ADB:Kaufmann, Alexander

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Artikel „Kaufmann, Alexander“ von Hermann Hüffer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 75–81, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kaufmann,_Alexander&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 20:13 Uhr UTC)
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Kaufmann: Alexander K., Dichter, Cultur- und Sagenforscher, wurde geboren zu Bonn am 14. Mai 1817. K. entstammte einer alten Bonner Familie, die schon im 17. Jahrhundert im Besitze obrigkeitlicher Aemter erscheint. Der Großvater war kurfürstlicher Hofkammerrath, der Vater während der Fremdherrschaft Maire zu Adendorf in der Eifel. Im J. 1814 zog er wieder nach Bonn, und würde, da er gründliche Kenntnisse im französischen Recht durch eingehende Studien vervollständigte, wahrscheinlich eine Professur an der neugestifteten Universität erhalten haben, hätte ihn nicht ein vorzeitiger Tod schon am 8. September 1823 im 38. Jahre hinweggerafft. Die Wittwe behielt mit fünf Kindern ihren Wohnsitz in der Vaterstadt, darunter auch der [76] spätere Oberbürgermeister Leopold (s. d.). Alexander besuchte das Gymnasium, unterbrach aber seiner schwachen Gesundheit wegen den Lehrgang, um sich dem Buchhandel zu widmen. Als er, durch solche Thätigkeit wenig befriedigt, sich den Studien wieder zuwandte, wurde er gemeinsam mit den Söhnen des Curators Rehfues durch einen tüchtigen Philologen Königshoff, später Gymnasialdirector in Trier, für die Reifeprüfung vorbereitet, sodaß er im Mai 1838 die Universität beziehen konnte. Er trat in die juristische Facultät ein, obgleich eine ausgesprochene Neigung für Geschichte und Litteratur sowie seine poetische Begabung eine andere Richtung vorzeichneten. Wie öfters bei solchen Gegensätzen zwischen Pflicht und Neigung: der fleißige, kenntnißreiche Student gelangte doch zu keinem eigentlichen Abschluß seiner Studien, selbst dann nicht, als in den nächsten Jahren bedeutende akademische Lehrer, wie Friedrich Bluhme in der juristischen, Joseph Aschbach in der philosophischen Facultät sich freundlich seiner annahmen und ihn für die akademische Laufbahn zu gewinnen suchten. Mehr und mehr hatten während dieser Zeit auch die dichterischen Anregungen an Stärke gewonnen. Karl Simrock stand damals auf der Höhe seines poetischen Schaffens. Der Garten seines Hauses in der Acherstraße grenzte unmittelbar an den Garten des alten Kaufmann’schen Hauses am Römerplatz, und mit Verehrung hatte schon der Knabe zu dem 15 Jahre älteren Freunde der Familie emporgeblickt. Im Herbst 1838 war auch Gottfried Kinkel, vorerst als Docent der Theologie, nach Bonn gekommen. Er und seine spätere Gemahlin Johanna, die reich begabte, thatkräftige Tochter des Gymnasiallehrers Mockel, wurden bald der Mittelpunkt eines poetischen Kreises, der sich nach einem launigen Sonette Kinkel’s den Namen „Maikäferbund“ beilegte. Adolf Strodtmann hat schon 1850 in der Biographie dieses seines Freundes und Lehrers (s. u.) das heitere Wesen dieser Verbindung und die bedeutenden Persönlichkeiten geschildert, die sich an ihr betheiligten. K. gehörte bald zu den eifrigsten, von allen gern gesehenen Mitgliedern und lieferte unter dem Namen „der Rosenkäfer“ zahlreiche Beiträge für das Vereinsblatt. Wie innig Kinkel ihm anhing, bezeugt vor allem dessen „Einem Verlorenen“ überschriebenes Gedicht, eins der schönsten aus jener Zeit, das bekanntlich an K. gerichtet ist. Strodtmann nennt als Grund des darin beklagten Zerwürfnisses, K. habe aus Scheu vor dem durch Kinkel gereizten öffentlichen Urtheil gleich vielen andern sich von ihm zurückgezogen. Der wahre Grund lag in einem Mangel an Offenheit und Vertrauen von seiten Kinkel’s, wodurch K. sich gekränkt fühlte. Nicht für immer; denn schon 1842, ein Jahr vor Kinkel’s Vermählung, finden wir die Freunde wieder in dem früheren herzlichen Verkehr. Der Rhein mit seinem Sagenschatze und seiner Fülle landschaftlicher Schönheiten bot damals noch Malern, Dichtern und Historikern unerschöpfliche Anregung. Mit Vorliebe wurden rheinische Kunst, Sage und Geschichte betrieben. Simrock’s Landgut bei Menzenberg und eine Besitzung der Kaufmann’schen Familie bei Mondorf waren häufig das Ziel heiterer, durch Gesang und Poesie verherrlichter Ausflüge. Der vielbesungenen Bucht bei Mondorf ist auch das folgende Gedicht Kaufmann’s gewidmet, das seine Fähigkeit in wenigen Strichen ein stimmungsvolles Bild zu zeichnen, anmuthig hervortreten läßt:

Es hüllt der dunkle Wald uns ein;
Die Ruder plätschern matt und leise;
Kaum, daß von oben noch herein
Der Mond bescheint die stille Reise.
Die Blume träumt in stiller Pracht,
Es singen leis die schönen Frauen –
Wer möchte wohl in solcher Nacht
Noch wünschen je den Tag zu schauen!

[77] In so anregender Umgebung verflossen genußreiche, die innere Entwicklung vielfach fördernde Jahre. Dabei wurde es aber doch Zeit, sich nach einem bestimmten Lebensberufe umzusehen. Es war Aschbach, der, mit der fürstlichen Familie von Löwenstein-Wertheim-Rosenberg in naher Beziehung, den Bonner Gelehrten als Erzieher für den in das Knabenalter eintretenden Erbprinzen Karl empfahl. Anderthalb Jahre, von 1844–1845, widmete sich K. diesem Berufe zur vollen Zufriedenheit der fürstlichen Familie, kehrte aber dann nach Bonn zurück, um nunmehr mit neuem Eifer und in regelmäßiger Folge historische und philologische Studien zu betreiben. Auf einer Reise nach Berlin, die er um diese Zeit mit seinem Freunde Emil Naumann, dem späteren Musikdirector des dortigen königlichen Domchors, unternahm, fand er bei hochstehenden Personen, wie Alexander v. Humboldt, Tieck und in dem Hause des Oberhofpredigers Strauß, freundliche Aufnahme. Auch Friedrich Wilhelm IV. wurde er später empfohlen, aber ohne daß seine Lebensstellung dadurch eine Förderung erfahren hätte.

