ADB:Landerer, Maximilian Albert

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Landerer, Maximilian Albert“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 588–591, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Landerer,_Maximilian_Albert&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 10:50 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Landeck, Gottfried
Nächster>>>
Landgrebe, Georg
Band 17 (1883), S. 588–591 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Maximilian Albert Landerer in der Wikipedia
Maximilian Albert Landerer in Wikidata
GND-Nummer 116672757
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|17|588|591|Landerer, Maximilian Albert|Theodor Schott|ADB:Landerer, Maximilian Albert}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116672757}}    

Landerer: Maximilian Albert L., württembergischer Theologe, geb. am 14. Januar 1810 in Maulbronn, † am 13. April 1878 in Tübingen. Der Familienüberlieferung gemäß von Jugend auf zum Geistlichen bestimmt, durchlief er die gewöhnliche Studienlaufbahn der württembergischen Theologen (niederes und höheres Seminar), stets durch großen Fleiß und treue Gewissenhaftigkeit sich auszeichnend, absolvirte mit glänzenden Zeugnissen seine Studien, wurde von 1832–34 Amtsgehülfe seines Vaters, Philipp L., Pfarrers in Walddorf, und 1834 Repetent in Maulbronn. 1835 Repetent am Tübinger Stift; die vier Jahre eifrigen Lernens und Lehrens, welche er dort zubrachte, wurden durch eine Reise nach Norddeutschland besonders Berlin unterbrochen, wo er zwar Schleiermacher nicht mehr traf, aber mit Neander, Twesten, Steffens und anderen in nähere Verbindung trat. 1839 wurde er zum ersten Diakonus in Göppingen ernannt, 1840 nach der Resignation von Elwert zum außerordentlichen Professor der Theologie und zum Frühprediger nach Tübingen berufen. Ruhig, ohne viele Wandlungen und Wanderungen ist dort nun sein Leben verflossen, in seltener Einfachheit, das Bild eines echten schwäbischen Gelehrten- und Professorenlebens; einen Ruf nach Kiel 1843 lehnte er ab, ebenso einen nach Göttingen 1862, die Musenstadt am Neckar hat er nicht mehr verlassen und während Generationen von Studenten zu seinen Füßen saßen, rückte er, vom Strome der Zeit und von seinen eigenen Verdiensten getragen, allmählich zu höheren Stellen und Würden vor, 1842 wurde er Ordinarius, 1860 erster Inspector des theologischen Seminars (Stiftes), 1844 war er von der theologischen Fakultät in Königsberg zum Doctor der Theologie honoris causa creirt worden. Seinem unermüdeten treuen, reichgesegneten Wirken that ein schwerer Fall, wobei er sich eine Brustverletzung zuzog, Einhalt 1875, von dort an kränkelte er, 1877 nahm er seine Entlassung; die zahlreichen Freunde und Schüler, die aus allen Gegenden des engeren und weiteren Vaterlandes zum Universitätsjubiläum 1877 nach Tübingen eilten, trafen ihn noch munter und [589] frisch, zunehmende Kränklichkeit vereitelte seinen Plan, seine wissenschaftlichen Werke herauszugeben oder zur Herausgabe vorzubereiten, am 13. April 1878 machte eine Lungenblutung dem schwindenden Leben unerwartet ein Ende. Seine erste Ehe mit Emilie geb. Pistorius hatte der frühe Tod der jungen Frau nach wenigen Wochen wieder gelöst (1839), zum zweiten Male verheirathete er sich 1845 mit Emma geb. Werner, seiner Schwägerin und der Schwester seines Studiengenossen Gust. Werner, eine Tochter und drei Söhne überlebten den Vater. – L. war ein Gelehrter im besten Sinne des Wortes, ebenso fein als liebenswürdig, human und zuvorkommend mit nimmermüder Freundlichkeit gegen die ihn umdrängende Studentenwelt, sein ethisch geläuterter Charakter drückte sich schon äußerlich in der feinen, Achtung gebietenden Persönlichkeit aus, in den dunklen klugen Augen, die wohlwollend und