ADB:Kliefoth, Theodor

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Artikel „Kliefoth, Theodor Friedrich Dethlof“ von Ernst Haack in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 218–228, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kliefoth,_Theodor&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 12:44 Uhr UTC)
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Kliefoth: Theodor Friedrich Dethlof K., der Regenerator des mecklenburgischen Kirchenwesens nach den Verwüstungen der rationalistischen Zeit, dessen geistiger Leiter er volle zwei Menschenalter hindurch war, und einer der hervorragendsten, wenn nicht der hervorragendste Führer der confessionell-lutherischen Restauration in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde am 18. Januar 1810 mitten unter den Wirren und Unruhen der Napoleonischen Kriege, unter denen auch sein Vaterhaus schwer zu leiden hatte, zu Körchow, einem Dorfe im westlichen Mecklenburg, geboren, wo sein Vater seit 1806 Pastor war. Dieser stammte aus einer mecklenburgischen Landmannsfamilie und verband mit nicht gewöhnlicher, durch die Kantische Philosophie beeinflußter wissenschaftlicher Bildung praktische Tüchtigkeit, unermüdliche Pflichttreue und fromme Ehrenhaftigkeit nach der Weise der damaligen Zeit. Aber seinem nüchternen, strengen, gebieterischen Charakter mangelten die sanfteren Züge. Der später von seinem Sohne vertretenen neuen Entwicklung des theologischen und christlichen Lebens und Denkens hat er sich nie ganz hingegeben, obgleich er erst 1869 als 97jähriger Greis starb, nachdem er eine Zeit lang (1834–1844) die Schweriner Superintendentur verwaltet hatte. Von ihm empfing der heranwachsende Knabe zusammen mit seinem nur um ein Jahr jüngeren Bruder Emil den gesammten wissenschaftlichen Unterricht bis zur Prima des Gymnasiums. So tüchtig, gründlich und lebendig derselbe war, so wäre ein weniger kräftiger Geist doch vielleicht unter dem Druck der herben Art, die dem Vater eigen war, verkümmert und verzagt geworden. Denn dessen Grundsatz war, nie zu loben und, damit das Mögliche geleistet werde, das Unmögliche zu fordern. K. diente er zur Stählung seines energischen Willens und flößte ihm Widerwillen gegen alles weichliche Wesen und schwächliche Selbstliebe ein. Eine glückliche Ergänzung ihres strengen Gatten bildete mit ihrem kindlich lebendigen, zarten und reinen Sinn die Mutter, eine mecklenburgische Pastorentochter, in welcher etwas von der „Lust zu fabuliren“ steckte. Sie vertrat das poetische Element des Hauses, erzählte und spielte gern mit ihrer zahlreichen Kinderschar. Den größten Einfluß aber auf die Jugenderziehung Kliefoth’s übte die Großmutter mütterlicherseits, die nach dem Tode ihres Mannes in seinem Vaterhause lebte, eine geistig bedeutende, gemüthvolle, rastlos thätige Frau, von einer hervorragenden Gabe, mit Kindern zu verkehren und auf sie einzuwirken. Sie stammte aus einer französischen Refugiéfamilie Potsdams und sprach fast besser französisch als deutsch. Zwischen ihr und K., ihrem ältesten Enkel, bestand ein rührendes Verhältniß grenzenloser Anhänglichkeit, und dieser bekannte nachher in einer seiner Braut gewidmeten Jugendbiographie, daß mit ihrer Ausnahme niemand ihn, und er niemand so geliebt habe wie diese Frau. Sie ertheilte den Enkelkindern den ersten Unterricht, erzählte ihnen die biblischen Geschichten, ließ sie bald ganze französische Bücher übersetzen, las und spielte mit ihnen und lehrte sie allerlei nützliche Beschäftigungen, selbst Spinnen, damit sie sich gewöhnten, [219] nie müssig zu sein. Ihr verdankt K., wie er sagt, „die süße Lust an der Arbeit, die hohe Freude, an dem eigenen Werke Wohlgefallen zu haben“. Da er bis in sein 17. Lebensjahr im Vaterhause blieb, unterstützte er später seine Eltern auch in der Pflege des Pfarrgartens und in der Bewirthschaftung des umfangreichen Pfarrackers, und es gab keine landwirthschaftliche Arbeit bis auf Bienenkörbe flechten und Netze stricken, welche er nicht gekannt und geübt hätte. Mit einem französischen Buche in der Hand überwachte er oft im Sommer das Schwärmen der Bienenvölker. So hat er stets seine glückliche, im innigsten Umgang mit der Natur verlebte Jugendzeit gerühmt, die alle Bedingungen einer harmonischen körperlichen und geistigen Entwicklung in sich trug und den Grund legte zu jener eminenten Kenntniß aller Lebensverhältnisse und seltenen praktischen Klugheit, wie sie bei ihm mit der gründlichsten Gelehrsamkeit und einer bewunderungswürdigen Arbeitskraft und -lust Hand in Hand ging.

