ADB:Heß, David

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Artikel „Heß, David“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 273–277, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:He%C3%9F,_David&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:52 Uhr UTC)
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Heß: David H.[1], Schriftsteller und Künstler, geb. 29. November 1770, † 11. April 1843 zu Zürich, ist in vielen Stücken als das Zürcher Gegenbild seines Winterthurer Zeitgenossen, des Humoristen Ulrich Hegner (vgl. Bd. XI, S. 288–291), aufzufassen. Das äußere Leben des gänzlich künstlerisch beanlagten feinen Beobachters bewegte sich auf wenige Veränderungen aufweisender Bahn, wie das ähnlich bei Hegner der Fall war. Geboren und erzogen auf dem schönen Landsitze Beckenhof zunächst vor Zürich, der Sohn eines angesehenen [274] Mannes, der Mutter, einer zartfühlenden Frau, schon sehr frühe beraubt, trat H. 1787 ohne eigene Neigung, doch dem Wunsche des Vaters folgend, der die gleiche Laufbahn betreten hatte, in das in holländischen Diensten stehende Schweizer Regiment ein. In Zürich waren seine großen Anlagen durch den empfangenen Unterricht weit weniger, als durch eigene Anstrengung geweckt worden. Nur in Musik und vorzüglich im Zeichnen – hier durch den begabten Maler Heinrich Freudweiler (gest. 1795) – hatte H. wirklich förderliche Anregungen erhalten. Diese suchte er jetzt in Holland weiter zu verfolgen, und durch diese Beschäftigung, auch durch eifrige Uebung seines dichterischen Talentes verstand er es, sich das Leben als Militär erträglich zu gestalten. Höchst förderlich durch gesellschaftlich weckende Einwirkungen wurde 1788 ein Badeaufenthalt zu Pyrmont, wo H. z. B. mit dem Arzte und Philosophen Zimmermann zusammenkam. Als dann aber durch die Eröffnung des Krieges gegen die französische Republik der Waffenberuf für den jungen Officier zur ernsten Aufgabe wurde, widerstand er den väterlichen Wünschen, daß nun der Dienst aufgegeben werden solle, und kehrte erst 1796, als die fremden Truppen nach der Umwandlung der Niederlande in eine batavische Republik überhaupt zu bestehen aufgehört hatten, nach der Schweiz zurück; auf der Heimreise hatte er auch Paris besucht und die dortigen Kunstschätze studirt. In Zürich lebte er zurückgezogen nur seinen privaten Beschäftigungen, allerdings dabei durch die auch die Schweiz ergreifende allgemeine Erschütterung in den nächsten Jahren vielfach in Anspruch genommen. Hatte er schon in Holland die neue mit Gewalt dictirte Freiheit und deren Träger, die Franzosen der Revolution, nicht nur mit den Waffen, sondern auch mit geistreichen Schöpfungen seines Stiftes und seiner Feder bekämpft – die von der batavischen Regierung verfolgten Caricaturen-Blätter der „Hollandia regenerata“, 1796 in London erschienen, sind seine erste Künstlerarbeit –, so verschärfte sich in der Heimath nach 1798 und 1799 diese den erzwungenen Veränderungen zuwider gehende politische Auffassung. Vollends zog er sich nun von dem öffentlichen Leben zurück, was noch außerdem durch die Besorgung seiner ausgedehnten Oekonomie nach dem 1800 eingetretenen Tod des Vaters ihm zur Pflicht gemacht wurde. Anlagen zur Schwermuth, die schon früher sich gezeigt, schienen durch den Tod der innig verbundenen Gattin, Anna Hirzel, einer Stiefschwester Heinrich Hirzel’s (s. d. Art.), noch mehr geweckt zu werden. Doch 1805 gewann er an der Baslerin Salomea Vischer seine „Retterin“, wie er sie dankbar