ADB:Müller von Friedberg, Karl Freiherr

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Artikel „Müller von Friedberg, Karl“ von Johannes Dierauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 694–698, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller_von_Friedberg,_Karl_Freiherr&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 01:21 Uhr UTC)
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Müller von Friedberg: Karl Franz Alois Matthias M. (Müller-Friedberg), hervorragender schweizerischer Staatsmann, geb. den 24. Febr. 1755 in Näfels, † den 22. Juli 1836 in Constanz. Er entstammte einer angesehenen katholischen Glarner Familie, die sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen läßt, aber keineswegs, wie durch willkürliche Combinationen im vorigen Jahrhundert nachgewiesen werden wollte, in verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem schon im Anfange des 15. Jahrhunderts ausgestorbenen alten Züricher Geschlechte der Müller oder Mülner stand, denen zeitweise die Burg Friedberg bei Meilen angehörte. Sein Vater Franz Joseph M. (1725–1803), ursprünglich Arzt und Glarner Landesbeamter, trat um 1760 in die Dienste des Fürstabtes von St. Gallen, stieg zum Landshofmeister und fürstlichen Conferenzminister empor, erwarb das St. Gallische adelige Landrecht mit dem Prädicat „von Friedberg“ und wurde 1791 durch Kaiser Leopold II. in den Reichsfreiherrenstand erhoben, der auch auf die Söhne überging. Seine Mutter war eine Schwester des Generals Niklaus Franz Bachmann (s. d. Art.). Gebildet auf dem Gymnasium in Luzern, auf der Akademie zu Besançon und an der juristischen Facultät der Salzburger Hochschule trachtete Müller-Friedberg – so schrieb er in der Regel seinen Namen vom J. 1798 an – ebenfalls im St. Gallischen Staatsdienste emporzukommen, wurde von dem wohlwollenden Abte Beda gefördert und verwaltete nach einander das Amt Oberberg oder Goßau (1783–1792) und die Grafschaft Toggenburg (1792–1798). In seiner Amtsführung bemühte er sich mit Erfolg, den Untergebenen die Wolthat eines zugleich streng geordneten und redlich fürsorgenden Regimentes fühlbar zu machen. Daneben nahm er lebendigen Antheil an den geistigen Strömungen seiner Zeit. Er machte sich mit den englischen und französischen Aufklärern vertraut und studirte auch die Hervorbringungen deutscher Litteratur. Er selbst schrieb eine Reihe dramatischer Versuche in deutscher und französischer Sprache, die zwar nicht immer einen geläuterten Geschmack, auf alle Fälle aber ein bedeutendes Formtalent verrathen, so „Das gerettete Helvetien oder Orgetorix“ (St. Gallen 1779, in neuer Bearbeitung 1803), „Morgarten oder der erste Sieg für die Freiheit“ (Schaffhausen 1781), „La prise de Sainte-Lucie“ (Lausanne 1781) und „La fille de seize ans“ (Neuchatel 1785). Dann wandte er sich ernsteren Arbeiten zu. Im Jahre 1790 erschien seine schon früher ausgearbeitete „Philosophie der Staatswissenschaft in Grundsätzen zur gesellschaftlichen Glückseligkeit“, ein Buch, in welchem er gegenüber einem ungeordneten Freiheitsdrang und einer drohenden furchtbaren Anarchie in allen staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen auf die „stille Vernunft“ als die echte Grundlage [695] des Bürgerglückes hinwies. 