom Himmel gefallen. Zu diesem traurigen Anfang ihres neuen Lebens trug wol die Person ihres Gemahls das meiste bei. Denn Herzog Philipp von Orléans spielte eine klägliche Rolle unter den vielen talentvollen Männern des damaligen Frankreichs. Er hegte keinen höheren Wunsch als den, möglichst elegant, üppig und bequem zu leben. Die mannhafte Liselotte konnte den nichtigen Menschen kaum achten, geschweige denn lieben, und als sie ihm trotzdem, durch ihr starkes Pflichtgefühl geleitet, in herzlicher Gesinnung nahte, wurde sie von ihm gebeten, ihn um Gotteswillen weniger lieb zu haben, weil ihm das gar zu importun sei. Die charaktervolle Frau erlag jedoch keineswegs diesem kummervollen Schicksal. Sie behielt eine ungemein starke Fähigkeit, sich an allem Edlen, Großen, Schönen, ja sogar an allem Komischen im Leben, herzlich und heiter zu erfreuen. Für die damalige Größe der französischen Nation hatte sie ein offenes Auge: „Ich kam“, so schreibt sie, „zu einer schönen Zeit nach Paris, und habe Leute dort gefunden, wie man in vielen Jahrhunderten nicht wieder so an einem Ort treffen wird, Lulli, Corneille, Racine, Molière nebst so vielen Andern.“ Das Theater besuchte sie besonders gern und die Molière’sche Komödie war ihr auch in den trübsten Zeiten eine wahre Herzensstärkung. Ihre eigene Person gab ihr willkommenen Stoff zu häufigen Scherzen. Das Porträt, welches wir von ihr besitzen, zeigt zwar sehr kräftige, entschlossene Züge, und von den Zeitgenossen wurden ihr Teint und ihre schönen Arme bewundert, im Ganzen war sie aber doch mit so wenigen körperlichen Reizen ausgestattet, daß sie wol nicht unklug handelte, selber über ihre Häßlichkeit zu lachen, welches ihr, wie sie sagt, recht wohl bekam, da sie oft genug Stoff zum Lachen gefunden. „Ich muß wol häßlich sein,“ so schreibt sie einmal, „ich habe kleine Augen, eine kurze dicke Nase, ein großes Gesicht mit hangenden Backen und bin gar klein von Person, dick und breit: Summa Summarum, ich bin gar ein häßlich Schätzchen.“

Während der ersten Jahre ihres Aufenthaltes in Frankreich besaß sie übrigens in ihrem Verhältniß zu Ludwig XIV. eine gute Stütze, um ihre Lebensfreude und ihren Humor daran aufrecht zu halten. Denn zuerst kam der [30] König seiner jungen Schwägerin mit ritterlicher Galanterie entgegen und nach kurzer Frist, nachdem er ihre eigenthümliche Weise kennen gelernt hatte, zeigte er ihr Achtung und Freundschaft. Dafür aber drohten ihr von einer anderen Seite um so schlimmere Gefahren. Ihr Gemahl war in den Händen von Günstlingen, erbärmlichen lasterhaften Menschen, die, sehr bald von Haß und Furcht gegen die ehrbare E. Ch. erfüllt, deren Stellung durch unaufhörliche Intriguen zu untergraben suchten. Sie sprengten z. B. aus, daß die Prinzessin eine Liebschaft habe, und der klägliche Herzog von Orléans ließ sich in der That soweit berücken, daß er hiernach seine Gemahlin mit der äußersten Rücksichtslosigkeit behandelte. E. Ch. duldete eine Zeit lang in stolzem Schweigen, beklagte sich dann beim Könige und sprach endlich den Wunsch aus, den Hof zu verlassen und sich in ein Kloster zurückzuziehen. Ludwig XIV. glaubte anfangs nicht, daß dies ernst gemeint sei; als er sich aber davon überzeugt hatte, protestirte er mit vieler Wärme und mit Würde gegen diesen Plan und erwirkte sogar eine Versöhnung der entzweiten Gatten.