Von Gedichten, Aufsätzen in Zeitschriften und Recensionen ließe sich manches aus dieser Zeit anführen. Schon als Student hatte er 1840 zwei Gedichte, „Trennung“ und „Heimkehr“, in das von Freiligrath, Matzerath und Simrock herausgegebene „Rheinische Jahrbuch“ geliefert. Die erste eigene Schrift bildeten 1850 die anmuthigen Mittheilungen über Cäsarius von Heisterbach, welchem er bereits 1844 in dem von Laurenz Lersch veröffentlichten „Niederrheinischen Jahrbuch für Geschichte und Kunst“ einen Aufsatz gewidmet hatte. Die neue Schrift wurde Karl Simrock und neben ihm Johann Friedrich Böhmer zugeeignet, der sich eben 1849 in den „Regesten der Hohenstaufen“ sehr freundlich über K. ausgesprochen hatte. Noch im Sommer des Jahres 1850 trat dann auch für Kaufmann’s äußere Stellung die entscheidende Wendung ein. Der junge Fürst von Löwenstein war nach dem Abscheiden seines Großvaters am 3. November 1849 zur Regierung gelangt, und die Vormundschaft – das Decret ist von dem Fürsten Heinrich XX. zu Reuß und dem Prager Cardinal-Erzbischof Fürst Schwarzenberg am 10. und 12. November 1850 ausgefertigt – berief den ehemaligen Erzieher als fürstlichen Archivrath nach Wertheim. In dieser Stellung, die, man könnte sagen, eigens für ihn geschaffen war, hat K. mehr als 40 Jahre verlebt, ein treuer, pflichteifriger Beamter des fürstlichen Hauses, das ihm jederzeit unbedingtes Vertrauen und auszeichnendes Wohlwollen entgegenbrachte. Auch der Aufenthalt in der stillen, anmuthig in dem Winkel des Mainz und der Tauber gelegenen Stadt war für einen Dichter von Kaufmann’s Begabung und für Studien, wie er sie zu betreiben pflegte, in mancher Weise vortheilhaft. Von den großen Strömungen der Zeit in Politik, Kunst und Wissenschaft drang freilich nur ein verspäteter, schwacher Nachhall in diese Zurückgezogenheit. Der größte Uebelstand war dort Mangel litterarischer Hülfsmittel, der durch eine eifrig und mit sorgfältiger Auswahl gesammelte Privatbibliothek nicht völlig ersetzt werden konnte. Aber wer dürfte behaupten, daß K. seine Zeit verloren hätte! Schon 1852 erschien die erste Sammlung seiner „Gedichte“ (Düsseldorf bei Arnz), und ein Jahr später, durch Simrock’s Rheinsagen angeregt und des Vorbildes würdig, die Sammlung der „Mainsagen“. Wesentliche Förderung erhielt er dabei von dem fleißigen Sammler des Ortes, dem spätern Schulrathe Fries, und bald sollte er nicht allein für litterarische Arbeiten, sondern für das Leben noch weit erfreulicheren Beistand finden.

Durch Georg Friedrich Daumer, den sagenkundigen Uebersetzer des Hafis, war er im September 1855 mit Mathilde Binder, einer Tochter des vormaligen Bürgermeisters von Nürnberg, in Beziehung getreten. Zu Düsseldorf, in dem [78] Hause des Malers Schrödter, und wo sie sonst verkehrte, pflegte man wol eine Strophe eines ihrer Gedichte („Die Seejungfrau im Oderhaff“) auf sie anzuwenden:

Und wer sie mag gewahren,
Dem ist ein Glücke nah;
Schon ist ihm widerfahren
Ein Glück, weil er sie sah.

K. hatte sie noch nicht gesehen, als bei ihnen, wie einige Jahre früher zwischen Levin Schücking und Luise v. Gall, die gegenseitige Neigung in einem stets inniger werdenden Briefwechsel bestimmten Ausdruck fand. Im Frühling 1857 führte K. die Erwählte, am 20. Mai ihm Angetraute in sein Haus, zunächst in eine nicht weit von Wertheim gelegene Mühle, die man öfters, wenn Poetenwohnungen zusammengestellt wurden, abgebildet hat, später in die dem Archiv nahe gelegene stattliche Amtswohnung.

