ADB:Kaunitz, Wenzel Anton Fürst

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Artikel „Kaunitz, Wenzel Anton Graf“ von Alfred Ritter von Arneth in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 487–505, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kaunitz,_Wenzel_Anton_F%C3%BCrst&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 15:47 Uhr UTC)
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Kaunitz: Wenzel Anton Graf K., seit 1764 Fürst, von 16 Geschwistern das sechstgeborene Kind, kam am 2. Februar 1711 als der zweite Sohn des Grafen Maximilian Ulrich K. aus dessen Ehe mit Marie Ernestine Gräfin Rietberg aus dem Hause Zirksena zur Welt. Von seinem Vater läßt sich rühmen, daß er als Landeshauptmann von Mähren manche diesem Lande nutzbringende Einrichtung traf, seine Mutter aber war eine Frau von seltener Tüchtigkeit, deren fast männlicher Charakter von dem freilich recht phantasiereichen Biographen, den sie erst in unseren Tagen fand, in ansprechender Weise geschildert wird. Die Erziehung, die sie ihren Töchtern gab, wird darin ausführlich dargestellt; über die Einwirkung, die sie auf die Entwicklung ihrer Söhne übte, erhalten wir jedoch nur spärliche Aufklärung. So wissen wir aus der Jugendzeit des Grafen K. nicht mehr, als daß er vorerst zum geistlichen Stande bestimmt gewesen und frühzeitig Domicellar in Münster geworden sein soll. Er muß sich jedoch bald wieder dieser Laufbahn abgewendet haben, denn er studirte zuerst in Wien, dann in Leipzig und Leyden die Rechte und trat hierauf, wie es in den damaligen Gewohnheiten junger Cavaliere lag, eine längere Bildungsreise nach England, Frankreich und Italien an. Nach seiner Rückkehr von derselben wurde er Anfangs 1735 zum Reichshofrathe ernannt. Im März 1741 finden wir K. unter den Sendboten, welche die Nachricht von der Geburt des Kronprinzen Joseph den fremden Höfen überbrachten. Florenz, Rom, Turin waren die Zielpunkte seiner Reise. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Behauptung eines sonst vertrauenswürdigen Zeitgenossen richtig ist, derzufolge Maria Theresia ihn als ihren Gesandten an dem letzteren Hofe beglaubigen wollte, während K. dies unter dem Vorwande ablehnte, seine Mittel seien unzureichend für einen solchen Posten. Sein wahrer Beweggrund habe jedoch in der Ungewißheit über die Wendung bestanden, welche der österreichische Erbfolgekrieg nehmen werde und er sei vorläufig der Entscheidung für die eine und gegen die andere Partei, die in der Annahme einer so hervorragenden Anstellung gelegen gewesen wäre, aus dem Wege gegangen. War dem wirklich so und gerieth sogar die Treue eines K. ins Schwanken, so ist hierin wol das bedeutsamste Kennzeichen der unglaublichen Bedrängniß, in der sich die Königin von Ungarn befand, und der Hoffnungslosigkeit zu erblicken, mit der selbst ihre Anhänger ihre Lage beurtheilten. Aber die Standhaftigkeit der Königin und die Selbstaufopferung ihrer Unterthanen brachten hierin bald einen gewaltigen Umschwung hervor. Nach Abschluß des Breslauer Friedens und nach dem Bündnisse Sardiniens mit Oesterreich ging [488] K. – im August 1742 – nun doch als Gesandter nach Turin, und er zog bald durch die Art und Weise, in der er die Pflichten seines schwierigen Amtes erfüllte, die besondere Aufmerksamkeit seiner Gebieterin auf sich. Schwierig war dasselbe hauptsächlich in Folge der Hinterlist, mit der Karl Emanuel III. zu Werke ging und durch jedes, auch das verwerflichste Mittel sich möglichst ausgiebige Vortheile zu sichern bestrebt war. Und daß K. nicht auf die Erfüllung seiner Amtspflichten allein sich beschränkte, sondern über dieselben hinaus einen regen Sinn für großartige Entwürfe und einen weitschauenden Blick für politische Verhältnisse und Projecte besaß, that er durch die Gutachten dar, die er über den damals auftauchenden Plan, das kurfürstlich baierische Haus nach Italien zu versetzen und dessen Länder als Entschädigung für das an Preußen verlorene Schlesien mit Oesterreich zu vereinigen, dem Wiener Hofe einschickte. Welch überaus hohe Meinung Maria Theresia schon damals von K. hegte, bewies sie wol dadurch am besten, daß sie, nachdem sie im Januar 1744 ihre einzige Schwester Marianne mit dem Prinzen Karl von Lothringen vermählt und ihnen die Generalstatthalterschaft der Niederlande übertragen hatte, K. dazu erkor, ihnen als bevollmächtigter Minister bei der Regierung dieser Provinzen zur Seite zu stehen. Im April 1744 verließ K. Turin, aber erst im Spätherbste desselben Jahres traf er in den Niederlanden ein.

Seine dortige Stellung war ohne Zweifel noch bei weitem schwieriger als es die in Turin gewesen war. Da bald nach seiner Ankunft in Brüssel die Erzherzogin Marianne im Wochenbette starb, ihr Gemahl aber das österreichische Heer befehligte, das in Böhmen gegen den König von Preußen stritt, so stand eigentlich K. im J. 1745 allein an der Spitze der niederländischen Regierung. Zu einer Zeit war solches der Fall, als jenes Land zum Schauplatze einer recht unglücklichen Kriegführung gegen Frankreich diente. So tief wurde K. hiedurch darnieder gedrückt, daß er dringend um seine Abberufung aus den Niederlanden bat. „Deutlich sehe ich“, schrieb er damals an einen Freund, „all die Mängel, die Verwirrung und den bedauerlichen Zustand der öffentlichen Angelegenheiten, aber ich vermag das Mittel zur Heilung nicht zu finden. Dieser Umstand ist mir qualvoll und er wird mich am Ende noch unterliegen machen. Da ich dies als etwas Unausbleibliches vorher sehe, würde ich mich schwer an meiner Monarchin vergehen, wenn ich ihr nicht selbst eine Aenderung vorschlüge. Wenigstens will ich die Zahl meiner übrigen Fehler nicht durch den vermehren, mich einer Aufgabe für gewachsen zu halten, welche meine Kräfte übersteigt.“

In letzterer Beziehung war jedoch Maria Theresia einer ganz anderen Meinung als K., und selbst wenn sie ihr beigepflichtet hätte, so wäre ihr doch Niemand zu Gebote gestanden, welcher jenen Posten noch besser, ja auch nur ebenso gut auszufüllen vermocht hätte als er. Darum befand er sich noch in Brüssel, als in den ersten Tagen des Februar 1746 der Marschall von Sachsen die Belagerung dieser Stadt unternahm. Da ihr von keiner Seite her Entsatz nahte, mußte sie sich dem Feinde ergeben. Am 21. Februar unterzeichnete K. die Capitulation und ging nach Antwerpen, wohin ihm das französische Heer folgte. Um nicht ein zweites Mal in dessen Gewalt zu gerathen, verfügte er sich nach Aachen, wo ihn endlich – im Juni 1746 – zu seiner größten Freude seine Abberufung traf. Aber sehr lang konnte ein Mann wie K. in der damaligen bewegten Zeit nicht unbeschäftigt bleiben. Zwar gelang es ihm, der ihm zugedachten Aufgabe, Oesterreich bei den Friedensconferenzen zu Breda zu vertreten, wieder entledigt zu werden, aber er konnte sich doch, nachdem dieselben resultatlos geblieben waren, der gleichen Bestimmung für den Congreß nicht entziehen, der sich im März 1748 in Aachen versammelte. Mit bewunderungswürdigem Scharfsinn, seltenem Tacte und unerschütterlicher Standhaftigkeit vertheidigte [489] hier K. die österreichischen Interessen. Wenn gleichwol das Erreichte allzuweit hinter seinen Wünschen zurückblieb, so sah er die Hauptveranlassung hiezu außer den ungünstigen Ergebnissen der Kriegführung nicht so sehr in der Gegnerschaft der bourbonischen Höfe als in der Abtrünnigkeit Englands, nach welchem Staate auch jetzt wieder Holland gleichsam blindlings sich richtete. In den Eindrücken, die er zu Aachen in sich aufnahm, lag ohne Zweifel das bestimmende Motiv zu seinem Antrage auf völlige Veränderung des politischen Systems, das Oesterreich so lange Zeit hindurch beobachtet hatte. Nach fast zehnmonatlichem Aufenthalte, am 7. Januar 1749 hatte K. Aachen verlassen, und schon zwei Monate später befahl Maria Theresia den Mitgliedern der geheimen Staatsconferenz, in welche K. zur Zeit seiner Abreise nach Aachen im Januar 1748 berufen worden war, ihr schriftlich ihre Meinung über das politische System darzulegen, welches Oesterreich von nun an befolgen solle. Den Kaiser an der Spitze, riethen die meisten Mitglieder der Conferenz, man möge auf der bisher eingeschlagenen Bahn auch noch fernerhin beharren. Aber K. war der entgegengesetzten Meinung; sein Gutachten gipfelte darin, daß der König von Preußen als der böseste und gefährlichste Feind des Hauses Oesterreich anzusehen sei, daß man sich deshalb in den Verlust Schlesiens keineswegs ruhig zu ergeben, sondern darauf auszugehen habe, sich nicht nur abwehrend gegen den König zu verhalten, sondern ihn und seine Uebermacht zu schwächen und wieder in den Besitz des Verlorenen zu gelangen. Da man jedoch hiezu der Hülfe der Seemächte nie werde theilhaft werden können, bleibe nur ein einziger Weg zur Erreichung dieses Zieles. Er bestehe darin, daß Frankreich vermocht werde, sich nicht nur Oesterreichs Unternehmungen nicht zu widersetzen, sondern die Hände zu ihrer Durchführung zu bieten und ihnen hiedurch einen glücklichen Ausgang zu sichern.

