ADB:Gottfried (Minnesänger)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Gottfried (Minnesänger)“ von Konrad Burdach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 401–403, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gottfried_(Minnes%C3%A4nger)&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 05:54 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 23 (1886), S. 401–403 (Quelle).
Gottfried von Neifen bei Wikisource
Gottfried von Neifen in der Wikipedia
Gottfried von Neifen in Wikidata
GND-Nummer 118696696
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|23|401|403|Gottfried (Minnesänger)|Konrad Burdach|ADB:Gottfried (Minnesänger)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118696696}}    

Neifen: Gottfried v. N., schwäbischen Minnesänger aus dem Geschlecht der freien Herren v. N., der zweite Sohn Heinrichs II. v. N., eines hochgebildeten und einflußreichen Mannes (s. u. S. 403). Gleich seinem Vater hat auch er am Hofe des jungen leidenschaftlichen Königs Heinrich VII., des Sohnes Friedrichs II., gelebt. Zuerst erscheint sein Name in Urkunden des Jahres 1234, im Mai ist er am königlichen Hoflager zu Wimpfen nachweisbar, im März 1236 am Hofe des Bischofs von Straßburg, 1245 betheiligte er sich sammt seinem älteren Bruder an einer Fehde mit dem Bischof Heinrich von Constanz: beide Brüder werden gefangen, sind aber schon im März 1246 wieder frei in Ulm; 1253 stiftet N. mit seiner Gemahlin Mechtild dem Kloster Maulbronn Wein und Weizen; das Jahr 1255 bringt die letzte urkundliche Spur des Dichters. – Hervorgegangen aus einem mächtigen und reich begüterten Hause theilt N. im Allgemeinen Anlaß, Stoff und Richtung seiner Poesie mit seinen dichtenden Standesgenossen: das eigene, bewegte Leben wirft auch nicht einmal einen Schatten hinein in seine Lieder. Gleich Friedrich v. Hausen dichtet er nur als vornehmer Liebhaber, nicht als Dichter von Beruf, wie Walther von der Vogelweide. Um König Heinrich schaarte sich bis zu seinem Sturz eine lebenslustige und sangesfrohe Hofgesellschaft: Heinrichs Erziehung leitete Schenk Konrad v. Winterstetten, der Freund und Förderer der epischen Dichtung; zu dem Kreise des königlichen Hofes gehörte außer dem Epiker Ulrich v. Türheim der Minnesänger Burkart v. Hohenfels (s. A. D. B. III, 673), ein etwas älterer Zeitgenosse und Landsmann Neifen’s, und zeitweise auch der fränkische Lyriker Otto v. Botenlauben (s. A. D. B. III, 193), sowie der von Rudolf v. Ems als epischer Dichter gerühmte Gottfried v. Hohenlohe (s. A. D. B. XII, 690) nebst dessen Bruder Konrad v. Hohenlohe-Brauneck, der wahrscheinlich identisch ist mit dem von Hugo v. Trimberg genannten Liederdichter v. Brûnecke. In jener Zeit, um 1230, herrschte in Schwaben ein heiteres künstlerisch angeregtes Leben, und der junge König scheint, unbekümmert um Regentenwürde und die guten Sitten, im Genießen Tonangeber und Führer gewesen zu sein. Lange noch nach seiner Empörung und seiner Absetzung glaubte Friedrich II. seinen Sohn Konrad vor dem allzuvertrauten Umgang mit venatoribus, balistariis et versatoribus warnen und ihm in dieser Beziehung das abschreckende Beispiel seines unglücklichen Bruders ins Gedächtniß rufen zu müssen (Huillard-Bréholles, Historia diplomatica Friderici Secundi 6, 245; Böhmer, Regesta Imperii, 2. Ausg., 5, S. 61 f.). Man begreift darnach, daß Heinrich bei den Dichtern, französischen wie deutschen, in gutem Ruf stand, daß von ihm die Sage ging, er habe noch in der Zeit gesungen, als er von seinem Vater besiegt und gefangen war, und man versteht die lebhaften Klagen des Türheimer um seinen Tod.

