ADB:Kestner, August

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Artikel „Kestner, August“ von Otto Mejer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 660–662, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kestner,_August&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 20:29 Uhr UTC)
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Kestner: Georg August Christian K., Kunstkenner und langjähriger hannoverscher Diplomat in Rom, geb. zu Hannover am 28. Novbr. 1777, † zu Rom am 5. März 1853. Seine Eltern, der Archivar Hofrath Johann Christian K. und Charlotte geborene Buff aus Wetzlar, bekannt durch ihre Jugendfreundschaft mit Goethe, lebten in einem geistig angeregten, durch die Namen E. Brandes und Rehberg bezeichneten Kreise, unter dessen Eindrücken K., mit älteren und jüngeren Geschwistern durch Hauslehrer unterrichtet, in Hannover aufwuchs, und dort, nachdem er von 1796 bis 1799 in Göttingen Jura studirt hatte, auch Hofgerichtsauditor und 1803 Geheimer Kanzleisecretär, d. i. expedirender Ministerialreferent wurde. Dies geschah kurz vor der ersten französischen Occupation des Landes, dessen Hauptstadt alsdann, nachdem sie noch einmal kurze Zeit hannoverisch gewesen war, in preußische, nach der Schlacht von Jena aber wieder in französische Hand überging, und von dieser im Mai 1810 an das Königreich Westphalen abgetreten wurde. Bis dahin blieben die Landescentralbehörde und mit ihr die Geheime Kanzlei, unter wechselnden Namen, bestehen und K. rückte in seinem Amte langsam vorwärts als sie aber dann aufhörten und er vor die Frage gestellt war, unter König Jerome Anstellung zu suchen, gab er den Staatsdienst lieber auf. Er hatte schon in Göttingen unter Fiorillo Kunstgeschichte studirt und ein früh entwickeltes Zeichentalent eifrig geübt, hatte in den vielen freien Stunden seines Amtes beides, neben ernstlichen Musikstudien, fortgesetzt, und war darin wesentlich gefördert worden durch eine vom Sommer 1808 bis in den Herbst 1809 dauernde italienische Reise, auf welcher er bei längerem Aufenthalte in Rom mit dortigen Künstlern – Thorwaldsen, Koch, den Riepenhausen u. a. – nähere Verbindungen einging. Als daher ein nach Aufgabe seines Staatsamtes zuerst gefaßter Plan, in Marseille Kaufmann zu werden, die Probe nicht aushielt, und er von da zurückkehrend in Heidelberg die Boisserée’sche Gemäldesammlung studirte, faßte er, durch gute Aufnahme in den Universitätskreisen ermuthigt, den Gedanken, sich dort für Kunstwissenschaft zu habilitiren. Indeß hielt er ihn dem Widerspruche seiner Mutter gegenüber nicht aufrecht, wurde vielmehr in Linden bei Hannover Notar, und blieb dies, bis er nach der Erhebung von 1813 in das Beaulieu’sche Corps eintrat, und – soviel seine zarte Gesundheit es erlaubte – am Kriege theilnahm. Dann kehrte er, da sich unterdeß in Hannover das alte Regiment wieder hergestellt hatte, in sein altes Amt bei demselben zurück. Im Frühjahr 1817 aber ging er zum zweiten Male nach Rom, und ist da geblieben. Hannover schickte eine Gesandtschaft an den päpstlichen Hof, um ein Abkommen über die katholisch-kirchlichen Verhältnisse des Landes zu verhandeln; man nahm an, daß dies wenig Zeit erfordern werde, und K. hatte nichts, als einen zweiten römischen Reiseaufenthalt im Sinne, als er durch Rehberg erreichte, daß er als Legationssecretär mitgesendet ward. Allein die Verhandlung dauerte sieben Jahre und endete für K. damit, daß er als Geschäftsträger, später als Ministerresident in Rom belassen wurde; ebensoviel in englischem, wie im hannoverschen Interesse; denn da England am