Nur war für E. Ch. hiermit wenig gewonnen, da nunmehr das Schicksal ihrer Kinder ihr schwere Sorgen zu bereiten begann. Sie hatte nämlich nach einem ersten Sohn, der frühzeitig, wie sie meinte, durch Schuld der französischen Aerzte, gestorben war, noch zwei Kinder geboren, einen Sohn und eine Tochter. Ueber diese wachte sie mit der ängstlichen Sorgfalt eines treuen Mutterherzens und mit dem tiefsten Argwohn vor den Einflüssen französischer Unsitte. Allmählich aber wurden die Kinder ihrer Aufsicht entzogen und ihr Sohn – der junge Herzog Philipp II. von Orléans, der spätere Regent Frankreichs während der Minderjährigkeit Ludwigs XV. – sollte sogar einen der Günstlinge seines Vaters, den Marquis d’Effiat, einen tief verworfenen Menschen, als Gouverneur erhalten. E. Ch. setzte dem freilich entschlossenen Widerspruch entgegen und erreichte, daß an Stelle des Marquis d’Effiat ein anderer und wackerer Mann zum Gouverneur gemacht wurde. Dieser letztere starb jedoch schon nach zwei Jahren und nun ging das Unheil seinen Weg, indem der bekannte sittenlose Abbé Dubois mit der Erziehung des jungen Fürsten beauftragt wurde.

Inzwischen war Ludwig XIV. auf den Gedanken gekommen, zwei seiner unehelichen Kinder, den Duc du Maine und Mademoiselle de Blois, deren Mutter die Marquise de Montespan war, mit Elisabeth Charlottens Kindern zu verheirathen. E. Ch. gerieth darüber in die heftigste Empörung: die Vorstellung war ihr unerträglich, daß ihre eigenen Kinder sich mit „Bastarden von doppeltem Ehebruch“ vermählen sollten. Aber mochten sich ihr sittliches Gefühl und ihr fürstlicher Stolz noch so leidenschaftlich sträuben, das eine wenigstens konnte sie nicht verhindern, daß ihr Sohn und Mademoiselle de Blois mit einander verheirathet wurden. Für ihre, ihr gleichnamige, Tochter dagegen fand sie eine Unterstützung in der öffentlichen Meinung in Paris, die sich gegen diese Mißheirathen in der königlichen Familie zu rühren begann, und in Folge davon hatte sie die Freude, die Tochter mit einem ebenbürtigen Gemahl, dem Herzog Leopold von Lothringen, vermählt zu sehen. Hierdurch ist es geschehen, daß, wie das königliche Haus Orléans von dem Sohn Elisabeth Charlottens abstammt, so auch ein anderes hohes Herrschergeschlecht – das der Kaiser von Oesterreich durch Herzog Franz Stephan von Lothringen, den Gemahl Maria Theresia’s – seinen Ursprung auf die Tochter Elisabeth Charlottens zurückführt.

Alles Traurige aber, was E. Ch. an ihrem Gemahl und ihren Kindern zu erdulden hatte, wurde durch die Schmerzen, die ihr die Politik Ludwigs XIV. bereitete, beinahe ins Unerträgliche gesteigert. Denn die Kriege, welche der König mit dem deutschen Reich führte, brachten schon frühzeitig die bittersten Leiden über ihr pfälzisches Heimathsland, und nachdem im J. 1685 ihr Bruder, Kurfürst [31] Karl, der letzte männliche Sproß der bisher regierenden Linie Pfalz-Simmern, gestorben war, nahm Ludwig XIV. sogleich die ganze Pfalz in widerrechtlicher Weise als das Erbe seiner Schwägerin für Frankreich in Anspruch. Der unmenschlichste Krieg des ganzen Zeitalters war die Folge davon. Die Franzosen besetzten anfangs die Pfalz mit großer Leichtigkeit; als sie sich aber wieder zurückziehen mußten, erließ der Kriegsminister Louvois, um die eroberten Orte nicht in Feindeshand fallen zu lassen, den entsetzlichen Befehl: de brûler le Palatinat, der bis zu beinahe vollständiger Vernichtung von Heidelberg, Mannheim und zahllosen anderen blühenden Städten und Dörfern ausgeführt wurde.

E. Ch. litt hierbei unsäglich. Sie wagte, die französische Politik offen zu mißbilligen und Schonung für ihr Geburtsland zu erbitten, aber ohne irgend einen Erfolg zu erreichen. Nachdem sie die Kunde der schmählichen Brandstiftung erhalten, weinte sie lange Nächte hindurch, und auch nachdem die Heftigkeit des ersten Schmerzes nachgelassen, verweilten ihre Gedanken stets bei den geliebten Stätten des Heimathlandes. Bis an ihr Lebensende fand sie einen Trost darin, mit Pfälzern, die nach Paris kamen, von den Schlössern und Häusern, den Straßen und Märkten in Heidelberg und Mannheim zu plaudern oder in Briefen von den Orten zu erzählen, in denen sie ihre glückliche Jugend verlebt hatte.

