ADB:Mangoldt, Hans von

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Artikel „Mangoldt, Hans von“ von Emanuel Leser in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 190–193, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mangoldt,_Hans_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 10:14 Uhr UTC)
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Mangoldt: Hans Karl Emil von M., ausgezeichneter Nationalökonom, war geb. am 9. Juni 1824 in Dresden, † in Wiesbaden am 19. April 1868. Zur Zeit seiner Geburt war der Vater Karl Georg Julius von M. Appellationsgerichtsrath. Durch den frühen Tod der Mutter und die Wiederverheirathung des Vaters wurde er einige Jahre außerhalb des Elternhauses erzogen, besuchte dann in Zwickau, wohin der Vater inzwischen als Präsident des Appellationsgerichtes versetzt worden war, das Gymnasium, beendigte aber seine humanistische Ausbildung auf der Kreuzschule in Dresden und bezog Ostern 1842 die Universität Leipzig. Er begann hier die Rechte zu studiren, besuchte aber zugleich auch die staatswissenschaftlichen Vorlesungen von Hanssen. Seine Studien wurden dadurch unterbrochen, daß er Ende 1843 als Vorstandsmitglied einer Studentenverbindung, die den verbotenen Charakter einer burschenschaftlichen trug, sich die Strafe des consilium abeundi zuzog. Dadurch war er genöthigt, eine Universität des Auslandes aufzusuchen, und verweilte deshalb längere Zeit in Genf. Später wandte er sich nach Tübingen, setzte hier namentlich die nationalökonomischen Studien fort und wurde im Juli 1847 zum Doctor der Staatswirthschaft promovirt. Als Inauguralschrift verfaßte er eine Abhandlung „Ueber die Aufgabe, Stellung und Einrichtung der Sparkassen“. Der Gegenstand ist vom polizeiwissenschaftlichen Standpunkt aus behandelt, und es ist aus dem Wesen der Einrichtung die zweckmäßigste Art ihrer Ausgestaltung im Einzelnen mit vielem Scharfsinn entwickelt. Nach dem Abschluß seiner Universitätsstudien kehrte M. in seine sächsische Heimath zurück und trat zunächst mit verschiedenen Vereinen und Zeitschriften, die sich der Bearbeitung staatswissenschaftlicher [191] Fragen widmeten, in Verbindung. Im Frühjahr 1848 erhielt er eine Anstellung beim Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten. Seine hauptsächliche Thätigkeit bestand in der Leitung des offiziösen Dresdener Journals, worin er die Zeitereignisse im Sinne einer gemäßigten Reformpartei besprach. Auch übertrug ihm das Ministerium des Innern die Ausarbeitung einer Geschichte der sächsischen Industrie. Als aber im Juni 1850 die Regierung durch einen Staatsstreich die Verfassung von 1848 außer Kraft setzte, reichte er sofort seine Entlassung ein, und da er in seinem Gesuch zu den Gründen, die ihn zu seinem Entschluß bestimmten, sich offen bekannte, so wurde er nicht nur augenblicklich von seinen bisherigen Funktionen enthoben, sondern alle freundlichen Beziehungen zu dem Ministerium hatten auch für immer ein Ende. Er hielt sich danach längere Zeit in Leipzig auf, mit nationalökonomischen Studien beschäftigt, und übernahm mit Beginn des Jahres 1852 die Redaction der amtlichen Weimarer Zeitung. Diese Stelle bekleidete er über zwei Jahre, und in diese Zeit, in das Frühjahr 1853 fällt seine Verheirathung mit Louise v. Lengerke. Es waren wieder seine politischen Ueberzeugungen, die ihn, weil er damit die Anforderungen, die in seinem litterarischen Beruf an ihn gerichtet wurden, nicht vereinigen konnte, im Jahre 1854 zur Niederlegung seiner Stelle veranlaßten. Er entschloß sich jetzt, die akademische Laufbahn zu ergreifen, und im Sommer 1855 wurde er als Privatdocent der Nationalökonomie an der Universität Göttingen aufgenommen. Als Habilitationsschrift hatte er eine Schrift ausgearbeitet, die unter dem Titel „Die Lehre vom Unternehmergewinn, ein Beitrag zur Volkswirthschaftslehre“, in demselben Jahr im Druck erschienen ist. Man kann dieser Arbeit die Bezeichnung als einer höchst bedeutenden wissenschaftlichen Leistung nicht versagen, und mit dem darin behandelten Problem wird der Name Mangoldt’s immer verbunden bleiben. Freilich hat er selbst in späteren Schriften die Theorie des Gegenstandes noch weiter entwickelt, allein die Weiterbildung bestand dann hauptsächlich in der Vereinfachung seiner früheren Aufstellungen, in der Beseitigung von Unterscheidungen und Einschränkungen, die er allmälig als unnöthig erkannte, nicht etwa in der Einfügung neuer Details oder wichtiger Folgesätze. Auf der andern Seite stellte auch gleich die erste Bearbeitung einen sehr bedeutenden Fortschritt dar gegenüber allen jenen Schriftstellern, die vorher schon etwas Aehnliches erstrebt hatten, wie es M. jetzt zur Ausführung brachte. Nicht als ob seiner Lehre eine absolute Richtigkeit zuzugestehen sei. Im Gegentheil wird die Betrachtungsweise, von der er ausgeht, einer modernen Auffassung der wirthschaftlichen Vorgänge schief und unnatürlich erscheinen, allein von dem damals herrschenden System mußten seine Entwickelungen als durchaus consequent, ja als die endliche Ausfüllung einer empfindlichen und auffälligen Lücke begrüßt werden. Auch kann man, ohne die