Auf dem Gymnasium zu Schwerin, dessen Prima und Selecta er von Michaelis 1826 bis Ostern 1829 besuchte, überflügelte er bald alle seine Mitschüler. Das Reifezeugniß, mit dem er Ostern 1829, 19 Jahre alt, die Universität Berlin bezog, nennt ihn einen „juvenis laetissima spe“. In Berlin studirte er zwei Semester Theologie, besonders von Schleiermacher und Neander, dem er auch persönlich nahe trat, angeregt, hörte aber auch philologische Vorlesungen bei Boeckh, während er die Vorlesungen Hegel’s, der ihn nachher als Candidaten so außerordentlich anzog, damals noch absichtlich mied, „ne seduceret potius quam duceret tironem, jure metuens“, wie er in seiner vita vom Jahre 1829 sagt. Er hatte einstweilen genug zu thun mit den inneren Kämpfen, die ihm die damalige Lage der Theologie und Kirche bereitete, wo sich unter heftigem Ringen mit dem alten Rationalismus eine neue gläubige Erfassung der christlichen Wahrheit Bahn brach. Es war nicht seine Sache, sich nur receptiv zu verhalten, sondern durch eingehende kirchengeschichtliche und Schriftstudien suchte er von vornherein ein eigenes Urtheil zu gewinnen. Das Studentenleben jener Zeit hatte für ihn, den über seine Jahre hinaus innerlich Gereiften, keine Anziehungskraft. Alle Zeit und Kraft widmete er in unermüdlicher Arbeit von 5 Uhr Morgens bis zum Abend der Wissenschaft, so daß er einen reichen geistigen Ertrag mitnahm, als er schon nach einem Jahre ungern Berlin verließ, um die beiden letzten Jahre seines Studiums auf der einheimischen Universität Rostock zuzubringen. Konnten ihm die dortigen theologischen Professoren wenig bieten, so lag er um so eifrigeren Privatstudien ob, legte sich schon damals Sammlungen zur Dogmengeschichte an und suchte Anregung und Förderung in dem Freundeskreise, der sich um ihn und den leider so früh verstorbenen Rostocker Professor der Philosophie Dr. Eduard Schmidt schaarte, einem Kreise junger, begeisterter, von dem neuerwachten Glaubensleben ergriffener Männer, die gegenüber dem verderbten Zustande des heimischen Kirchenwesens schon damals ihren reformatorischen Beruf deutlich fühlten und nachher im Leben bethätigten.

Die von K. heiß begehrte akademische Laufbahn wurde ihm von seinem Vater verwehrt. Er mußte Ostern 1832 beim Verlassen der Universität eine Hauslehrerstelle in einem adeligen Hause Mecklenburgs annehmen, wurde aber schon unter dem 28. Januar 1833 zum Instructor des Herzogs Wilhelm von Mecklenburg, des jüngeren Sohnes des Großherzogs Paul Friedrich von Mecklenburg (1837–1842) ernannt, der auf seine hervorragende Begabung aufmerksam gemacht war. Erst am 1. Mai 1833 trat er diese Stelle an. Bis dahin hatte er im Diesterweg’schen Seminar in Berlin hospitirt und von hier aus seine erste litterarische Arbeit veröffentlicht, die unter dem Titel: [220] „Welchen Nutzen darf sich der Seelsorger aus dem Studium der Dogmengeschichte versprechen?“ in dem damaligen „Kirchen- und Schulblatt für Mecklenburg“, Jahrg. 1833, Bd. II, Heft 2, S. 33–120 erschien und schon die Richtung seiner Studien, wie sein Streben und Charisma, die Dinge geschichtlich zu begreifen, documentirt. In derselben Linie lag die bald folgende umfangreiche Abhandlung: „Ueber den heutigen Standpunkt der lutherischen Dogmatik. Eine dogmengeschichtliche Uebersicht“ (ebenda 1833, Bd. II, Heft 3, S. 1–74; Heft 4, S. 61–106), während eine dritte, noch heute werthvolle das praktische, kirchenpolitische Gebiet betritt und mit einer für einen Dreiundzwanzigjährigen bewundernswerthen Umsicht und Reife des Urtheils „Ueber Presbyterien in der Mecklenburgischen Landeskirche“ handelt (ebenda 1834, Heft 3, S. 1–85). Letztere gab den Anlaß zur Gründung von freien Prediger-Vereinen in Mecklenburg, in denen sich die von dem neuen theologischen Leben angeregten Geistlichen zusammenschlossen zur gegenseitigen Förderung und reformatorischen Einwirkung auf das Kirchenwesen, und hatte so eine unmittelbar praktische, segensreiche Bedeutung. Daneben studirte er auf das eifrigste die dogmatischen Schriften von Schleiermacher, Twesten und Nitzsch, trieb dogmengeschichtliche Quellenstudien und beschäftigte sich eingehend mit Hegel’scher Philosophie, die ihn eine Zeit lang in ihre Bahnen zog.