Durch ihr Verhalten während des pfälzischen Krieges und durch jenen Widerstand gegen die Vermählung ihrer Kinder mit den Kindern der Frau v. Montespan hatte sich E. Ch. nun aber auch mit ihrem einzigen Beschützer in Frankreich, mit Ludwig XIV. selber, überworfen, und sie besaß wenig Aussicht, die Gnade des Königs wieder zu gewinnen, da sie dessen einflußreiche Gefährtin, die Frau v. Maintenon, mit dem bittersten Hasse verfolgte. Die beiden Frauen waren einander so unähnlich, wie nur irgend möglich: der derben aufrichtigen E. Ch., die ihr Herz immer auf den Lippen trug, mußte wol die zurückhaltende, erkünstelt bescheidene, von diplomatischer Feinheit erfüllte Frau v. Maintenon tief antipathisch sein. Trotzdem aber läßt sich nicht läugnen, daß die Herzogin gegen Frau v. Maintenon sehr ungerecht war. Sie sah in derselben gleichsam die Incarnation der schlimmsten Eigenschaften der französischen Nation, nannte sie kaum anders als „die Hexe, die alte Zott“ und behauptete wol, man könne nicht ersinnen, wie boshaft dieses alte Weib sei und das Alles unter dem Schein der Demuth und der Gottesfurcht. Noch nach dem Tode ihrer Feindin schrieb sie: „Die alte Schump ist verreckt.“

Dieser grimmige Haß ruhte zum Theil jedoch auf einem Grunde, welcher der Herzogin wieder zu hohen Ehren gereicht. E. Ch. war nämlich in religiöser Beziehung nicht blos schlechtweg ein Kind protestantischer Ueberzeugungen, sondern außerdem fühlte sie sich dadurch, daß sowol ihre pfälzischen wie ihre hannoverschen Verwandten theils reformirt, theils lutherisch und zum Theil auch katholisch waren, seit ihrer frühesten Jugend darauf hingewiesen, sämmtliche christliche Confessionen hochzuachten und jeglicher gläubigen Gesinnung mit Toleranz zu begegnen. In Frankreich hatte sie anfangs verwandte Stimmungen gefunden, da dort während der ersten Hälfte der Regierung Ludwigs XIV. der Geist der Duldung entschieden vorherrschte, und der Uebertritt zum Katholicismus war ihr daher nicht allzu schwer gemacht worden. Sie hatte nur nöthig gehabt, wie sie sich ausdrückt, aus den Lehren der katholischen Kirche das Beste herauszunehmen und es mit ihrer eigenen Religion zu vereinigen. Dem entsprechend war sie seitdem wol regelmäßig mit dem König in die Messe gegangen, hatte aber auch fortgefahren, eifrig die Bibel zu lesen und aus lutherischen Erbauungsbüchern zu beten. Eine andere Haltung wurde ihr jedoch zugemuthet, als der König, großentheils unter dem Einfluß der Frau v. Maintenon, devot wurde und die Hugenotten blutig verfolgte. Jetzt erregte ihre Gesinnung ungemeinen Anstoß. [32] Sie aber hielt unverbrüchlich an dem fest, was sie für recht erkannt hatte. „Ich bin gar kein Apostel“, sagte sie wol, „und finde gar gut, daß ein Jeder nach seinem Gewissen glaubt .... man sollte die Laster und nicht die Glauben verfolgen und suchen zu corrigiren .... die rechte Religion ist die, so ein Christ in seinem Herzen hat und auf Gotteswort gegründet ist; das Uebrige seind nur Pfaffengeschwätz.“

