ADB:Hagen, Friedrich Heinrich von der

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Artikel „Hagen, Friedrich Heinrich von der“ von Alexander Reifferscheid in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 332–337, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hagen,_Friedrich_Heinrich_von_der&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 03:52 Uhr UTC)
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Hagen: Friedrich Heinrich v. d. H., altdeutscher Philolog, wurde geboren am 19. Februar 1780 zu Schmiedeberg in der Uckermarck. Vorbereitet auf dem Lyceum zu Prenzlau, wo er durch Ovid, Virgil und Homer auf die epische Poesie geführt, alle erreichbaren deutschen Gedichte und Uebersetzungen der Art sammelte, studirte er in Halle von 1797 bis 1800 die Rechtswissenschaft, hörte aber auch eifrig bei Friedr. Aug. Wolf, dessen homerische Vorlesungen ihn besonders anzogen. 1801 begann er in Berlin seine praktische juristische Laufbahn und war als Referendar bei dem Stadtgerichte und dem Kammergerichte thätig. In Folge der politischen Wirren, welche mit der Schlacht von Jena über Preußen hereinbrachen, verließ er den Staatsdienst und lebte seit 1807 als Privatgelehrter ganz dem Studium der altdeutschen Litteratur und Kunst, dessen Mittelpunkt seit den populären Vorlesungen A. Wilh. Schlegel’s im Winter 1803/4 das Nibelungenlied war. Im J. 1808 erwarb er sich den philosophischen Doctorgrad. Am 11. August 1810 wünschte er eine außerordentliche Professur für das deutsche Alterthum an der neu zu begründenden Berliner Universität: nicht eher könne diese Wissenschaft wahrhaft lebendig und fruchtbar werden, als bis sie auch von Seiten des Staates anerkannt worden sei. Er legte einen Plan der Vorlesungen bei, die er zu halten beabsichtigte; derselbe umfaßte historische Grammatik, Litteraturgeschichte, Erklärung älterer Schriftwerke nach Art der Classiker in Verbindung mit Handschriftenkunde, und Darstellung deutscher Alterthümer. Am 21. September wurde H. als außerordentlicher Professor der deutschen Sprache und Litteratur, ohne Gehalt, angestellt und führte so das Altdeutsche in den Kreis der Universitätsstudien ein. Michaelis 1811 wurde er in gleicher Eigenschaft an die Universität Breslau versetzt, wo er zusammen mit Passow, Friedr. v. Raumer, Steffens und Wachler [333] wirkte. Unterstützt von der preußischen Regierung unternahm er im Juli 1816 mit v. Raumer und v. Lattorf eine wissenschaftliche Reise durch Deutschland, die Schweiz und Italien, von der er Ende Mai 1817 zurückkehrte. 1818 wurde er in Breslau zum ordentlichen Professor befördert, aber erst am 30. Juli 1821 hielt er seine Antrittsrede über die Aegineten. Laut Ministerialrescript vom 24. Januar 1824 als ordentlicher Professor an die Friedrich-Wilhelms-Universität zurückberufen, siedelte er mit Beginn des Sommersemesters nach Berlin über. In der Regel las er im Sommer Grammatik, Alterthümer und Nibelungenlied, im Winter Mythologie, Litteraturgeschichte der mittleren und neueren Zeit und Gottfried’s Tristan und Isolt. Manchmal erklärte er auch die ältere Edda. Vier Mal war er Decan der philosophischen Facultät, in den Studienjahren 1824/5, 1829/30, 1833/4, 1837/8. Am 11. Februar 1841 wurde er gleichzeitig mit W. Grimm zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin gewählt und am 9. März bestätigt. Am 11. Juni 1856 starb er nach einem ungemein arbeitsamen Leben im Alter von 76 Jahren. Noch bis in die letzten durch körperliche Leiden vielfach getrübten Tage trug er sich mit neuen litterarischen Plänen und Entwürfen. – Hagen’s