Grundanschauung zu theilen, vielen Einzelerörterungen hohen und bleibenden Werth beimessen, wie denn u. A. auf die übrigen Einkommensarten, ganz besonders aber auf die Rente, viel neues Licht geworfen wird. Auch die weiteren Arbeiten Mangoldt’s betrafen fast ausschließlich das Gebiet der theoretischen Nationalökonomie, und zwar beschäftigten ihn hier vorzugsweise die allgemeinsten, umfassendsten Erscheinungen, deren Analyse keine speziellere Beobachtung des wirthschaftlichen Lebens erfordert. Beinahe die einzige Ausnahme stellt ein unvollendeter Aufsatz dar, der die „Arbeiterverbindungen und Arbeitseinstellungen in England“ behandelt und doch auch auf einem beschränkten Quellenmaterial beruht. Gerade aber nach der ihm eigenthümlichen Richtung hin eröffnete er bald nach seiner Niederlassung in Göttingen eine litterarische Thätigkeit für das Staatslexikon von Bluntschli und Brater. Hier sind, neben einigen biographischen Artikeln, die überdies zugleich einen dogmengeschichtlichen Charakter an sich [192] tragen, die wichtigsten Punkte der theoretischen Nationalökonomie von ihm behandelt. Die Eigenthümlichkeit seiner Begabung, seiner Methode und zugleich seine wissenschaftlichen Grundanschauungen treten in diesen Arbeiten deutlich zu Tage. Sein Standpunkt berührt sich mit jenen in der Theorie abstracten, in der Praxis freihändlerischen Lehren, zu welchen die hervorragendsten englischen Schriftsteller sich bekannten, deren Forschungsweise er durchaus selbständig anzuwenden und zur Gewinnung neuer Resultate zu verwerthen versteht. Die Aufsätze für das Staatslexikon waren gleichzeitig Vorarbeiten für eine umfassendere Schrift, mit der sich M. damals beschäftigte, einen „Grundriß der Volkswirthschaftslehre“, den er im Sommer 1862 zum Abschluß brachte (1863, 2. Auflage 1871). Es ist das eine in ihrer Art vortreffliche Arbeit, die hinsichtlich ihres tiefen Eindringens in die besprochenen Fragen den besten englischen Lehrbüchern eines Senior oder Mill an die Seite gestellt werden kann. Namentlich zeigen die logische Gliederung des Stoffes, die scharfsinnige Behandlung der Preislehre, worin er auch von der mathematischen Formulirung Gebrauch macht, sowie die originelle Erklärung der Einkommenserscheinungen als Gleichgewichtszustände den Verfasser als einen Meister der deductiven Methode. Inzwischen war er Ende 1858 in Göttingen zum unbesoldeten außerordentlichen Professor befördert worden. Im Sommer 1862 besuchte er auf Kosten der hannoverschen Regierung die Industrieausstellung in London. Leider befiel ihn hier ein schwerer Gelenkrheumatismus, von dessen Nachwirkungen er in Wiesbaden Heilung suchte. Im November 1862 folgte er einer Berufung als ordentlicher Professor nach Freiburg, wo er als einziger Vertreter seiner Fächer eine ausgedehntere akademische Wirksamkeit zu entfalten begann. Die hauptsächliche litterarische Aufgabe, die ihn hier beschäftigte, bestand in der Ausarbeitung eines ausführlichen gemeinverständlichen Lehrbuchs der Nationalökonomie, das er für die „Bibliothek der gesammten Handelswissenschaften“ zugesagt. Er hat nur die eine Hälfte davon vollendet, welche außer der Einleitung die Lehre von der Gütererzeugung und vom Einkommen enthält. Im Wesentlichen finden sich ja auch hier die Anschauungen des „Grundrisses“ vorgetragen, allein sie sind viel weiter ausgeführt und treten in geschmackvoller, im Ganzen leicht verständlicher Darstellung entgegen. Das Buch, das unter dem Titel „Volkswirthschaftslehre“ lieferungsweise erschienen ist und 1868 zum Abschluß kam, hätte noch eine größere Verbreitung als Lehr- und Lesebuch für ein weiteres Publicum verdient, als ihm zu Theil geworden ist. Eine Berufung, die M. während seiner Wirksamkeit in Freiburg nach Prag erhielt, schlug er aus. Im Sommer 1867 besuchte er die Pariser Weltausstellung. Im darauffolgenden Winter wurde er von empfindlichen körperlichen Leiden heimgesucht. In den Osterferien suchte er in Wiesbaden dagegen Hülfe. Aber schon nach kurzem Aufenthalt starb er hier am 19. April am Herzschlag; am 23. wurde er in Freiburg beerdigt. Erst nach seinem Tode ist sein letzter Beitrag zum Staatslexikon gedruckt worden. Derselbe behandelt die „Volkswirthschaft und Volkswirthschaftslehre“ und ist bemerkenswerth, weil M. darin seine Anschauungen über Aufgabe und Methode der Wissenschaft eingehend dargelegt hat. Da ist es denn in hohem Maße anzuerkennen, daß der Schriftsteller, der nach seiner besonderen Befähigung und nach seinen Arbeiten der abstrakten Richtung selber angehört, die volle Bedeutung der induktiven und historischen Methode zu würdigen weiß, wie er auch schon früher die Nationalökonomie in sehr treffender Weise als die „Philosophie der Wirthschaftsgeschichte“ bezeichnet hatte. Diese Vorahnung künftiger tiefgreifender Umgestaltungen der Wissenschaft wird ihm ebenso zum Nachruhm gereichen wie die hohen Verdienste, die er sich um das überlieferte System durch die Ausbildung und Vervollständigung desselben erworben hat.

[193] A. Wagner, Gedächtnißrede auf Hans von Mangoldt bei dessen akademischer Todtenfeier, Freiburg 1870. – Badische Biographien, Bd. II, S. 37 f.