Die Ansicht des Grafen K., der auch Maria Theresia ihre Anerkennung nicht versagte, stand bei weitem nicht so vereinzelt da, als man dies gewöhnlich annimmt. Aber nur darin scheint er allein geblieben zu sein, daß er meinte, man solle mit der Ausführung seines Planes nicht lange zögern, während die Uebrigen und mit ihnen auch die Kaiserin dessen rasche Verwirklichung für unausführbar oder doch für allzugefährlich hielten. Den langsameren Weg schlug man ein und trachtete vorerst die innere Erstarkung der Monarchie zu erreichen, in der Zwischenzeit aber mit äußerster Vorsicht die geeigneten Schritte zu thun, um sowol Rußland festzuhalten in dem Bunde mit Oesterreich, als Frankreich nach und nach in denselben zu ziehen. Zur Erfüllung der letzteren Aufgabe stand jedoch der Kaiserin kein geeigneterer Mann als derjenige zur Verfügung, von welchem der Vorschlag zur Aenderung des bisherigen politischen Systems eigentlich ausging. Aber K. fand in Frankreich, wohin er sich im September 1750 als Botschafter begab, ein so wenig günstiges Terrain für seine Entwürfe, daß er dieselben nicht nur sorgfältig in sein Inneres verschloß, sondern daß er allmählich selbst den Glauben an ihre Durchführbarkeit verlor. Nach einem mehr als halbjährigen Aufenthalte in Paris schien ihm das Bündniß Frankreichs mit Preußen ein so unlösliches zu sein, daß er dem Gedanken entsagen zu müssen glaubte, Frankreich von Preußen abziehen und sich, wenn auch nicht seiner activen Theilnahme, so doch seiner stillschweigenden Zustimmung zur Wiedereroberung Schlesiens versichern zu können. Und da er nach wie vor der Ansicht war, auch die Seemächte würden hiezu die Hand nicht bieten, kleidete K. seine jetzige Anschauung in die Frage: „Was bleibt bei solchen Umständen für ein anderes vernünftiges Mittel zur Befestigung der eigenen Sicherheit übrig, als endlich den Verlust Schlesiens ganz zu vergessen, dem Könige von Preußen alle [490] Sorge hierüber zu benehmen und ihn auf diesem Wege dereinst in die Allianz Oesterreichs mit den Seemächten zu ziehen?“

Wer sich die tiefeingewurzelte Abneigung der Kaiserin gegen Friedrich II. ins Gedächtniß zurückruft, der kann ermessen, daß ein Vorschlag, durch welchen ihr nicht nur eine definitive Verzichtleistung auf Schlesien, sondern sogar ein dereinstiges Bündniß mit ihrem verhaßten Feinde zugemuthet wurde, ihren Sympathieen geradezu widersprach. Und wirklich beeilte sich K. wenigstens in letzterer Beziehung seine Aeußerungen zu modificiren und zu versichern, er habe an eine eigentliche Verbindung Oesterreichs mit Preußen nicht gedacht und werde an eine solche auch niemals denken. Aber schon ehe er zu einer derartigen Erläuterung seines Vorschlages gekommen war, hatte sich Maria Theresia über denselben in einer Weise ausgesprochen, welche darthat, daß sein Freimuth ihm nicht übel gedeutet worden, sondern ihn im Gegentheile noch mehr gehoben habe in ihrer Gunst und ihrer Achtung. Den größten Beweis ihrer hohen Meinung von ihm gab ihm jedoch die Kaiserin durch die Verwirklichung ihres schon seit längerer Zeit gehegten Planes, ihm die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu übertragen. Im April 1753 geschah es; mit dieser Aenderung trat jedoch nicht auch schon eine solche in dem Geiste ein, in welchem diese Geschäfte bisher geführt worden waren. Von nichts schien K. weiter entfernt zu sein als von der Ausführung der Entwürfe, denen er ein Jahr früher Ausdruck verliehen hatte. Auf nichts Anderes als auf Befestigung des freundschaftlichen Einvernehmens mit den alten Verbündeten des Hauses Oesterreich, den Seemächten, schien er ausgehen zu wollen. Und auch in der Instruction, die er seinem Nachfolger auf dem Posten eines kaiserlichen Botschafters in Frankreich, dem Grafen Starhemberg ertheilte, wurde demselben nichts weiter als das Bestreben zur Pflicht gemacht, Alles hintanzuhalten, wodurch noch eine Verschlimmerung der ohnedies höchst unbefriedigenden Beziehungen zu dem Hofe von Versailles herbeigeführt werden könnte. Auch war es nicht K., sondern eine außerhalb seiner Einwirkung sich vollziehende Verwicklung der politischen Verhältnisse zwischen anderen Mächten, welche den ersten Anlaß zur Wiederaufnahme der auf Schlesiens Rückerwerbung gerichteten Gedanken bot. In der Erwartung lag er, daß der Streit zwischen England und Frankreich wegen der amerikanischen Colonien demnächst in offenen Krieg ausbrechen werde. Am liebsten wäre es K. gewesen, Oesterreich demselben vollständig fernhalten zu können. Mußte man aber wider Willen die Waffen ergreifen, dann wünschte er sie noch am ehesten gegen den zu kehren, den er für Oesterreichs unversöhnlichsten Feind hielt und welchem noch überdies der einzige des Kampfes würdige Preis abgerungen werden konnte. In Englands Hände müsse, so meinte K., die Entscheidung über dasjenige gelegt werden, was Oesterreich zu thun habe. Biete England zu einem Vergleiche mit Frankreich die Hand, dann werde der Friede nicht gestört und das sei vor Allem zu wünschen. Halte es fest an der bisherigen Allianz, dann sei es von Oesterreich, aber freilich nur unter der Voraussetzung kräftig zu unterstützen, daß die Vertheidigung der österreichischen Erblande in keiner Weise vernachlässigt werde. Gehe es aber nicht hierauf ein, dann sei es klar, daß von England nichts mehr zu hoffen und daß ernstlich an eine Annäherung an Frankreich zu denken sei. Und hiezu entschloß man sich denn auch, als England an Stelle einer deutlichen Antwort auf die Anfrage, was es zu nachdrücklicher Kriegführung auf dem Festlande und zur Beistandsleistung an Oesterreich zu thun gedenke, die Andeutung fallen ließ, es könnte wohl gelingen, den König von Preußen zur Neutralität zu vermögen. Dann würden, behauptete K. wol mit Recht, während Oesterreich in dem für eine ihm fernliegende Sache gegen Frankreich zu führenden Kampfe sich aufrieb, Preußens Kriegsmacht und sein Staatsschatz geschont und es in den [491] Stand gesetzt werden, im entscheidenden Augenblicke den geschwächten Nachbarstaat ganz nach Gutdünken zu behandeln. Zudem wäre bei einer Kriegführung wider Frankreich der Verlust der österreichischen Niederlande kaum zu vermeiden, während eine Parteinahme für Frankreich wahrscheinlicher Weise die Schonung der belgischen Provinzen und ihre Erhaltung für Oesterreich sichern, außerdem aber die Möglichkeit der Wiedererlangung Schlesiens in Aussicht stellen würde. Freilich werde sich Frankreich hiezu nur dann verstehen, wenn es aus einem solchen Bündnisse gleichfalls ansehnliche Vortheile zu ziehen vermöchte; in den Niederlanden müßten ihm solche zugesagt werden.

Am 29. August 1755 empfing Starhemberg seine neuen, den Vorschlägen des Grafen K. angepaßten Instructionen, und schon zwei Tage später that er die ersten Schritte zu ihrer Befolgung. Aber die Wirkungen, die seine Eröffnungen auf den Hof von Versailles hervorbrachten, entsprachen wenigstens im Anfange den gehegten Erwartungen nur wenig. Die französische Regierung schien entschlossen, festzuhalten an der Allianz mit Preußen, und Monate hindurch schleppte die Verhandlung mit ihr resultatlos sich hin. Die Nachricht von dem Bündnisse, welches am 16. Januar 1756 zwischen England und Preußen abgeschlossen wurde, brachte jedoch plötzlich eine vollständige Umstimmung des französischen Cabinets hervor. „Ein entscheidendes Ereigniß zu Oesterreichs Heil“, nannte K. jene Allianz; ihr folgte am 1. Mai diejenige zwischen Oesterreich und Frankreich, die jedoch ausschließlich den Charakter eines Defensivtractates an sich trug. Eine gegenseitige Hülfeleistung von 24 000 Mann war darin festgesetzt, der schon ausgebrochene Krieg zwischen England und Frankreich aber von ihr ausdrücklich ausgenommen. Hiemit war man jedoch noch keineswegs an den wirklichen Zielpunkt der Verhandlungen gelangt. Denn wie dem Wiener Hofe die Wiedereroberung Schlesiens, so schwebte dem von Versailles die Erwerbung der Niederlande vor. Dringend rieth K. dazu, sie zum Theile an Frankreich und zum Theil an den Infanten Don Philipp hintanzugeben, wenn man hiedurch nicht nur die Wiedererlangung von Schlesien und Glatz, sondern auch die „völlige Entkräftung“ des Königs von Preußen zu erkaufen vermöchte. Noch war hierüber eine Verständigung zwischen Oesterreich und Frankreich nicht erreicht, als König Friedrich im Bewußtsein seiner Bereitschaft zum Kriege den entscheidenden Schritt zu dessen Herbeiführung that. Seine an den Wiener Hof gerichtete Anfrage nach der Ursache der österreichischen Rüstungen wurde von K. zurückweisend beantwortet, worauf Friedrich in Sachsen einbrach und sich hiedurch offen als Angreifer hinstellte. Vor dieser Thatsache kamen auch die Bedenken des Königs von Frankreich, in Krieg gegen seinen bisherigen Verbündeten gerathen und zu dessen empfindlicher Schwächung beitragen zu sollen, allmählich ins Schwanken. Trotzdem bedurfte es noch sehr langer Zeit, ehe man zu definitiven Abmachungen mit ihm gelangte. Ungleich rascher kam K. mit Rußland ans Ziel, denn in St. Petersburg war der Kriegseifer gegen Preußen womöglich noch glühender als in Wien. Am 11. Januar 1757 wurde die Urkunde, durch welche Rußland dem Defensivtractate von Versailles beitrat, in St. Petersburg unterzeichnet. Und wenige Wochen später, am 2. Februar 1757 erfolgte auch der Abschluß der Convention zwischen Oesterreich und Rußland über die gemeinschaftliche Kriegführung gegen Preußen: mit wenigstens 80 000 Mann sollte jede der beiden Mächte hieran theilnehmen. Erst wenn Maria Theresia in den ungestörten, durch einen Friedensvertrag bestätigten Besitz von ganz Schlesien und Glatz gelangt sei, könne an die Beendigung des Krieges gegen Preußen gedacht werden.