1789 veröffentlichte er das historisch-politische Exposé „Ueber der Eidgenossen Staatsinteresse in Absicht auf das Fürstenthum Neuenburg und Vallendis“, im gleichen Jahre die bemerkenswerthe politische Broschüre „Hall eines Eidgenossen“, in der er unter anderm die Abschaffung der Gesandtschaftsinstructionen für die Tagsatzung, die Aufstellung eines alle Glieder der Eidgenossenschaft gleichmäßig umfassenden Bundes und die einheitliche Regulirung des Defensionalsystems verlangte. Es waren Forderungen, die die einsichtigsten Schweizer mit lauter Zustimmung begrüßten, für deren Durchführung der Boden aber noch nicht geebnet war. In der Flugschrift „Réflexions d’un démocrate de l’Helvétie sur la France et ses liaisons avec la république des Suisses“ (Winterthur 1792, anonym) erhob er noch einmal seine Stimme, um die Schweizer vor dem falschen Glanze des französischen Freiheitsideals zu warnen und ihnen eine feste, würdevolle Haltung gegenüber Frankreich zu empfehlen. Während seiner Verwaltung im Toggenburg, über welche seine Briefe an seine Freunde David v. Wyß in Zürich (den späteren Bürgermeister) und den Geschichtsschreiber Johannes v. Müller Aufschluß geben (letztere gedruckt im 5. Bande der von Maurer-Constant herausgegebenen Sammlung, Schaffhausen 1840), nahte die Revolution. Mit großem Geschick wußte er sich in den zunehmenden Schwierigkeiten zurecht zu finden. Indem er einerseits den unabwendbaren Forderungen einer neuen Zeit sich nicht verschloß und schroffe, aufreizende Schritte der äbtischen Regierung zu verhindern suchte, wirkte er anderseits auf den St. Gallischen Volksmann Johannes Küenzle in beschwichtigendem Sinne ein und verstand er es Jahre lang mit der ihm eigenen Geschmeidigkeit und geistigen Ueberlegenheit auch das leicht erregbare Toggenburgische Volk auf der Bahn der Mäßigung und des gesetzlichen Vorgehens zu erhalten. Indessen wuchs die Mißstimmung nach dem Regierungsantritte des Abtes Pankraz Vorster (1. Juni 1796), und zu Anfang des J. 1798 vermochte er den rings um ihn herum ausbrechenden Revolutionssturm nicht mehr zu fesseln. Um ernsteren Ereignissen vorzubeugen, übergab er am 1. Februar in würdiger Form, freilich ohne ausdrückliche Zustimmung des Abtes, der gegen jede Schmälerung der überlieferten Rechte seines Stiftes protestirte, die Verwaltung der Grafschaft Toggenburg an den bestehenden Landrath, nahm in eindrucksvoller Rede Abschied vom Volke und zog sich mit seiner Familie nach Näfels zurück. – Längere Zeit verhielt er sich völlig ablehnend gegenüber der im April 1798 eingeführten helvetischen Republik, die in ihrer entlehnten theoretischen Schablone den elementaren Forderungen politischer Weisheit, der natürlichen, verständigen Weiterbildung gegebener Verhältnisse in schroffster Weise widersprach. Als sie aber doch längeren Bestand zu gewinnen schien, folgte er, nachdem er in den J. 1798 und 1799 den adeligen Stiftsdamen in Schännis als erbetener Protector wesentliche Beihülfe gegenüber den Zudringlichkeiten helvetischer Behörden und fremder Truppen geleistet hatte, zu Anfang des J. 1800 einem Rufe des Vollziehungsdirectoriums als Chef der Domänendivision beim helvetischen Finanzministerium in Bern. Hier, am Sitze einer größeren, centralen Verwaltung, neigte er sich allmälig der unitarischen Parteirichtung zu, die er in seinem „Précis historique sur l’exécution du traité de Lunéville“ (1802) in sehr entschiedener Weise vertheidigte. Seine Geschäftskunde und nie versagende Arbeitskraft verschafften ihm bald Ansehen in den helvetischen Regierungskreisen. Im J. 1802 wurde ihm provisorisch das Staatssecretariat übertragen; nach der Einführung der letzten unitarischen Verfassung vom 20. Mai jenes Jahres, an deren Zustandekommen er einen wesentlichen Antheil hatte, trat er in den helvetischen Staat. Zwischen hinein übernahm er verschiedene diplomatische Missionen, so in das Wallis (August und September 1802), wo es ihm gelang, die selbständige Organisirung dieser nach dem Willen des Ersten Consuls von der [696] Schweiz abgelösten Republik und die Einsetzung der neuen Regierung im Gegensatz gegen die hemmenden Intriguen des französischen Generals Turreau mit rascher Entschlossenheit durchzuführen. Die von den Waldstätten ausgehende demokratisch-föderalistische Gegenrevolution nöthigte auch ihn zur Flucht von Bern nach Lausanne; er