Eine besonders glückliche Fügung war es, daß er 1837 auf zwei Jahre den damaligen Erbgroßherzog, den nachherigen trefflichen Großherzog Friedrich Franz II. (1842–1883), als Erzieher nach Dresden zu begleiten hatte, wo dieser das Vitzthum’sche Gymnasium besuchte. Er trat so nicht nur diesem unvergeßlichen Fürsten freundschaftlich nahe, was für seine spätere Wirksamkeit wichtig werden sollte, sondern hatte in Dresden auch die nöthige Muße und das erforderliche litterarische Material für seine wissenschaftlichen Studien. Hier vollendete er seine bekannte „Einleitung in die Dogmengeschichte“ (Parchim und Ludwigslust 1839, 387 S.), ein auch heute noch nicht veraltetes Werk, das seiner Zeit für die Behandlung der Dogmengeschichte bahnbrechend wirkte, und von Albr. Ritschl „das gleich große Gegenstück zu dem wenige Jahre älteren Leben Jesu von Strauß“ genannt wird. Die Grundanschauung dieser Schrift, nach welcher die Aufgabe der dermaligen Gegenwart die dogmatische Ausbildung der Lehre von der Kirche und den letzten Dingen ist, nachdem die Theologie und Christologie in der alten griechischen, die Anthropologie in der abendländisch-römischen Kirche, die Soteriologie in der deutschen Reformation ihre zunächst abschließende Durchbildung empfangen hat, hat er bis an sein Ende festgehalten, während er sich sonst von dem nicht zu verkennenden Einfluß Schleiermacher’s und Hegel’s bald losmachte. Im October 1839 erwarb er auch den philosophischen Doctortitel an der Universität Rostock. Zugleich war ihm, dem noch nicht Dreißigjährigen, der noch nicht einmal ein Amt in der Kirche innehatte, schon beschieden, rathend und mitbestimmend auf die Regierung und Entwicklung der Landeskirche einzuwirken. Bereits im J. 1835 forderte die mecklenburgische Landesregierung, welche damals noch nach alter territorialistischer Weise zugleich das Kirchenregiment führte, von ihm ein Erachten über die nothwendige Umgestaltung und Verschärfung der theologischen Prüfungen, das für die freilich erst 1844 zu Stande gekommene, noch heute geltende Verordnung betreffend Prüfung der Candidaten der Theologie grundlegend wurde. Hatte er in dieser umfangreichen Arbeit zugleich auf die Mängel der bisherigen Verfassung der Landeskirche hingewiesen und ausgeführt, daß Gesetzgebung und Verwaltung, soweit es sich um die jura in sacra handle, in die Hand einer selbständigen Centralbehörde zu legen sei, durch welche der Landesherr seine oberbischöfliche Gewalt auszuüben habe, so [221] dachte die Regierung daran, auf diese Anregung einzugehen, und ließ sich 1837 von ihm ein weiteres Erachten über die Umgestaltung des Consistoriums zu Rostock, dem nur disciplinäre Befugnisse zustanden, zu einer solchen Behörde geben, und man sieht aus demselben, daß seine kirchenpolitischen Grundsätze, nach denen er später die heimische Kirche aus den Banden eines schlechten Territorialismus löste, im wesentlichen schon damals feststanden. Auch die mit wenigen Abänderungen noch heute gültige, am 29. December 1841 in Kraft getretene Synodalordnung für die jährlichen Synodalversammlungen der Prediger einer Präpositur, welche diese der wissenschaftlichen Fortbildung der Geistlichen und der Erörterung von Gegenständen der kirchlichen Praxis dienende Einrichtung reformirt und weiter entwickelt, ist sein Werk. Er verfaßte sie im Auftrage der Regierung als junger Prediger in Ludwigslust, der zweiten Residenz des Großherzogs.

Ostern 1840 nämlich hatte er Dresden verlassen, um das Amt eines zweiten Geistlichen an der Stadtkirche zu Ludwigslust zu übernehmen und mit Agnes Walter, der Tochter des dortigen Oberhofpredigers Walter, einen Hausstand zu begründen. Am 3. Mai 1840 von seinem Vater ordinirt, hielt er am Sonntage Jubilate 10. Mai seine Antrittspredigt über Jesaia 40, 6–8, die in höchst charakteristischer Weise seinen theologischen und kirchlichen Standpunkt wiederspiegelt und die eingreifende seelsorgerische Wirksamkeit ahnen läßt, die er hier entfalten sollte. Es ging das Rauschen eines neuen Frühlings durch die Gemeinde unter seinem machtvollen, begeisterten, damals noch im Schmuck einer glänzenden Rhetorik einhergehenden Zeugniß von Christo, und auch aus der Umgegend strömten die suchenden Seelen in seine Kirche, um nach den dürren Zeiten der Aufklärung wieder den Lebenshauch des Evangeliums zu spüren. Auch der Werke der inneren und äußeren Mission nahm er sich mit thatkräftigem Eifer an, mit Wichern befreundet, der seine anregende Energie bewunderte und ihn „einen geborenen Herrscher“ nannte, und trotz nur vierjähriger Dauer drückte seine pfarramtliche Wirksamkeit der Gemeinde unvertilgbare Spuren ein. Später betrat er zwar noch oft, doch nicht mehr regelmäßig die Kanzel, aber immer waren die hohen Hallen der mächtigen Domkirche in Schwerin bis auf den letzten Platz gefüllt, wenn er predigte, und es mag hier gleich ein kurzes Wort über ihn als Prediger eingeflochten sein. Wir besitzen von ihm (außer einer großen Anzahl gedruckter Einzel- und Gelegenheitspredigten) sechs größere oder kleinere Predigtsammlungen, die leider sämmtlich im Buchhandel vergriffen sind. Die drei ersten stammen aus der Ludwigsluster, die übrigen aus der Schweriner Zeit. Jene sind: 1. Sammlung mit dem Titel: „Das Zeugniß der Seele“, 1. Aufl. 1841, 3. Aufl. 1853; 2. Sammlung, 1. Aufl. 1843, 3. Aufl. 1856; 3. Sammlung, 1. Aufl. 1846, 2. Aufl. 1853; diese: 4. Sammlung in 3 Bänden, 1. Bd. 1854, 2. Aufl. 1859; 2. Bd. 1. Aufl. 1855, 2. Aufl. 1869; 3. Bd. 1. Aufl. 1857, 2. Aufl. 1869; 5. Sammlung, 2 Bde. 1858. 59; außerdem eine Sammlung von 2 erweiterten Predigten mit dem Titel: „Wider Rom“. Auch beim Lesen dieser Predigten mit ihrer starken Eigenart spürt man noch etwas von der Wirkung, welche sie seiner Zeit auf die Hörer ausübten, die völlig unter dem Eindruck seines Wortes und seiner beredten machtvollen Persönlichkeit standen. Wenige Prediger werden sich einer so andächtigen Gemeinde rühmen können, wie K. sie in seiner ganzen Predigerwirksamkeit hatte. Seine Predigtweise ist die sogenannte synthetische. Die eigentliche Textauslegung tritt bei ihm zurück hinter der straff zusammenhängenden Entwicklung des im Anschluß an den Text aufgestellten jeweiligen Themas, das nicht immer mit dem Hauptgedanken des Textes zusammenfällt. Die Darstellung ist zuweilen [222] etwas breit, aber nie zerfließend, sondern von Anfang bis zu Ende den Zielpunkt fest im Auge behaltend und den Hörer nicht loslassend, nie phrasenhaft, sondern lebendig und concret, in der späteren Zeit vor allem den Willen und Verstand der Zuhörer in Anspruch nehmend. Beweisen die Predigten der ersten Periode, daß ihm eine blühende, rhetorische Sprache und das Vermögen, kunstvoll zu disponiren, zu Gebote steht, so legt er später auf eine rhetorisch zugespitzte Formulirung des Themas und der Partition weniger und vielleicht oft zu wenig Gewicht. Predigt er anfangs über freie Texte, so schließt er sich nachher stets an die altkirchliche Perikopenordnung an. Verkündigt er in allen Predigten das Evangelium in positivem Sinne, so zeigen die späteren eine mehr lehrhafte, confessionell bestimmte Haltung, während diejenigen der Anfangszeit subjectiver geartet sind. So geben sie uns ein äußerst charakteristisches Bild seiner inneren Entwicklung von der subjectiven Gläubigkeit der Erweckungszeit zu der confessionell-kirchlichen Bestimmtheit des Glaubenslebens, und gerade das verleiht ihnen eine über das erbauliche und wissenschaftlich-homiletische Interesse hinausgehende Bedeutung.

