ADB:Meißner, Paul Traugott

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Artikel „Meißner, Paul Traugott“ von Eugen von Friedenfels in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 248–251, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mei%C3%9Fner,_Paul_Traugott&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 00:04 Uhr UTC)
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Meißner: Paul Traugott M., Naturforscher, geb. zu Mediasch in Siebenbürgen am 23. März 1778, † zu Neuwaldegg bei Wien am 9. Juli 1864. Sein Vater, Stadtwundarzt in Mediasch, starb frühzeitig, doch nahm sich des Verlassenen sein Stiefvater Johann Wagner (gestorben als Stadtpfarrer ebendaselbst am 11. Januar 1830) treulich an, trug Sorge für seinen Unterricht und ließ ihn 1793 in eine Apotheke zu Schäßburg als Lehrling eintreten. Hier zeigte sich M. überhaupt eifrig und bei Vornahme chemischer Operationen sehr anstellig und gewann sich die Zuneigung seines Lehrherrn. Vier Jahre blieb M. in dieser Apotheke, dann begab er sich in der Absicht, sich ganz dem Studium der Chemie zu widmen, im J. 1797 nach Wien, wo er in diesem und dem folgenden Jahre die Vorlesungen des berühmten Freiherren von Jacquin besuchte und sich nunmehr fest entschloß, die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Diesen Gesichtspunkt vor Augen setzte er seine Studien in Wien fort, und unternahm dann eine Reise nach Deutschland, die er – wegen Abgangs der nöthigen Geldmittel – großentheils zu Fuß zurücklegte. Auf dieser Wanderung kam er auch nach Aussee in Steiermark und trat dort in die Apotheke des k. k. Salzoberamtes ein, blieb jedoch nur zwei Jahre auf diesem Posten. Dem lebhaften Wunsche seines Stiefvaters folgend, kehrte er in seine Heimath zurück, übernahm sofort – nachdem er sich auf der Heimreise in Pest das Diplom eines Magisters der Pharmacie erworben hatte – die Leitung einer Apotheke in Kronstadt und vermählte sich mit der Tochter des bisherigen Eigenthümers, Sarah Elisabeth von Langendorf, entschloß sich aber bald, die Apotheke zu verkaufen, und mit seiner Familie nach Wien zu übersiedeln, wo [249] er 1815 auf Vorschlag des kaiserlichen Leibarztes, Freiherrn von Stifft, zum Adjuncten und später zum Professor der technischen Chemie an dem neu errichteten k. k. polytechnischen Institute ernannt ward, eine Ernennung, die für jene Zeit um so bemerkenswerther genannt werden muß, als M. evangelischen Bekenntnisses war. Im J. 1835 erhielt er eine Gehaltszulage von 500 Gulden Conventionsmünze und wurde mit allerhöchster Entschließung vom 29. Januar 1842 zum Professor der allgemeinen Chemie am polytechnischen Institute ernannt, trat aber schon am 31. Januar 1845 aus verschiedenen Ursachen zum Bedauern seiner Schüler, die mit Begeisterung an ihm hingen, nach dreißig im Lehrfache verbrachten Jahren von der Professur zurück. Gleichwol blieb er auch fortan wissenschaftlich thätig und eröffnete sogar am 15. Januar 1850 am Polytechnikum außerordentliche Vorlesungen über die Wärme vor einem zahlreichen, zum großen Theile von den Notabilitäten der Wiener Lehrkörper gebildeten Auditorium. M., der sich des glücklichsten Familienlebens erfreute, starb nach zwanzigjährigem Ruhestande im hohen Alter von 86 Jahren am 9. Juli 1864. Er hinterließ einen Sohn, Karl Ludwig, Ritter von M. (s. o. S. 245). Von seinen Töchtern war eine an den evangelischen Superintendenten A. B., Andreas Ritter von Gunesch, die zweite an den berühmten Gelehrten Adam Freiherrn von Burg, die dritte endlich an den nicht minder berühmten Arzt und Professor, Hofrath Dr. Karl Sigmund von Illanor in Wien vermählt.