nannte, und den verwaisten Kindern eine neue Mutter. Inzwischen hatte sich H. doch mit dem Beginne der Mediationsepoche 1803 in den großen Rath wählen lassen, auch die Betheiligung an einigen untergeordneten Verwaltungsämtern nicht abgewiesen. Allein in der Hauptsache blieb er doch durchaus nach allen Seiten ein freier Mann. Ein eifriges Mitglied der Künstlergesellschaft in Zürich und nach Stiftung der schweizerischen Künstlergesellschaft auch dieser weiteren Vereinigung, lebte er daneben theils seinen literarischen und poetischen, sowie seinen künstlerischen Beschäftigungen, ferner dem anregenden Umgange mit gleichstrebenden Freunden, ganz besonders Ebel (vgl. Bd. V, S. 518 u. 519) und Martin Usteri und mit Hegner, ohne dessen prüfenden Beirath H. nichts veröffentlichte. Mit dem dritten Jahrzehnt schienen die glücklichen Jahre durch der Gattin und eigene schwere Krankheit, durch den Tod von Freunden und vor allen des hoffnungsvollen einzigen Sohnes von der ersten Gattin, Adolf, 1826, zurückweichen zu wollen; dazu kam wachsende Verstimmung über die allerdings aufmerksam, doch mit Abneigung verfolgte Umwälzung von 1830, infolge deren er auch aufhörte, Mitglied des großen Rathes zu sein. Als 1839 eine neue Veränderung im Kantone Zürich die Dinge in einer ihm angenehmeren Weise wieder umgestaltete, war er, zumal da er 1840 abermals [275] Wittwer wurde, allzu lebensmüde, um nochmals irgendwie hervortreten zu wollen. Von der 1842 ihn von neuem ergreifenden Krankheit erholte er sich nicht mehr. Klar und ruhig, in heiterer Sehnsucht nach der Befreiung sah H. dem Tode entgegen. – H. sagte in seinen erst in der letzten Lebenszeit angefangenen Denkwürdigkeiten von sich selbst: „Ich lebte mehr in einer innern Traumwelt, als in der äußern und geschichtlich wirklichen; aber Menschen aller Art zu beobachten und mich den vorzüglicheren anzuschließen war meine angeborene Neigung“. Als „Dilettant“ kündigte er 1802 seine der Frau gewidmete „Olla Potrida“ von „Collectaneen aus der Vergangenheit“: „Kleine Gemählde, Reminiscenzen und abgebrochene Gedanken“ (Zürich) an, welches Buch poetische und prosaische kleinere Stücke gemischt in sich enthielt. Zahlreiche ähnliche kleinere Proben seines dichterischen Talentes waren schon seit 1789 zerstreut in Zeitschriften erschienen, so gerade im Schweizerischen Museum jenes Jahres, sowie seither und noch später im helvetischen Almanach, in den Alpenrosen, in den von M. Usteri gesammelten Künstlerliedern, in Zeitungen und noch weiter da und dort publicirt. Einzelne Lieder, theils von ihm, theils von anderen gedichtet, faßten in der von ihm geschaffenen musikalischen Composition Wurzel. „Scherz und Ernst in Erzählungen“, fünf 1816 erschienene der zweiten Gattin geweihte Novellen, zeigen H. schon viel mehr, als es in der früheren mehr sentimental gehaltenen Sammlung der Fall war, auf der Bahn des Humoristen. Sehr anmuthig, sowie durch den bestimmt gezeichneten localen und historischen Hintergrund – Vorstädte Zürich’s 1799 – ganz naturwahr ist die 1819 Usteri zugeeignete „Weihnachtsgabe“: „Die Rose von Jericho“, in der Gestalt der Erlebnisse eines Liebespaares eine Abwehr in patriarchalische Formen sich kleidenden Aberglaubens. Zumeist war dabei auch neben dem Poeten stark der Künstler betheiligt, und wenn auch H. bei seinen Zeichnungen und colorirten Bildern stets in der Ausführung Dilettant blieb und auch als solcher betrachtet sein wollte, so war er doch ein feiner Beobachter, ein geistreicher Erfinder, und