Je mehr er im praktisch-kirchlichen Leben nach den verschiedensten Seiten hin thätig war, umso mehr entwuchs er seinen ursprünglichen Lehrern, Schleiermacher und Hegel, um so mehr erkannte er, daß „das Lutherthum nicht eine bloße Doktrin oder eine dogmatische Richtung, sondern eine Kirchengestalt“ sei und daß „dem lutherischen Volke nach den schweren Verwüstungen des Rationalismus nur durch Wiederherstellung seiner lutherischen Kirche, nicht aber durch Etablirung einer Kirche der Zukunft geholfen werden könne“. So formulirt er selber die Angelpunkte seiner späteren Anschauung und das Leitmotiv seiner darauf gegründeten kirchenregimentlichen Wirksamkeit in dem glänzend geschriebenen, Aufsehen erregenden Sendschreiben an die Göttinger theologische Facultät, das 1854 die von ihm zuerst in Gemeinschaft mit dem damaligen Rostocker Kirchenrechtslehrer, nachmaligen Consistorialpräsidenten zu Hannover O. Mejer, später mit dem Rostocker Professor der historischen Theologie Aug. Wilh. Dieckhoff herausgegebene „Kirchliche Zeitschrift“ eröffnete und noch in demselben Jahre, um die Replik auf die Göttinger Erwiderung vermehrt, als besondere Schrift unter dem Titel: „Die Göttinger theologische Facultät und die lutherische ‚Partei‘“ (Schwerin und Rostock) erschien. Während noch 1844 in seinem Buche: „Theorie des Kultus der evangelischen Kirche“ (Parchim und Ludwigslust 1844) die Einwirkung der Schleiermacher’schen Gedanken über die Kirche und ihre Bethätigung deutlich erkennbar ist, so daß er es später durchaus verleugnete, geht er bereits zwei Jahre nachher in bewußtem Gegensatz „zu verschiedenen in verschiedenen Zeiten von ihm verfolgten Einseitigkeiten der Predigtform und der beobachteten Folgen und Wirkungen“ in seinen umfangreichen und werthvollen Artikeln „über Predigt und Katechese in der Vergangenheit und in der Gegenwart“ (Mecklbg. Kirchenblatt, 1846, S. 1–55, 169–245) auf die Ordnung des kirchlichen Lehrwesens in der reformatorischen Kirche zurück, und besonders seine eifrigen liturgischen Arbeiten und Studien, die ihn damals im Interesse der kirchlichen Praxis beschäftigten und Jahrzehnte hindurch zur eingehendsten Durchforschung der alten reformatorischen Kirchenordnungen führten, klärten und befestigten seine neugewonnene kirchliche Posiition.

Im Herbste des Jahres 1844 hatte ihn nämlich das Vertrauen des inzwischen zur Regierung gekommenen edlen Großherzogs Friedrich Franz II. und zwar gegen das Votum „der Regierung“, die bei widerwilliger Anerkennung seiner „eminenten Fähigkeiten“ seinen reformatorischen Eifer und seine feurige Energie fürchtete, zum Superintendenten der Schweriner Diöcese und [223] damit zum ersten Geistlichen des Landes berufen. Er siedelte von Ludwigslust nach Schwerin über, das er bis zu seinem Tode nicht wieder verlassen sollte, und begann sofort mit den etwa 70 Geistlichen seiner Diöcese die Vorarbeiten zur Wiederherstellung des gesammten liturgischen Wesens, das der subjectivistischen Willkür der einzelnen Geistlichen anheimgefallen und in heillose Unordnung gerathen war, indem in gemeinsamen, von ihm geleiteten Studien die Rituale der Gottesdienste und der einzelnen kirchlichen Handlungen einer eingehenden, praktisch orientirten, wissenschaftlichen Behandlung unterzogen wurden. Diese höchst interessanten Arbeiten erschienen in den von ihm 1845 bis 1847 herausgegebenen „Liturgischen Blättern für Mecklenburg“ (2 größere Hefte von 9 bezw. 8 Blättern). Eine 256 Seiten starke Beilage zu Heft II, Bl. 5 bildete die erste Auflage seiner Schrift: „Die ursprüngliche Gottesdienstordnung in den deutschen Kirchen lutherischen Bekenntnisses, ihre Destruction und Reformation“, die in zweiter Auflage zu 5 starken Bänden erweitert ist und als Bd. 4–8, 1858–1861, seine inzwischen erschienenen „Liturgischen Abhandlungen“ abschließt. Auch die drei ersten Bände dieses seines Hauptwerkes (Bd. 1 über die Einsegnung der Ehe, das Begräbniß, die Ordination und Introduction, Schwerin und Rostock 1854, 2. Ausg. 1869; Bd. 2 über die Beichte und Absolution, 1856; Bd. 3 über die Confirmation, 1856) verdankten ihr Entstehen der ihm gestellten praktischen Aufgabe, für die zehn Jahre hindurch zu Dresden gehaltenen Conferenzen in Liturgicis der Kirchenregimente von Baiern, Sachsen, Hannover, Württemberg und den beiden Mecklenburg die Vorlagen und Referate zu liefern. Mit Recht galt er als unbestrittene Autorität auf dem weiten, schwierigen Felde der Liturgik, und seine liturgischen Abhandlungen sind noch heute eine unerschöpfliche Fundgrube liturgischer Gelehrsamkeit und ein unentbehrliches Hülfsmittel für den Forscher auf diesem Gebiet der praktischen Theologie. Hatten ihn bereits 1847 und zwar fast gleichzeitig (11. März und 15. März d. J.) zwei theologische Facultäten, Königsberg und Rostock, zum Ehrendoctor der Theologie ernannt, so galt das Elogium des Königsberger Diplomes nicht bloß „dem hervorragenden Führer zu einer glücklichen Behandlung der Dogmengeschichte“, sondern auch „rerum liturgicarum et homileticarum scriptori sollertissimo, praesuli denique peritissimo, de incremento pietatis et de instaurando publico ecclesiae cultu atque statu optime merenti“.