Das Zustandekommen dieser Vereinbarung wirkte ohne Zweifel auch fördernd auf die Allianzverhandlungen zwischen Oesterreich und Frankreich ein. Von noch [492] entscheidenderem Einflusse auf sie war aber jene Botschaft des Königs von England, in der er von den höchst ungerechten und rachsüchtigen Absichten Frankreichs und seiner Alliirten, sowie von der Nothwendigkeit der Erfüllung seiner Bundespflichten gegen Preußen sprach. Ludwig XV. beharrte nun nicht länger in seiner bisherigen Zögerung, und am 1. Mai 1757, genau ein Jahr nach dem Defensivtractate von Versailles wurde daselbst der zweite Vertrag zwischen Oesterreich und Frankreich unterzeichnet, durch welchen sich Letzteres zur Stellung von mehr als 100 000 Mann und zu einer Subsidienzahlung von jährlich 12 Millionen Gulden anheischig machte. Es verpflichtete sich gleichfalls, nicht Frieden zu schließen, ehe Maria Theresia in den unbestrittenen Besitz von Schlesien und Glatz gelangt sei. Außerdem solle sie das Fürstenthum Crossen und eine ihr angemessen scheinende Gebietsvergrößerung im Zusammenhange mit ihren Erbländern erhalten. Noch fernere Abtretungen wären Preußen aufzuerlegen; Frankreich aber habe gewisse Städte und Districte der österreichischen Niederlande, und der Infant Don Philipp den übrigen Theil dieser Provinzen gegen Ueberlassung seiner italienischen Herzogthümer an Oesterreich zu erhalten.

So war denn nicht nur über Anregung und unter hervorragender Mitwirkung des Grafen K., sondern man wird fast sagen dürfen, durch ihn allein jenes furchtbare Bündniß der drei mächtigsten Continentalstaaten Frankreich, Oesterreich und Rußland gegen das auf dem Festlande ziemlich machtlose England und das verhältnißmäßig kleine Preußen zu Stande gebracht, von dem man sich nicht mit Unrecht die Zurückweisung des Letzteren in die Grenzen, die es vor der Thronbesteigung Friedrichs II. gehabt, ja eine noch viel weiter gehende Schwächung desselben versprechen durfte. Vom rein österreichischen Standpunkte aus muß die durch K. vollzogene Umstimmung Frankreichs und dessen Hineinziehung in einen mit Aufgebot aller Kraft zu führenden Krieg gegen seinen früheren Verbündeten eine der bewunderungswürdigsten Thaten genannt werden, welche die neuere Geschichte auf dem Gebiete der Diplomatie zu verzeichnen hat. Aber gar bald sollte man gewahr werden, daß nicht so sehr von politischen als von kriegerischen Handlungen die Entscheidung abhing in dem gigantischen Kampfe, der nun ganz Europa in zwei dem Anscheine nach allerdings sehr ungleiche Heerlager trennte. Zeigte schon der kurze Feldzug des Jahres 1756, mit welch furchtbarem Gegner man es zu thun hatte, so thaten dies die ersten Kriegsereignisse des Jahres 1757 noch fühlbarer dar, denn schon am 6. Mai brachte Friedrich den Oesterreichern bei Prag eine schreckliche Niederlage bei.

Wie allumfassend damals die Stellung des Grafen K. in Wien war, wird am besten dadurch bewiesen, daß er, noch ehe es zur Schlacht bei Prag kam, den Auftrag erhalten hatte, sich dorthin zu begeben, um dem Prinzen von Lothringen die Entschlüsse des Kaisers und der Kaiserin über die zu ergreifenden Maßregeln mündlich mitzutheilen und sich mit ihm über die durchzuführenden Unternehmungen näher zu verabreden. Aber es war K. nicht mehr möglich, nach Prag und zu dem Prinzen zu gelangen. Am Abende des 5. Mai hatte er Wien verlassen und am Nachmittage des 7. traf er bei dem Armeecorps des Grafen Daun ein, das noch unberührt in Böhmisch-Brod stand. Noch hatte Daun keine Nachricht von dem, was sich Tags zuvor bei Prag zugetragen hatte. K. schlug ihm vor, sich entweder auf Umwegen mit dem Prinzen Karl zu vereinigen oder die Preußen durch einen herzhaften Angriff auf sie von der österreichischen Hauptarmee abzuziehen. Ja schon durch eine bloße Vorrückung werde er ihr ohne Zweifel einige Erleichterung verschaffen. Noch war Daun hierüber zu keinem Entschlusse gelangt, als kurz vor Mitternacht die erste Meldung von den Prager Ereignissen eintraf. Einen Theil der Nacht brachte K. mit Daun in eifriger Berathung der zu ergreifenden Maßregeln hin und er stimmte dem Beschlusse [493] desselben bei, am 10. Mai von Böhmisch-Brod aufzubrechen, sich von da langsam nach Kolin zurückzuziehen, um die dortigen Vorräthe zu decken und sein Heer zu verstärken. K. aber kehrte nach Wien zurück, wo er Alles in tiefster Niedergeschlagenheit fand. Eifrigst bemühte er sich dahin zu wirken, daß man den Muth nicht sinken lasse, durch ausgiebige Verstärkung Daun’s denselben in den Stand setze, fernerem Vordringen der Preußen Widerstand zu leisten, und außerdem die Verbündeten dringend auffordere zu ausgiebiger Hülfe. Ehe hiezu von Seite der Alliirten irgendwelche Vorkehrungen getroffen werden konnten, brachte der Sieg, welchen Daun am 18. Juni über den König von Preußen erfocht, eine durchgreifende Aenderung hervor. Die Oesterreicher konnten jetzt zur Offensive übergehen und K., muthvoller und zuversichtlicher als die meisten Generale, hielt es nicht für unmöglich, daß noch in diesem Feldzuge dem ganzen Kriege ein Ende gemacht werde. Dazu gehöre jedoch, daß man eine entscheidende Schlacht wage, und wenn sie gewonnen worden, aus dem errungenen Siege alle nur immer möglichen Vortheile zu ziehen verstehe.

Ueberhaupt ist es merkwürdig, daß K. während der ganzen Dauer des siebenjährigen Krieges nicht nur in den politischen, sondern auch in den militärischen Angelegenheiten fast ausschließlich das große Wort führte. Nicht im Hofkriegsrathe, sondern in der von K. geleiteten Staatskanzlei wurden die Rescripte an die im Felde stehenden Generale verfaßt, in denen jedoch immer der Grundsatz zur Geltung kam, ihnen von Wien aus keine allzu beschränkenden Vorschriften zu ertheilen, sondern die augenblicklich zu fassenden Entschlüsse ihrem eigenen Ermessen anheimzustellen. Daß aber die Gelegenheit zu entscheidenden Unternehmungen nicht so oft unbenutzt vorübergehe und man zur Erreichung großer Resultate auch vor einem Wagnisse nicht zurückschrecke, wurde von K. jederzeit eifrig befürwortet. Darum stand er auch in dem Gegensatze, der sich allmählich zwischen dem bedächtigeren Daun und dem unternehmenderen Laudon herausbildete, mit all seinen Sympathieen auf des Letzteren Seite. Seiner „aufrichtigen Liebe“ versicherte er Laudon, als er die Nachricht von Fouque’s Gefangennehmung bei Landshut empfing, und als die Meldung von der gleichfalls durch Laudon vollführten Eroberung von Glatz eintraf, schrieb K. der Kaiserin, Gott möge ihr ihren Josua erhalten. Aber nicht nur im Glücke, auch im Unglücke hielt K. standhaft zu Laudon. Als derselbe bei Liegnitz geschlagen worden und darüber in tiefe Betrübniß verfallen war, wetteiferte K. mit der Kaiserin, ihn wieder aufzurichten und ihn anzuspornen zu neuen kriegerischen Thaten.

So wie in den militärischen, so war K. auch in den politischen Dingen der Mann des entschlossenen Auftretens und des standhaften Ausharrens. So oft in Wien selbst, und was noch häufiger geschah, auf Seite der Alliirten in Folge unglücklicher Kriegsereignisse Kleinmuth und Niedergeschlagenheit sich geltend zu machen drohten, entwickelte K. mit staatsmännischer Ruhe all die Gründe, welche für das Beharren auf der eingeschlagenen Bahn in die Wagschale fielen. Und selbst dann noch, als auch er sich nicht mehr darüber zu täuschen vermochte, daß es hauptsächlich in Folge allmählichen Versiegens aller Hülfsquellen zur Fortsetzung des Krieges unmöglich sein werde, an das Ziel zu gelangen, um deßwillen man sich auf denselben eingelassen hatte, warnte K. dringend vor jeglicher Ueberstürzung und ermüdete nicht in unablässiger Bemühung, für Oesterreich und dessen Alliirte so viel zu erreichen als noch überhaupt möglich erschien. Aber der plötzlich eintretende Thronwechsel in Rußland und die Entschiedenheit, mit welcher Peter III. die Partei des Königs von Preußen ergriff, machten diese Bestrebungen vollkommen zu nichte. Freilich dauerte Peters Regierung nicht lang; wenig mehr als ein halbes Jahr ging vorüber und er wurde ihrer sowie bald darauf auch seines Lebens beraubt. Ein Aufschrei der Freude entrang sich [494] den Lippen des Staatskanzlers, als er dieses Ereigniß erfuhr. Nicht daß ihn dessen Gräßlichkeit nicht aufs tiefste angewidert hätte, aber noch viel lebhafter empfand er den unermeßlichen Gewinn, den er sich hievon für Oesterreich versprach. Denn der Wortlaut des Manifestes, das Katharina II. gleich nach ihrer Thronbesteigung erließ und in welchem der König von Preußen der ärgste Feind Rußlands genannt wurde, mußte in K. die begründete Hoffnung erwecken, sie werde neuerdings einlenken in die Bahnen, welche die Czarin Elisabeth so lange Zeit hindurch gewandelt war. Aber gar bald konnte K. sich überzeugen, daß Katharinas Absichten durchaus nicht so weit gingen und daß Oesterreich zwar Rußlands Gegnerschaft entledigt, jedoch seiner Freundschaft noch bei weitem nicht theilhaft geworden war. Stand aber ein gewaffnetes Wiederauftreten Rußlands gegen Preußen nicht in Aussicht, so durfte man auch von einer Fortführung des Krieges keine ausschlaggebende Aenderung zu Gunsten Oesterreichs und seiner Verbündeten erwarten; ja was auf dem Kampfplatze sich zutrug, kam nicht so sehr ihnen als Preußen zu Gute. Darum finden wir K. trotz all seiner Abneigung gegen Preußen nicht unter denen, die selbst jetzt noch zum Kriege drängten. Sehnte er sich auch nicht so sehr wie die Kaiserin selbst nach Abschluß des Friedens, so widersetzte er sich doch ihren Bemühungen nicht, ja er hielt den Zeitpunkt für gekommen, sie zu fördern, und darum erleichterte er Alles, was dazu dienen konnte, an das Ende des Krieges zu gelangen. Durch den am 15. Februar 1763 zu Hubertsburg abgeschlossenen Frieden geschah dies; für Oesterreich wie für Preußen begann nun eine Zeit des Wetteifers, die Bevölkerung beider Staaten, die durch den langen und blutigen Krieg unsäglich gelitten hatte, der Segnungen des Friedens theilhaft werden zu lassen. Daß K. auch hierin eine hervorragende Rolle spielte, ist ein Beweis mehr für die seltene Vielseitigkeit, die er schon während der Kriegführung durch seine Theilnahme an all den Anordnungen, die sich auf sie bezogen, in so überraschender Weise an den Tag gelegt hatte.