humoristisch zugleich unter der Brille hervorblitzten. Still und anspruchslos, wie sein Lebensweg, war auch sein Wesen, es haftete ihm etwas an von der bekannten schwäbischen Zurückhaltung, er hätte schwerlich an einer anderen deutschen Universität sich heimisch gefühlt, wie er auch seine Ferienreisen nie weit über die engere Heimath ausdehnte. Seiner durchaus geraden und gerechten Natur war jedes bloße Scheinwesen zuwider, so daß er auch an sich selbst das Bewußtsein des eigenen Werthes, zu welchem er bei einer umfassendsten Gelehrsamkeit, welche sich nicht blos auf die ihm zunächst liegenden Disciplinen, Theologie und Philosophie, sondern auch auf Naturwissenschaften und Litteratur erstreckte, alle Veranlassung gehabt hätte, nie hervorkehrte, während umgekehrt ein Gehörleiden, das schon im Knabenalter begann und im Alter zunahm, und das den Verkehr mit ihm sehr erschwerte, auch störend auf seinen Vortrag als Lehrer und Prediger einwirkte, ihn weder mißtrauisch, noch empfindlich machte. In den Studentenjahren hat ihn dies Leiden von dem eigentlichen burschikosen Treiben zurückgehalten, aber die Freude des regen geselligen Verkehrs war ihm nicht blos vetgönnt, sondern durch seinen nie versiegenden, treffenden, aber nicht boshaften Humor, dessen prägnanteste Aeußerungen als geflügelte Worte von Mund zu Mund gingen, war er meistens der Mittelpunkt des Kreises. Das Ideal eines akademischen Lehrers war er nicht; trotz eines eminenten Gedächtnisses, das sich auch in einer großartigen Personenkenntniß zeigte, las er alle seine Vorträge, das Organ war kein angenehmes, und eine maßvolle Beschränkung des Stoffes mit festem, abschließendem Resultat zu geben, war ihm nicht möglich. Es war eine tief gegründete Eigenthümlichkeit seines Wesens und auch seines Lehrens, daß er sich in seiner Wissenschaft nie genug thun konnte, daß er nie mit sich zufrieden war; er war in erster Linie Kritiker und die Nüchternheit, Klarheit und objective Begründung seiner Kritik machte dieselbe ungemein werthvoll; ein Dialektiker, der seines gleichen suchte, fand er alle möglichen Gründe und Gegengründe und wenn er in der großartig angelegten Architektonik seiner Vorlesungen, z. B. seiner Dogmatik, lebhaft an die alten Scholastiker erinnerte, so fehlte ihm dagegen das nothwendige, sichere Ende des systematischen Abschlusses. Ganz vorzüglich in der klaren Auseinanderlegung der einzelnen Momente eines Dogmas, eines Lehrbegriffs, des Inhalts eines Buches befriedigte er weniger in dem eigenen Resultate, das der Studirende doch naturgemäß von ihm erwartete. Seine Vorlesungen, die sich auf den weiten Umkreis von Dogmatik, Dogmengeschichte, Symbolik, Religionsphilosophie, Exegese des neuen Testaments und biblische Theologie des neuen Testamentes erstreckten, waren eine Fundgrube des Wissens, wirkten aber aus den angegebenen Gründen hauptsächlich anregend und zum eigenen Forschen reizend, und wenn er auch nicht in dem Sinne eine Schule hinterließ, wie Baur, so war doch sein theologischer Einfluß auf die Studentenwelt, auf die gegenwärtige Generation der württembergischen Geistlichkeit, deren Studienjahre [590] zwischen 1850–70 fielen, ein stiller, aber tiefer und sehr weitgehender. Sein theologischer Standpunkt war der der Vermittlungstheologie, es konnte auch kaum ein anderer sein, da er seinem Wesen nach Kritiker und Eklektiker war; als er die Hochschule als Student betrat, war dort die alte supranaturalistische Richtung am Erlöschen, die neuen Richtungen Schleiermacher’scher und Hegel’scher Theologie machten sich immer mehr geltend, 1831 trat Baur mit seiner kritischen Thätigkeit, 1834 Strauß mit seinem Leben Jesu hervor; alle diese Factoren machten ihren Einfluß auf den jungen, für das Kritische und Dialektische so empfänglichen Theologen geltend, thetisch