ADB:Müller, Thaddäus

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Artikel „Müller, Thaddäus“ von Placid Meyer von Schauensee in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 675–677, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_Thadd%C3%A4us&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 23:49 Uhr UTC)
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Müller: Thaddäus M., geb. den 2. October 1763, † den 10. April 1826, einer der bedeutendsten Vertreter der Wessenbergischen Richtung, deren Ideal das geistliche Wirken für die Zwecke der Volksaufklärung war. Er wurde in Luzern geboren als der Sohn eines Schiffmachers, der von Weggis hiehergezogen. Den ersten Unterricht erhielt er in der Stiftsschule zu Luzern, von wo er dann später auf das städtische Gymnasium kam. Hier genoß er den Unterricht vorzüglicher Lehrer, des geistvollen Franz Regis Krauer und des durch mehrere gelungene dramatische Werke bekannten Josef Ignaz Zimmermann. Bestimmend für seine geistige Richtung ist eine Hauslehrerstelle, die er in der Familie Keller als Lehrer des nachmaligen Schultheißen Xaver Keller (s. d.) erhielt, geworden. M. widmete sich nach Absolvirung seiner Gymnasialstudien dem geistlichen Stande und wurde Pfarrhelfer, und nach dem 1796 erfolgten Tode Aloys Keller’s zum Stadtpfarrer erwählt. Als im J. 1798 bei Anlaß der Leistung des Bürgereides auf die helvetische Centralverfassung Unruhen im Kanton Luzern zu entstehen drohten und der damalige bischöfliche Commissar Karl Krauer schon vor allen unruhigen Auftritten eine Belehrung an das Volk richtete, in welcher er erklärte, daß ohne Verletzung des Gewissens der Bürgereid abgelegt werden könne, da die Verfassung nichts enthalte, was der Religion zuwider sei, sondern dieselbe vielmehr schütze, wurde Krauer in seinen Bestrebungen zur Erhaltung von Ruhe und Ordnung von Stadtpfarrer M. in einem besondern „Zurufe an das katholische Volk“ unterstützt und es hielt M. bei der zu Luzern am 10. Januar 1799 stattgefundenen festlichen Einsetzung des helvetischen Erziehungsrathes, dessen Mitglied er geworden, einen ausführlichen Vortrag über den Einfluß der Vereinigung Helvetiens auf die Verbreitung durchgängig gleichförmiger Aufklärung. In einer 1799 bei Anich in Luzern erschienenen Schrift: „Soll man die Pfarrwahlen den Gemeinden überlassen?“ entwickelte M. seine Ansichten über Religion und Volksbildung. Er verlangt weitgehende Reformen sowohl bezüglich des katholischen Cultus, als auch zum Zwecke des öffentlichen Unterrichts. M. bedauert in dieser Schrift, wenn man der religiösen Aufklärung, die doch innerhalb der Schranken des reinen Kirchenglaubens bleiben würde, den Weg gänzlich abschneide. Es sei unbegreiflich, auf der einen Seite den Fanatismus und die Dummheit der katholischen Priester und des katholischen Volkes immerfort anklagen zu hören und auf der andern Seite mit Grund besorgen zu müssen, daß Verfügungen getroffen werden, die das Reich des Fanatismus aufs neue befestigen könnten. M., der in seinen Reden und Schriften oft Worte Kant’s anführt, erblickt in der christlichen Religion ohne Unterschied des Bekenntnisses die moralische Religion vernünftiger Wesen. Durch dreijährige Nichtbezahlung des Zehntens und durch Nichtvollziehung des Gesetzes, welches dessen Bezug für das J. 1801 befahl, war indeß die luzernische Geistlichkeit in eine höchst bedrängte und dürftige Lage gerathen, und es kämpfte nun M., der 1798 vom Bischof von Konstanz zum bischöflichen Commissar für die Kantone Luzern und Unterwalden ernannt worden, für die Versorgung der katholischen Geistlichen sowohl in einer Schrift: „von den Ansprüchen der Pfarrer auf den Zehnten“ als in einer an den gesetzgebenden Rath eingegebenen Vorstellungsschrift. M. war dann wieder ganz besonders thätig bei Abschließung des Wessenbergischen Concordats mit der Luzerner Mediationsregierung vom J. 1806. Haben auch später die Bestimmungen dieses Concordats vom katholisch-theologischen Standpunct aus eine sehr ungünstige Beurtheilung erfahren, und hat man darin oft eine Ueberlieferung an das Staatskirchenthum und den Febronianismus erblicken wollen, der unparteiische Geschichtsschreiber wird gleichwohl zugestehen müssen, daß dieses Concordat in mannigfacher Beziehung einen wesentlichen Fortschritt begründete, und bis auf den [676] heutigen Tag die Basis des Luzernerischen Staatskirchenrechts geblieben ist. Da in Folge dieser Uebereinkunft in geistlichen Dingen ein Priesterseminar errichtet werden sollte, beabsichtigte die Regierung von Luzern hiefür das in einiger Entfernung von Luzern, mitten zwischen mehreren volkreichen Pfarreien gelegene Kloster Werthenstein, das unverkennbare Vortheile darbot, zu verwenden. Allein Rom versagte sowohl die Aufhebung dieses Klosters, als