litterarische Production war eine massenhafte und vielseitige. Er war voll origineller Gedanken, hatte ein feines Verständniß für das innerste Leben der Kunst und bis an sein Lebensende einen enthusiastischen Glauben an die Herrlichkeit des deutschen Alterthums. Er zeichnete sich aus durch eine bewunderungswürdige Arbeitskraft, aber leider vermochte er nicht, seine Eigenart den Forderungen exacter Methode anzubequemen und blieb so, als die altdeutschen Studien längst zur Wissenschaft der deutschen Philologie geworden waren, noch immer ein Dilettant. Er begann sein Tagewerk mit der Erneuung und Herstellung des Nibelungenliedes aus Handschriften, zu denen ihm Johannes v. Müller, der erste große Verkündiger des Liedes, verholfen hatte. Diese Arbeit war für ihn in der schmachvollsten Zeit des Vaterlandes eine wahre Herzstärkung und eine hohe Verheißung der Wiederkehr deutscher Weltherrlichkeit. Nachdem er 1806 in der Eunomia Proben des Liedes mitgetheilt und die Grundsätze seiner Bearbeitung dargelegt, veröffentlichte er 1807 eine Erneuung des Nibelungenliedes, die dem deutschen Gemüthe zum Troste und zur wahrhaften Erbauung dienen sollte, mit einer Widmung an Joh. v. Müller, den Förderer des Werkes. Während Freunde des Herausgebers die Uebertragung als ein Werk ankündigten, welches den Blick der ganzen Nation auf sich ziehe und einen wichtigen Wendepunkt in der Litteratur bezeichne, bewies W. Grimm in einer unparteiischen Besprechung, Heidelberger Jahrbb. II. 5, 1, 179 ff., daß die ganze Arbeit durchaus verfehlt sei. Die Sprache sei eine solche, wie sie zu keiner Zeit gelebt habe, neben alten Worten mit neuen Endungen und gangbar modernen ständen gänzlich veraltete. In der Anlage des Ganzen zeige sich ein bedenkliches Schwanken zwischen einer kritischen und einer ästhetischen Edition. Das Buch habe jedem gerecht sein wollen und sei es niemand geworden. Es sei für die ganze Nation bestimmt, aber nur für wenige Unsichtbare eingerichtet. Wenige Wochen nach dem Erscheinen dieser Modernisirung, am 2. November 1807, erließen H. und Büsching, die schon vorher zusammen eine kleine Sammlung deutscher Volkslieder mit den ursprünglichen Melodien veröffentlicht hatten, die Ankündigung einer Sammlung altdeutscher Gedichte, welche sich zwar dem Hauptzwecke nach an die Müller’sche anschließen, aber zugleich, aufs neue anhebend mit manchen erforderlichen Veränderungen, für sich bestehen sollte. Die Dauer des Werkes werde von der Theilnahme des Publicums abhängen, an tauglichem Vorrath und an gutem Willen der Herausgeber werde es nicht fehlen. Die Aufforderung war vom günstigsten Erfolge begleitet. Schon 1808 erschien der [334] 1. Band der „Deutschen Gedichte des Mittelalters“, welcher, König Friedrich Wilhelm III. zugeeignet, außer einer litterarhistorischen Einleitung, König Rother, Herzog Ernst, Wigamur, h. Georg, Salomon und Morolf enthielt, bloße Abdrücke der zufällig auf uns gekommenen Handschriften, ohne jede Behandlung des Textes. In der Vorrede versprachen die Herausgeber für die ältere Zeit der deutschen Litteratur eine Fortsetzung des Schilter’schen Thesaurus, ferner eine Sammlung der altdeutschen Romane und Volksbücher, ein neues Buch der Liebe, welches dieselben aus den alten Quellen erneuen werde, und endlich ein Corpus der altdeutschen poetischen Chroniken und historischen Gedichte. Mit einer Abhandlung über Minnelied und Meistergesang mischte H. sich 1808 in den Streit zwischen J. Grimm und Docen; was er sagte, war meist schief und unrichtig, aber in einem sehr hohen Tone gegen Grimm vorgebracht. 