war hier Zeuge der gebieterischen Ankündigung französischer Intervention. Anfangs December finden wir ihn als einen der drei Abgeordneten des Senats (neben dem Waadtländer Pidou und dem Luzerner Rüttimann) bei der helvetischen Consulta in Paris. Der gemäßigte unitarische Verfassungsentwurf, den er hier ausarbeitete, fand bei den föderalistischen Neigungen des Ersten Consuls keine Gnade. Dagegen nahm er eben in Paris die Gelegenheit wahr, sich den Boden für seine spätere Wirksamkeit vorzubereiten. Unter Zuthun einflußreicher Freunde (der französische Senator Demeunier war einst in Besançon sein Lehrer gewesen) wurde er an die Spitze der provisorischen Regierungscommission gestellt, die den durch die Mediationsacte vom 19. Febr. 1803 neu geschaffenen Kanton St. Gallen ins Leben führen sollte. – So kam er im März d. J. wieder nach St. Gallen, auf einen ihm wohlbekannten, wenn auch politisch völlig veränderten Boden. Sofort traf er alle einleitenden Maßregeln zur Organisirung des Kantons und wurde am 15. April zum ersten Mitgliede und Präsidenten der definitiven neuen Regierung gewählt. 28 Jahre lang, durch die Mediations- und Restaurationzeit hindurch, war er nun der eigentliche Lenker des St. Gallischen Staatswesens, das geistige Haupt der Regierung, alle andern Mitglieder des Collegiums überragend durch allgemeine Bildung, praktische Erfahrung und staatsmännisches Talent. Vom J. 1815 an, in der zweiten Verfassungsperiode, führte er den Titel eines „Landammanns“ und präsidirte als solcher jedes zweite Jahr, abwechselnd mit einem Landammann reformirter Confession, die vollziehende und die gesetzgebende Behörde. Mit überraschender Sicherheit wußte er den aus heterogenen Bestandtheilen willkürlich zusammengesetzten neuen Kanton zu einem einheitlichen Ganzen zu gestalten und ihn gegen alle von außen drohenden Gefahren zu schützen. Ohne Rückgedanken an die entschwundene Helvetik anerkannte er die durch die Mediationsacte gegebenen verständigen Grundlagen des Föderativstaates und verfocht mit beinahe leidenschaftlicher Entschiedenheit die Integrität und Souveränetät seines Kantons sowohl in den ersten Jahren seines Bestehens als in der schwierigen Uebergangszeit von 1813 bis 1815. Vor allem bekämpfte er die Tendenzen des Abtes Pankraz, der die während der Helvetik verwirkte Aufhebung des Klosters nicht anerkannte und mit der zähesten Ausdauer die Wiederherstellung seines Stiftes und seine persönliche Wiedereinsetzung in die verlorene Stellung betrieb. M.-Fr., von dem unstreitig richtigen Gedanken geleitet, daß durch das erneuerte Dasein des ehemals so mächtigen und einflußreichen Klosters die ruhige Entwicklung des auch confessionell bunt zusammengewürfelten Staates gefährdet würde – eine Ansicht, die selbst der eine und andere Conventuale, wie der geschichtskundige P. Ildefons von Arx theilte (s. Bd. I, 615) – war entschlossen, das Kloster und den wegen seiner starren Unnachgiebigkeit ihm persönlich widerwärtigen Abt nicht wieder aufkommen zu lassen. Zwei Jahre lang führte er das diplomatische Gefecht durch alle Instanzen, im Kanton, auf der schweizerischen Tagsatzung, in Rom und Paris, und erreichte endlich, daß Napoleon, der alles Entscheidende, trotz der rührigsten Gegenwirkungen von Seite der römischen Curie und äbtischer Agenten in seine Gesichtspunkte einging und im Frühjahr 1805 die Zustimmung zur Liquidation des Stiftsvermögens zu erkennen gab. Am 8. Mai genehmigte der Große Rath in St. Gallen den entscheidenden Gesetzesvorschlag, der, unter Voraussetzung bereits vollzogener Aufhebung des Klosters, die endgültigen Verfügungen über seine Hinterlassenschaft enthielt und den Untergang der altberühmten [697] Abtei besiegelte. Noch während des Kampfes war es M.