Es läßt sich denken, daß der Dichter auch an der poetischen Thätigkeit seiner Frau (‚Amara George‘) lebhaften Antheil nahm. 1858 gab er mit ihr und Daumer „Mythoterpe, ein Mythen-, Sagen- und Legendenbuch“ heraus. Er hatte dafür eine große Zahl von Sagen und Mythen, slavische, nordische, vor allem spanische, theils bearbeitet, theils übersetzt, und sein großes Talent für die Form machte es ihm möglich, den eigenthümlichen Wohlklang der Originale mit Meisterschaft wiederzugeben. In einem und demselben Jahre 1862 erschienen dann seine bedeutendsten Leistungen auf dem Gebiete der Sagen- und Culturgeschichte: zunächst die erweiterte Bearbeitung der zwölf Jahre früher veröffentlichten Schrift über Cäsarius von Heisterbach, sodann die „Quellenangaben und Bemerkungen zu Karl Simrock’s Rheinsagen und Alexander Kaufmann’s Mainsagen“. Das Cäsarius-Buch hat, wie selten eine Darstellung dieser Art, in weiten Kreisen Freunde gefunden. Durch die Frische der Auffassung, die Feinheit des Urtheils und die vollkommene Beherrschung des gelehrten Materials verdient das Buch unter allem, was seitdem über rheinische Culturgeschichte ans Licht trat, noch immer in der ersten Reihe einen Platz. Von den Bemerkungen zu den Rhein- und Mainsagen war die erste Abtheilung früher als Anhang des Simrock’schen Werkes erschienen, aber nunmehr wie die Schrift über Cäsarius vielfach erweitert und ergänzt. Die Sagenforschung hatte damals noch keineswegs die in unserer Zeit gewonnene Schärfe und Sicherheit erlangt. Umsomehr muß man das treffende Urtheil und die eindringende Gelehrsamkeit des Verfassers schätzen, der mit scharfem Blick die Spreu vom Weizen sondert und durch keine landschaftliche Vorliebe sich verleiten läßt, verfälschte Münzen als echt in Umlauf zu setzen. Man lese, um wenigstens eins nur zu nennen, die Darstellung der bekanntlich von Clemens Brentano gestalteten Sage von der Loreley. Alles, was bis in die neueste Zeit (W. Hertz) von Berufenen und Unberufenen darüber geschrieben wurde, hat den Ausführungen Kaufmann’s kaum wesentliches zuzusetzen oder entgegenzustellen vermocht.

Noch mehrere Jahre dauerte es, bis 1871 eine zweite Sammlung der Gedichte erschien mit dem nicht eben glücklich gewählten Titel: „Unter den Reben“. Schon der Zusatz: „Lieder und erzählende Gedichte“ beweist, daß man keineswegs ausschließlich ein „Weinbüchlein“, wie es die letzte Abtheilung liefert, vor sich hat. Heitere Scherze wie „Der heilige Peter zu Walporzheim“ und „Die Mönche vom Johannisberg“ werden nicht leicht der Vergessenheit anheimfallen; aber den Haupttheil der Sammlung bilden doch die „Lieder aus dem Jugendleben“ und „Aus ernsterer Zeit“ und in der zweiten Abtheilung dann „Erzählendes“. Dichtungen wie „König Trojan“, „Der Vandalen Auszug“ und die allerliebsten „Zwei Rheinfahrten“ (Beethoven’s) dürfen in ihrer Art als Muster gelten. Daß unter dem neu Hinzugekommenen die 34 Gedichte [79] „an Amara“ den frischen Hauch des eigenen Liebeslebens in die Sammlung hineintrugen, läßt sich ja erwarten; aber auch in den übrigen Abtheilungen findet sich Köstliches zum ersten Male. Und doch enthält diese vermehrte Sammlung noch längst nicht alles, was zur Verfügung stand; der Verfasser hätte, wenn er nach der Weise der meisten Dichter verfahren wollte, einen doppelt so starken Band mit vollwerthigen Poesien füllen können. Der Grund so großer Zurückhaltung lag vorerst in der scharfen Selbstkritik, die er zu üben pflegte. „Er hat gewütet“, schrieb er schon in dem einleitenden Gedicht der ersten Sammlung,

 wie der Censor nicht
Gewüthet hätte, mit gewalt’ger Scheere.
Er hat gestrichen jegliches Gedicht,
Das von des Lebens Leid, des Lebens Leere
Gesungen, denn das Leben ist nicht leer:
’s ist reich und bunt – schaut wacker nur umher!

Der zweite Grund war seine übergroße Bescheidenheit.

Darf ein vergeßner Dichter wohl es wagen,
Zu treten vor sein Volk? Mir zagt der Muth