Schon im August 1758, also noch in den ersten Tagen des siebenjährigen Krieges und während derselbe am heftigsten wüthete, hatte K. auf die Nothwendigkeit hingewiesen, für die inneren Angelegenheiten der österreichischen Monarchie ein „auf richtige Grundsätze gebautes Universalsystem“ einzuführen. Zur Verwirklichung dieses Gedankens schlug er zwei Jahre später, im November 1760 die Gründung eines aus sechs Mitgliedern bestehenden Staatsrathes vor. Maria Theresia genehmigte seinen Antrag mit den Worten, sie schmeichle sich mit Hülfe dieses Staatsrathes und dessen, der ihn ersonnen, dem Ruin des Staates vorbeugen zu können. Und einer ähnlichen Billigung von Seite der Kaiserin erfreuten sich jedesmal die Gedanken, mit denen K. in Fragen hervortrat, die sich auf die inneren Angelegenheiten des Staates, insbesondere auf dessen Finanzen bezogen, deren überwiegende, in Oesterreich fast nie richtig gewürdigte Bedeutung K. bei jeder Gelegenheit hervorhob. Er tadelte es, daß die Verwaltung sämmtlicher Einnahmen und Ausgaben sowie die Rechnungslegung über sie einer und derselben Behörde anvertraut waren und rieth, die oberste Aufsicht über die Verwaltung aller Staatseinkünfte dem sogenannten Directorium in politicis et cameralibus zu entziehen und sie einer wohlorganisirten Hofkammer zu übergeben, die sich jedoch in den Geldempfang, die Verausgabung und die Rechnungslegung unmittelbar nicht einzumischen habe. Die im J. 1749 wenigstens in der obersten Instanz vorgenommene Trennung der Justiz von der Verwaltung müsse beibehalten werden und daher die oberste Justizstelle fortbestehen. Auch an der Existenz des Hofkriegsrathes sei nicht zu rütteln, dessen innere Einrichtung jedoch völlig zu ändern. Seine Verrichtungen dürften nicht mehr wie bisher in bloßen Kanzleiexpeditionen, sondern sie müßten in wesentlichen Beschlüssen und [495] hauptsächlich darin bestehen, die Kriegstüchtigkeit des Heeres, seine Disciplin, seine Verpflegung sowie überhaupt alle Theile des Kriegswesens aufrecht zu erhalten und zu verbessern. Ganz besonderen Nachdruck legte endlich K. auf die Nothwendigkeit, daß der Förderung des Handels größere Aufmerksamkeit zugewendet werde als bisher. Mit dem Ackerbau und der Industrie sei er ja die eigentliche Quelle des Reichthums der Staaten.

Die im Sinne der Vorschläge des Grafen K. vorgenommene Reorganisation der Centralbehörden zog eine solche auch in Bezug auf die österreichischen Erbländer nach sich, von denen jedes einem einzigen Chef untergeordnet wurde, unter welchem die verschiedenen Geschäfte von abgesonderten Dicasterien besorgt werden sollten. Gegen die hiedurch schärfer hervortretende Ueberantwortung der Landesangelegenheiten an Staatsbeamte erhoben in verschiedenen Provinzen die Landstände lebhafte Einsprache; insbesondere geschah dies in Böhmen, wo die Stände das im J. 1749 eingeführte System umstoßen zu können und die Leitung der Landesangelegenheiten wieder zu erhalten hofften. Solchen Bestrebungen trat jedoch K. mit größter Entschiedenheit entgegen. Er selbst sei ein Böhme, erklärte er, und in Mähren begütert. Wenn er also nur seinen eigenen Nutzen zu Rathe zöge, so hätte er alle Ursache, denjenigen beizustimmen, welche nur im Interesse der Stände zu handeln und ihnen die oberste Gewalt im Lande in die Hände zu spielen gedächten. Habe man jedoch Eid und Pflichten vor Augen, so denke man zuerst an das Staatsoberhaupt und die allgemeine Wohlfahrt. Statt die Macht der Stände zu erweitern, möge man sie vielmehr verringern, weil die wahre Stärke des Staates in dem größeren Theile seiner Bevölkerung, dem gemeinen Mann, bestehe, der die meiste Rücksicht verdiene, in Böhmen aber mehr als in anderen Ländern unterdrückt sei.

Auch in den ungarischen Angelegenheiten spielte K., dem inzwischen – am 3. April 1764 – die Wahl und Krönung Josephs zum römischen Könige die Erhebung in den Reichsfürstenstand eingetragen hatte, eine bedeutsame Rolle. Insbesondere wurde dies während des Landtages bemerkbar, der vom 23. Juni 1764 bis zum 21. März 1765 in Preßburg abgehalten wurde. Die interessanteste Episode desselben bestand wol in der gewaltigen Aufregung, welche das Erscheinen der Schrift Kollár’s über die gesetzgebende Gewalt der ungarischen Könige in geistlichen Dingen hervorbrachte. Die darin enthaltene Anfechtung der Gesetzsammlung des Stephan Werböcz und der Steuerfreiheit der ungarischen Geistlichkeit und des Adels erfuhren von Seite der Ungarn erbitterten Widerspruch und riefen ihr leidenschaftliches Begehren nach Unterdrückung des Buches und nach Bestrafung seines Verfassers hervor. So ungestümem Drängen setzte K. wie gewöhnlich die unerschütterlichste Ruhe entgegen. Er bedauerte zwar die Veröffentlichung der Schrift Kollár’s, denn die Vorsicht gebiete der Denkungsart der Menschen und den gerade obwaltenden Umständen Rücksicht zu tragen und nicht immer Alles herauszusagen, was an und für sich wahr und zu vertheidigen sei. Jetzt aber handle es sich nicht mehr um das Erscheinen der Schrift, sondern um das, was in Folge der durch sie hervorgebrachten Wirkung geschehen solle. Kollár’s „Einsicht, Gelehrsamkeit und großen Diensteifer“ anerkennend, dachte K. ebensowenig als Maria Theresia daran, ihn seinen Gegnern zu opfern. Um jedoch die Letzteren zu besänftigen und den Landtag zur Wiederaufnahme seiner Arbeiten, die er um deßwillen unterbrochen hatte, ja zur Annahme der königlichen Propositionen zu bringen, rieth K. der Kaiserin zu der in die schonendste Form zu kleidenden Erklärung, bis zu näherer Prüfung des Inhaltes der Schrift von Kollár werde sie deren Einfuhr nach Ungarn nicht mehr gestatten. Ebenso war K. in den übrigen Dingen, in denen mit dem ungarischen Landtage verhandelt wurde, zwar jederzeit für möglichst standhaftes Festhalten an den [496] Begehren, um derentwillen man ihn einberufen hatte; aber doch auch für nachsichtsvolle Beurtheilung der manchmal recht verletzenden Haltung der Ungarn. Und als er sich zuletzt davon überzeugte, daß man mit den ursprünglich beabsichtigten Anforderungen an sie nicht durchdringen könne, rieth K. der Kaiserin hinsichtlich verschiedener Punkte zu kluger Nachgiebigkeit.

Der ungemein große Einfluß, welchen K. zu jener Zeit auf Maria Theresia übte, wurde durch den plötzlichen Tod ihres Gemahls nur noch gesteigert. In Innsbruck, wohin K. das Kaiserpaar im Juli 1765 begleitete, starb Franz, der sich Zeit seines Lebens in einem gewissen Gegensatze zu K. befunden hatte, denn nicht Frankreich, sondern England waren die Sympathieen des Kaisers geweiht. Und so wenig er auch darauf auszugehen schien, für sich selbst politische Macht oder auch nur politischen Einfluß zu erwerben, so schien er doch den, dessen K. sich erfreute, manchmal recht bitter zu empfinden. Eine solche Regung der Eifersucht war es ohne Zweifel, die einmal – im September 1761 – während einer Sitzung des Staatsrathes zu einer heftigen Scene zwischen dem Kaiser und K. führte. Allerdings gewann die tief eingewurzelte Gutmüthigkeit des Ersteren rasch wieder die Oberhand, und durch beschwichtigende, ja man wird fast sagen dürfen reuevolle Worte, die Maria Theresia in ihrer herzgewinnenden Weise noch unterstützte, wußte er K. bald wieder zu versöhnen. Dennoch war er niemals zu dessen eigentlichen Gönnern und Freunden zu zählen, und jedenfalls verstummte durch seinen Tod eine bei der Kaiserin vielgeltende Stimme, die sich zu oft wiederholten Malen wider K. erhoben haben mag. Dadurch fiel aber ein letztes Hinderniß hinweg, daß dessen Ansehen bei Maria Theresia ein uneingeschränktes wurde. Als bald darauf auch Haugwitz und Daun dahinschieden, hätte es für K., was dessen politischen Einfluß anging, keinen Rivalen mehr gegeben, wenn ihm nicht in der Person des jungen Kaisers ein weit mächtigerer erstanden wäre, als dessen Vater oder irgend ein Anderer es jemals gewesen war.

