ADB:Limberg, Anton Bernhard

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Artikel „Limberg, Anton Bernhard“ von Anton Lutterbeck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 651–654, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Limberg,_Anton_Bernhard&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 13:46 Uhr UTC)
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Band 18 (1883), S. 651–654 (Quelle).
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Limberg: Anton Bernhard L., Philolog und Sprachforscher (geb. am 18. Febr. 1798 zu Delbrück im Paderbornschen, † am 23. Mai 1857 im Bade Oeynhausen), hat zwar außer einigen Schulprogrammen nichts geschrieben, sondern seine Gedanken nur mündlich in der Schule und im Gespräche mit Freunden entwickelt; sie zeigen sich aber in diesen Darstellungen durch andere, die später veröffentlicht sind, so [652] eigenthümlich, anregend und tiefsinnig, daß sie in dem Kreise der Untersuchungen die sie betreffen, eine eingehendere Beachtung gar wohl verdient haben. – Der Lebenslauf Limberg’s war ein sehr einfacher. Seine erste Bildung erhielt er in einer Landschule seines Geburtsortes und entschloß sich dann zu studiren, besuchte das Progymnasium zu Rietberg und das Gymnasium zu Paderborn und trat darauf in das theologische Seminar ebendaselbst, blieb aber in demselben nur ein halbes Jahr, weil er erkannte, daß er keinen Beruf zu einem Geistlichen hatte. Dieses regte ihn indessen so auf, daß er darüber von einer Gemüthskrankheit befallen wurde. Hiervon wieder genesen, begab er sich auf die Akademie zu Münster und versuchte sich in dem Studium der Medicin, sowie darauf in dem der Botanik und anderer Naturwissenschaften, bis er endlich in dem der Philologie seine wahre Lebensaufgabe fand. Dieser widmete er sich mehrere Jahre zu Münster und zu Bonn, worauf er mit gutem Erfolge sein Oberlehrerexamen machte und dann von der Regierung ein Stipendium erhielt, um noch ein Jahr in Berlin studiren zu können. Auch dieses Jahr wurde fleißig zugebracht, und den Schluß machte eine große Fußreise nach Italien, die ihn vom 4. August bis zum 10. Novbr. 1826 nach Rom und Neapel brachte. Nach seiner Rückkehr wurde er zu Münster als Gymnasiallehrer angestellt, was er vom Herbst 1826 bis zum J. 1857, seinem Todesjahr, blieb. Im Anfange dieser Zeit und während der zwei letzten Jahre seines Lebens verfiel er wieder der Gemüthskrankheit, an der er schon früher gelitten hatte; während der ganzen Zwischenzeit aber verwaltete er sein Amt mit der größten Treue und dem besten Erfolge, sodaß er überall die höchste Hochachtung und Verehrung sich erwarb. Im J. 1832 trat er in Verbindung mit dem Professor Schlüter, so daß sie wöchentlich ein- oder zweimal gemeinsame Spaziergänge verabredeten. Dieselben setzten sich viele Jahre hindurch fort, bis zum J. 1854, in welchem L. erkrankte. Die Unterredungen, welche auf ihnen L. mit Schlüter hatte, machten schon gleich anfangs auf letzteren einen solchen Eindruck, daß er sich entschloß, sie unmittelbar nachher möglichst wörtlich aufzuschreiben, um sie genauer behalten und seinen nächsten Freunden mittheilen zu können. Erst einige Jahre nach dem Tode Limberg’s (1861) wurde der Entschluß gefaßt, eine Auswahl aus denselben zu veröffentlichen. Dabei erhielt der Stoff jetzt folgende Abtheilungen: „Selbstbekenntnisse und Erinnerungen aus dem Leben“ – „Sprache“ – „Die Wege der Erkenntniß“ – „Gott und die Religion“ – „Die Schöpfung und ihre Werknisse“ – „Menschen- und Seelenbund“ – „Die Geschichte“ – „Sitten, Erziehung, Staat“ – „Das Schöne“ – „Charakteristiken und Kritiken“. Fr. Michelis entwickelte aus dem, was er bei L. über die Grammatik gehört hatte, eine Philosophie der Sprache, die er in seiner Philosophie Platons (Münster 1859) mittheilte. Auch wir sehen seine Mittheilungen über die Sprache als das wichtigste an. – L. hatte sich mit der Sprachkunde umfassend bekannt gemacht und sein Amt selbst führte ihn dazu. Er verstand sehr genau das Griechische und seine Erklärungen des Homer führten tief in das Verständniß desselben. Ebenso war ihm das Lateinische sehr gründlich bekannt. Nicht minder hatte ihn das Hebräische vielfach beschäftigt. Das Altdeutsche, namentlich das Gothische und den Heliand, hatte er wissenschaftlich studirt. Auch das Indische kannte er sehr genau. Ferner hatte er das Chinesische, das Türkische, das Russische und das Polnische und ebenso das Französische, das Italienische und das Spanische vielfach zum Gegenstande eingehender Studien gemacht. Die Schriften von Wilhelm v. Humboldt, J. Grimm, Diez, Alexander v. Humboldt u. A. hatte er mit besonderem Interesse gelesen; alles was über Sprachwissenschaft in seiner Zeit geschrieben war, hatte