Nach so vielen persönlichen, politischen und religiösen Zerwürfnissen zog sich E. Ch. fast ganz vom Hofe zurück. „Ich thue mein Bestes“, sagte sie, „wie Einer der allein geigt, es mag nun klingen, wie es will.“ In dieser Einsamkeit war sie nicht unglücklich, vielmehr – trotz gelegentlicher bitterer Stimmungen – voll Lebensmuth und selbst voll Frohsinn. „Weil Alles so vergänglich ist, drum muß man sich lustig machen, denn man kommt nicht zwei Mal wieder, und ich glaube, daß unser Herrgott auch lieber hat, daß man ihm mit Lust als mit Chagrin dient.“ Ihre stillen Stunden füllte sie zum Theil mit der Pflege ihrer Blumen, mit der Betrachtung ihrer reichen Sammlungen von geschnittenen Steinen, Medaillen und Kupferstichen und mit mancherlei ernster Lectüre aus. Ihre Hauptbeschäftigung aber bestand in ihrer Correspondenz. Sie wechselte eine zahllose Menge von Briefen mit ihrer Tante von Hannover, mit ihren Stiefgeschwistern, mit vielen anderen Verwandten und Freunden. Diese Correspondenz umschloß ihr Glück und ihre Freude. Sie theilte fühlenden Herzen alles Traurige mit, das ihr begegnete; sie plauderte aber auch in behaglichster Breite über jeden Einfall, der ihr durch den Kopf ging. „Zwei und zwanzig Seiten sind es schon“, schreibt sie einmal, „ebensogut aber könnten es noch zwei und zwanzig sein.“ Ihre Briefe machten in befreundeten Kreisen Deutschlands Aufsehen. Leibniz fand die Sprache derselben reich, eigenthümlich, an ursprünglichen Ausdrücken reicher als die Schriftsprache, wenn auch in der Form nicht überall correct. E. Ch. freute sich herzlich, als sie von diesem Urtheil des auch von ihr hochverehrten Mannes Nachricht erhielt.

Diese Briefe bilden eine unschätzbare Fundgrube, vornehmlich um den damaligen Zustand der Deutschen und der Franzosen, die gesammte Cultur der beiden Nationen kennen zu lernen. Hofleben und bürgerliche Sitte, Kirchenthum und Religion, Genuß und Arbeit, Musik, Theater, Gesundheitspflege, alles dieses und vieles Aehnliche wird da besprochen und fast auf jeder Seite der Briefe kommt die deutsche Gesinnung der Herzogin zu kräftigem Ausdruck. „Ich halte es für ein großes Lob“, so schreibt sie, „wenn man sagt, daß ich ein deutsches Herz habe und mein Vaterland liebe; dieses Lob werde ich, ob Gott will, suchen, bis an mein Ende zu behalten. Ich war schon zu alt, wie ich in Frankreich kommen, um von Gemüth zu ändern, mein Grund war schon gesetzt.“ Oder: „Könnte ich mit Ehren nach Deutschland, so würdet ihr mich bald sehen; Deutschland war mir lieber und fand es angenehmer, wie es weniger Pracht und mehr Aufrichtigkeit hatte; nach Pracht frage ich nicht, nur nach Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Wahrheit.“ Andere Nationen als die deutsche beurtheilt E. Ch. dagegen oftmals hart und sogar ungerecht. Von Frankreich sagt sie einfach, daß ihr das Land ganz voll falscher Teufel zu sein scheine. Daneben haben auch die Engländer ihren Zorn in hohem Grade erregt: nach ihrem Sinn gäbe es keine widerlichere Nation als die englische; sie sei zu boshaftig und zu neidisch, als daß man sie lieb haben könne. Aber trotz dieser herben Ausschließlichkeit ihrer nationalen Stimmung gesteht sie einmal in rührender Weise und mit deutlicher Beziehung auf ihr eigenes Schicksal, daß es wenigstens für das weibliche Leben noch wichtigere Dinge gebe als die Gegensätze und Eigenthümlichkeiten der Nationen. Als sich nämlich eine englische Dame nach Deutschland verheirathet hatte, schrieb E. Ch.: „Wenn die Dame verliebt ist von ihrem Herrn, so wird [33] sie in Deutschland Alles schön und gut finden. Denn, wie Molière singt, Quand deux coeurs s’aiment bien, tout le reste, tout le reste n’est rien. Hat sie aber ihren Herrn nicht herzlich lieb, so wird die Liebe des Vaterlandes verursachen, daß ihr auch in Deutschland nichts gefällt.“

