ADB:Munzinger, Eduard

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Munzinger, Eduard“ von Friedrich Hegar in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 542–544, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Munzinger,_Eduard&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 13:20 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Munsch, Joseph
Nächster>>>
Mutter, Leopold
Band 52 (1906), S. 542–544 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand März 2016, suchen)
Edward Munzinger in Wikidata
GND-Nummer 135251478
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|52|542|544|Munzinger, Eduard|Friedrich Hegar|ADB:Munzinger, Eduard}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=135251478}}    

Munzinger: Eduard M., Musiker, geboren zu Olten im schweizerischen Kanton Solothurn am 24. Juni 1831.

Die Familie stammt ursprünglich aus Basel, wo ihre Anwesenheit schon im J. 1393 urkundlich nachgewiesen ist. In diesem Jahre hatte einer dieses Namens am Kriegszug der Basler gegen Muttenz theilgenommen und sich dadurch das Bürgerrecht der Stadt erworben. Ein Johann Heinrich Munzinger wurde bischöflich Eichstädtscher Hofmedicus und ist im J. 1555 von Kaiser Karl V. geadelt worden. In der Reformationszeit hielt ein Zweig der Familie Munzinger am alten Bekenntniß fest und siedelte nach dem katholisch gebliebenen Olten über. Diesem Zweige entsprossen im 19. Jahrhundert eine Reihe tüchtiger Männer, von denen einige als Staatsmänner ihrem Lande in hervorragender Weise dienten, andere sich als Aerzte, Musiker, und in anderen Berufsarten nützlich und verdient gemacht haben. Große Berühmtheit erlangte, auch außerhalb seines Vaterlandes, Werner Munzinger, der, vom ägyptischen Khedive zum Pascha ernannt, 1885 im Kampfe gegen die Abessynier fiel (s. A. D. B. XXIII, 50). Mit diesem nahe verwandt [543] war der Vater Eduard Munzinger’s, der Arzt und Musiker Dr. Viktor M. Er studirte 1820 und 21 in Heidelberg Medicin und befreundete sich dort mit seinem Landsmanne H. G. Nägeli, der um jene Zeit, in wissenschaftlichem Streite mit Thibaut, eine Anzahl Vorträge musikphilosophischen Inhaltes in Heidelberg gehalten hat. Angeregt durch Nägeli, gründete V. M. später in Olten einen Chorgesangverein, dessen Uebungen und Aufführungen er Jahrzehnte hindurch leitete und mit dem er eine große Zahl bedeutender Chorwerke, auch Opern, zur Aufführung brachte. Bei seiner Gattin, Rosa v. Arx, einer geistig hochstehenden und musikalisch fein empfindenden Frau, fand er tiefgehendes Verständniß für seine künstlerischen Bestrebungen. In dieser Umgebung wuchs der Sohn Eduard heran; er besuchte die Primar- und Bezirksschule in Olten, erhielt daneben vom Vater Clavierunterricht, und als sich bei dem Knaben immer mehr der glühende Wunsch kundgab, Musiker zu werden, entschlossen sich die Eltern, ihn das von Mendelssohn neugegründete Conservatorium in Leipzig besuchen zu lassen. Hier trat er im Frühling 1846 als Schüler ein und genoß den Unterricht von Hauptmann, Moscheles, Becker und Wenzel. Als Hospitant an der Thomasschule vervollständigte er auch seine wissenschaftliche Ausbildung. Eine seiner frühesten Compositionen, ein Lied zur Verherrlichung des schweizerischen Generals Dufour, der im Sonderbundsfeldzuge den Feind siegreich überwunden hatte, wurde bei einer Festlichkeit der Thomasschule mit großem Beifall zu Gehör gebracht. Die „Leipziger Illustrirte Zeitung“ brachte kurz nachher einen Abdruck des Liedes.