M. zählt zu den hervorragendsten Männern seines Faches. Durch ein halbes Jahrhundert in seinem Gebiete schriftstellerisch thätig, hat er durch seine Werke und manche Erfindung nachhaltig gewirkt. In seinem kurz vor der Berufung ins polytechnische Institut erschienenen Werke: „Vorschläge zu einigen neuen Verbesserungen pharmazeutischer Operationen“, Wien 1814, veröffentlichte er die Ergebnisse jahrelanger Versuche und Erfahrungen. Ein zweites Werk: „Die Aräometrie in ihrer Anwendung auf Chemie und Technik. 2 Theile“, Wien 1816, zur Zeit seines Erscheinens seiner Vollständigkeit und Gründlichkeit wegen sehr geschätzt und in seinen zahlreichen Tabellen mit Bestimmungen des specifischen Gewichtes fester wie flüssiger Körper allgemein benützt und ein später in zwei Auflagen erschienenes Handbuch: „Chemische Aequivalenten- oder Atomenlehre, zum Gebrauche für Chemiker, Pharmazeuten und Techniker gemeinfaßlich dargestellt. 2 Bände“, Wien 1834 u. 1838, sind heute wol von den Fortschritten der Wissenschaften überholt und mehr nur von historischer Bedeutung. Umfassend und bahnbrechend nach vielen Richtungen hin war sein: „Handbuch der allgemeinen und technischen Chemie. 5 Bände in 10 Abtheilungen“, Wien, Gerold. 1819–1833, welchem bald sein: „Neues System der Chemie, zum Leitfaden eines geregelten Studiums dieser Wissenschaft bearbeitet. 3 Bde.“ Wien 1835 bis 1838, folgte. Schon im Handbuch legte M. seine eigenthümlichen Ansichten über Wärme, Licht und Elektricität nieder. Nach ihm ist die Wärme eine Alles durchdringende, unwägbare Materie, sind Licht und Elektricität Verbindungen dieses Wärmestoffes mit dem Sauerstoff, unter sich und mit dem Magnetismus nahe verwandt. Schon zu seiner Zeit heftig bestritten und in der Folge von anderen Anschauungen verdrängt, sind diese Ansichten – das kann nicht geleugnet werden – von M. in seinem Handbuche und in dem „Neuen System der Chemie“, wo er im I. Band (Specielle Chemie, 2. Capitel S. 263 ff.) den Magnetismus, die galvanische und die Reibungselektricität, endlich das Licht, als verschiedenstufige Verbindungen des Wärmestoffes mit dem Sauerstoffe (von welchem er drei verschiedenartige Modificationen annimmt) darstellt – mit großer Consequenz und in scharfsinniger Weise durch das ganze System durchgeführt. Größeres Aufsehen erregten seine, auch ins praktische Leben tief eingreifenden bedeutendsten Arbeiten über die Luftheizung, von denen die [250] erste Auflage schon im J. 1821 erschien (der Titel der 3. Auflage lautet: „Die Heizung mit erwärmter Luft, systematisch bearbeitet und als das wolfeilste, bequemste, der Gesundheit zuträglichste und zugleich die Feuergefahr am meisten entfernende Mittel zur Erwärmung der Gebäude aller Art dargestellt und nachgewiesen.“ Wien 1826). Dieser Erfindung widmete er bis ins hohe Alter mit ungebrochener Kraft und Hingebung sein ganzes Streben. M. wurde bei der praktischen Durchführung dieser Erfindung und der darin entwickelten Grundsätze zur Entdeckung und Feststellung neuer Ideen geführt, worin schon die Anforderungen einer der Gesundheit entsprechenden Lufterneuerung ermöglicht werden und durch deren Anwendung er sozusagen der Gründer einer wissenschaftlich richtigen Ventilation erscheint. Und in der That ist die „Meißner’sche Luftheizung“ – natürlich mit vielen, im Laufe der Jahre durch ihn und Andere veranlaßten Verbesserungen – über alle civilisirten Länder verbreitet und im allgemeinsten Gebrauche. M. ließ dieser ersten in 3 Auflagen erschienenen Arbeit mehrere andere über den gleichen Stoff folgen („Vorträge über Pyrotechnik“, Wien 1852 und: „Die Ventilation und Erwärmung der Kinderstube und des Krankenzimmers.“ Wien 1852). M. in seinen zahlreichen Arbeiten stellt sich überall als Selbstdenker und Selbstforscher dar; seine Thätigkeit war eine befruchtende, von nützlichen Entdeckungen und Erfindungen begleitete. Was er im weiten Gebiete der Chemie gearbeitet, entdeckt und angeregt hat, fällt der Beurtheilung in fachwissenschaftlichen Werken anheim: es muß hier genügen auf seine, selbst von den Gegnern anerkannten bahnbrechenden Arbeiten in der Aräometrie und Wärmelehre hinzuweisen. Er war es, der vor mehr als einem halben Jahrhundert zuerst den innigen Zusammenhang der sogenannten Imponderabilien und ihrer gegenseitigen Uebergänge mit seinem, ihre große Zukunft ahnenden Auge richtig erkannt hat, ein Zusammenhang, welchen die Beobachtungen und Entdeckungen späterer Zeiten, bis auf die neueste herab, mehr und mehr bestätigt haben. M. war unermüdlich fleißig, mit scharfer Beobachtung, sicherem Gedächtniß und klarer Darstellungsweise begabt. Sein unbeugsame