er kennen gelernt; Männer, wie Wüllner, Köne, Kalthoff, waren seine vertrautesten Freunde, einer seiner Hauptlehrer [653] war Boeckh gewesen. – Unter Philologie verstand er vornehmlich Sprachwissenschaft, sowie Geschichte der Völker, die das Höchste in der Sprache geleistet hatten. Philologie war ihm die Wissenschaft des λόγος, worauf es ihm am meisten ankam. In der Sprachwissenschaft aber, die ihm vorschwebte, war es ihm um die Sprache aller Völker, um die Sprache der ganzen Menschheit zu thun. Er begrüßte darum auch die zu seiner Zeit erst auftretende Sprachvergleichung mit besonderer Freude und hoffte von ihr mit der Zeit die größten Erfolge. Als den Hauptgrundsatz, von dem er ausging, stellte er auf, daß der göttliche λόγος (im johanneischen Sinne) der Urheber aller Sprachen sei, daß von ihm bei der Erschaffung des Menschen alle Keime der Sprache in die Seele des Menschen gelegt seien und daß unter seiner Leitung alle Entwickelung der Sprache unter allen Völkern stehe, von ihm alle Regelmäßigkeit derselben herrühre, von dem Fall des Menschen aber alle Unregelmäßigkeit, alles Verderbniß der Sprache ausgehe. Er betrachtet daher auch die Sprache in ihren regelmäßigen Bildungen – solche aber lassen sich in allen Sprachen noch wiederfinden, sowie von dem unregelmäßigen noch ausscheiden – mit einer religiösen Ehrfurcht. Davon ist unabhängig, daß es verschiedene Stufen gibt, von denen auch die unterste noch ihr göttliches Siegel trägt, während auch die höchste sich nicht von aller Verderbniß rein bewahrt hat. Solcher Stufen sind vier zu unterscheiden: 1) die Sprache der Malaien, der Papuas, der Kanaken u. a., die allerdings an der äußersten Grenze der Menschlichkeit steht; 2) die Sprache der Tartaren, die schon höher steht, aber noch sehr weit hinter den anderen zurück ist; 3) die Sprache der Hebräer, die viel vollkommener ist und durch die strenge Zucht des Gedankens, die oft in ihr herrscht, einen großartigen Eindruck machen kann. (Vor der Meinung aber, daß sie die Ursprache sei, läßt sich nicht genug warnen. Was die Ursprache gewesen sei, davon wissen wir nichts, weil wir den ursprünglichen Organismus des Menschen nicht mehr kennen und nicht einmal wissen, ob damals die Menschen auch nur einen Kehlkopf gehabt haben.) An innerer Vollkommenheit steht sie weit hinter anderen Sprachen zurück; 4) die vollkommenste aller Sprachen ist die griechische gewesen, besonders die älteste, was den Reichthum der Formen, die Kunst der Satzbildung, den Wohllaut etc. betrifft. Ihr zunächst steht die deutsche und zwar ebenfalls die älteste, wogegen in der späteren Zeit viele Mißbildungen eingetreten sind. Weit tiefer steht die lateinische Sprache und nicht minder auch die indische und ebenso die Mischsprachen. In Betreff der afrikanischen Sprachen findet sich kein Ausspruch vor, aber sie werden ohne Zweifel auch zur ersten Stufe gezählt. – Was den inneren Bau betrifft, so hält sich alles hierüber gesagte ausschließlich an die vierte Stufe. Das älteste sind in der Sprache die Hauche, daran sich zunächst die Vocale a, e, o neben i und u anschließen. Diesen folgen die Aspiraten und die übrigen Mutae und zuletzt die Liquidae. Unter den Worten sind vor allen wichtig die Pronomina der ersten und zweiten Person, die noch kein Geschlecht haben; das Pronomen der dritten Person, welches die drei Geschlechter unterscheidet, ist schon kein eigentliches Pronomen mehr. Bei den Nomina sind die Geschlechter in den einzelnen Sprachen oft verschieden; aber diese Verschiedenheit hat gewöhnlich einen besonderen Grund. Ueber die Casus der Nomina wird mehrerlei bemerkt, noch weit mehr über die tempora und modi des Verbums; ferner über Zahlwörter, Adjectiva, Adverbien, Präpositionen; über das Verhältniß von Auftrag, Brief, Erzählung, Rath und Lehre, über Metrum und Reim, über Prosa und Poesie etc. Die meisten dieser Bemerkungen sind geistvoll und eigenthümlich, manches auch bekannt, einiges aber fast unverständlich, weil es abgebrochen ist oder weil es Gedankenkreisen angehört, die man nicht alle übersieht. Die Ordnung, in der [654] das Einzelne abgehandelt wird, ist meistens ganz zufällig, wie sich aus der Entstehung des Buches von selbst erklärt, aber das ganze ist höchst dankenswerth. An Philosophie ist eigentlich nicht zu denken, obwol der Verfasser seine Thätigkeit als eine philosophische bezeichnet. Michelis hat daraus eine Sprachphilosophie gebildet, der allerdings die Gedanken Limberg’s theilweise zu Grunde liegen, deren Zusammenhang im ganzen aber L. völlig fremd ist.

Vgl. Gedanken und Aussprüche A. B. Limberg’s, mit einem Vorwort von Chr. Schlüter und einem Lebensabriß von Fr. Michelis, Münster 1861. – Raßmann, Nachr. von Münsterl. Schriftst., S. 200.