1809 erschien der 1. Band des „Buches der Liebe“, welcher Romane enthielt, Tristan, Fierrabras, Pontus, in denen sich der allen Werken dieser Art gemeinsame Geist in seinen hauptsächlichsten Kreisen und Beziehungen darstellte. Die Herausgeber wünschten, ihr Buch möge nicht allein von Liebe erzählen, sondern auch die Liebe zu den Werken und Tugenden der Altvordern wieder beleben und zugleich zwischen Höheren und Niederen ein freundliches Band erneuen und befestigen. In demselben Jahre begründete H. mit Docen und Büsching das „Museum für altdeutsche Litteratur und Kunst“, welches nicht nur der Erforschung der Sprache und Litteratur gewidmet sein, sondern auch Musik, Bildnerei, Baukunst, öffentliches und häusliches Leben und was man gewöhnlich unter dem Namen Alterthümer begreife, umfassen sollte. Ueberall sollten die Beziehungen der deutschen Art und Kunst zur romantischen oder wälschen und zur antiken untersucht und so alles in einem höheren Zusammenhange betrachtet werden. Von der Zeitschrift, die manchen werthvollen Aufsatz brachte, erschien nur der 1. Band und das 1. Heft des 2. Keinen besseren Erfolg hatte die Fortsetzung, die „Sammlung für altdeutsche Litteratur und Kunst“, die nach der Ausgabe des 1. Stückes 1812 wieder einging. 1810 erschien „Der Nibelungen Lied in der Ursprache mit den Lesarten der verschiedenen Handschriften“, Friedr. Aug. Wolf zugeeignet. Diese Ausgabe sollte nach bestem Wissen und Vermögen eine wirklich und durchaus kritische sein, in der Art, wie wir sie von den Werken des griechischen und römischen Alterthums haben. In Wirklichkeit war sie durchaus unkritisch, die Lesarten aller Handschriften waren mit großer Willkürlichkeit vermischt und der Müller’sche Text zu Grunde gelegt, der aus zwei verschiedenen Handschriften genommen war. Während die Brüder Grimm für ihre Arbeiten lange vergebens einen Verleger suchten, brachte H., der selbst vor pecuniären Opfern nicht zurückschreckte, immer neue Werke auf den Büchermarkt: 1811 „Narrenbuch“ (Schildbürger, Salomon und Morolf, Kalenberg, P. Leu) und Band 1 der Erneuerung des Heldenbuches; 1812: „Lieder der Säm. Edda“, deren Texte in dieser Ausgabe zuerst zugänglich gemacht wurden, freilich ohne jede Erklärung, ja fast ohne Interpunction. In demselben Jahre „Grundriß zur Geschichte der deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis ins 16. Jahrhundert“, Hagen’s alleiniges Werk, wenngleich Büsching auf dem Titel genannt ist, und für jene Zeit eine großartige Leistung. 1814: „Die Edda-Lieder von den Nibelungen zum ersten Mal verdeutscht und erklärt“, R. Nyerup und P. E. Müller zugeeignet. Die stabreimende Uebersetzung ist nicht ohne Geschick, wenngleich reich an Mißverständnissen. Ferner: „Altnordische Sagen und Lieder, welche zum Fabelkreis des Heldenbuchs und der Nibelungen gehören.“ „Nordische Heldenromane“, 1–3, Uebersetzung der Wilkina- und Niflungasaga. 1815 und 1816: „Nordische Heldenromane“, 4–5, Uebersetzung der Völsunga-, Ragnar Lodbroks- und Nornagestssaga. 1816 [335] außerdem „Der Nibelungen Lied zum ersten Mal aus der St. Galler Handschrift mit Vergleichung der übrigen Handschriften, 2. mit einem vollständigen Wörterbuche vermehrte Auflage.“ Diese Ausgabe bezeichnet der von 1810 gegenüber einen großen Fortschritt, H. nennt sie mit Recht ein ganz neues Buch, aber auch sie ist keine kritische, sondern nur ein ziemlich correcter Abdruck der St. Galler Handschrift, deren Lesefehler aus andern zum Theil berichtigt sind. Vgl. Lachmann’s Rec. in der Jen. Litt. Zeitung, 1817, Kl. Schr. I. 81 ff. „Es ist zu verwundern“, heißt es dort, „daß H. bei Vergleichung der Handschriften nicht auf das einzig richtige Gesetz kam: Wir sollen und wollen aus einer hinreichenden Menge von guten Handschriften einen alten diesen zum Grunde liegenden Text darstellen, der entweder der ursprüngliche selbst sein oder ihm doch sehr nahe kommen muß“. 