Zu einer Milderung des Gegensatzes, der zwischen Joseph und K. unleugbar vorhanden war, trug wesentlich bei, daß ein solcher nicht so sehr zwischen ihren Meinungen als in Bezug auf viel weniger wichtige Dinge bestand. In all den bedeutsamen Fragen, in denen es Joseph von seiner Ernennung zum Mitregenten seiner Mutter bis zu seinem Tode, also binnen fast 25 Jahren beschieden war, eine so große Rolle zu spielen, ging eigentlich, nur wenige ausgenommen, K. mit ihm Hand in Hand. In ihren Ansichten über die Nothwendigkeit der Ausdehnung der Staatsgewalt und des Staatsgebietes, der Beschränkung des Einflusses des Adels und der Geistlichkeit, größerer Berücksichtigung der niederen Volksklassen, energischer Zurückweisung der ihnen unberechtigt scheinenden Einwirkung des heiligen Stuhles auf die kirchlichen Angelegenheiten und Ueberantwortung ihrer Regelung an den Staat, Toleranz gegen Andersgläubige, in all diesen und vielen ähnlichen Dingen waren Joseph und K. eigentlich eines Sinnes. Was sie allmählich mehr und mehr auseinander führte, war einerseits eine gewisse Aehnlichkeit und doch auch wieder eine große Verschiedenheit zwischen ihnen. Zur Aehnlichkeit gehört vor Allem, daß Beide, Joseph und K., in hohem Grade eingenommen waren von sich selbst, daß jeder seine eigene Meinung für die erleuchtetere ansah und sich Widerspruch nur höchst ungern gefallen ließ. Und wird man von vorneherein zugeben müssen, daß K. dem Kaiser nicht nur an Erfahrung, die sein Alter, und an Kenntnissen, die unausgesetzten Studien ihm verliehen, sondern auch an Großartigkeit der Anschauung und der Conception politischer Verhältnisse, an weitumfassendem Blicke, an staatsmännischer Ruhe und an seltenem Scharfsinne des Urtheils weit überlegen war, so müssen doch Josephs rastloser Eifer im Dienste des Staates, die ununterbrochene Selbstaufopferung, die er sich auferlegte, sein warmer Sinn für das Wohl der Menschheit [497] und seine glühende Sehnsucht, sich ihr nützlich zu erweisen, wieder als Eigenschaften anerkannt werden, in denen ihm K. durchaus nicht gleichkam. Und ebenso stachen die Gewohnheiten, die Art sich zu geben, die Eigenthümlichkeiten des Letzteren von denen des Ersteren ziemlich unvortheilhaft ab. Während Joseph sich einer ächt militärischen Pünktlichkeit befliß, war bei K. gerade das Gegentheil der Fall, und schon eine der ersten Klagen des Kaisers über ihn bestand darin, daß K. jederzeit zur ungelegensten Stunde zu amtlichen Unterredungen sich einfand. Josephs schlichter, einfacher Sinn mußte die Verschwendung an Zeit und an Sorgfalt, mit der K. bei seiner Toilette zu Werke ging, die persönliche Eitelkeit, die er an den Tag legte, wie eine Lächerlichkeit ansehen. Die kindische Furcht des Staatskanzlers vor ansteckenden Krankheiten und schon gar vor dem Tode konnte dem Kaiser, der sich unerschrocken jeder Gefahr aussetzte, wenn es galt Bedrängten zu Hülfe zu kommen, kaum eines Mannes würdig erscheinen. Und wenn K. fast mehr auf seine Kunst als Reiter denn als Staatsmann sich einbildete und in ersterer Eigenschaft von Jedermann angestaunt und bewundert sein wollte, so mußte diese und manche ähnliche Sonderbarkeit allzuleicht den Spott des Kaisers herausfordern, mit welchem dessen sarkastischer Sinn ohnedies nichts weniger als haushälterisch war. Nicht selten kam es auch vor, daß Beide, Joseph und K., einig waren in Bezug auf den zu erreichenden Zweck und doch in der Wahl der Mittel hiezu weit auseinander gingen. Um nur ein Paar Beispiele zu erwähnen, sei hier vorerst der Sitzung vom 16. April 1766 gedacht, in der über die Grundsätze berathen wurde, die künftighin in Finanz- und in Handelsangelegenheiten maßgebend sein sollten. Auch jetzt führte K. wieder das Wort und mit großer Entschiedenheit erklärte er sich gegen die Ueberbürdung der Unterthanen mit Steuern; dringend rieth er Erleichterungen eintreten zu lassen. Nicht durch Auspressung möglichst großer Summen aus dem Säckel der Steuerzahler, nicht durch ungeduldiges Drängen nach schleunigster Abtragung der öffentlichen Schulden und nach unverzüglicher Herstellung des Gleichgewichtes zwischen den Einnahmen und den Ausgaben des Staates werde dessen Wohlfahrt gefördert. Den Unterthan müsse man in den Stand setzen, aus seiner eigenen Thätigkeit, sei es in Landwirthschaft, in Industrie oder Handel Vortheil zu ziehen. Aus der Vermehrung seines Einkommens gehe die gleiche Wirkung für den Staat wie von selbst hervor. Joseph wünschte nicht weniger lebhaft als K. die Finanzen in befriedigenderem Zustande zu sehen. Aber Alles, was K. so eifrig getadelt hatte, war eigentlich der Initiative des Kaisers entsprungen oder wenigstens auf seinen Wunsch nicht abgeändert worden. Und wenn auch Joseph jetzt dem Fürsten K. nicht uwidersprach, ja sich sogar durchdrungen zeigte von der Wahrheit seiner Worte, so geschah doch nicht das Geringste, wodurch eine auch nur theilweise Entlastung des mit Steuern überbürdeten Volkes ins Werk gesetzt worden wäre.

Auf einem verwandten Gebiete, dem der Vertheidigungsfähigkeit des Staates trat eine ähnliche Meinungsverschiedenheit zwischen Joseph und K. zu Tage. Nicht weniger lebhaft als der Kaiser wünschte der Staatskanzler die Monarchie jederzeit in der Lage zu sehen, einem Angriffe von Außen erfolgreich begegnen, ja nöthigenfalls in einem Streite, in dem ihr Recht oder ihr Vortheil ins Spiel kamen, ihr Schwert mit entscheidender Kraft in die Wagschale werfen zu können. Die Macht, die Stärke und die Wohlfahrt eines Staates seien, so führte er weitläufig aus, auf gutbestellte Finanzen, ein wohleingerichtetes Kriegswesen und eine weise und vorsichtige Politik gegründet. Diese drei Hauptpfeiler einer guten Regierung müßten aber unzertrennlich zusammenwirken und nicht etwa sich gegenseitig aufheben. Ein Staat, der seine Kräfte in Friedenszeiten allzusehr anspanne, entziehe sich für den Wechsel der Glücksumstände, der mit einem Kriege [498] immer verflochten zu sein pflege, die nöthigen Mittel zur Rettung. Da jede Vermehrung der Kriegsmacht ein neuer Staatsaufwand sei, würden zu dessen Bestreitung auch neue Zuflüsse nöthig. Wolle man sie durch neue Abgaben, und zwar dort erzwingen, wo schon die alten aufs Höchste gestiegen und allzu drückend geworden seien, so erschöpfe man das allgemeine Vermögen an dessen Quelle, zehre vom Kapital und untergrabe die Grundlage des Finanzwesens, mit ihr aber die Basis von Allem.

Dem eigentlichen Geschäftskreise des Staatskanzlers ungleich ferner als die Dinge, welche auf die Finanzen und den Handel sich bezogen, lagen die Arbeiten, die damals, und zwar im umfassendsten Maße, zur Einführung einer neuen Civil- und Criminalgesetzgebung unternommen worden waren. Die Gutachten, welche K. über sie abgab, werden auch heutzutage noch mit Interesse gelesen werden. Dem neuen Strafgesetzbuche machte er den berechtigten Vorwurf, daß ihm Präcision und Deutlichkeit abgingen, die wichtigsten Eigenschaften einer Gesetzgebung, welche zu entscheiden habe über Leben und Tod der Menschen. Allzuviel sei der Willkür der Richter überlassen, und außerdem die Brandmarkung, die es dem Bestraften unmöglich mache, sich durch Ergreifung eines ehrlichen Unterhaltsmittels zu bessern, die gegen die Nachbarn wie gegen das eigene Land gleich ungerechte Verbannung, endlich die Folter beibehalten worden. Und in seiner Beurtheilung des Entwurfes eines Civilgesetzbuches wies K. in überzeugender Weise nach, daß dasselbe schon um seiner Weitschweifigkeit willen nicht brauchbar sein könne. Auch habe man bei dessen Abfassung zwei von einander ganz verschiedene Zwecke, den eines Gesetzbuches mit dem eines Lehrbuches zu vereinigen getrachtet und deshalb beide verfehlt. Nur zu vollständiger Umarbeitung des ganzen Werkes könne er rathen.

Hier mag auch der geeignete Platz sein, der besonderen Vorliebe des Fürsten K. für die Wissenschaften und die Künste wenigstens im Vorbeigehen zu gedenken. Nachdem die Verwaltung der Lombardie und der österreichischen Niederlande dem Geschäftskreise der Staatskanzlei angehörte, geschah es unter seinen Auspicien, daß Maria Theresia im Juni 1772, also gerade zu der Zeit, in welcher sie und K. durch die Verhandlung über die polnische Theilung ganz in Anspruch genommen zu sein schienen, in Brüssel die Akademie der Wissenschaften ins Leben rief. Wenige Monate später wurde auf seine Anregung die Akademie, welche in Wien für die Malerei, die Bildhauerei und die Baukunst bestand, mit der Kupferstecherschule zu einer einzigen Akademie der bildenden Künste vereinigt. K. übernahm das Protectorat über sie und mit ihm eine Aufgabe, der er nicht wenig Aufmerksamkeit zuwandte. Und ein ganz besonderes Interesse widmete er jederzeit dem Theater, wobei freilich das französische immer ein Gegenstand seiner ausschließlichen Bevorzugung war. Geringen Sympathien begegnete er hiebei auf Seite der Kaiserin, die ihm das ausdrückliche Versprechen abforderte, daß er nie mit einer der bei dem Theater angestellten Frauen in irgend welchen Verkehr trete. Es ist ungewiß, ob K. jemals diese Zusage gab, aber ganz ohne Zweifel, daß wenn er es gethan haben sollte, er sie nicht hielt. Mit wahrem Schmerze erfüllte es ihn, daß er mit all seiner Theilnahme das französische Theater in Wien nicht vom Untergange zu retten vermochte. Auch hierin gerieth er in einen gewissen Gegensatz zu Joseph, der die deutsche Schaubühne förderte und schätzte. während K. ihr als der wenigstens in Wien glücklicheren Rivalin des französischen Theaters in hohem Grade abgeneigt war.