N., der in der geschilderten Umgebung dichtete, ist ein Schüler des älteren Reinmar, aber auch Walther’s und Neidharts (s. o. S. 395). Er hat die feine Reflexionspoesie der höfischen Liebeslyrik von jenem übernommen und mit großem Aufwand an Rhetorik, aber ohne echte Leidenschaft und ohne inniges Gefühl weiter ausgebildet, und er ist andererseits auch der von Walther gemachten Wendung zum Volksmäßigen wie der weiteren Neidharts zum Burlesken und Parodistischen gefolgt. Die Einwirkung des letzteren tritt am meisten hervor; aus der höfischen Dorfpoesie stammt der fast alle Lieder Neifens einleitende typische Natureingang mit den formelhaften Elementen, die auf das alte volksmäßige [402] Tanzlied zurückgehen: Frühlingseinzug, die lichten Blumen, das thauige Gras, der rothe Klee, die blühenden Bäume, die kleinen Vöglein, der freundliche Sonnenschein, und dann wieder die Gewalt des Winters, die liebe Haide fahl und der Rosen bar, die Linde ohne Laub, der Wald sanglos, der kalte Schnee und Reif und „die sauern Winde“. An den Natureingang, der seinen unzerstörbaren Reiz ausübt, schließen sich die conventionellen Huldigungen: Versicherungen seines tiefen Liebesleids, Preis der Schönheit und Tugend der Herrin, immer erneutes Werben um Gruß und Erhörung. Mitten unter der Sentimentalität blitzt zuweilen ein Schein von Parodie und Ironie auf. Viele dieser höfischen Lieder sind offenbar für den Tanz der Hofgesellschaft gedichtet und einzelne geben diese Bestimmung direct zu erkennen durch die eingefügte Aufforderung zum Tanze. N. weiß hin und wieder in das Grau der Gefühlsanalyse hellere Lichter zu setzen, er verfügt nicht selten mit Glück über kleine realistische Züge: er bemerkt die gekräuselten Locken der zum Tanz versammelten „stolzen Meide“; immer wieder nennt er den rothen Mund der Geliebten, den Gott in einer fröhlichen Stimmung so wohl gefügt hat, oft die spiegelhellen Augen, auch Kinn, Hals, die rosigen Wangen, das braune Haar der Auserwählten; er ist erfinderisch in gewählten Epithetis, aber alles bleibt decorativ. Wie seine Empfindung keine Tiefe besitzt, so die Darstellung wol Farbe und Glanz und Anmuth vollauf, aber keine wirkliche Plastik und keine Gedrungenheit. Motive von Reinmar (Sprachlosigkeit in Gegenwart der Geliebten u. a., auch viele einzelne Anklänge) und von Walther (Güte, Schönheit und Ehre das Kleid der Geliebten, Beseelung der Vögel, Parallelismus von Natur- und Frauenreizen etc.) müssen herhalten und sollen durch reicheren Aufputz den Schein der Neuheit gewinnen. N. ist mehr Virtuos als Künstler, sein Formtalent ist das größte, er gebietet mit bezaubernder Grazie und Leichtigkeit über die raffinirtesten Stil- und Reimkünste, aber er spielt damit. Seine Metrik ist absolut correct, er ist reich an mannigfaltigen Tönen und in der Behandlung des Reims unübertroffen; alle Delicatessen der mittelhochdeutschen Reimkunst spendet er mit vollen Händen: gehäufter, grammatischer, rührender, übergehender Reim, innerer Reim in allen Arten, Körner und Pausen, Strophenverkettung – überall die gesuchtesten Formeffecte. Und ebenso arbeitet er fortwährend mit einem ungeheuren stilistischen Apparat: Apostrophen, Ausrufe, rhetorische Fragen, Metaphern, Epanaphoren und Anaphoren – ein ewiges Feuerwerk. Wörtliche Wiederholungen derselben Gedanken mit typischen Reimen scheint er geflissentlich zu suchen, wie sein bedeutendster Schüler Ulrich v. Winterstetten. Der Geschmack des Hofes hat augenscheinlich die künstlerische Entwickelung seines bedeutenden Talentes gehindert, ihm die Manier aufgedrängt und den freien Flug seiner Muse gehemmt. Was N. unter