ADB:Latermann, Johann

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Latermann, Johann“ von Wilhelm Heinrich Erbkam in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 11–13, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Latermann,_Johann&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 06:21 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Lastmann, Pieter
Nächster>>>
Latewaert, Loy
Band 18 (1883), S. 11–13 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Latermann in der Wikipedia
Johann Latermann in Wikidata
GND-Nummer 100078222
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|18|11|13|Latermann, Johann|Wilhelm Heinrich Erbkam|ADB:Latermann, Johann}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=100078222}}    

Latermann: Johannes L., geb. am 2. Juli 1620 zu Gellershausen bei Coburg, † 1662, ein lutherischer Theolog. Sein Vater war lutherischer Geistlicher, und wurde nicht lange nach der Geburt dieses seines Sohnes vom Coburgischen nach Quedlinburg versetzt. So geschah es, daß der junge L. seine weitere Bildung hier empfing und an der berühmten Universität Helmstädt Theologie studirte. Helmstädt stand damals an der Spitze einer neuen Bewegung in der lutherischen Kirche Deutschlands, die auf Grundlage einer gründlichen Kenntniß der alten christlichen Kirche eine Vereinigung oder wenigstens gegenseitige Anerkennung der verschiedenen Bekenntnißkirchen herbeizuführen bestrebt war und unter dem Namen Synkretismus zum Gegenstande der heftigsten Angriffe, besonders von Seiten der lutherischen Orthodoxie gemacht worden war. Je mehr unter den Greueln des dreißigjährigen Krieges die Unmöglichkeit einer definitiven Herrschaft einer der kämpfenden Religionsparteien sich herausgestellt hatte, desto mehr wuchs im Volke selbst die Sehnsucht nach einer friedlichen Ausgleichung der Gegensätze, deren Anfang doch nur die gegenseitige Duldung und Anerkennung sein konnte. Georg Calixt, Professor in Helmstädt, war der erste, der dieser Richtung einen theologischen Ausdruck gab, indem er gestützt auf solide Gelehrsamkeit, in dem Consensus der ersten 6 Jahrhunderte den Einheitspunkt aller christlichen Confessionen gefunden zu haben glaubte. Sein Bestreben fand zwar bei Vielen und besonders bei einzelnen Fürsten, die als Inhaber des Kirchenregiments entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung und Entwickelung ihrer Landeskirchen ausübten, lebhaften Anklang, aber ebenso bei Andern die heftigste Opposition. Es war die jesuitische Partei in der katholischen Kirche auf der einen Seite, und die streng lutherische Partei der evangelischen Kirche auf der andern, welche dem Synkretismus den leidenschaftlichsten Widerspruch entgegenstellten. Bei den Lutheranern war es vornehmlich die milde Beurtheilung der Lehrdifferenzen zwischen der lutherischen und reformirten Kirche, welche die Synkretisten an den Tag legten und der von ihnen als Kryptocalvinismus ausgelegt wurde, wie auch ihre Anerkennung mancher katholischer Einrichtungen und ihre aufs günstigste ausgelegte Deutung katholischer Lehren den Vorwurf heimlicher Hinneigung zum Katholicismus hervorrief. In diesem heftigen Kampf, der von beiden Seiten mit größter Erbitterung geführt wurde, gab es zwei fürstliche Familien, welche dem Streben nach Einigung der Religionsparteien kräftigste Förderung angedeihen ließen und eben darum der Steigerung der leidenschaftlichen Polemik entgegenzuarbeiten suchten. Die eine war die welfisch-braunschweig-hannoversche Fürstenlinie wenigstens in einigen ihrer herrvorragendsten Glieder, die andere die brandenburgisch-hohenzollerische Fürstenlinie, deren