Auch wer sich versucht fühlen sollte, sich in dem häufig eintretenden Zwiespalte der Meinungen zwischen Joseph und K. nicht selten auf die Seite des Letzteren zu stellen, wird doch begreifen, daß der jugendliche Feuereifer des Kaisers sich durch die Langsamkeit, mit welcher K. die Geschäfte gewöhnlich behandelte, [499] vielfach gehemmt sah, und daß er es bitter beklagte, wenn der Staatskanzler über einer sehr großen Anzahl von Beschäftigungen, denen Joseph nur geringen Werth beimaß, sich für sein Amt und den Staat nur allzuwenig Zeit zu erübrigen wußte. Schon Maria Theresia hatte hierüber oft schmerzlich geseufzt, jede Bemühung aber, K. zu rascherer Thätigkeit anzutreiben, war an dessen leicht erregter Empfindlichkeit gescheitert. Nun theilte Joseph seiner Mutter etwas von seiner eigenen Ungeduld mit, und der Gedanke tauchte auf, dem Fürsten K. eine jüngere und energischere Kraft zuzugesellen, um unter seiner Leitung die amtlichen Arbeiten schneller zu besorgen. K. zeigte sich wenigstens äußerlich nicht hierüber verstimmt, aber er nahm doch aus der ihm kundgegebenen Absicht der Kaiserin Anlaß zu der Bitte an sie, all seine Aemter niederlegen zu dürfen. Lebhaft und in den für ihn schmeichelhaftesten Ausdrücken wies Maria Theresia sein Begehren zurück; zuletzt einigten sich Beide dahin, daß K. noch einige Zeit – etwa zwei Jahre – an der Spitze der Geschäfte bleiben solle. Graf Starhemberg wurde aus Paris, Graf Pergen aber von den deutschen Höfen abberufen, bei denen er beglaubigt gewesen war. Ersterer sollte die Stelle des Grafen Haugwitz im Staatsrathe einnehmen und gleichzeitig von dem Gange der auswärtigen Geschäfte fortwährend Kenntniß erhalten, um dereinst ihre Leitung übernehmen zu können, der Letztere aber unter K. in der Staatskanzlei arbeiten.

Selbstverständlich wurde hiedurch an der Richtung der österreichischen Politik nicht das Mindeste geändert. Die Allianz mit Frankreich diente ihr noch fortan als Basis, und um so eifriger bemühte sich K. dieselbe vor jeder Gefährdung zu bewahren, als ja der Gegensatz zu Preußen und die Erkaltung gegen England und Rußland unvermindert fortdauerten. Daß übrigens K. keinem blinden Hasse gegen Preußen sich hingab, sondern vielmehr eine Annäherung an diesen Staat aufs Dringendste wünschte, bewies er dadurch, daß er, nachdem die im J. 1766 beabsichtigte Zusammenkunft Josephs mit Friedrich nicht zu Stande gekommen war, zwei Jahre später neuerdings zu einer solchen rieth. Mit lebhaft empfundenem Mißmuthe erfüllte es ihn, daß der Kaiser sich hiezu nicht bereitfinden ließ. Nicht glücklicher war K. mit einem Gedanken, mit welchem er im December 1768 hervortrat. Er ging darauf hinaus, Schlesien, wenn auch nicht ganz, so doch zum größten Theile, und nicht auf dem Wege der Eroberung, sondern in friedlichem Einverständnisse mit Preußen wieder zu erlangen. Durch die Dazwischenkunft der Pforte sollte Preußen an dem Herzogthume Kurland und dem größten Theile von Polnisch-Preußen ein Aequivalent dargeboten werden, welches dem Umfange und dem Werthe nach Schlesien überträfe. Und auch für Polen wäre dieses Opfer, meinte K., keineswegs zu groß, wenn es dadurch aus der Sclaverei Rußlands befreit und aus dem ihm von allen Seiten drohenden Untergange gerettet würde.

Joseph zollte zwar, als er von diesem Plane Kenntniß erhielt, „dem ganz unvergleichlichen Eifer und Genie“ des Staatskanzlers volle Anerkennung, aber er wies doch, und gewiß mit Recht, auf die unermeßlichen Schwierigkeiten hin, die man von allen Betheiligten zu gewärtigen hätte. So anschaulich schilderte er sie, daß Maria Theresia, hiedurch erschreckt, das ganze Project in Vergessenheit zu begraben befahl.

Das Mißlingen dieser Vorschläge des Fürsten K. zog übrigens keineswegs die Folge nach sich, daß sein rastlos arbeitender Geist nachließ in der unausgesetzten Bemühung, dasjenige ausfindig zu machen, was dem Kaiserhause und Oesterreich zum Nutzen und Vortheil sein konnte. Ein besseres Einvernehmen mit Preußen schien ihm nach wie vor ein wirksames Mittel hiezu, darum brachte er allmählich die Kaiserin von ihrer Abneigung gegen einen solchen Schritt zurück und wußte auch Josephs Widerspruch, der wol eher einer vorübergehenden [500] Mißlaune als reiflicher Ueberlegung entsprungen war, verstummen zu machen. Bereitwillig ging Friedrich auf den ihm von Wien aus zukommenden Antrag ein. Er werde hocherfreut sein, ließ er antworten, Alles, was nur immer von ihm abhänge, dazu beitragen zu können, um jede Spur der alten Feindschaft für immer zu vertilgen. Ein so tiefeingreifendes Resultat brachte nun freilich die Zusammenkunft nicht hervor, die zwischen den beiden Monarchen in den letzten Augusttagen 1769 in Neiße stattfand, aber dennoch war es K. willkommen, daß Friedrich dem Kaiser Anfangs September 1770 zu Neustadt in Mähren einen Gegenbesuch machte, bei welchem K. sich ebenfalls einfand. Bei den langdauernden politischen Gesprächen, die der König mit ihm pflog, war der Eindruck, den K. empfing, nicht der, daß er es mit einem Manne von außergewöhnlicher staatsmännischer Befähigung zu thun habe. Von den Angelegenheiten, die sie miteinander erörterten, stand der damalige Krieg zwischen Rußland und der Pforte in vorderster Reihe. Der Letzteren waren die Sympathien des Staatskanzlers geweiht, während der König der Sache der Kaiserin von Rußland günstig gestimmt war. Aber Beide wünschten doch gleichmäßig die Wiederherstellung des Friedens und suchten eifrig nach den Mitteln hiezu. Und sie versprachen sich Alles zu vermeiden, wodurch neuerdings Argwohn zwischen Oesterreich und Preußen gesäet werden könnte. Daß sie einander wirklich näher gekommen waren, geht vielleicht mehr als aus diesen Zusagen aus der Besorgniß der Kaiserin hervor, K. könnte hiedurch zu einer Vernachlässigung der Allianz mit Frankreich verleitet werden. Eitel und empfindlich wie er war, wies der Staatskanzler eine solche Zumuthung nicht ohne Gereiztheit zurück.

Wenn Friedrich und K. in Neustadt sich mit Entwürfen zur Vermittlung des Friedens zwischen Rußland und der Pforte beschäftigt hatten, so ließ der Gang der Ereignisse bald jede hierauf gerichtete Absicht als undurchführbar erscheinen. Immer mehr Uebergewicht gewann Rußland in der Kriegführung gegen die Pforte; durch die Wahrscheinlichkeit, es könnte sich der Donaufürstenthümer auf die Dauer bemächtigen, wurde jedoch K. aufs höchste beunruhigt. Er rieth zur Abwendung solchen Unheils wenn nöthig sogar die Waffen gegen Rußland zu ergreifen, aber Joseph war der Meinung, ohne thatkräftigen Beistand Preußens solle Oesterreich gegen Rußland nicht Krieg führen. Und obgleich auch die Kaiserin mit ihren Sympathien auf Seite der Türkei stand, so stimmte sie doch aus Liebe zum Frieden der Ansicht ihres Sohnes bei.

In größerer Uebereinstimmung als hinsichtlich dieses Punktes befanden sich Joseph und K. in Bezug auf das großartige Project, welches damals zwar nicht zum ersten Male auftauchte, an dessen Durchführung man aber in Folge der hiezu von König Friedrich gegebenen Anregung endlich schritt. Es bestand darin, daß die drei Nachbarmächte Polens, daß Rußland, Oesterreich und Preußen sich durch Aneignung sehr beträchtlicher polnischer Gebietstheile nach dieser Seite hin ansehnlich vergrößern sollten. Man weiß wie bald Friedrich und Katharina sich hierüber zu einigen verstanden und mit welchem Nachdrucke sie Oesterreich zu gleichem Verfahren drängten. In Wien aber begegnete ein derartiges Begehren bei jeder der drei maßgebenden Personen einer anderen Aufnahme. Während Joseph ihm aufs Entschiedenste günstig gesinnt und Maria Theresia ebenso lebhaft dagegen war, stand K. zwischen Beiden, aber freilich mehr auf der Seite des Kaisers als der seiner Mutter. Den Gewissensscrupeln der Letzteren maß er dort, wo es sich um einen unleugbar sehr großen Vortheil für Oesterreich handelte, nicht allzuviel Gewicht bei. Aber er trachtete doch auch mäßigend einzuwirken auf die Begehrlichkeit Josephs, und als endlich Maria Theresia schweren Herzens ihren Widerspruch aufgab und einwilligte in die mit den zwei anderen Mächten zu treffende Vereinbarung, als es auch zur Vertragsschließung mit Polen selbst [501] kam, da war K. im Gegensatze zu Joseph immer derjenige, der für die billigeren Bedingungen sich aussprach und deren Annahme auch meistentheils durchsetzte. Das gleiche Verfahren hat er auch später bei der Erwerbung der Bukowina beobachtet, und er erntete hierfür der Kaiserin lebhaften Dank.