päpstlichen [661] Hofe keinen Vertreter hielt, so galt es, die Engländer zu Rom in diplomatischen Schutz zu nehmen. K. aber, der sich dort eingelebt hatte, ließ sich die Aufgabe, welche seinem Naturell, wie seinen künstlerischen Interessen entsprach, gern gefallen, und hat sein Amt mit Erfolg und Ruhm verwaltet, bis es 1849 aus Sparsamkeitsrücksichten aufgehoben ward. Von da an blieb er als Privatmann in Rom und sein gesellschaftliches Ansehen dauerte unverändert fort, da es nicht blos amtliches, sondern ebensowol persönliches gewesen war. Bei seiner Ankunft im J. 1817 hatte er zu Rom Overbeck, der ihm schon seit 1805, Cornelius, der ihm von Heidelberg her bekannt war, und die übrigen Glieder der sich an die vorrafaelische Kunst anschließenden jungen Malerschule litterarisch angegriffen gefunden von Goethe (Kunst und Alterthum Heft 2); während K., der von dem damals mächtig werdenden Strome der Romantik schon seit seiner Göttinger Studienzeit ergriffen und auf Overbeck’s Entwickelung in dieser Richtung sogar nicht ohne persönlichen Einfluß gewesen war, in den Werken jener jungen Künstler vielmehr einen Gegenstand seines Entzückens erblickte. Er nahm also die „Neudeutschen“ in einer kleinen Schrift – „Ueber die Nachahmung in der Malerei, geschrieben zu Rom im October 1817.“ (Frankf. 1818) – in Schutz und hatte die Befriedigung, von Goethe zwar nicht seine Hauptsätze, doch aber nicht wenige seiner feinen und auf geistvoller Beobachtung beruhenden Einzelausführungen anerkannt zu sehen. Er hat in der Folge noch eine Reihe anderer, zum Theil auch auf die Musik bezüglicher kunstwissenschaftlicher Abhandlungen publicirt, weniger einzeln – „Abhandlung über die Frage: Wem gehört die Kunst?“ (Berlin 1830), „Overbecks Werk und Wort“ (Frankfurt 1841) -, als im Kunstblatte und in der Augsburger Allgemeinen Zeitung; und am Ende seines Lebens hat er diejenigen früheren Arbeiten der Art, welche ihm die wichtigsten schienen, in seinen „Römischen Studien“ (Berlin 1850), nicht ohne Vermehrung, in neuer und überaus anziehender Gestalt zusammengefaßt. Mindestens ebenso bedeutend für die Kunst, wie diese der Theorie zugewendete Thätigkeit Kestner’s, war aber seine practische, mittels deren er die langen Jahre seiner römischen Gesandtschaft hindurch die in Rom lebenden deutschen und gelegentlich auch englischen Künstler in jeder ihm möglichen Art förderte und unterstützte. Anders wurde er wirksam für die Geschichte der antiken Kunst. Als er zum zweiten Male nach Rom kam, fand er den von seinem früheren Aufenthalte her ihm befreundeten esthländischen Baron O. M. v. Stackelberg, der unterdeß (1810–14) eine Reise nach Griechenland gemacht hatte, beschäftigt, die von dort mitgebrachten Materialien zu Abbildung und erklärender Beschreibung des Apollotempels von Bassä zu verarbeiten. Indem er hierbei den solcher Hülfe bedürftigen Freund unterstützte, lebte er sich sowol in die unmittelbar dazu nothwendigen Alterthumsstudien, wie in die mannigfachen von jenem unternommenen wissenschaftlichen Excurse und in den lebhaften Antheil mit ein, den Stackelberg an den mannigfachen neuen Entdeckungen und kunstarchäologischen Fragen nahm, welche in Rom und der Umgegend jeder Tag brachte. Zwei jüngere mit ähnlichen Interessen nach Rom gekommene deutsche Gelehrte, Gerhard und Panofka, wurden von den Freunden in den Kreis dieser Thätigkeit hereingezogen, die Verbundenen nannten sich, in Anschluß an Stackelbergs Beschäftigung mit Apollo, römische Hyperboräer, und je reicher die Ausbeute ihrer entdeckenden, bestimmenden, vergleichenden Forschungen war, zu denen