ADB:Gallmeyer, Josephine

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Artikel „Gallmeyer, Josephine“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 739–742, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gallmeyer,_Josephine&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 23:43 Uhr UTC)
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Gallmeyer *): Josephine G., Schauspielerin, wurde am 27. Februar 1838 als uneheliche Tochter des Opernsängers Michael Greiner und der Schauspielerin Katharina Tomaselli in Leipzig geboren. Den Namen G. führte sie nach dem zweiten Gatten ihrer Mutter, dem Schauspieler Christian G., der ihre Mutter im J. 1842 in Linz geheirathet batte. Sie verlebte ihre Jugend in Brünn, wo ihre Eltern engagirt waren. Am 13. September 1853 betrat sie in Brünn zum ersten Mal die Bühne, und zwar spielte sie die Marion in dem Vaudeville „Der preußische Landwehrmann und die französische Bäuerin“, das sich unter dem Titel: „Kurmärker und Picarde“ bis heute auf dem Repertoire erhalten hat. Bald darauf erhielt sie ein Engagement in Pest, wurde aber als „ein verlottertes Talent“ bald wieder fortgeschickt und wirkte dann als Gesangssoubrette und Localsängerin am Brünner Theater. Nach dem Tode ihrer Mutter wandte sie sich nach Wien, wo sie im October 1857 Nestroy für das Carltheater engagirte. Sie konnte jedoch damals in Wien noch nicht recht vorwärts kommen und mußte sich entschließen, noch einmal nach Brünn zurückzukehren. Es folgten nun einige Jahre, die sie in Ungarn verbrachte (1859–1862). Zuerst finden wir sie am Stadttheater in Hermannstadt [740] und dann unter der Direction Strampfer in Temesvar. Strampfer, der offenbar ihr Talent erkannt hatte, brachte sie im J. 1862 mit nach Wien, wo er die Leitung des Theaters an der Wien übernahm. Dort erzielte sie in der für Wien umgearbeiteten Berliner Posse: „Der Goldonkel“ ihren ersten größeren Erfolg und galt seitdem als der Liebling der Wiener, die sie als „unsere G.“ und als die „fesche Pepi“ feierten. Man lobte vor allem „ihren meisterhaften, feinnuancirten, pointenreichen Coupletvortrag“ und ihr ausgesprochenes parodistisches Talent, das sie als „ein weiblicher Nestroy“ erscheinen ließ. Im J. 1865 trat sie zu dem von Carl Treumann geleiteten Carltheater über, an dem eine neue Glanzzeit für sie begann. Sie wurde von den Wienern nicht minder geschätzt, als einst die Therese Krones, und war stolz darauf, immer wieder mit ihr verglichen zu werden. Nach Bauernfeld’s Urtheil war sie „vielseitiger und hatte bei weitem mehr dramatisches Genie als die Krones“, ja er ging sogar so weit, sie „als das größte dramatische Genie Wiens“ zu bezeichnen. Das viele Lob, das ihr zu Theil wurde, stieg ihr jedoch zu Kopf und machte sie übermüthig, wenn nicht gar frech. Sie nahm sich der Direction, ihren Collegen und dem Publicum gegenüber Dinge heraus, die man einer Anderen nicht hätte hingehen lassen, an ihr aber immer wieder genial fand. Am wenigsten vertrug sie sich mit dem an Treumann’s Stelle getretenen Director Ascher, der sie jedoch nicht freigeben wollte. Nach einem glänzend verlaufenen Gastspiele in Pest wollte sie eine Zeit lang überhaupt nichts mehr von Wien wissen. Indessen ließ sie sich bestimmen, an das Carltheater zurückzukehren, an dem sie noch bis zum Jahre 1872 thätig war. Vom Jahre 1872 bis 1874 war sie wieder Mitglied des Theaters an der Wien, an dem für kurze Zeit auch ihre gefährlichste und bedeutendste Rivalin Marie Geistinger