Im J. 1701 starb plötzlich nach kurzer Krankheit der Gemahl der Herzogin, Philipp von Orléans. Dieser Todesfall regte auf allen Seiten versöhnliche Gefühle an. E. Ch. ehrte das Andenken an den todten Gatten, indem sie alle Briefe, welche jene verhaßten Günstlinge ihm geschrieben hatten, ungelesen verbrannte. Die Frau v. Maintenon ließ der Herzogin die Nachricht zugehen, daß es jetzt an der Zeit sei, sich mit dem König zu versöhnen. Es erfolgte in der That eine Versöhnung zwischen E. Ch. einerseits und Ludwig XIV. und der Frau v. Maintenon andererseits, die auch wenigstens zwischen der Herzogin und dem König freundlichere Beziehungen wieder herstellte. Nicht lange darauf kamen die für Frankreich traurigsten Jahre des spanischen Erbfolgekrieges. Die glänzendsten Heere wurden eins nach dem andern vernichtet; zugleich brach jenes furchtbar tragische Geschick über die königliche Familie herein, daß die Hälfte derselben, wie von einer Seuche ergriffen, in der kürzesten Frist dahinstarb; das stolze Reich, welches noch vor Kurzem den ganzen Continent in souveränem Uebermuth mißhandelt hatte, wankte in allen Fugen. Da zeigte sich Elisabeth Charlottens Charakter in seiner ganzen Gediegenheit. Solange Frankreich im Glück geschwommen hatte, war sie in ihrer selbstgewählten Einsamkeit geblieben; nach diesen Schicksalsschlägen aber trat sie tröstend und theilnehmend hervor; sie fühlte sich jetzt, wenn nicht als Französin, so doch als eine Freundin des Landes und als ein Mitglied der königl. Familie. Hierfür wurde ihr aber auch die Genugthuung, daß der sterbende Ludwig XIV. von ihr mit den herzlichen Worten Abschied nahm, er habe sie stets geliebt, mehr als sie selber gemeint; es sei ihm leid, daß er ihr jemals Verdruß bereitet; er hoffe aber dafür, daß sie sich manchmal seiner erinnern werde.

Die letzten Jahre der Herzogin waren die ihres höchsten äußeren Glanzes. Denn seit dem Tode Ludwigs XIV. war ihr Sohn Regent von Frankreich. Sie benutzte aber ihre einflußreiche Stellung durchaus nicht zu irgend einer Einmischung in die Regierungsgeschäfte, denn Frankreich sei leider gar zu lange schon durch Weiber regiert worden, und sie wollte durch ihr gutes Exempel ihrem Sohne die Augen zu öffnen suchen, sich von keinem Weib, welches es auch sein möge, regieren zu lassen. Auch sehnte sie sich, bejahrt wie sie war, nach vollkommener Ruhe, die ihr freilich bis zu ihrem Lebensende nicht zu Theil werden sollte. Denn die Stellung und das Leben des Regenten waren fast fortdauernd von feindlichen Parteien bedroht und Niemand litt schwerer darunter als E. Ch. „Ein recht mütterliches Herz,“ so klagte sie, „ist zu tendre vor einem einzigen Sohne, um nicht mit Schaudern zu betrachten, was geschehen kann; Nachts kommts mir im Traum vor und macht mich auffahren, daß mir das Herz zittert; man zähmt eher die Löwen, Tiger und alle grausame Thiere, als böse Leute.“ Ihr Sohn vergalt ihr die Schmerzen, die sie um ihn gelitten, wenigstens dadurch, daß er mit kindlicher Liebe bis zum letzten Augenblick für ihr Wohlergehen sorgte. Am 8. December 1722 hat sie, 70 Jahre alt, die Augen geschlossen.

Der Herzog von Saint-Simon, ihr Zeitgenosse, schildert sie mit folgenden treffenden Worten: „Eine Fürstin ganz aus der alten Zeit, anhänglich an Tugend, Ehre, Rang und Größe; in Sachen des Anstandes unerbittlich; eine treffliche und treue Freundin, zuverlässig, wahr, gerade, derb, in allen ihren Sitten sehr deutsch und bieder.“

[34] Man vergleiche besonders die Briefe Elisabeth Charlottens an die Kurfürstin Sophie von Hannover, welche Leopold v. Ranke in dem VI. Bande seiner französischen Geschichte veröffentlicht hat, und die Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans, herausgegeben von W. L. Holland in der Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 6. 88. 107. 122. In den Nachworten Holland’s zu den Bänden 88 und 107 finden sich Nachweisungen über die sonstige Litteratur, welche sich auf Leben und Briefe Elisabeth Charlottens bezieht.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 34. Z. 8 v. o. hinzuzufügen: Bibliothek des literar. Vereins in Stuttgart, Bd. 132, 144, 157, 167. – Bodemann, Zeitschrift des histor. Vereins für Niedersachsen, Jahrg. 1884, S. 1–66 und Briefwechsel zwischen Sophie von Hannover und Karl Ludwig im XXVI. Bd. der Publikationen aus den Preuß. Staatsarchiven. – Histor. Zeitschrift XLIX, 125 ff., LXIII, 79 ff. [Bd. 33, S. 796]