sie jede Gelegenheit ausnutzten, um so dringender wurde ihr Wunsch, diese Ausbeute würdig veröffentlicht zu sehen. Die ersten Versuche mißlangen; dann war Gerhard so glücklich, den damaligen preußischen Kronprinzen, nachherigen König Friedrich Wilhelm IV., für die Sache zu interessiren, der Bunsen heranzog. So wurde von diesem, K. und Gerhard – Stackelberg und [662] Panofka waren nicht mehr in Rom – mit Thorwaldsen und Fea, auf Grundlage der Hyperboräischen Gesellschaft, 1829 das Deutsche Archäologische Institut in Rom gegründet, welches nachher sowohl durch Publicationen, wie durch einen den jüngeren deutschen Gelehrten am Orte gebotenen Anhalt, den größten Einfluß auf die Entwickelung der Archäologie geübt hat. Seit Bunsens Abberufung (1838) war K. Vorsitzender, und wurde jenen jüngeren Gelehrten ein nicht minder hülfreicher Förderer und Freund, als er es den Künstlern schon lange war. Seine persönlichen kunstarchäologischen Forschungen bewegten sich auf dem Gebiete der Kunde geschnittener Steine und anderer antiker Miniaturarbeiten, von denen er werthvolle, sich übrigens auch darüber weit hinauserstreckende Sammlungen zusammengebracht hatte; und Emil Braun rühmt ihn als einen der ersten Kenner darin. Ueberhaupt aber besaß er unter den Fachgelehrten sowol durch seine umfangreiche Kenntniß, wie wegen seines durchgebildeten Geschmackes, ein festbegründetes Ansehen. Geschrieben hat er über diese Dinge, außer Einigem im Bulletino des Institutes, nichts; er liebte, sich darüber bei Betrachtung von Kunstwerken mündlich mitzutheilen, und war zufrieden, wenn er seine Ideen von andern mit Erfolg benutzt sah. Mit einem Trauerspiele „Sulla“ (Hannover 1822), welches Shakespares Julius Cäsar nachahmt, hatte er kein Glück, erfuhr vielmehr, daß tiefes und freudiges Verständniß der Poesie nicht schon poetische Productionskraft bedeutet. Dagegen er durch eine andere Veröffentlichung – die von ihm schon bald nach Goethe’s Tode vorbereitete (1833), dann wegen Widerspruchs einiger seiner Geschwister lange zurückgehaltene, in seiner letzten Lebenszeit aber doch noch ins Werk gesetzte Herausgabe der Goethebriefe an seine Eltern, „Goethe und Werther“ (Stuttgart und Tübingen 1854) – sich den Dank aller Freunde deutscher Dichtung verdient hat, indem er zugleich seiner Mutter das schönste Denkmal setzte. Für die Aufgabe, Denen, die seine Schutzbefohlenen waren, sei es vermöge seiner diplomatischen Stellung, sei es in Folge persönlicher Adressen, seine Unterstützung zu gewähren, war K. nach Anlage und Entwickelung in vorzüglicher Weise geeignet. Ein Ausläufer jenes oben erwähnten Kreises ausgezeichneter hannoverscher Männer, unter dessen Eindrücken seine Jugend gewesen war, neben vollkommener Berufstreue begeistert idealeren Interessen zugewendet, im Besitze einer umfangreichen und keineswegs oberflächlichen Bildung, ganz wie jene ältern hannoverschen Beamten voll Bewußtseins seiner geistigen und bürgerlichen Vornehmheit, empfand er doch nicht minder als sie allezeit an erster Stelle die Pflichten, welche diese Vornehmheit auflegt, und übte sie mit einer so opferwilligen Hingebung, einer so menschenfreundlichen Urbanität, einem so wohlwollenden Antheilnehmen am Ergehen seiner Schützlinge, daß er die Dankbarkeit man darf sagen von Schaaren ihm Verpflichteter sich gewonnen hat.

Galignanis Messenger 1853. March 31. Bullettino dell’Instituto di Corrispondenza archeologica anno 1853 (Roma) p. 97 ss. (Ad. Michaelis) Geschichte des Deutschen Archäologischen Institutes (Berlin 1879). Mejer, Der römische Kestner, in Nord und Süd 1882. März ff.