1817: „Irmin, seine Säule, seine Straße und sein Wagen. Einladung zu Vorlesungen über altdeutsche und altnordische Götterlehre“. 1819: „Die Nibelungen, ihre Bedeutung für die Gegenwart und für immer. Gegen Herrn K. E. Schubarth.“ In diesem Werke spricht H. wahrhaft geistvolle Ansichten über das Nibelungenlied aus und sucht nachzuweisen, daß das Wiederaufleben der Nibelungen nicht eine Sache der Mode und des Zufalls, sondern der Ehre und Nothwendigkeit sei. 1820: „Der Nibelungen Noth zum ersten Mal in der ältesten Gestalt aus der St. Galler Urschrift mit den Lesarten aller übrigen Handschriften, 3. berichtigte, mit Einleitung und Wörterbuch vermehrte Auflage“, dem Minister Freiherrn v. Altenstein gewidmet. Ueber diese Ausgabe, welche einen fast durchaus urkundlichen Text gibt, aber auch noch an wesentlichen Schwächen und Fehlern leidet, vgl. Lachmann’s Rec. in der Jen. Litt. Zeitung, 1820, Kl. Schr. I. 206 ff. In demselben Jahre: „Deutsche Gedichte des Mittelalters 2. Das Heldenbuch in der Ursprache 1.“ mit A. Primisser herausgegeben, dem Minister Freiherrn v. Schuckmann zugeeignet. Es enthält außer dem Rosengarten den ersten Druck des Biterolf und der Gudrun, deren hohen Werth H. sofort erkannte. Der 2. Band, 1825, gab zum ersten Mal das Heldenbuch des Kaspar von der Roen, Dietrichs Ahnen und Flucht und einen neuen Abdruck des hürnen Siegfried. 1823: „Gottfrieds von Straßburg Werke aus den besten Handschriften mit Einleitung und Wörterbuch. I. Tristan und Isolde mit Ulrichs von Turheim Fortsetzung. II. Heinrichs von Friberg Fortsetzung. Gottfrieds Minnelieder. Die alten französischen, englischen, wallisischen und spanischen Gedichte von Tristan und Isolde.“ Alle diese Ausgaben waren mehr oder minder sorgfältige Abdrücke einer Handschrift mit gelegentlicher willkürlicher Benutzung anderer, zu einer wahrhaft kritischen Gestaltung des Textes hat H. es nie bringen können. In den J. 1816–21 veröffentlichte er seine „Briefe in die Heimath aus Deutschland, der Schweiz und Italien“, 1–4, die dem Staatskanzler Fürsten von Hardenberg gewidmet waren. Welche Richtung dieses Werk mit besonderem Fleiße verfolgte, lehren nachstehende Worte der Vorrede, die uns zugleich den umfassenden Blick Hagen’s erkennen lassen: „Daß hier hauptsächlich von der Baukunst, dann von Bildnerei und Malerei die Rede ist, kann nicht befremden, da besonders die erste, in ihrem Ursprung und Gipfel als Gotteshaus auf Erden, das bedeutendste und dauerndste Denkmal und der sicherste Maßstab der Bildung eines Volkes und einer Stadt ist, mit ihr die übrigen Künste so unzertrennlich verbunden, und alle in ihr, wie unter ihrem Himmelsgewölbe, vereint und bewahrt sind. Selbst die Denkmale der Dichtkunst, so wie die Geschichte und das öffentliche und häusliche Leben eines Volkes, können nur in dieser Vereinigung recht verstanden werden. Nicht minder gehören dazu der Grund und Boden, auf dem dieses alles gewachsen, und die vollen, nicht wie Coulissen wandelbaren Umgebungen der Natur, und vor allen auch die Gestalt und Tracht, Sitten [336] und Gebräuche, Sprachen und Sagen der Menschen selber, die sich zwar leichter verwandeln, aber immer noch das Alterthümliche mehr oder minder durchblicken lassen. Alles dieses mit leiblichen Augen zu schauen und überall an Ort und Stelle weiter zu forschen oder solches durch Freunde zu veranlassen, war die nothwendige Ergänzung unserer gemeinsam auf das vaterländische Mittelalter gerichteten Studien und der eigentliche Bewegungsgrund dieser Reise.