heißt es 1871 in dem Vorwort der zweiten Ausgabe. Und doch war er nicht vergessen und ist nie vergessen worden, weder als Dichter noch als Gelehrter. In den litterarischen Handbüchern, oder wo man sonst von ihm sprach, wurde sein Name nie ohne Lob und Auszeichnung genannt. Musenalmanache wie gelehrte Zeitschriften bewarben sich um seine Theilnahme. Den Doctortitel hatte er am 26. August 1857 von der philosophischen Facultät in Tübingen erhalten; die historischen Vereine für Unterfranken, für das württembergische Franken und für den Niederrhein ernannten ihn zum Ehrenmitglied. Er betrachtete alles, was ihm an Auszeichnungen zu Theil wurde, als unverdiente Gunst. Er war überrascht, als Schücking 1851 die Anthologie „Italia“, deren Plan doch von ihm ausgegangen war, ihm widmete, und bei einem Aufenthalt in München – November und December 1860 – setzte es ihn beinahe in Erstaunen, daß Dichter wie Geibel, Heyse, Bodenstedt und Emilie v. Ringseis, Gelehrte wie Carriere, Spruner, und Staatsmänner wie Hermann u. v. A. ihn mit Beweisen von Achtung und Freundschaft überhäuften. Noch in späterer Zeit erhielt er niemals, ohne sich zu verwundern, briefliche Zeugnisse, daß man nicht bloß in der Heimath, sondern auch im Auslande, in Oesterreich, Ungarn, Frankreich, Schweden, Werth und Bedeutung seiner litterarischen Arbeiten zu schätzen wisse. Auch in Bezug auf seine amtliche Thätigkeit ist es weit öfter von anderen als von ihm selbst hervorgehoben worden, daß er das reichhaltige, aber bei seiner Berufung noch ungeordnete Archiv in Wertheim durch eine zweckmäßige Eintheilung für Amt und Wissenschaft erst recht nutzbar machte. Der Ordnung des Dalberg’schen Familienarchivs in Aschaffenburg, die als Nebenarbeit 1871 rasch erledigt wurde, verdanke ich selber die Kenn[tn]iß wichtiger Correspondenzen der Revolutionszeit. Zu der archivalischen Thätigkeit war inzwischen noch die Behandlung der Schulsachen und der dem fürstlichen Hause zahlreich zustehenden Patronatsrechte gekommen. Beides gab Gelegenheit, dürftigen Gemeinden und Privatpersonen mannigfachen Beistand zuzuwenden. Mit klarem, ruhigem Blicke nahm sich K. der Sachen an, aber zugleich mit jenem Wohlwollen, man dürfte vielleicht sagen, mit jener Klugheit des Herzens, die oft besser als die scharfsinnigste Berechnung das Richtige trifft, weil sie ganz ohne Rückhalt und Nebenabsicht in die Lage des Rath- und Hülfesuchenden sich zu versetzen weiß.

So vergingen Jahre und Jahrzehnte. Die Reise nach München und einige Ausflüge in die rheinische Heimath ausgenommen, wäre von Unterbrechungen eines ruhig geordneten Lebensganges wenig zu sagen. Für Kaufmann’s [80] anspruchslosen Sinn genügten diese einfachen Verhältnisse, das liebevolle Versenken in die bald frohen, bald sorgenschweren Ereignisse des Familienlebens. Immer boten sich auch in der kleinen Stadt angenehme Berührungspunkte: eine historische Vereinigung fand in dem Archivrath ihren Mittelpunkt; nicht selten wurden fremde Gelehrte und Schriftsteller, sei es durch die Beziehungen zu dem Kaufmann’schen Ehepaar, sei es durch das Archiv und die Reize der Natur, nach Wertheim geführt. Dazu kam ein ausgedehnter Briefwechsel mit hervorragenden Männern, der in vielen Bänden sorgfältig geordnet, einem verständnißvollen Benutzer werthvolle Beiträge zur Kenntniß des geistigen Lebens jener Zeit gewähren könnte. Kein Jahr verging auch in diesem späteren Lebensalter, das nicht den einen oder andern Aufsatz in den verschiedenen Zeitschriften für Culturgeschichte, Archivwesen und in den Annalen gelehrter Gesellschaften gebracht hätte. Auch die Muse bezeugte noch immer von Zeit zu Zeit den heitern Sinn und die unverminderte Empfänglichkeit des Dichters für die reinsten und edelsten Freuden menschlichen Daseins. Von bedeutenderen Arbeiten sei hier nur erwähnt das gehaltvolle Lebensbild Philipp Joseph v. Rehfues’ (s. o.) in der „Zeitschrift für preußische Geschichte“ (1881), die durch neue Stücke und den Nachweis der Quellen stark vermehrte Ausgabe von Simrock’s „Geschichtlichen deutschen Sagen“ (1886), die Schrift über den Gartenbau im Mittelalter und während der Renaissance (1892) und die in den Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 1888/89 und 1891 veröffentlichte Uebersetzung der „wunderbaren und denkwürdigen Geschichten aus den Werken des Cäsarius von Heisterbach“.