Aehnlich wie in Bezug auf die Theilung Polens und die Erwerbung der Bukowina war auch die Stellung, welche Maria Theresia, Joseph und K. nach dem Tode des Kurfürsten Maximilian Joseph von Baiern hinsichtlich der Geltendmachung der wirklichen oder angeblichen Ansprüche des Hauses Oesterreich auf die Erbfolge in Baiern einnahmen. Die Kaiserin hielt diese Ansprüche für nicht ausreichend begründet und wollte nichts von ihrer Durchführung, am allerwenigsten aber von einem bewaffneten Einschreiten zu diesem Zwecke wissen. Joseph hingegen war entschlossen, eine so günstige Gelegenheit, Oesterreich durch benachbartes deutsches Gebiet ansehnlich zu vergrößern, nicht unbenützt vorübergehen zu lassen. Er war für energisches Auftreten und schrak zur Erreichung des ihm vorschwebenden Zieles sogar vor einem dritten Kriege gegen den König von Preußen nicht zurück. Da er seiner Mutter gegenüber seinen Willen durchsetzte, bestand die Pflicht des Fürsten K. wol in nichts Anderem als in der Leitung der Verhandlungen, welche der Eröffnung des Krieges vorhergingen, auch während seiner Dauer nie völlig abgebrochen wurden und schließlich dessen Beendigung herbeiführten. Aber er that dies doch, wenn er auch im Ganzen und Großen mehr mit den Plänen des Kaisers als mit der ziemlich kleinmüthigen Haltung seiner Mutter einverstanden war, in einer Weise, in welcher er zu weitgehende Erwartungen und zu hoch gespannte Begehren Josephs zu mäßigen sich bemühte. In gesteigertem Maße war dies während der Verhandlungen der Fall, welche in Teschen zur Herbeiführung des Friedens gepflogen wurden. So kam es, daß, als derselbe endlich geschlossen war, Maria Theresia an K. schrieb, dieser Vertrag sei zwar nicht das „glorioseste“ seiner Werke, aber das „penibelste“ und für die Monarchie und sie selbst das nützlichste, das er jemals zu Stande gebracht habe. Er möge, so lang sie lebe, ihrer Freundschaft und Erkenntlichkeit gewiß sein.

Hatte K. in letzterer Zeit seine Aufgabe hauptsächlich darin erblickt, der Vermittler zwischen den fast auf allen Punkten sich widersprechenden Anschauungen der Kaiserin und ihres Sohnes zu sein, so blieb er dieser Rolle auch in dem Augenblicke treu, in welchem Joseph mit dem Projecte hervortrat, die Kaiserin Katharina auf russischem Gebiete zu besuchen und sie hiedurch zu größerer Annäherung an Oesterreich zu vermögen. K. war seit der Thronbesteigung Peter III. und seit der gewaltigen Enttäuschung, die nach dessen Sturze seinen Erwartungen durch Katharina bereitet worden war, von seiner früheren Hinneigung zu freundschaftlichem Einverständnisse mit Rußland zurückgekommen und daher der Absicht des Kaisers wol vorneherein nicht gerade günstig gesinnt. Dennoch bemühte er sich auch Maria Theresia mit ihr zu befreunden, und für Joseph entwarf er zu dessen bevorstehender Zusammenkunft mit Katharina eine weitläufige Instruction, die sich der vollen Billigung des Kaisers erfreute. Dieses zuvorkommende Benehmen des Staatskanzlers von der einen, von der anderen Seite aber der Umstand, daß weder Maria Theresia noch K. die günstigen Wirkungen der Reise nach Rußland in Abrede stellen konnten, das Gelingen der Wahlen endlich, durch welche Erzherzog Maximilian dem Widerstreben König Friedrichs zum Trotze in Köln und in Münster zum Coadjutor erkoren wurde, waren Ursache, daß in dem Augenblicke des Hinscheidens der Kaiserin zwischen Joseph und K. keine Mißhelligkeit bestand. „Bleiben Sie mein Freund, seien Sie meine Stütze und mein Führer bei Ertragung der Last, die jetzt auf mich fällt. Sie wissen ohnedies, wie sehr ich Sie hochschätze.“ Mit diesen Worten gab Joseph dem Fürsten K. Kenntniß von dem Tode der Kaiserin, einem Ereignisse, mit welchem [502] auch für K. eine neue, wenngleich keine bessere Zeit anbrach. Denn war er von dem Augenblicke seines Eintrittes in die Staatskanzlei bis zu Josephs Erklärung zum Mitregenten im wahren Sinne des Wortes der eigentliche Leiter der auswärtigen Geschäfte gewesen, und hatte er auch von diesem Augenblicke an bis zu dem Tode der Kaiserin in Folge seines Einflusses auf sie eine Rolle gespielt, die hinter derjenigen Josephs kaum zurückstand, so machte von nun an der Letztere alle, sowol die äußere wie die innere Politik. K. aber war nur mehr der erfahrene Rathgeber, dessen Stimme zwar in allen Fällen gehört, aber nicht immer befolgt wurde. Da er jedoch in den wichtigsten Fragen wenigstens im Ganzen und Großen einer und derselben Meinung mit Joseph war, so wurde hiedurch die Stellung des Staatskanzlers doch wesentlich erleichtert. So ging er, nachdem es Joseph durch seinen persönlichen Einfluß auf Katharina gelungen war, Rußland wieder in besseres Einvernehmen mit Oesterreich zu bringen, kaum weniger eifrig als der Kaiser auf Abschluß einer förmlichen Allianz mit Rußland aus. Gleichwol war es K., der in weit höherem Maße als Joseph Anstoß an der russischen Forderung nahm, daß in den Vertragsurkunden eine völlige Gleichstellung des Ranges der Kaiserin von Rußland mit dem des römisch-deutschen Kaisers und nicht mehr die bisher übliche Bevorzugung des Letzteren stattfinden solle. Hartnäckig verfocht K. den Standpunkt, der Kaiser könne und dürfe nicht nachgeben, so daß man zuletzt zu dem Auskunftsmittel griff, nicht einen förmlichen Vertrag abzuschließen, sondern die gegenseitigen Zusagen in die Form gleichlautender Briefe zu kleiden, die zwischen Joseph und Katharina ausgetauscht wurden.

Womöglich noch größer war die Uebereinstimmung des Staatskanzlers mit dem Kaiser in Allem, was die confessionellen Fragen anging. Schon während Maria Theresia regierte, war K. immer ein eifriger Vertreter der freisinnigeren Meinungen gewesen und dieser Richtung blieb er auch im Alter unerschütterlich treu. Darum entsprachen die tiefeingreifenden Reformen, mit denen Joseph auf diesem Gebiete schon in seinem ersten Regierungsjahre hervortrat, ganz dem Sinne des Staatskanzlers. Auch dem Verfahren Josephs gegen Pius VI., als derselbe nach Wien kam, um durch seine persönliche Einwirkung den Kaiser zur Betretung anderer Bahnen zu vermögen, der Ehrfurcht, die Joseph dem Papste gegenüber an den Tag legte, und der Standhaftigkeit, mit der er gleichzeitig an seinen Grundsätzen festhielt, zollte K. lebhaften Beifall. Anderer Meinung als der Kaiser war er jedoch in Bezug auf den Streit, in den sich Joseph wegen Eröffnung freier Schiffahrt auf der Schelde mit Holland einließ. Und wenn der Kaiser die Bedenken des Staatskanzlers durch den Spruch zu beschwichtigen suchte, wer nichts wage, gewinne auch nichts, und oft schon seien die unwahrscheinlichsten Projecte in Erfüllung gegangen, so zeigte das schließliche Mißlingen seiner Bemühungen nur, daß K. richtiger geurtheilt hatte als er selbst. Damit soll jedoch keineswegs gesagt werden, daß die Gutheißung eines Planes durch K. auch schon dessen Durchführung verbürgt hätte. Als Joseph im April 1784 den sechs Jahre zuvor fruchtlos ins Werk gesetzten Gedanken wieder aufnahm, Baiern für Oesterreich zu erwerben, indem er es gegen die Niederlande eintauschen wollte, war K. ganz damit einverstanden, aber bekanntlich scheiterte auch dieses Project. Und in einer anderen, vielleicht noch wichtigeren Angelegenheit berieth K. den Kaiser ebenfalls nicht glücklich. Schon im J. 1783 hatte er nicht auf eine friedliche Lösung der Streitigkeiten zwischen Rußland und der Pforte hinwirken wollen. Wäre es nach seinem Sinne gegangen, so würde Oesterreich die Gelegenheit benutzt haben, um von der Pforte Alles zurück zu verlangen, was es bei dem Passarowitzer Friedensschlusse erworben und bei dem von Belgrad wieder eingebüßt hatte. Und ebenso war es K., der vier Jahre später den Kaiser zur [503] Kriegserklärung gegen die Türkei drängte, während Joseph sich zur Eröffnung der Feindseligkeiten noch nicht ausreichend gerüstet glaubte. Ja auch nach dem unglücklichen Verlaufe des Feldzuges von 1788 rieth K. zu noch engerem Anschlusse an Rußland, wie er im Gegensatze hiezu jetzt immer für das äußerste Mißtrauen gegen Preußen eintrat. Als nach dem Tode Friedrichs II. der Kaiser den Gedanken hinwarf, dieses Ereigniß könnte zu einer Annäherung an Preußen benutzt werden, erklärte sich K. lebhaft dagegen. Und ebenso trachtete er ihn bei jedem sich darbietenden Anlasse wider England einzunehmen, zu welchem Staate Joseph manchmal einige Hinneigung zeigte. Er suchte ihn hingegen in dem Bündnisse mit Frankreich festzuhalten, für welches der Kaiser nur geringe Sympathien empfand, während es nach der sich stets gleichbleibenden Meinung des Staatskanzleris als die unverrückbare Basis einer richtigen Politik der österreichischen Monarchie gelten sollte.