“ Schon lange hielt H. sich für den eigentlichen Repräsentanten der altdeutschen Studien und wurde in dieser Meinung durch den begeisterten Beifall seiner Freunde und des großen Publicums, dem er die altdeutschen Werke mundgerecht machte, immer mehr bestärkt. Den wirklichen Arbeitern auf dem Gebiete der altdeutschen Forschung konnte dagegen nicht entgehen, daß H., trotz vielem Scharfsinn für Einzelnes, breitem Wissen und unermüdlichem Fleiße, im Ganzen durchaus ungründlich und unwissenschaftlich sei. Zudem war Manches in seinem Wesen, was kritischen Naturen als Charakterschwäche, als falsch und unwahr erscheinen mußte. So heißt es schon in einem Briefe J. Grimm’s an Görres vom 17. Mai 1811: „Hagen’s Falschheit und mancherlei Wege, die er braucht, um sich und seine Unternehmungen auszuposaunen, sind mir zuwider, ich fange aber an, daran ernstlich zu glauben.“ Und Görres klagt am 2. Juni 1812 über Hagen’s abgeschmackte Vielfresserei, er habe eine wahre Besessenheit herauszugeben, wenn er doch ein Mal eine verbesserte Auflage von sich selbst herausgeben wollte! Noch schärfer ist das Urtheil, welches Lachmann 1818 in den Verbesserungen zu Köpke’s Barlaam über H., ohne ihn zu nennen, ausspricht: „Wollte man überhaupt fleißige Forscher mehr hören, als anmaßliche Rühmer und Zierlinge, so könnte die Ungründlichkeit mancher neuen Deutschlehrer wenigstens nicht mehr ungestraft ihre wahnwitzigen Einfälle hören lassen. Es ist heutzutage fast unmöglich ohne Zorn von den Freunden und Erklärern des deutschen Alterthums zu sprechen. Gott erlöse uns von denen, die es blos gut meinen und weder Gutes thun, noch gut thun wollen.“ Daß diese Aeußerungen gegen H. gerichtet waren, bestätigt Benecke in einem Briefe an E. v. Groote vom 28. Februar 1819, er sagt, a. a. O. sei Hagen’s Anmaßung und Ungründlichkeit auf eine sehr nachdrückliche Weise gerügt. Allmählich war zu den principiellen Gegensätzen auf beiden Seiten eine starke persönliche Abneigung getreten, unter deren Einfluß H. sich mit einem gewissen Trotze gegen die sicheren Ergebnisse der deutschen Philologie, besonders gegen die ganze wissenschaftliche Methode, wie Lachmann sie ausgebildet hatte, verschloß. Rastlos fuhr H. mit seinen Publicationen fort. Aus dem Französischen übersetzte er in Verbindung mit Habicht und Schall die Märchen aus „Tausend und eine Nacht“, 15 Bände, 1825, allein „Tausend und ein Tag“, 11 Bände, 1826–32. Seit 1835 gab er im Auftrage der deutschen Gesellschaft in Berlin „Germania. Neues Jahrbuch der Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache und Alterthumskunde“ heraus, von dem bis zum J. 1851 zehn Bände erschienen. Viele Jahre bereitete er eine Sammlung aller mittelhochdeutschen Lyriker vor. Das Werk, dessen Druck schon im Frühjahr 1826 begonnen, erschien erst 1838: „Minnesinger. Deutsche Liederdichter des 12., 13. und 14. Jahrhunderts, aus allen bekannten Handschriften und früheren Drucken gesammelt und berichtigt, mit den Lesarten derselben, Geschichte des Lebens der Dichter und ihrer Werke, Sangweisen der Lieder, Reimverzeichniß der Anfänge und Abbildungen sämmtlicher Handschriften“, in vier starken Quartbänden, dem König Friedrich Wilhelm III. gewidmet. H. ließ zuerst die Pariser Liederhandschrift, die sog. Manessische Sammlung nach Raßmann’s Vergleichungen abdrucken und vervollständigte diese dann aus den Jenaer, Heidelberger und Weingartner Sammlungen und den übrigen Handschriften. 