„Mîn êrste liebe der ich ie began,
diu selbe muoz an mir diu leste sîn“

sagt der Uebersetzer oder vielmehr Bearbeiter in der Vorrede mit Herrn Albrecht von Johansdorf dem Minnesänger. Und diese Liebe zeigt sich auch in dem warmen Ton der Uebertragung, in den belehrenden Anmerkungen und der geistvollen Anordnung des Stoffes, welche die zahlreichen Geschichten und Anekdoten, nicht wie in dem Original nach dem Inhalt, sondern nach dem Entstehungsort und dem Schauplatz abtheilt und dadurch für die Verbreitung des Sagenstoffes, besonders in den Rheinlanden, neue Gesichtspunkte eröffnet.

Bei alledem muß man bedauern, daß K. seine umfassenden Kenntnisse nicht zu einer Gesammtdarstellung verwenden konnte. Man erstaunte über den Reichthum, wenn man im Gespräch oder brieflich für eine einzelne Frage seine Wissenschaft auf die Probe stellte; eine deutsche Culturgeschichte des Mittelalters zu schreiben, wären gewiß nur wenige in gleichem Maße wie er befähigt gewesen. Aber wie viele sind denn glücklich genug, das Höchste, für das Anlagen und Kräfte sie bestimmten, wirklich zu erreichen? Begnügen wir uns an dem, was Alexander K. geleistet hat, freuen wir uns, daß seine Lebenskraft bis in die spätesten Jahre – man muß hinzufügen, über Erwarten lange – sich fruchtbar erweisen konnte. Denn seiner überaus zarten Gesundheit schien von Jugend auf eine lange Dauer nicht bestimmt; nur der sorgsamen, liebevollen Pflege seiner Gattin ist es zu verdanken, daß die stille Flamme dieses Dichterlebens, vor jedem rauhen, feindlichen Hauche behütet, fort und fort ihr mild erwärmendes Licht in der Nähe und bis in die Ferne verbreiten konnte. Eines letzten herrlichen Frühlings durfte er sich noch erfreuen; am Dienstag den 25. April 1893 abends 6 Uhr, traf er Anordnungen in seinem an die Tauber stoßenden Garten; eine Stunde später fand man ihn ohnmächtig in seinem Zimmer. Am folgenden Tage bewies die eingetretene Lähmung der rechten Seite, daß ein Schlagfluß ihn getroffen habe und keine Hoffnung auf Genesung übrig lasse. Zu klarem Bewußtsein kehrte er nicht wieder zurück; nur, wenn [81] die bekannte Stimme seiner Gattin oder der an das Krankenbett geeilten Söhne an sein Ohr drang, schien ein freudiges Gefühl die noch bewegungsfähige Seite seines Antlitzes zu beleben. Am Montag den 1. Mai, abends 1/4 nach 10 Uhr, entschlief er sanft und friedlich, wie er gelebt, während in den Blüthenbäumen unter dem Fenster eine Nachtigall mit heller Stimme das Erwachen eines neuen Lenzes feierte.

Vorstehendes wesentlich Abdruck meines Nekrologs Kölnische Ztg., 14. Mai 1893. – Eigene Erinnerungen und Familiennachrichten. – Adolf Strodtmann, Gottfried Kinkel. Wahrheit ohne Dichtung (1850/1, 2 Bde.). – Ludw. Fränkel, Alexander Kaufmann, „Die Gegenwart“, 9. Sept. 1893. – Josef Joesten, G. Kinkel, Köln 1904. – Literatur u. Bibliographie bei Leimbach, Die dtsch. Dichter d. Neuzeit IV, 312 ff.