und antithetisch hat er sich mit allen auseinandergesetzt und die Selbständigkeit seines Standpunkts gewahrt; er war entschieden positiver Theologe in der vollen Anerkennung des Offenbarungsbegriffes und der Wunder, der Sünde als einer That der menschlichen Freiheit, in der Christologie dagegen war er anthropocentrisch, und wenn L. von der Mißachtung, welche der Vermittlungstheologie von vielen Seiten entgegengebracht wird, seinen redlichen Antheil zu tragen hatte und außerhalb seines engeren Vaterlandes nie die Werthschätzung genoß, die er verdiente, so wurde ihm doch von unzähligen, die näher auf ihn eingingen, Liebe und Dankbarkeit in hohem Maße gezollt und stets noch bewahrt. Vieles aber von dem, was er auf seinem Lehrstuhl zuerst ausgesprochen und gelehrt hat, ist mündlich und schriftlich von Andern als eigene Weisheit preisgegeben worden, die beste Rechtfertigung von Landerer’s Gelehrsamkeit. L. war nicht schreibselig, er hatte eine eigenthümliche Scheu vor litterarischen Veröffentlichungen und vor der Kritik; das Bessere war auch hier der Feind des Guten, seine Bescheidenheit ging hier über in einen Mangel an Selbstvertrauen, wie er sich auch mannigfach imponiren ließ, wo man es nicht hätte erwarten sollen. Seine litterarischen Productionen sind wenige, 13 Artikel in Herzog’s Realencyklopädie, 1. Aufl. (in der zweiten ist nur Daub von ihm bearbeitet), von welchen die über den „Kanon des Neuen Testaments“ (Bd. VII), „Melanchthon“ (Bd. IX), „Scholastische Theologie“ (Bd. XIII), „Tübinger Schule“ (Bd. XVI) die bedeutendsten sind und den besten Beweis von des Verfassers Scharfsinn, Gründlichkeit und Gelehrsamkeit liefern. In den Jahrbüchern für deutsche Theologie, Bd. II, erschien die werthvolle Abhandlung: „Das Verhältniß von Gnade und Freiheit in der Aneignung des Heils“ – leider Torso geblieben. Ferner sind erschienen die beiden Gedächtnißreden, die er auf seine Collegen Baur 1860 und Oehler 1872 gehalten hat, die erstere das beste und feinste, was über diesen bedeutenden Theologen geschrieben wurde. Die Erwartung eines reichen litterarischen wohlgeordneten Nachlasses wurde getäuscht, es fand sich wenig zur Veröffentlichung zugerichtetes vor und das Veröffentlichte befriedigte nicht durchaus, denn vieles von dem, was nun zum ersten Mal gedruckt an das Licht trat, war durch seine Vorlesungen schon längst Gemeingut der Theologie geworden. Es erschienen: „Zur Dogmatik. Zwei akademische Reden von Dr. M. A. L.“, mit der Beigabe: „Gedächtnißrede auf Ferdin. Christ. Baur, herausgegeben von Weiß und Buder“, Tübingen 1879; „Neueste Dogmengeschichte (von Semler bis auf die Gegenwart). Vorlesungen von L., herausgegeben von P. Zeller“, Heilbronn 1881; die Vorzüge und Mängel von Landerer’s Lehren und Gelehrsamkeit treten hier deutlich zu Tage, aber die Veröffentlichung lag schwerlich in Landerer’s Sinn. „Predigten von L. In einer Auswahl herausgegeben von P. Lang“, Heilbronn 1880; bemerkenswerth durch die feine Psychologie und den schönen Fluß der Sprache, der im mündlichen Vortrag weniger hervorgetreten war.

Worte der Erinnerung an Dr. M. A. Landerer, Tübingen 1878, enthaltend die Reden am Sarge und Grabe von G. Werner, Dek. Frank und Prof. Weiß und einen kurzen Lebensabriß; Wagenmann, Zum Andenken an [591] Dr. Landerer. Jahrbücher für deutsche Theologie, Bd. XXIII, 1878, S. 477 ff.; H. Schmidt, Artikel Landerer in Herzogs Realencyklopädie, VIII. S. 387 ff.; Zum Andenken Dr. Landerer’s. Evangel. Kirchen- und Schulblatt, 1878, Nr. 26 ff.; A. Landerer in Allgem. evangel.-luther. Kirchenzeitung, 1878, Nr. 23 (von H. Schmidt), (der Nekrolog von O. Pfleiderer in Protest. Kirchenzeitung, 1878, Nr. 20, stand mir nicht zu Gebote). C. Weizsäcker, Lehrer und Unterricht an der evangel.-theol. Fakultät in Tübingen, 1877.