1856 erschien ein 5. Band dieses Werkes: „Bildersaal altdeutscher [337] Dichter. Bildnisse, Wappen und Darstellungen aus dem Leben und den Liedern der deutschen Dichter des 12. bis 14. Jahrhunderts. Nach Handschriftengemälden, vornämlich der Manessischen Sammlung, und nach anderen gleichzeitigen bildlichen Denkmalen und dahin gehörigen Bild- und Bauwerken. Mit geschichtlichen Erläuterungen. Mit 75 Abbildungen auf 41 Tafeln in Folio“. Dieses Buch, dem König Friedrich Wilhelm IV. gewidmet, ist zum Theil aus Vorträgen in der Berliner Akademie der Wissenschaften seit dem J. 1842 erwachsen, die darin zum Ganzen verschmolzen, weiter ausgeführt und vervollständigt sind. Als Gegenstück zu dieser Ausgabe des gesammten mittelhochdeutschen Liederschatzes erschien 1850 eine Sammlung der kleineren gereimten deutschen Erzählungen des 12. bis 14. Jahrhunderts: „Gesammtabenteuer. Hundert altdeutsche Erzählungen: Ritter- und Pfaffen-Mären, Stadt- und Dorfgeschichten, Schwänke, Wundersagen und Legenden, meist zum ersten Mal gedruckt“, in 3 Bänden, Alexander v. Humboldt gewidmet. Auch dieses Werk war viele Jahre vor dem Erscheinen fertig gedruckt. H. hatte die Grille, in der Anordnung der Stücke eine höhere Idee durchführen zu wollen, er beginnt mit der Urgeschichte der Menschen, mit Adam und Eva, verfolgt den irdischen sündhaften Lebenslauf und schließt mit der seligen Verzückung im Paradiese, wohin der Mensch wieder zurückkehren soll. Ueberaus werthvoll sind Hagen’s Nachweisungen über die Geschichte der einzelnen Erzählungen, sie zeigen seine umfassende Gelehrsamkeit und vielseitige Belesenheit im besten Lichte. Daß die Sammlung, von der nur der dritte Theil neu war, auch nicht den bescheidensten Anforderungen entspricht, die man an eine wissenschaftliche Ausgabe zu stellen berechtigt ist, zeigte Fr. Pfeiffer in den Münchener Gel. Anzeigen, 1851, I. 673. In den Abhandlungen der Berliner Akademie stehen außer den genannten Handschriftengemälden mehrere fleißige Arbeiten Hagen’s, u. a. 1845 „Ueber die Schwanensage“, 1846 „Ueber ein mittelgriechisches Gedicht von Artus und den Rittern der Tafelrunde“, 1854 „Die romantische und Volkslitteratur der Juden in jüdisch deutscher Sprache“. Von besonderen Werken seien noch genannt die bloßen Abdrücke aus Handschriften: „Des Landgrafen Ludwigs des Frommen Kreuzfahrt“, 1854, „dem lieben Freunde Friedr. v. Raumer gewidmet“, und „Heldenbuch. Altdeutsche Heldenlieder aus dem Sagenkreise Dietrichs von Bern und der Nibelungen. Meist aus einzigen Handschriften zum ersten Mal gedruckt oder hergestellt.“ 2 Bde., 1855, „Adolf Holtzmann, dem Troste des Nibelungenhortes gewidmet.“ H. hat das hohe Verdienst, eine große Reihe werthvoller Denkmäler unserer alten Litteratur der wissenschaftlichen Forschung zugänglich gemacht zu haben. Wir staunen über den ungeheueren Fleiß und den rastlosen Eifer, den er sein ganzes langes Leben hindurch bethätigt hat, und bedauern, daß er nicht von seinen wissenschaftlichen Mitforschern lernen wollte und so durch seine eigene Schuld das Andenken an seine wahren großen Verdienste getrübt worden ist.

Meusel, Das gelehrte Teutschland, XIV. 14, Supplem. VI. 19, X. 2, 536–38. (J. E. Hitzig), Neues gelehrtes Berlin im J. 1825, Berl. 1826, 89–91. Prutz, Deutsches Museum, VI. 1, 957. Raumer, Gesch., 331–43, 400, 413–14, 580–83. Scherer, J. Grimm, 37–38, 101. H. Rückert’s Kleinere Schriften, I. 175–80. Briefe in Pfeiffer’s Germ. XXII. 127 (1 an Gräter), in Reifferscheid’s E. v. Groote, 25, 81, 102 (3 an E. v. Groote).