vornehmster Repräsentant der große Kurfürst Friedrich Wilhelm damit die bewußten Ziele einer patriotisch-deutschen Kirchenpolitik verband. Es war natürlich, daß ein Mann wie Calixt mit seinen Bestrebungen das Gemeinsame in allen christlichen Bekenntnissen als das Fundamentale des christlichen Glaubens überhaupt zur Geltung zu bringen, bei diesen Fürsten den lebhaftesten Anklang fand und seine Schüler vor allem sich ihrer Gunst erfreuten. Ebenso darf es nicht verwundern, daß diese Fürstengunst bei vielen Synkretisten die Klippe wurde, an der ihre theologische Ueberzeugung und christliche Lauterkeit scheiterte. Auch Latermann gehörte zu diesen zweideutigen Charakteren. Mit ungewöhnlichen Gaben namentlich was die äußere Erscheinung betrifft, ausgestattet, wußte er sich leicht in die Gunst einflußreicher Personen einzuschmeicheln und durch diese [12] schon in jungen Jahren in Stellungen einzurücken, die sonst nur älteren Personen zu Theil wurden, was den Neid dieser erweckte. Diesen Umstand darf man nicht übersehen, wenn man die ungemeine Heftigkeit begreifen will, mit der sein Auftreten in größeren Kreisen von Seiten seiner Gegenpartei aufgenommen wurde. Nachdem er schon im J. 1643 auf der Universität Helmstädt unter Calixt eine Disputation gehalten und die Magisterwürde erlangt hatte, kam er in Verbindung mit der Gönnerin von Calixt, der verwittweten Herzogin Anna Sophia, einer geborenen brandenburgischen Prinzessin und Tante des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, die auf ihrem Schlosse zu Schöningen residirte und mit den Häuptern der Helmstädtischen Schule gelehrten Umgang pflegte, auch in Schöningen selbst ein Lyceum gegründet hat. Wahrscheinlich wurde L. ein Lehrer an dieser Anstalt und hatte als solcher wohl öfter Gelegenheit vor der Herzogin zu predigen. Wenigstens ist sie es gewesen, die ihn mit Empfehlungen versehen zu dem Religionsgespräch, das der König von Polen Wladislav IV. 1645 in Thorn veranstalten ließ, deputirte. Dieses Gespräch, welches der wohlmeinenden Absicht des Königs gemäß ein colloquium caritativum sein und heißen sollte, war ohne Kenntniß der wirklichen Zustände der streitenden Parteien unternommen und artete daher bald in gegenseitige gehässige Streitigkeiten aus, besonders durch Schuld der lutherischen und jesuitischen Partei und trug somit nur zur Vergrößerung der bestehenden Spaltung bei. L. fühlte sich in Thorn von den Vertretern der lutherischen Confession, unter denen der streitsüchtige Calovius (Bd. III, S. 712) den maßgebendsten Einfluß hatte, so abgestoßen, daß er sich vielmehr an den Präses der reformirten Commission anschloß. Zugleich versäumte er es nicht, sich mit den vom Kurfürsten von Brandenburg als Herzog von Preußen gesandten Abgeordneten von Königsberg, die alle der Calixtinischen Richtung zugethan waren, in nähere Beziehung zu setzen. Als inzwischen das Thorner Gespräch in unfruchtbare Streitigkeiten auszulaufen schien, reiste L. nach Königsberg, wohin ihn wahrscheinlich seine Gönnerin, die Herzogin Anna Sophia eingeladen hatte, da sie selbst zur Hochzeit ihrer Großnichte, der Tochter des Kurfürsten von Brandenburg mit dem Herzog von Kurland nach Königsberg gereist war. Er mußte öfter vor ihr auf dem Schlosse predigen und auch der Kurfürst fand so viel Wohlgefallen an dem 25jährigen Gelehrten, daß er ihn 1647 zum außerordentlichen Professor der Theologie an der Königsberger Universität ernannte. Damit trat er in eine für ihn bedenkliche Nebenbuhlerschaft mit dem Haupte der streng lutherischen Partei in Königsberg, dem Prof. ord. Myslenta. Es fehlte nicht an Gelegenheit zum offenen Ausbruch