Den rechten Spielraum für die Bethätigung seiner kirchenregimentlichen Gaben und seines Eifers für eine Wiederherstellung der lutherischen Landeskirche seiner Heimath aber bekam K. erst, als infolge der Wirren des Jahres 1848 die Kirchenregierung von der politischen Verwaltung des Landes getrennt und einer provisorischen „Kirchencommission“, demnächst am 1. Januar 1850 aber dem neu errichteten „Oberkirchenrath“ übertragen wurde, dessen Competenzen im wesentlichen so abgegrenzt sind, wie K. es schon in seiner Jugend (vgl. oben) verlangt hatte und später in seinem Vortrag auf der Eisenacher Kirchenconferenz vom 4. Juli 1861 über „das Verhältniß der Landesherren als Inhaber der Kirchengewalt zu ihren Kirchenbehörden“ (auch als separate Schrift Schwerin 1861 erschienen) dargelegt hat. In diese Behörde trat K. als Mitglied ein und war von Anfang ihr leitender Geist, wenn er auch erst 1886 als Oberkirchenrathspräsident äußerlich an ihre Spitze trat. Nun folgten fast zwei Jahrzehnte angestrengtester Reformarbeit, die kein Gebiet des Kirchenwesens unberührt ließ und mit ebensoviel Weisheit wie nie erlahmender, zielbewußter Energie alle Verhältnisse umgestaltete. Vor allem war es Kliefoth’s Bestreben, einen wissenschaftlich tüchtigen, bekenntnißtreuen, mit kirchlichem Geist erfüllten Pastorenstand zu gewinnen und mit den [224] Geistlichen des Landes auf den von ihm geleiteten Pastoralconferenzen die engste Fühlung zu halten, alles Parteiwesen aber, das andern Landeskirchen so viel geschadet, fernzuhalten. War die mecklenburgische Geistlichkeit, als K. die Universität verließ und in das praktische Leben eintrat, mit wenigen Ausnahmen noch im alten Rationalismus befangen und theilweise bei der Bewirthschaftung ihrer Ackerpfründen verbauert, so gab es bald keine Kanzel mehr im Lande, auf welcher nicht das Evangelium im Sinne des lutherischen Bekenntnisses verkündigt wäre. Dem neuen Geiste und dem frischen kirchlichen Zuge unter seiner energischen Führung konnten sich auch anfänglich Widerstrebende auf die Dauer nicht entziehen.

Es würde zu weit führen, alle einzelnen Maßregeln der Reorganisation innerer und äußerer Art, bis auf die Neueinrichtung und Restauration unzähliger Kirchengebäude und die Sicherstellung des in den Kirchenärarien, Pfarr- und Küsterpfründen und mancherlei Stiftungen vorhandenen Kirchenvermögens, aufzuzählen. Doch mag noch hervorgehoben sein, daß nicht bloß für die einheitliche kirchenordnungsmäßige Vollziehung der kirchlichen Handlungen durch die Herausgabe liturgischer Formulare für dieselben gesorgt, sondern daß auch die Haupt- und Nebengottesdienste wieder liturgisch reicher ausgestattet und durch das treffliche „Cantionale für die evangelisch-lutherischen Kirchen im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin“ geordnet wurden, das 1868–1887 unter Kliefoth’s Redaction in 4 großen Foliobänden erschien und die reichen liturgischen Schätze der lutherischen Kirche für die Gegenwart fruchtbar zu machen sucht.