-Fr. gelungen, die in der Revolutionszeit nach Vorarlberg, Baiern und Tirol verschleppte Bibliothek des Klosters mit ihren unschätzbaren Manuscripten, sammt dem Stiftsarchiv, für St. Gallen wieder zu gewinnen. Einen Theil des Klostervermögens ließ er im J. 1809, nachdem sein Lieblingsgedanke der Errichtung einer gemeinsamen höheren Lehranstalt an religiösen und finanziellen Aengstlichkeiten gescheitert war, zur Gründung einer katholischen Kantonsschule, die rasch zu erfreulicher Entwicklung kam, verwenden. Noch einmal lebten die Hoffnungen des Abtes auf, als mit dem Ausgang der napoleonischen Gewaltherrschaft alle Errungenschaften der Mediationsverfassung auch im Kanton St. Gallen in Frage kamen. Aber als er im Frühjahre 1814 in Zürich erschien, um persönlich die Restauration des Klosters mit allen früher ausgeübten geistlichen und weltlichen Rechten zu betreiben, stand M.-Fr. wiederum kampfbereit auf der Warte, um jeden Angriff seines Gegners abzuwehren. Auf seinen Wunsch erklärten die in Zürich anwesenden Gesandten der alliirten Mächte Oesterreich und Rußland (Schraut und Capodistria), daß von der Rückkehr des Abtes keine Rede sein könne, und dieser Erklärung gemäß anerkannte auch der Wiener Congreß in präciser Form die Aufhebung des Stiftes, wobei der Kanton nur zur Ausrichtung eines Jahrgehaltes an den Abt († 1829 in Muri) und an seine Beamten verpflichtet wurde. Durch eine Bulle vom 2. Juli 1823 erklärte selbst der Papst die Abtei St. Gallen als erloschen, und in der Freude über dieses Einlenken der Curie gab M.-Fr. nur allzu willig seine Zustimmung zu der nicht eben glücklichen Schöpfung des Doppelbisthums Cur-St. Gallen, das mit seinem St. Gallischen Theil gewissermaßen in das Erbe des Klosters trat. – Die Wirksamkeit Müller-Friedbergs reichte übrigens vielfach über seinen Kanton hinaus. Regelmäßig erschien er als St. Gallischer Abgeordneter auf den eidgenössischen Tagsatzungen. Er gewann hier Ansehen und Einfluß durch Beredsamkeit und parlamentarischen Tact, durch Reife des Urtheils und ausgedehnte persönliche Verbindungen. Er war der behende Wortführer der neuen Kantone, wenn es galt, ihre Interessen gegenüber den bisweilen hervortretenden Begehrlichkeiten der alten Stände zu vertheidigen. Jahrzehnte hindurch schloß er sich eng an Dr. Paul Usteri an, bis der unglückliche „Retorsionsstreit“, in welchem er für energische Repressivmaßregeln gegen die rücksichtslose Zollpolitik Frankreichs auftrat (1822), die intime Freundschaft mit dem zürcherischen Staatsmann löste. Im Frühjahr 1811 kam er als Mitdeputirter des außerordentlichen Gesandten Reinhard nach Paris, um dem Kaiser bei Anlaß der Geburt des Königs von Rom die Glückwünsche der Eidgenossenschaft darzubringen und – was sich freilich als eine trügerische Hoffnung erwies – in jener Zeit der härtesten Continentalsperre einige Handelserleichkerungen für die Schweiz zu erwirken. Vom J. 1806 an gab er den „Erzähler“ heraus, ein politisches Wochenblatt, das unter seiner umsichtigen und würdigen Redaction sich bald zu einem der geachtetesten öffentlichen Organe der Schweiz erhob. – Gegen Ende der zwanziger Jahre begann sein Ansehen im Kanton zu sinken. Er war ein im besten Sinne liberaler Staatsmann, aber seine politischen Anschauungen wurzelten in der vorrevolutionären Zeit des 18. Jahrhunderts. Bei begreiflicher Vorliebe für das durch ihn geschaffene und durch die Restaurationsverfassung des Jahres 1814 noch verschärfte Regierungssystem, das den Massen des Volkes nur einen beschränkten Antheil an der Bestimmung öffentlicher Angelegenheiten einräumte, war es ihm unmöglich, auf demokratische Strömungen einzugehen, die er als zerstörende Angriffe auf die von ihm hochgehaltene obrigkeitliche Autorität betrachtete. Aber jüngere Kräfte arbeiteten sich allmälig neben ihm empor, so Gallus Jakob Baumgartner (s. d. Art.), den er selbst