Ueberzeugungstreue trat in Wort und Schrift oft schroff hervor, Humor und beißende Satyre nur zu oft handhabend. Wie alle Bahnbrecher war M. ein energischer, streitbarer Charakter, der es nicht vertrug, Angriffe in christlicher Demuth hinzunehmen, und der, gereizt, bis zu einer gewissen Rücksichtslosigkeit, fast bis zum Starrsinn sich steigern konnte, den seine aufrichtigsten Freunde oft bedauerten, aber das war nun einmal von Meißners Charakter untrennbar. In dem Kampfe über die sogenannte Chlortheorie mit der ganzen neueren Schule in Fehde, anfangs Schulter an Schulter mit dem großen Schweden Berzelius, später auch von diesem verlassen, gerieth er in einen verbitterten Ingrimm, der vielleicht mehr als alles andere, die für M. wie für die Wissenschaft beklagenswerthe Isolirung des genialen Mannes von seinen Fachgenossen veranlaßte: aber er konnte eben nicht anders. Wie Keulenschläge fielen da die wuchtigen Gedanken und Worte, wie spitze Pfeile Ironie und Sarkasmus, die Wehrhaftigkeit des Mannes beweisend. Am schroffsten trat wol in der Broschüre gegen Liebig („Justus Liebig, Dr. der Medicin und Philosophie, Professor der Chemie in Gießen etc., analysirt von P. T. M.“, Frankfurt 1844) diese Kampfesweise hervor, die selbst dann nur entschuldigt, nicht gerechtfertigt werden kann, wenn man erwägt, daß dies nur ein Act der Nothwehr gegen ebenfalls kränkende Angriffe war. Aber diese Gabe des Wortes und der Feder, die Unbeugsamkeit des Mannes, hatte doch auch ihr Gutes. Sie gewann ihm die Herzen seiner Hörer, die von hochachtungsvoller Liebe zum Lehrer erfaßt, mit Begeisterung das von diesem auf sie übertragene Pfund vermehrten, und von denen viele zu angesehenen, werkthätigen Männern herangereift, auf hervorragende Staatsbedienstungen berufen – [251] damals fast das einzige Fach, wo sie sich geltend machen konnten – des alten Meisters treu gedachten. Diese rücksichtslose Ueberzeugungstreue – in Verbindung natürlich mit seinen hervorragenden Leistungen hatten dem wunderlichen Mann selbst in jener Zeit des überwuchernden Büreaukratismus eine gewisse Geltung und Unnahbarkeit gesichert. Referent erinnert sich mit hohem Interesse an eine persönliche Begegnung mit M. – Dieser war im J. 1851 hochbetagt noch einmal ins liebliche Salzkammergut, in sein altes Aussee gepilgert. Im „Kammerhof“ beim Salinenverwalter Franz von Schwind (gestorben als k. k. Ministerialrath am 21. Mai 1877), eines einstigen Lieblingsschülers – wo zufällig eben auch ein paar andere Schüler des alten Professors sich gefunden hatten, trat plötzlich, unangemeldet, unerwartet, der Greis herein, natürlich mit Jubel begrüßt und nach kurzer Rast zu den Werken, namentlich zu den sogen. Sudpfannen, an deren Feuerung Schwind vor Kurzem einige Verbesserungen hatte vornehmen lassen, geleitet, schritt M. mit seinen Begleitern durch die Hallen, besichtigte, fragte, belehrte und lobte, was und je nachdem er es fand. Körperlich ungebeugt und in beneidenswerther geistiger Frische stand der 73jährige wie eine mächtige Eiche über den jüngeren Waldriesen im Kreise der Schüler, die, obschon nun selbst in Amt und Würde, den Worten des Meisters, seinen Lehren, seinem Tadel und seinem Lobe lauschten, wie ehedem. Und später, als im trauten Heim die nothwendige Rast gepflogen wurde – denn der Greis wollte noch diesen Abend weiter, zu Fuße –, als ein trauliches Gespräch sie umfing, als alte Erinnerungen auftauchten, und die Zunge des Meisters zeigte, daß auch sie noch nicht erlahmt sei, trat die alte Innigkeit des Verhältnisses hervor. Es war ein reizendes, lebensvolles Bild: der Meister und seine Schüler. Man konnte, man mußte begreifen, wie dieser Mann ein Menschenalter früher gewesen sei und gewirkt habe. Dieselbe Arbeitslust, dieselbe Ueberzeugungstreue begleitete M. fast bis ins Grab. Seine letzte Arbeit: „Beiträge zur Kenntniß der Cholera“ erschien 1864 zu Wien im Selbstverlage des Verfassers. Der berühmte Mann mußte also keinen Verleger gefunden haben! Seinen Forschersinn und Ueberzeugungsmuth charakterisirt am besten M. selbst im Motto zu seinem „Neuen System der Chemie“. Wien 1835. Er läßt dem bekannten Ausspruch: „Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist; Wohl ihm, wenn sie ihm nur die äußere Schale weist“, die Worte folgen: „Doch wer die Forschung flieht, und wem’s an Muth gebricht das Licht zu seh’n, der sieht – wol auch die Schale nicht.

Wurzbach, biogr. Lexikon des österr. Kaiserstaats. Bd. 17, S. 309–312, wo die Quellen angegeben werden. Trausch, Schriftstellerlexikon der siebenb. Deutschen. Bd. II, S. 408–416, wo auch sämmtliche Schriften Meißners aufgezählt werden.