neben ihr gleichzeitig engagirt war. Im J. 1874 bekam sie auf einmal Lust, selbst an die Spitze eines Theaters zu treten. In Gemeinschaft mit Julius Rosen übernahm sie die Leitung des Strampfer-Theaters unter den Tuchlauben in Wien. Sie hatte aber dabei kein Glück, büßte ihr ganzes Vermögen ein und gerieth so sehr in Schulden, daß sie sich seitdem nicht wieder finanziell erholen konnte. Auch die Gastspiele, die sie nunmehr immer häufiger unternahm, konnten sie nicht ihrer Verlegenheit entheben, wenn sie auch dazu dienten, ihre Triumphe zu vermehren. Sie beschränkte sich bei ihnen nicht auf süddeutsche Bühnen, sondern wagte sich auch nach Norddeutschland, wo sie z. B. in Berlin am Woltersdorfer Theater und in Hamburg wahre Stürme von Beifall entfesselte. In Hamburg verheirathete sie sich mit dem Schauspieler Franz Siegmann, von dem sie sich jedoch bald wieder trennte. Als sie im October 1877 am Theater an der Wien, an der gewohnten Stätte ihrer Wirksamkeit, wieder auftrat, gelang es ihr in der Rolle der Therese in Costa’s Posse „Ihr Corporal“ noch einmal einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen, aber der Niedergang der Wiener Volksbühne und der Mangel an passenden Stücken hemmte ihre weitere Laufbahn als Soubrette und Localsängerin. Sie war sich über diese Thatsache vollständig klar und strebte danach, sich ein neues Feld für ihre noch vorhandenen Kräfte zu gewinnen, indem sie den Uebergang zum Fache der Heldenmütter vornahm. Nachdem sie bei keinem Geringeren als bei Laube dramatischen Unterricht genommen hatte, debütirte sie am 30. März 1882 am Wiener Stadttheater als Bäckersfrau Desvarennes in dem nach Ohnet’s preisgekrönten Roman bearbeiteten Schauspiel „Sergius Panin“, hatte aber mit diesem Versuch so wenig Glück, daß sie sich eine entschiedene Schlappe zuzog. Obwohl sie früher von der Bühne herab oft genug parodirend behauptet hatte, daß sie auch „orthographisch“ sprechen könnte, zeigte es sich, daß sie nicht im Stande war, ein reines Hochdeutsch zu reden. Nachdem sie zehn Abende [741] lang mit bewundernswerther Selbstbeherrschung auf ihrem verlorenen Posten gekämpft hatte, mußte sie die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen einsehen. Sie entschloß sich dafür, einen Gastspielantrag nach Amerika anzunehmen, obwol sie damals schon sehr krank war. Doch trieb sie die Hoffnung, sich für ihre alten Tage ein kleines Capital erwerben zu können. Nur mit Mühe ertrug sie die Strapazen der Reise. Nach Europa zurückgekehrt, fing sie ihr anstrengendes Leben des Umherziehens in der Provinz aufs neue an, spielte aber in der Zwischenzeit immer wieder in Wien, wo sie meistens am Theater an der Wien auftrat. Am 13. Januar 1884 trat sie zum letzten Mal als Rosel in Raimund’s „Verschwender“ auf der Grazer Bühne auf. Dann kam sie nach Wien, wo sie noch am 24. Januar im Verein der Litteraturfreunde als Vorleserin erschien. Kurz darauf mußte sie sich auf das Krankenlager legen, das ihr zum Todtenbett wurde. Sie starb an einer schmerzhaften Bauchfellentzündung am 3. Februar 1884. Stark verbittert über ihren immer mehr im Absteigen begriffenen Lebenslauf, hatte sie die letztwillige Anordnung getroffen, daß niemand die Stunde ihres Leichenbegängnisses erfahren und niemand wissen sollte, wo sie begraben liege. Diese Bestimmungen ihres Testamentes wurden jedoch nicht beachtet, und so kam es, daß ihr am 5. Februar eine Leichenfeier, an der halb Wien theilnahm, wie einer Fürstin ausgerichtet wurde.