des Streites. L. ward in Vorschlag gebracht, Caplan oder Diakonus an der Altstädtischen Kirche zu werden. Myslenta sah darin einen neuen Versuch, wie die ihm verhaßten Synkretisten sich in alle Aemter eindrängen wollten und suchte die von der Gemeinde zu vollziehende Wahl auf alle Weise zu hintertreiben. Dies gelang ihm auch. Er benutzte eine vor Kurzem 1646 gehaltene Disputation des L. de aeterna dei praedestinatione, die anfangs ohne Anstoß zu erregen vorgegangen war, um darin schwere Irrlehren nachzuweisen und die Gemeinde vor ihm zu warnen. Auf Myslenta’s Veranlassung wendeten sich sämmtliche Geistliche der drei verbundenen Städte (Altstadt, Löbenicht und Kneiphof) mit Klagen an die Obrigkeit über diesen Irrlehrer. Obwohl nun trotzdem L. gewählt wurde, so zog er es doch vor, von der Bewerbung zurückzutreten; er ward dafür vom Kurfürsten mit Verleihung der zweiten Schloßpredigerstelle entschädigt. Inzwischen ruhte Myslenta nicht, die Anklagen gegen L. und die ganze Helmstädtsche Schule zu einer Angelegenheit der ganzen lutherischen Kirche zu machen. Es war der litterarische Streit zwischen Calixt und seinem lutherischen Gegner zu einer solchen Höhe gediehen, daß man gern [13] die Gelegenheit wahrnahm, an einem seiner Hauptschüler ein Exempel zu statuiren. Die fragliche Disputationsschrift De praedestinatione ward an die meisten auswärtigen theologischen Fakultäten zur Censur geschickt. Die Wittenberger, die als die getreuesten Vertreter der lutherischen Orthodoxie galten, sprachen sich sofort entschieden gegen L. als gefährlichen Irrlehrer aus, einige andere stimmten bei, doch fanden sich andere gegentheilige Stimmen. Es kam darüber zu einer scharfen Fehde zwischen Helmstädt und Königsberg, in die auch Calixt hineingezogen wurde. Ein sachliches Interesse ist diesen Streitschriften nicht beizumessen; es war viel zu viel persönliche Animosität und zelotischer Eifer darin. L. ließ es an heftigen Schmähschriften gegen seine Gegner, besonders Myslenta nicht fehlen, wie denn dieser und seine Parteigenossen ihn darin noch übertrafen. Der Streit verlief, als die persönlichen Vertreter vom Schauplatz abtraten. Myslenta starb 1653 und L. entzog sich weiteren Anfeindungen dadurch, daß er schon ein Jahr vorher einem Rufe als Generalsuperintendent nach Derenburg im Halberstädt’schen Gebiete folgte. Von nun verschwindet seine Bedeutung für die Geschichte. Sein Ausgang war für ihn und seine Partei wenig rühmlich. Er wurde nicht lange nach seiner Anstellung in Derenburg ob castitatis violationem ab isto munere remotus. Er ging nach Oesterreich und wurde dort Feldprediger. Als solcher ist er 1662 daselbst gestorben. Selbst seine Parteigenossen, die Helmstädter urtheilen nicht günstig über seinen Charakter. Calixt verwahrt sich entschieden dagegen, daß er ihn jemals empfohlen habe und sein Lehrer Hornejus in Helmstädt soll von ihm gesagt haben, es werde nichts gutes aus ihm werden. Ein anderer nennt ihn vir forma quam mente melior. Doch fehlen auch anerkennende Urtheile nicht. Der Freund Calixt’s, der Statthalter Zach. Prüschenk von Lindenhoven nennt ihn einen virum doctum, pium et in mitigando religionis odio cordatum pariter ac moderatum, fidei denique fundamentalium assertorem maxime strenuum.

Vgl. Hartknoch, Preuß. Kirchenhistoria S. 604. Walch, Rel. Streitigkeiten der luth. Kirche IV, S. 673. Arnold, Historie der Königsbergischen Universität II, S. 203. Henke, Georg Calixt und seine Zeit II, 2. S. 114, 128 ff. – Ein Theil der Latermannischen Streitschriften findet sich auf der Königsberger Bibliothek. Arnold, Kirchengeschichte des Königreichs Preußen, 1769. S. 511.