Das Verdienst seiner Mitarbeiter an dem Reformwerk, des ersten Oberkirchenrathspräsidenten Kaysel, der Minister v. Schrötter und v. Buchka, der Professoren Krabbe, Philippi, Dieckhoff (zeitweilig auch v. Hofmann und Delitzsch während ihrer Rostocker Wirksamkeit) u. A. soll nicht geschmälert, die treue, verständnißvolle Förderung durch den ausgezeichneten Großherzog Friedrich Franz II. soll nicht verschwiegen sein. Aber K. wurde doch überall als der unbestrittene Führer angesehen. Ihn vor allem traf die Abneigung der vielfach widerstrebenden Stände des Landes, die manche synodale Rechte besitzen und dem Oberkirchenrath als einer Errungenschaft des Revolutionsjahres mißtrauisch gegenüberstanden. Ihm wurde von abweichenden politischen und kirchlichen Richtungen alles zur Last gelegt, was ihnen an der Neuordnung der Dinge nicht gefiel. Und als 1858 der schwärmerische Rostocker Professor der Theologie, Michael Baumgarten, der sein Lehramt an der Hochschule mit dem Beruf eines politischen und kirchlichen Agitators verwechselte, auf administrativem Wege durch das Staatsministerium, und nicht etwa durch den Oberkirchenrath unter Belassung seines Gehalts aus seinem Amte entlassen wurde, machte man auch für diese soviel Staub aufwirbelnde, aber durch das damalige und spätere Verhalten des Mannes durchaus gerechtfertigte Maßregel hauptsächlich K. verantwortlich. Doch wurde ihm auch die hohe Anerkennung zu Theil, daß man bereits 1853 von Sachsen aus die größten Anstrengungen machte, ihn für die durch den Abgang von v. Harleß nach München erledigte Stelle eines Oberhofpredigers und Geh. Kirchenrathes im Cultusministerium zu gewinnen. Trotz seiner auf Wunsch seines Fürsten erfolgten Ablehnung des ehrenvollen Rufes kam der damalige königlich sächsische Cultusminister v. Falckenstein noch persönlich nach Schwerin, um dem Großherzoge in einer Audienz vorzustellen, daß durch Kliefoth’s Berufung nach Dresden der ganzen lutherischen Kirche Deutschlands ein Dienst geschehen werde, und ihn zu bewegen, daß er diesen ziehen lasse. Allein die Befürchtung, es möchte das angefangene Restaurationswerk ohne K. ins Stocken gerathen, vereitelte auch [225] diese wiederholte Bemühung. Kl. blieb in Schwerin, von seinem Großherzoge mit einem namhaften Geldgeschenk zum Ankauf eines eigenen Hauses belohnt.

Auch von seiner Schweriner Stellung aus hat er weit über die engen Grenzen seines Heimathlandes hinaus gewirkt und seine ganze Persönlichkeit wie seine nie rastende Feder in den Dienst der confessionell-lutherischen Sache gestellt. Seine amtliche Thätigkeit in der Eisenacher Conferenz der evangelischen Kirchenregimente Deutschlands ist schon erwähnt. Seine außeramtliche kirchenpolitische Wirksamkeit im weiterem Sinne zielte vor allem auf die Herbeiführung einer engeren Verbindung der einzelnen lutherischen Landeskirchen und eines Zusammenschlusses aller bekenntnißtreuen Lutheraner im Gegensatz zu den unionistischen Bestrebungen Preußens und den auf Errichtung einer deutsch-evangelischen Nationalkirche gerichteten Tendenzen. Schon 1848 gehörte er dem geschäftsführenden Comité einer unter den gefahrdrohenden Zeitereignissen nach Leipzig berufenen freien lutherischen Conferenz an und brachte dort seine Thesen zur Verfassungsfrage zur einstimmigen Annahme, und als sich 1868 die „Allgemeine evangelisch-lutherische Konferenz“ constituirte, die noch heute besteht und in regelmäßigen Zwischenräumen ihre Versammlungen abhält, betraute man ihn mit dem Hauptvortrage über das Thema: „Was fordert Art. VII der Augustana hinsichtlich des Kirchenregiments der lutherischen Kirche?“, während ihm nach v. Harleß’ Tode von selber das Präsidium der Conferenz wie auch der Leipziger evangelisch-lutherischen Mission zufiel. Er wurde allmählich der Vertrauensmann für alle lutherisch Gesinnten, und nicht bloß aus deutschen Landes- und Freikirchen, sondern auch aus Schweden und Amerika wandte man sich an ihn um Gutachten in brennenden kirchlichen Fragen.