günstigeren Verhältnissen hätte leisten können, zeigen mehrere episch-dramatische Gedichte, in denen er sich dem Bann seiner verkünstelten Technik entwindet. Zwei dieser Gedichte, die erzählend beginnen und dann in Gesprächsform übergehen, schildern ein Liebesabenteuer des Dichters mit einer Garnwinderin und einer Flachsschwingerin, das Ende ist beide Mal eine derbe Abfertigung seitens der resoluten Schönen. Ein drittes Gedicht in derselben Form hat ein ähnliches Scharmützel mit einem Mädchen am Brunnen zum Thema und unterscheidet sich von den anderen durch einen parodistischen Eingang im hohen Minneliederstil. Die Uebereinstimmung dieser Gedichte, die sich durch einen frischen, natürlichen Ton und einen gesunden Naturalismus auszeichnen, mit den provencalischen Pastorellen und Romanzen ist zu groß, als daß man an völlige Selbständigkeit Neifens glauben könnte. Rein episch, ohne Beziehung auf die eigne Person sind zwei obscöne Gedichte, vom Büttner und vom Pilgrim, deren Echtheit bezweifelt worden ist. Beide finden sich auch in späterer volksmäßiger Ueberlieferung und man hat sie daher auch wol für Neifensche [403] Ueberarbeitungen wirklicher Volkslieder angesehen, wofür die einfache und alterthümliche metrische und strophische Form spricht. Reizend und von allerliebstem Humor beseelt ist das einem Mädchen in den Mund gelegte Wiegenlied, der monologischen Form nach und gewissermaßen auch im Inhalt an das Selbstgespräch des Mädchens in Walthers berühmtem Lied Under der linden erinnernd. – Eine Vertheilung der Lieder Neifens auf bestimmte Liebesverhältnisse, seien es hohe oder niedere, läßt sich nicht erreichen, ebensowenig ihre Chronologie bestimmen. Die Ueberlieferung beruht, von ein paar Strophen abgesehen, ausschließlich auf der einen Pariser Handschrift. – Die Wirkung Neifens auf Zeitgenossen und Spätere war nicht unbedeutend, am nächsten steht ihm der etwas jüngere Ulrich v. Winterstetten, benutzt hat ihn Walther v. Klingen, Konrad v. Landegge, Steinmar, Brunwart v. Augheim. Verschiedene Dichter des 13. Jahrhunderts rühmen seine Poesie, beklagen seinen Tod und im Volkslied vom edlen Moringer lebte er fort als der junge Herr v. Neifen.

Abgedruckt sind Neifens Lieder in Proben zuerst von Goldast, Bodmer, dann von Wackernagel, Altdeutsches Lesebuch, 2. Aufl., Basel 1839, 1, S. 611 bis 616; O. Schade, Altdeutsches Lesebuch, Halle 1862, S. 254–256. Bartsch, Deutsche Liederdichter des 12.–14. Jahrh., Stuttgart 1864, Nr. XXXIV, S. 151–157, 2. Aufl. Stuttg. 1879, S. 155–161 (vgl. Nr. XCVIII, V. 83–87); vollständig herausgegeben von v. d. Hagen, Minnesinger, Leipz. 1838, 1, S. 41–62; M. Haupt, Die Lieder G. v. N.. Leipz. 1851 (dazu Zeitschr. f. deutsch. Alterthum, Bd. 15 [1872], S. 253). – Uebersetzungen von Tieck, Minnelieder, Berlin 1803, S. 144 f.; Simrock, Lieder der Minnesinger, Elberfeld 1857, S. 183–192; O. Richter, G. v. Neifen als volksthümlicher Dichter, im Neuen Lausitz. Magazin, Bd. 44 (1868), S. 452 bis 468. – Urkundliche Nachweise von Mone, Anzeiger für Kunde der teutschen Vorzeit, Bd. 4 (1835), S. 136 ff.; v. d. Hagen, Minnesinger 4, S. 80 bis 83, 207 Anm., 754; Stälin, Wirtembergische Geschichte, Bd. 2, S. 576, 582–585, 764, 765, 769 f.; Kapff, Hohen-Neuffen geschichtlich und geographisch geschildert, Reutlingen 1882 (werthlos). – Sonst vgl. Knod, G. v. N. und seine Lieder, Tübingen 1877, dazu Strauch, Anzeiger f. deutsches Alterthum, Bd. 5, S. 246–252. – Zeterling, G. v. N., Programm d. Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Posen, 1880. – Ueber den inneren Reim bei Neifen vgl. Bartsch, Germania 12, S. 129–194.