mit Rath und That begünstigt hatte. Im Großen Rathe [698] stellte sich sein eigener Sohn Karl, ein gebildeter Jurist mit scharfer Feder, an die Spitze der Opposition und erreichte, daß die gesetzgebende Behörde sich von der Bevormundung des Regierungsrathes emancipirte. Nach der Julirevolutiou wuchs ihm die Bewegung, wie so manchem schweizerischen Staatsmann der alten Schule, über den Kopf. Angefacht durch Baumgartner regten sich im ganzen Kanton die während des Jahres 1814 zum Theil gewaltsam niedergehaltenen demokratischen Gelüste. Nach den gleichzeitigen Vorgängen in anderen Kantonen wurde ein Verfassungsrath aufgestellt, der zu Anfang des Jahres 1831 das Grundgesetz im Sinne der Demokratie umgestaltete. Bei der folgenden Neubestellung der Regierung wurde M.-Fr. übergangen; der 76 jährige Greis mußte den Sessel des Landammanns dem energischen Vertreter der neuen Ideen, Baumgartner, überlassen. – Hierauf entschloß sich M.-Fr. zum Wegzug von St. Gallen. Im Spätjahr 1831 siedelte er nach Constanz über, wohin sich bereits sein Sohn Karl zurückgezogen hatte, und dort warf er sich noch einmal auf litterarische Arbeit. Unterstützt von schweizerischen Gesinnungsgenossen schrieb er in den Jahren 1832–1835, bis ins höchste Alter seine geistige Frische bewahrend, 4 Bände „Schweizerische Annalen oder die Geschichte unserer Tage seit dem Julius 1830, mit Rückblicken auf frühere Perioden“ (Zürich, bei Orell Füßli u. Comp.). Es war mehr das Werk eines Publicisten, als eines strengen Historikers. Gegenüber den jüngsten Ereignissen konnte er den Groll eines zurückgesetzten Mannes nicht verwinden; es fehlte ihm jene reine Unbefangenheit, die sich über die streitenden Parteien erhebt und die Dinge in ihrer allgemeinen Verkettung und nothwendigen Entwicklung zu verstehen sucht. Aber durch alle Bitterkeit leuchtet doch die warme Liebe zu seinem Vaterlande, für dessen glückliche Gestaltung er mit seiner Feder wirken wollte, indem er frivole Umsturzversuche verurtheilte und die Segnungen einer ruhig fortschreitenden Staatsverwaltung pries. Den vierten Band der „Annalen“ schloß sein Sohn mit seinem Nekrolog. – M.-Fr. war ein Mann von vornehmem französischen Wesen und feinen Umgangsformen, gewandt in Wort und Schrift. Bei all seiner ausgedehnten administrativen und diplomatischen Thätigkeit bewahrte er sich den Sinn für ein schönes menschliches Dasein. In freieren Momenten beschäftigten ihn Wissenschaft und Kunst, Theater und Litteratur, gemeinnützige Bestrebungen und Antriebe der Geselligkeit. Mit herzlicher Humanität und Theilnahme förderte er junge tüchtige Männer. Jahrzehnte hindurch bildete sein gastliches Haus einen Mittelpunkt geistigen Lebens in St. Gallen. Hier vor allem hat man sein Andenken dankbar bewahrt. Seine beiden Söhne starben ohne männliche Nachkommen. Der ältere, Karl (1783–1863), verfaßte unter dem Pseudonym „Philalethes“ neben dem erwähnten Nekrolog die Geschichte des Doppelbisthums Cur-St. Gallen im 3. Bande der Schweizer. Annalen. Mit dem jüngeren, Anton († 1873 in Genua), erlosch der Mannsstamm der Müller v. Friedberg.

Vgl. Schweizerische Annalen, IV, 469 ff. Neuer Nekrolog der Deutschen, Jahrgang 1836, S. 446–459 (Abdruck des Nekrologs in den Annalen). Der Erzähler, 1836, Nr. 62 u. 63 (St. Gallen). Neujahrsblatt auf das Jahr 1837, herausgegeben vom wissenschaftlichen Verein in St. Gallen (verfaßt von Prof. Pet. Scheitlin). Baumgartner: Erlebnisse auf dem Felde der Politik, Schaffhausen 1844. Derselbe: Geschichte des schweizer. Freistaates und Kantons St. Gallen, II. Bd., Zürich u. Stuttg. 1868. Gallerie berühmter Schweizer der Neuzeit, von Hasler und Hartmann, II. Bd., Baden 1871. Dierauer: Müller-Friedberg. Lebensbild eines schweizer. Staatsmannes. Mit M.-Fr.’s Porträt und Briefen von Johannes Müller. St. Gallen 1884.