Seine Anschauungen von der Kirche, ihrem Wesen, Amt und Regiment und damit die theologischen Principien seiner praktisch-kirchlichen Wirksamkeit hat er in seinem unvollendet gebliebenen Werke: „Acht Bücher von der Kirche“ (Bd. 1, Schwerin u. Rostock 1854) dargelegt. Die vier ersten Bücher handeln von dem Reiche Gottes in der Zeit der Kirche, von den Gnadenmitteln und ihrem Amt, von der Gemeinde und ihrem Dienst, von der Kirche, ihrer Ordnung und ihrem Regiment. Die vier letzten sollten die Gesetze der Entwicklung der Kirche in Raum und Zeit und ihre Vollendung behandeln, sind aber nicht erschienen. Doch wollte er seine späteren Arbeiten auf dem Gebiete der Eschatologie als eine Ausführung des hier aufgestellten Programms angesehen wissen. Gerade diese Schrift ist vielfach angefochten worden und ihm auf Grund derselben der Vorwurf des „Romanisirens“ gemacht. Nun läßt sich freilich nicht leugnen, daß sie nicht frei von Einseitigkeiten ist und die objectiven Factoren im Begriff der Kirche allzusehr und auf Kosten der Bedeutung des Heilsglaubens auch für den Kirchenbegriff betont. Der letztere wird wesentlich von dem empirischen Coetus der durch die Gnadenmittel Berufenen und von diesen Umfaßten aus construirt, wenn auch der coetus vere credentium von dem coetus mere vocatorum unterschieden wird. Das Hauptgewicht fällt auf die institutionelle Seite der Kirche. Zwischen Kirche und Gemeinde wird scharf geschieden. Letztere erscheint mehr nur als Product und Object der Wirksamkeit des kirchlichen Organismus. Diesem aber soll nicht bloß der Dualismus zwischen docentes und audientes, sondern auch zwischen regentes und obedientes wesentlich sein. Allein diese übergreifenden Sätze erklären sich einerseits aus seinem realistischen, geschichtlichen Sinn, der seine dogmatischen Anschauungen nicht bloß durch wissenschaftliche Speculation, sondern durch Beobachtung der [226] kirchlichen Wirklichkeit und der geschichtlichen Entwicklung gewinnt, andererseits aus den damaligen Gegensätzen, gegen die er sich wendet und die seine energische Natur zu möglichst scharfer Zuspitzung seiner Sätze veranlassen, ohne daß er deshalb den banalen Vorwurf des Romanisirens verdiente. Die Heilsbedeutung der Kirche als einer Gottesstiftung und eines lebendigen, geschichtlich sich auslebenden Organismus gegenüber der isolirten, atomistischen „Gemeinde der Heiligen“ eines geschichtslosen, individualistischen Pietismus, die Nothwendigkeit und göttliche Stiftung des Gnadenmittelamtes gegenüber der reformirten Anschauung, welche den Schwerpunkt des kirchlichen Lebens in die Gemeindeorganisation, nicht in die Gnadenmittelverwaltung verlegt, die Selbständigkeit der Kirche und ihres Regiments gegenüber territorialistischer Staatsomnipotenz zu betonen und zu erweisen, das ist sein leitendes Interesse. Nichts war ihm mehr zuwider, als die Verquickung von Politik und Kirche und die Uebertragung politischer Grundsätze und Theorieen auf das kirchliche Gebiet, und die heftigste Schrift, die aus seiner Feder geflossen, war die Streitschrift „Zwei politische Theologen“ (Schwerin 1864), in welcher er neben Daniel Schenkel auch seinen früheren Freund, den großen Erlanger Theologen J. Ch. K. v. Hofmann, schonungslos und nicht immer gerecht bekämpfte. Uebrigens war er überhaupt ein Gegner der v. Hofmann’schen Theologie, und die ausführlichste Gegenschrift gegen das eigenthümliche System dieses Theologen war sein Buch: „Der Schriftbeweis des Dr. J. Ch. K. von Hofmann“ (560 S., Schwerin und Rostock 1860). Im Culturkampf aber trat er von vornherein energisch für die Rechte der Kirche gegen die Einmischung des Staates in das innerkirchliche Leben ein. Seine 1873 in der Allg. ev.-luth. Kirchenzeitung und nachher als Broschüre unter dem Titel: „Der preußische Staat und die Kirchen“ erschienenen Artikel sagten der preußischen Regierung den Mißerfolg voraus und bezeichneten im voraus die falschen Schritte, welche sie wieder zurückzuthun genöthigt sein werde, so daß sie sich angesichts des nachherigen Verlaufes wie ein vaticinium ex eventu lesen.

Die letzten Decennien der Wirksamkeit Kliefoth’s verliefen stiller und friedlicher, und seine gelehrten Studien wandten sich nun der Erforschung des prophetisch-apokalyptischen Wortes zu, um den dogmatischen Ausbau der Lehre von den letzten Dingen, nach seiner dogmengeschichtlichen Anschauung die Aufgabe der gegenwärtigen Kirche, zu fördern. Eingeleitet durch interessante, umfangreiche Artikel über „die Zahlensymbolik der heil. Schrift“ in der von ihm in Gemeinschaft mit Dieckhoff herausgegebenen „Theologischen Zeitschrift“, Jahrg. 1862, erschienen in rascher Folge die Commentare zu den Propheten Sacharja (Schwerin 1862), Ezechiel (Rostock 1864) und Daniel (Schwerin 1868) und eine zweibändige Auslegung der Offenbarung St. Johannis (Leipzig 1874). Sucht das letztere Werk von der alttestamentlichen Prophetie und besonders von den eschatologischen Reden Jesu in den synoptischen Evangelien aus ein methodisches Verständniß der Apokalypse im endgeschichtlichen Sinne zu gewinnen gegenüber den Willkürlichkeiten und phantastischen Absonderlichkeiten, die bisher in der Auslegung dieses schwierigen neutestamentlichen Buches an der Tagesordnung waren, so bekämpft er in seinen alttestamentlichen Commentaren mit großem Scharfsinne den das Wunder der Weissagung leugnenden Kriticismus und bemüht sich, im Gegensatz sowol zu einem materialisirenden Chiliasmus als auch zu einem verflüchtigenden Spiritualismus, einen gesunden biblischen Realismus in der Auffassung des prophetischen Wortes zu begründen. Indeß seine eigentliche wissenschaftliche Begabung lag nicht auf dem exegetischen, sondern auf dem historisch-dogmatischen und praktisch-theologischen Gebiet, und wenn auch seine exegetischen Schriften reich [227] an großartigen Conceptionen, wie an interessanten Einzelauslegungen sind, so fehlt ihnen doch oft das selbstverleugnende Sichversenken in den Text und seinen Gedankengang, und nicht immer genügen die hier erforderlichen speciellen Fachkenntnisse. Dagegen zeichnet sich sein letztes größeres Werk, die „Christliche Eschatologie“ (Leipzig 1886), durch besonnene Nüchternheit und sorgfältige Erwägung aller einschlagenden Fragen aus und wird noch lange ein unentbehrliches Hülfsmittel für die Bearbeiter dieses schwierigen Abschnittes der Dogmatik bleiben.