desjenigen von Rathhausen und die Umbildung des Frauenklosters im Bruch in ein Spital, mittels eines Breve, in welchem in einem wenig geziemenden Tone als bloße Neuerung das betitelt wurde, was lediglich das nothwendige Resultat der gänzlichen Erschöpfung der öffentlichen Hülfsquellen und der Privatkräfte war. Das Seminar mußte nun in das ehemalige Ursulinerkloster in Luzern verlegt werden und M. übernahm, obwol mit zahlreichen Geschäften überladen, die Leitung der Anstalt, und hielt die Vorlesungen über Pastoraltheologie. Später wurde auf seine Verwendung hin der als Exeget und Orientalist bekannte Anton Dereser, gewesener Professor an den Universitäten Heidelberg und Freiburg, als Regens des Seminariums nach Luzern und auf den neuerrichteten Lehrstuhl der biblischen Grundsprachen am Lyceum berufen. Dereser mußte jedoch schon 1814 der vielfach gegen ihn erhobenen Opposition weichen. Seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts schied sich überhaupt in Luzern der Diöcesanclerus scharf in zwei Parteien, die eine, an deren Spitze die Professoren Gügler und Widmer standen, lehnten sich an den päpstlichen Nuntius an, während die andere, als deren Haupt M. galt, treu zu Wessenberg hielt. Gleich M. traten Gügler und Widmer einem veralteten Scholasticismus entgegen. Während aber diese die Theologie speculativ vertiefen wollten und sich vielfach mit den Mystikern berührten, huldigte jener mehr einer rationalistischen Richtung, welche das Hauptgewicht auf werkthätiges Christenthum und Arbeit für die Zwecke der Volksaufklärung legte. Als bischöflicher Commissarius stand M. in speciell amtlichen Beziehungen zu den Professoren der Theologie und es trat in seinen Vorlesungen am Priesterseminar der Gegensatz zur Lehrweise Gügler’s immer deutlicher hervor. Als sodann Gügler (Anno 1809) eine seiner in der Luzerner Stiftskirche gehaltenen Predigten, mit einem verwahrenden Vor- und Nachwort im Druck erscheinen ließ und M. dies als eine gegen ihn gerichtete Demonstration auffaßte, entstand zwischen den beiden Männern ein offener Conflict, der dadurch noch verschärft wurde, daß Gügler im nächstfolgenden Jahre in der „Oberdeutschen Litteraturzeitung“ Müller’s Schriften recensirte. M. beschwerte sich in einer Gegenrecension, die er mit den Zeugnissen Dalberg’s und Wessenberg’s für seine kirchliche Orthodoxie belegte, über Entstellung, Verdächtigung und Verdrehung und beantragte die Amtsentsetzung seines Gegners, die dann vom kleinen Rath auch verfügt, später aber wieder zurückgenommen wurde. In dieser ganzen litterarischen Fehde sind unzweifelhaft die Schriften Müller’s vielmehr als die seines Gegners im Tone ruhiger Mäßigung gehalten. Als aber nach dem Sturze Napoleon’s durch ein päpstliches Breve unterm 7. October 1814 die Trennung der Diöcese Konstanz ausgesprochen und am letzten Tage des gleichen Jahres durch die Nuntiatur vollzogen wurde, entzog der neue apostolische Generalvicar Göldlin M. das Commissariat, welches er selbst zu verwalten übernahm. – Mögen auch die theologischen Schriften Müller’s wissenschaftlicher Tiefe und kritischen Scharfsinnes entbehren, die practische Thätigkeit Müller’s war eine gesegnete, die bleibende Spuren hinterlassen hat. Sein Wirken für die Erziehung der Jugend, sowohl in Schule als Familie, lebt jetzt noch in Vieler Andenken fort und auch manche gegenwärtig noch bestehende gemeinnützige Anstalt Luzerns verdankt ihren Ursprung M. oder seinem Schüler Keller. Als Vertrauter Freund Hirzel’s gehörte M. der schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft seit ihrem Entstehen als [677] Mitglied an und bekleidete im J. 1825 auf der Jahresversammlung in Luzern die Stelle eines Vicepräsidenten. M. galt als ein trefflicher Kanzelredner, sein Vortrag war logisch und wohlgeordnet, verbunden mit großer Leichtigkeit des Ausdrucks, im übrigen zeichnete er sich in seiner Stellung als Stadtpfarrer durch seltene Berufstreue und edle Uneigennützigkeit aus. M. ist als Opfer seiner angestrengten, weitverzweigten Thätigkeit in nicht sehr hohem Alter gestorben.

Vgl. Nekrolog von Thaddäus Müller, Stadtpfarrer und Chorherrn in Luzern, gelesen in der helvetischen Gesellschaft zu Langenthal, den 26. April 1826, von Staatsrath Ed. Pfyffer von Luzern, Zürich 1826, ferner Trauerrede auf den seligen Hintritt des hochwürdigen Herrn Thaddäus Müller, Chorherrn und Stadtpfarrer in Luzern, gehalten in der Stiftskirche, den 4. Sonntag nach Ostern, von P. Anton Walker, Prediger zu Barfüssern, Luzern 1826, kleine gesammelte Schriften von Dr. Paul Usteri, Aarau, 1832, Seite 338 u. ff.; Werner, Geschichte der kath. Theologie, München 1866, S. 363; Dr. Kasimir Pfyffer, Geschichte des Kantons Luzern, Zürich 1852, 2. Band; E. Herzog, Ueber Religionsfreiheit in der helvet. Republik, Bern 1884.