wurde, wo er zu treffen gedachte, deutlich genug verstanden. Denn seit den Tagen, wo der Zeichner seinen Hohn in der Hollandia regenerata als conservativer Beurtheiler politischer Dinge zuerst nachhaltig ergossen hatte, war H. ein Meister der Carricatur geblieben. Wie er in seinen Skizzen aus seiner aufrichtigen Ueberzeugung heraus dem Weltherrscher Napoleon lange vor dessen Katastrophe den Sturz vorausgesagt hatte, so versagte er auch im engeren Kreise des vaterländischen Lebens in der wachsenden politischen Erregung der gegnerischen Entwicklung den Ausdruck seiner Abneigung keineswegs, und nach 1830 erfreuten sich Eingeweihte an politischen Caricaturen, bei denen freilich etwa die Kunst neben der Absicht verkürzt werden mochte. Einige, vorzüglich frühere derartige Bilder waren geradezu populär geworden, so der „Scharinggelhof“, eine Verspottung übermäßigen und lächerlichen Complimentenwesens, eine Caricatur, durch welche er zugleich auch bewies, daß er das Verhöhnenswerthe in den Dingen der alten Zeit, das zugeknöpfte geistlose Wesen mancher vorrevolutionärer Kreise, so scharf herausfand, wie die gespreizten Anmaßungen in den Gestaltungen und bei den Trägern der neuen Tagesideen. – Als Poet und Künstler, aber voran als Schriftsteller und Forscher, bei den vorzüglichen zumeist durch Hegi radirten Illustrationen daneben in erster Linie vom eigenen kunstfertigen Sohne unterstützt, steht H. zuerst ganz auf der Höhe in dem geradezu classischen Buche, das seinen Namen am sichersten bewahren wird: es ist „Die Badenfahrt“ (Zürich 1818). Die „Thermopolis“ an der Limmat, welche in der Culturgeschichte des zürcherischen Lebens, vom Mittelalter bis in die Neuzeit, geradezu ein eigenes Capitel beansprucht, ist hier, obschon der Verfasser [276] als „Nichtgelehrter“ geschrieben haben will, durch eine nicht bloß litterarisch, sondern auch wissenschaftlich vorzügliche Leistung verklärt, nach allen Seiten topographisch, historisch, praktisch brauchbar für den Mitlebenden, der sich selbst humoristisch in den Schilderungen vorgeführt sehen mußte, beleuchtet. – Allein Hessen’s eigentlichste Kraft lag auf einem noch anderen Gebiete. Der lebendige Geist, das warme Gefühl, die rege Phantasie, das gesellschaftliche Talent machten den scharfen Beobachter zu einem vorzüglich begabten Schilderer eigenartig ausgeprägter Persönlichkeiten, deren Wesen er hatte erfassen können. Es scheint, daß die Uebernahme von Neujahrsblättern der Künstlergesellschaft ihn zuerst auf das Feld seiner Meisterschaft, der Biographie, geführt habe (1820 über Salomon Landolt, 1830 über Martin Usteri, 1833 über den 1829 verstorbenen zürcherischen Landschaftszeichner und Kupferstecher Joh. Heinr. Meyer). So erschien 1820, „vorzüglich der zürcherischen Künstlergesellschaft“ gewidmet, „Salomon Landolt, ein Characterbild nach dem Leben ausgemalt“ (Zürich’). H. verstand es da wirklich, den durch und durch originellen Mann, welchen 1877 von neuem ein jüngster Meister der Characteristik, Gottfried Keller, in seinen „Zürcher Novellen“ für die deutsche Lesewelt in dichterischer Kraft neu belebte, in seinem ganzen Wesen zu erfassen. „Ja dies Bild wird bleiben, wenn tausend andere schon untergegangen sind, so daß auch die Nachwelt gewiß Freude an demselben haben wird, weil es anspruchslos und ungekünstelt mit den Farben der Natur gemalt ist“: so schrieb Hegner an H. über diese Musterleistung einer „Lebensschichte“ und „Characteristik“. – 1822 dann verfaßte H. eine Skizze, die erst 1880 durch