Wo von der Gleichheit und der Verschiedenheit der Meinungen zwischen Joseph und K. die Rede ist, können die Ereignisse, welche einen für K. äußerst demüthigenden Zornesausbruch des Kaisers herbeiführten, nicht unerwähnt bleiben. Als Joseph sich im Juni 1787 auf der Rückkehr von der Krim, wohin er die Kaiserin Katharina begleitet hatte, zu Cherson befand, empfing er dort die ihn wahrhaft überwältigende Nachricht von den aufständischen Bewegungen in den Niederlanden. Die Nachgiebigkeit, welche die Behörden bisher gezeigt, die Zusagen, die sie gemacht hatten, erfüllten den Kaiser mit tiefer Erbitterung. Selbst auf der Bresche von Wien, schrieb er an K., würde er so erniedrigende und entehrende Abmachungen nicht unterzeichnen, am allerwenigsten aber mit dem unbeugsamen Willen, dem Muthe und der Unerschrockenheit, in deren Besitze er sich fühle. K. selbst aber erfuhr den schärfsten Tadel des Kaisers, weil er dem Begehren der Niederländer nach Aufrechthaltung und Beobachtung der Bedingungen, unter denen ihre Vorfahren die Herrschaft des Hauses Oesterreich anerkannt hatten, einige Berechtigung beimaß. „Das was Sie mir rathen“, schrieb ihm Joseph, „ist eine Feigheit, und hätte ich die Gewißheit meines Todes vor Augen, so würde mir das nicht die mir abverlangte Unterschrift entreißen.“

Auch jetzt wieder setzte K. dieser leidenschaftlich erregten Sprache des Kaisers unerschütterliche Ruhe entgegen. In der gewiß richtigen Ueberzeugung, daß Widerstand gegen Josephs Ideen erfolglos wäre, ging er in dieselben ein und beschränkte sich darauf, mildernd und mäßigend einzuwirken auf das allzuschroffe Auftreten des Kaisers. Dieses kluge Benehmen des Staatskanzlers und der Umstand, daß er hinsichtlich der letzten politischen Action Josephs, der gegen die Pforte, der gleichen Meinung mit ihm war, besänftigten ihn wieder. Dennoch läßt sich nicht leugnen, daß in den letzten Lebensjahren des Kaisers, man kann nicht sagen eine Entfremdung, wohl aber eine gewisse Entfernung zwischen ihm und K. eingetreten war. Etwa zwei Wochen vor seinem Tode schrieb Joseph an seinen Bruder Leopold, daß K., der bereits in sein 80. Lebensjahr getreten sei, zwar eine Abnahme seines Gedächtnisses, aber keine seiner Urtheilskraft verspüren lasse. Er habe übrigens eine Lebensweise angenommen, die er nicht ändere und in Folge deren er den Geschäften nur wenige Augenblicke des Tages widme. „Solltest Du es glauben“, fährt Joseph wörtlich fort, „daß ich ihn schon seit fast zwei Jahren nicht mehr sah. Seit ich krank von der Armee zurückkam, kann ich nicht mehr zu ihm gehen, und aus Furcht vor Ansteckung kommt er nicht zu mir; so gibt es kein Mittel, irgend eine Angelegenheit zwischen uns zu erörtern.“ Dennoch sind die letzten Zeilen, die zwischen ihnen gewechselt wurden, ein rührender Beweis für die hohe Meinung, welche die beiden so reich begabten Männer von einander hegten.

Als Joseph dahinschied, war noch kein Jahr seit dem Augenblicke verflossen, [504] in welchem Leopold erklärt hatte, die Leitung der auswärtigen Geschäfte könnte in keinen besseren Händen als in denen des Fürsten K. liegen. Dennoch finden wir, daß Leopold, als er seinem Bruder in der Regierung der österreichischen Länder folgte, K. noch weniger zu Rathe zog, als es sogar Joseph in seiner letzten Zeit gethan hatte. Schon als dieser noch lebte, war es, da Beide, der Kaiser und K., sich nicht mehr sahen, zur Gewohnheit geworden, daß der Verkehr zwischen ihnen durch den Hofrath der Staatskanzlei, Anton v. Spielmann, aufrecht erhalten wurde. Dabei blieb es denn nicht nur, als Leopold zur Regierung kam, sondern diese Art der Geschäftsbehandlung nahm so sehr überhand, daß K. sich hiedurch um so empfindlicher verletzt fühlte, als der Grund, weshalb Joseph ihn nicht mehr hatte besuchen können, bei Leopold hinwegfiel. Wir kennen zwar einen Brief, in welchem Leopold die Gereiztheit des Fürsten zu beschwichtigen suchte und ihn seines vollen Vertrauens und seiner Freundschaft versicherte, aber im Wesen der Sache wurde hiedurch doch nichts geändert. Hiezu kam noch, daß hinsichtlich eines sehr wichtigen Punktes eine tiefeingreifende Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kaiser und K. herrschte. Ersterer war bekanntlich für Anbahnung eines besseren Einvernehmens mit Preußen, während K. festhielt an seinem grollenden Mißtrauen gegen diesen Staat und beispielsweise die Absendung von Bevollmächtigten nach Reichenbach einen demüthigenden Schritt nannte, den man nie hätte thun sollen. Auch die Zusammenkunft in Pillnitz brachte bei K. keine Meinungsänderung hervor; dennoch ordnete er seine Ansicht der des Kaisers unter, nachdem derselbe sein Entlassungsgesuch in der für ihn schmeichelhaftesten Form zurückgewiesen hatte. Ueberhaupt begegnete man dem greisen Fürsten am Wiener Hofe, einer noch von Maria Theresia her überkommenen Sitte treu bleibend, mit ehrendster Auszeichnung. Wie Joseph sich einmal, im October 1787, von K. die Erlaubniß erbat, ihm in dessen Gartenwohnung die Prinzessin Elisabeth, die zukünftige Gemahlin des Erzherzogs Franz vorstellen zu dürfen, so begab sich auch die Kaiserin Marie Louise gleich nach ihrer Ankunft in Wien mit ihren Söhnen zu K. Hieran hielt denn auch Leopolds Nachfolger fest; er war jedoch erst seit wenig Monaten zur Regierung gelangt, als K. sein so oft schon gestelltes und niemals angenommenes Entlassungsgesuch erneuerte. Merkwürdiger Weise war es ein von ihm selbst in früherer Zeit und unter anderen Umständen wiederholt begünstigtes Project, das ihn hiezu antrieb. Eine Folge des gegen seinen Rath herbeigeführten Einverständnisses zwischen Oesterreich und Preußen bestand in der Anknüpfung geheimer Verhandlungen über die Schadloshaltung für die Unkosten des Krieges gegen Frankreich. Sie wurden von österreichischer Seite ohne Vorwissen des Fürsten K. durch Spielmann gepflogen. Ihr Ergebniß lief darauf hinaus, daß Rußland in der Ukraine, Preußen ebenfalls auf Kosten Polens, Oesterreich aber durch den Austausch Baierns gegen die Niederlande entschädigt werden sollte. Erst nachdem man so weit mit dieser Verständigung gekommen war – Ende Juni 1792 – wurde sie K. mitgetheilt, von ihm aber in Ausdrücken, die an Schärfe kaum übertroffen werden konnten, als beleidigend für Oesterreich, bei dessen bewährter Rechtschaffenheit solche Anträge nicht erlaubt seien, als unverantwortlich gegen Polen, an und für sich aber als unausführbar gebrandmarkt. Eine solche politische Moralität, erklärte K., widerstreite seinen Grundsätzen und sollte von einer Großmacht, die sich selbst achte, nimmermehr zu der ihrigen gemacht werden. Und als K. sich allmählich von der Fruchtlosigkeit seines Widerspruches überzeugte, bat er – in den ersten Augusttagen 1792 – den Kaiser um seine Entlassung. Gerade 50 Jahre waren seit seiner Beglaubigung am Turiner Hofe verflossen; hierauf und auf seine angebliche Unfähigkeit, noch länger zufriedenstellende Dienste zu leisten, legte er den Nachdruck. Anfangs drang der [505] Kaiser in ihn, von seiner Bitte abstehen zu wollen, aber K. ließ sich hiedurch nicht irre machen in seinem Vorsatze; er erneuerte sein Begehren mit dem gleichzeitigen Anerbieten, dem Kaiser auch künftighin Rathschläge zu geben, wenn er sie verlange. Nun zögerte Franz nicht mehr, dem Wunsche des Fürsten zu willfahren; am 19. August 1792 bewilligte er ihm, sich seine Rathschläge vorbehaltend und ihn um dieselben bittend, die Entlassung, doch sollte K. in seiner bisherigen Amtswohnung und im Genusse all seiner Emolumente auch noch fernerhin verbleiben. Graf Philipp Cobenzl, der nun die Leitung der auswärtigen Geschäfte erhielt, wurde beauftragt, den greisen Fürsten in steter Kenntniß ihres Ganges zu erhalten. Und wirklich verstummte K. mit dem Rücktritte von seinem Amte nicht ganz. Bald nachdem er es verlassen, erhob er noch einmal und in entschiedenstem Tone seine warnende Stimme gegen die Abmachungen zur Benachtheiligung Polens. In einem Briefe an Ludwig Cobenzl spottet er über die zuversichtliche Erwartung der Alliirten, bald in Paris einzuziehen; Philipp Cobenzl aber schreibt über ihn an Spielmann: der „alte Herr“ sei geschäftiger als je, und unablässig wühle er in politischen Berichten und Aktenstücken, ohne daß man eigentlich wisse, wozu er sie gebrauche. Allmählich ging es jedoch auch mit dieser Thätigkeit zu Ende; das hohe Alter von 83 Jahren machte immer mehr seine erschlaffende Einwirkung geltend und am Abende des 27. Juni 1794 starb K. in dem Gartenpalaste, den er in der Wiener Vorstadt Mariahilf besaß, an Entkräftung. In der Familiengruft, die sich in der von ihm erbauten schönen Pfarrkirche zu Austerlitz in Mähren, seinem Besitzthume befindet, wurde er begraben. Seine Gemahlin Ernestine, geb. Gräfin Starhemberg, war schon 1749, also 45 Jahre vor ihm, in ihrem 31. Lebensjahre gestorben. Drei Söhne, Ernst, Dominik und Franz Wenzel, keiner in irgend einer Beziehung auch nur von fern an den Vater hinanreichend, haben ihn überlebt.