In demselben Jahre, in welchem das letztgenannte Werk erschien, wurde der schon Sechsundsiebenzigjährige nach dem Abgange des ersten Oberkirchenrathspräsidenten Kaysel zu dessen Nachfolger ernannt, nachdem er bereits am 1. Mai 1883 in jugendlicher Rüstigkeit sein 50jähriges Dienstjubiläum gefeiert hatte, zu welchem ihn die dankbare Geistlichkeit des Landes; durch Stiftung eines Capitals für ein Kliefoth-Stipendium ehrte. Während er in jüngeren Jahren, zum Theil infolge von Ueberarbeitung, viel gekränkelt hatte, befestigte sich mit zunehmendem Alter seine Gesundheit, und er konnte die Präsidentenwürde noch acht Jahre lang in ungebrochener Geistesfrische führen, ja, am 1. Mai 1893 auch noch die seltene Feier des 60jährigen Dienstjubiläums begehn. Erst am 1. October 1894 trat er in den wohlverdienten Ruhestand, den er jedoch nicht lange genießen sollte. Seine arbeits- und kampfgewohnte Natur vertrug das Ruhen und Feiern nicht. Als ihr die Anspannung des Berufslebens fehlte, ließen seine Kräfte bald nach. Bereits am 26. Januar 1895 erlag er einer Lungenentzündung und „nahm eine große kirchliche Vergangenheit mit ins Grab“, wie es in dem Nachruf des Vorstandes der evangelisch-lutherischen Conferenz heißt.

K. war äußerlich klein von Statur, auf den ersten Blick eine unauffällige Erscheinung. Aber das scharf geschnittene Gesicht, der fest geschlossene Mund, die hohe, charakteristische Stirn, der straffe Gang zeugten von der Kraft und Klarheit seines Wollens und Handelns. Niemand, auch wer ihm nur flüchtig nahe trat, konnte sich dem Eindruck von der Bedeutung des Mannes, den er vor sich hatte, entziehen. Seltsam mischte sich in ihm das feurige Temperament und die ungemeine Lebhaftigkeit der von ihm so heiß geliebten französischen Großmutter mütterlicherseits mit der kühlen Besonnenheit und der geschlossenen, sicheren Kraft seiner norddeutschen Vorfahren. Vermöge seiner lebendigen, concreten Auffassung der Dinge besaß er ein hervorragendes Erzählertalent, wie es seine bisher noch ungedruckte Jugendbiographie von 1837 beweist, und man muß bedauern, daß er sich nie die Zeit genommen hat, wie andere Theologen und Kirchenmänner, auch später aus seinem reichen Leben schriftliche Mittheilungen zu machen. Aber doch zeugt auch dies davon, wie wenig ihm seine eigene Person am Herzen und alle eitle Selbstbespiegelung fern lag. Er ging, wie Wenige, völlig in der Sache auf, der er seine Lebenskraft gewidmet, und schlug nicht bloß seine eigene Person rücksichtslos in die Schanze, sondern kannte auch bei Anderen keine Rücksicht und kein Ansehen der Person, wo es diese galt. Nie hat er nach Popularität gehascht, nie kleinlich und selbstisch das Seine gesucht, weder seine Ehre, noch seinen Vortheil, noch sein Behagen. Der Kirche Gottes in der lutherischen Form und Ausprägung, insbesondere der Landeskirche seiner Heimath, ihrer Wiederherstellung, ihrem Ausbau, ihrer Vertheidigung galt sein Sorgen und Streben, sein Forschen und Denken, sein Kämpfen und Arbeiten, und für den Eingeweihten ist es erstaunlich, welch eine Fülle wissenschaftlicher und praktischer Arbeit er geleistet, unermüdlich thätig, niemals feiernd und rastend. Es ist zu verstehen, wenn seine Entschiedenheit dabei zuweilen zur Schroffheit, seine Energie wol [228] einmal zur Rücksichtslosigkeit wurde und es ihm, nicht in seinem Lande, wol aber draußen nicht an Feinden fehlte, die ihn als Hierarchen und Vertreter eines protestantischen Papstthums schmähten. Bei einem so ausgeprägten wissenschaftlichen und kirchlichen Charakter pflegt sich ja das Urtheil der Menschen nach dem eigenen Standpunkt zu richten und deshalb selten gerecht zu sein. Wol war er eine geborene Herrschernatur, die schon vermöge der eigenen Ueberlegenheit auf andere drückte, aber zum Hierarchen fehlte ihm die egoistische Herrschsucht, zum Bureaukraten die dem realen Leben abgewandte Beschränktheit des Theoretikers. Von einem Verständniß für geschichtliches Werden und Wachsen der Dinge und alle Lebensverhältnisse der Menschen, wie Wenige, verschmähte er in seiner kirchenregimentlichen Wirksamkeit alle künstliche Mache, verwechselte nie die Kirche mit der Schule und wußte auch anders geartete Persönlichkeiten zu tragen und zu schätzen, wo er nur treuen Eifer für den Bau der Kirche und des Reiches Gottes sah. Auch sein persönliches Christenthum trug jene nüchterne, anspruchslose, ruhige Art lutherischer Frömmigkeit an sich und verabscheute alles unklar gefühlige, sentimental weichliche, echauffirte Wesen. Man kann in der That von ihm sagen, daß seine Fehler die Kehrseite und die Schatten seiner Tugenden waren, und Hamlet’s Wort auf ihn anwenden: „Nehmt alles nur in allem, er war ein Mann!“

Die Acten des Oberkirchenraths zu Schwerin; eine bis zum Jahre 1837 reichende ausführliche handschriftl. Selbstbiographie Kliefoth’s; eine kürzere lateinische von 1839. – Nekrolog vom Verf. in der Allg. ev.-luth. Kirchenzeitung, 1895, Nr. 10–15; Art. „Kliefoth“ vom Verf. in der 3. Aufl. der Realencyklopädie f. prot. Theol. u. Kirche von Herzog-Plitt-Hauck; Mecklenb. Kirchen- und Zeitblatt in zahlreichen Jahrgängen; Art. „Kliefoth“ in dem Kirchlichen Handlexikon, begründet von Dr. Meusel, fortgeführt von Oberkirchenrath D. Haack, Pastor Lehmann und Prof. Lic. Hofstätter. – Friedrich Franz II., Großherzog von Mecklenburg-Schwerin und seine Vorgänger von Ludwig v. Hirschfeld. 2 Bde., Leipzig 1891.