das Verdienst von F. O. Pestalozzi im Zürcher Taschenbuch, N. F. 3. Jahrg., wenigstens in dem wesentlichsten Inhalte aus der auf der Zürcher Stadtbibliothek liegenden Handschrift veröffentlicht worden ist. H. hatte 1811 die Liquidation des Vermögens eines nach Paris gezogenen Zürchers, Johann Kaspar Schweizer, der durch seine Frau, Anna Magdalena Heß, mit H. verwandt gewesen war, übernommen, eine äußerst schwierige Angelegenheit, die ihn mehrere Jahre in Anspruch nahm. H. fühlte sich bei genauerer Kenntniß der Lebensverhältnisse des eigenthümlichen Menschenpaares, welches das Opfer seiner Excentricitäten geworden war, zur biographischen Schilderung aufgefordert, und er verstand es, die ganze wie ein Roman sich darbietende Kette von Thorheiten, Verschuldungen, Abenteuern von idealer Kraft und philanthropischer Schwärmerei, in welcher welthistorische Persönlichkeiten wie Mirabeau, die ganze Erschütterung der französischen Revolution breite Stellen behaupten, so zu entwickeln, daß der ergriffene Leser des Verfassers Kunst über der Wahrheit des Erzählten fast vergißt. – Eine ganz andere Aufgabe wieder war es, „dem Freunde alter Sagen, dem heitern Sänger der Freude, dem edeln Meister der Künste“, Martin Usteri, ein biographisches Denkmal zu setzen. Das geschah 1831 durch die Einführung der Usteri’schen „Dichtungen in Versen und Prosa“ (Berlin, Bd. I–III), welche H. in verständnißreichster, liebevollster Weise besorgte, woneben er zugleich alle Zeichnungen Usteri’s ordnete und registrirte. Ganz entsprechend den Einleitungsworten: „Gleich einem stillen Bache, der ruhig und schaumlos durch grüne Matten dahin fließt und bloß bestimmt scheint, liebliche Blumen am Rande der Ufer zu wecken und zu tränken, floß Usteri’s Leben dahin“ – hat H. wirklich dieses Leben gezeichnet –: „sanft, stets klar, heiter und erfreuend“, wie er den Lebensgang des Dichters nennt, ist ihm selbst dessen Schilderung gelungen. – Noch hatte H. die Absicht, auch seinem 1838 zu Arbon in stiller Zurückgezogenheit verstorbenen Freunde, dem Jerusalemreisenden Heinrich Mayr, seine Kraft zu einer Lebensbeschreibung, unter Beifügung einer Auslese aus dessen Schriften, zuzuwenden. Allein weder dieses, noch die Vollendung seiner eigenen „Erinnerungen“ ließ das sinkende Leben zu.– So erwünscht zur Orientirung die Lebensskizze [277] über H. im Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft von 1844 (verf. v. D. W. Hardmeyer[WS 1]) ist, so wäre die Persönlichkeit des Verfassers der „Badenfahrt“ einer eingehenderen Würdigung werth.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 273 ff.: David Heß: Seit der Abfassung jenes Artikels ist eine neue meisterhafte biographische Arbeit von David Heß im Drucke erschienen, besorgt durch Ed. Usteri im „Zürcher Taschenbuch“, N. F. 5. Jahrg., 1882: „Erinnerungen an David Heß im Beckenhof, aufgezeichnet 1842“. Allerdings schildert darin H. sein eigenes Leben nicht einmal bis zum Abschlusse der Knabenjahre – der Tod unterbrach die im 72. Jahre begonnene Arbeit –; dagegen ist die fast romanhaft abenteuerliche Geschichte des mütterlichen Großvaters, eines in den französischen Pyrenäen reich gewordenen St. Galler’s, mit derjenigen der Eltern in anziehendster Weise verflochten, auch über die Familie des Vaters eine Fülle charakteristischer Notizen aus dem zürcherischen Leben vor 1798 mitgetheilt. [Bd. 15, S. 795]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Richtig: Heinrich Meyer, vgl. Fußnote im Artikel Meyer, Heinrich.