Ihre Leistungen als Schauspielerin auf ihrem beschränkten Gebiete wurden von ihren Zeitgenossen einstimmig als unübertrefflich bezeichnet. Namentlich wurde sie in Wien gefeiert, wo sie der verzogene Liebling des Publicums war und sich Dinge herausnehmen durfte, die keiner Andern gestattet worden wären. Die größten Erfolge verdankte sie ihrem Temperamente und ihrer pikanten Erscheinung. „Die Gallmeyer“, urtheilte einer ihrer Lobredner aus dem Jahre 1867 in der „Allgemeinen Illustrirten Zeitung“ (3. Jahrg. Leipzig 1867, S. 237) „ist weder schön noch häßlich. Ihre Gestalt ist niedlich gebaut und jede ihrer Bewegungen graciös. Wäre das Wort: pikant nicht vorhanden, man müßte es erfinden, um den Ausdruck ihrer unregelmäßigen Züge und ihres ganzen Wesens treffend zu bezeichnen. Sie hat das feurigste Auge in der Welt. Ein Wien besuchender Engländer sagte: Gießt die Augen der Gallmeyer einem Holzklotze ein, und er wird leben“. Besonders gewichtig aber ist das Lob, das ihr Ludwig Speidel ertheilt hat. Indem er sie Nestroy zur Seite stellt, bemerkt er: „Bei einer Darstellungskraft, welche die Wirklichkeit im Kern erfaßte und mit sprudelnder Erfindung das Leben in allen seinen Farben spielen ließ, besaß sie, indem sie in die Gegenstände eindrang und sie von innen heraus sprengte, eine wahrhaft vernichtende, parodistische Gabe. An der Wiener Vorstadtbühne hat sie ihres Gleichen nicht gehabt. Marie Geistinger, so sehr sie ihrer Nebenbuhlerin an Erscheinung und Stimme überlegen war und eine eigene Anmuth im Bedenklichen und in den verschiedensten Aufgaben eine bewunderungswerthe Gewandtheit entwickelte, konnte sich an ursprünglicher Begabung und hinreißendem Naturell mit der G. nicht messen“. (Vgl. Wien 1848–1888. Denkschrift. II. Bd. Wien 1888. S. 402.) Da sie nicht bloß auf der Bühne, sondern auch im Leben – sie war z. B. die beste Cancantänzerin Wiens – die größte Ungebundenheit liebte, konnte es nicht fehlen, daß sich eine Menge Anekdoten an ihre Person knüpften. Wie viele davon auf Wahrheit beruhen, und wie viele gefälscht oder ganz erfunden sind, läßt sich heute kaum noch feststellen. Der Wiener Schriftsteller Max Waldstein, der sich rühmt, zu den näheren Freunden der Künstlerin gehört zu haben, hat sie in drei Sammlungen zusammengestellt, doch sind seine Erzählungen und Anekdoten, soweit es uns möglich war, sie einzusehen, weder besonders witzig noch charakteristisch, sondern nur mehr oder minder aufgebauschter Theaterklatsch.

[742] Vgl. Max Waldstein, Aus Wiens lustiger Theaterzeit. Erinnerungen an J. Gallmeyer. Berlin 1888 (In keiner deutschen Verbandsbibliothek nachweisbar.) – Ders., Neue humoristische Erinnerungen an Josephine Gallmeier. Leipzig 1896. (Leipziger Universitätsbibliothek.) – Ders., Bühnen-Historietten. Heitere Erzählungen aus der Theaterwelt. Berlin 1888, S 79–95 (Begegnung mit Offenbach, kgl. Bibliothek in Berlin). – Auch in der in der Münchener K. B. Hof- und Staatsbibliothek zu findenden. Schrift von Friedrich Kaiser, Unter 15 Theaterdirectoren. Bunte Bilder aus der Wiener Bühnenwelt. Wien 1870 kommt die G. vor. Diese Mittheilungen Waldstein’s und Kaiser’s sind benutzt von Adolf Kohut, Die größten und berühmtesten deutschen Soubretten des neunzehnten Jahrhunderts. Düsseldorf o. J. (1893), S. 23–57. – Ferner Illustrirte Zeitung. Leipzig 1884, Nr. 2120, S. 137, 138. – Die Gartenlaube. Leipzig 1884. Nr. 9, S. 154, 155. – Deutscher Bühnen-Almanach. 39. Jahrgang. Hrsg. von Th. Entsch. Berlin 1885, S. 211–222. – Almanach der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger. Hrsg. von Ernst Gettke. 13. Jahrgang 1885. Cassel und Leipzig o. J., S. 81, 82. – Alfred Schönwald, Das Thalia-Theater in Hamburg. Hamburg 1893, S. 84. – R. v. Tyrolt, Chronik des Wiener Stadttheaters. Wien 1889, S. 182, 185. – L. Barnay, Erinnerungen. Berlin 1903, 2. Bd. S. 33 ff., 185 ff., 199 ff. – L. Eisenberg’s Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im neunzehnten Jahrhundert. Leipzig 1903. – S. M. Martersteig, Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert. Leipzig 1904, S. 461.

[739] *) Zu Bd. XLIX, S. 244.