Als tüchtiger Clavierspieler und Organist, ausgerüstet mit gründlichen theoretischen Kenntnissen, verließ M. Leipzig nach dreijähriger Studienzeit und kehrte in die Heimath zurück, wo er zunächst in Yverdon und Morges als Musiklehrer wirkte und sich gleichzeitig in der französischen Sprache vervollkommnete. 1854 wurde er zum Director des Cäcilienvereins in Aarau gewählt. Hier entwickelte er als Dirigent und als Lehrer eine reiche Thätigkeit; auch trat er häufig in den von ihm geleiteten Concerten als Clavierspieler auf und wirkte durch gut gewählte Programme hebend und veredelnd auf den Geschmack des Publicums. Von Aarau, wo er sich mit Justine Imhof, der Tochter eines angesehenen Arztes vermählt hatte, siedelte er im J. 1863 nach Zürich über und übernahm hier die Leitung des Stadtsängervereins, eines Männerchors, der bis dahin den beliebten Liedercomponisten Wilhelm Baumgartner zum Dirigenten gehabt hatte. Zu dieser Zeit entstanden die ersten größeren Tonwerke, die seinen Namen als Componisten in weiteren Kreisen bekannt machten. Die Cantate „Der Schwur im Rütli“, welche infolge einer Concurrenzausschreibung des eidgenössischen Sängervereins mit dem ersten Preis gekrönt worden war, erlebte am eidgenössischen Sängerfest in Bern im Juli 1864 ihre erste Aufführung, bei der Jos. Schild, der später berühmt gewordene Tenorist, die Partie des Hirtenknaben sang. Nach Beendigung der Aufführung wurden dem Dichter, Prof. Tobler in Bern, und dem Componisten jubelnde Ovationen gebracht. Im Herbste des gleichen Jahres kam in Zürich ein umfangreicheres Werk „Helgi und Kara“ zur Aufführung, dessen Text ebenfalls Tobler zum Verfasser hatte. Das Werk füllt einen ganzen Concertabend und konnte innerhalb einer Woche drei Mal bei ausverkauftem Saale aufgeführt werden. 1866 begab sich M. nach Neapel, wo er als Lehrer thätig war und häufig in Privatconcerten bei den am dortigen Hofe accreditirten Gesandten als Pianist auftrat. 1868 berief ihn der deutsch singende Sängerverein „Frohsinn“ in Neuenburg zu seinem Director, und im gleichen Jahre wurde er daselbst zum Musiklehrer an der école normale cantonale und zum Organisten an der protestantischen Kirche ernannt. [544] 1870 war er Festdirigent des in Neuenburg abgehaltenen eidgenössischen Sängerfestes und fand als energischer Dirigent der Massen nicht weniger Anerkennung als mit seiner ins Festheft aufgenommenen Composition „Die schweizerischen Schlachtfelder“. 1875 wählte ihn auch der französisch singende Sängerverein Orphéon zu seinem Dirigenten. Mit diesem Vereine betheiligte er sich mit Erfolg am Wettsingen bei den eidgenössischen Sängerfesten in Zürich 1880, St. Gallen 1886 und Basel 1893, sowie auch an den internationalen Sängerwettstreiten in Annecy 1879 und Macon 1881, wo dem Vereine an beiden Orten erste Preise zufielen; ferner an den Concursen in Genf 1882 und 1890, sowie in Thonon 1885, an welch letzterem Orte der Verein ebenfalls mit dem ersten Preise gekrönt wurde. Im J. 1883 übernahm M. zu seinen anderen Obliegenheiten noch die Leitung des chœur national. In Neuenburg trennte sich die protestantische Kirche im J. 1873 in eine église nationale und in eine église indépendante de l’ètat. Die Chöre dieser kirchlichen Gemeinschaften, denen es obliegt, an hohen Festtagen den Gottesdienst durch ihre Vorträge feierlicher zu gestalten, führen den Titel chœur national und chœur indépendant. Trotz dieser vielseitigen Beschäftigung fand M. doch noch Zeit zu eigenen Arbeiten. In Neuenburg entstanden und wurden aufgeführt: die Cantate „Sempach“, das Oratorium „Jeanne d’Arc“, ein kleineres Chorstück „Die hohle Gasse“; ferner zwei Symphonien und ein Streichquartett. Sein Oratorium „Boas und Ruth“, das 1892 in Paris bei einem internationalen Wettstreit für Dichter, Maler und Musiker mit dem zweiten Preise gekrönt worden ist, und das Kenner für sein bestes Werk halten, hat noch keine Aufführung erlebt. Von seinen zahlreichen Compositionen sind nur wenige im Druck erschienen. M. war eine hochgewachsene, männlich schöne Erscheinung; er besaß einen offenen, lauteren Charakter und zeigte sich selbstlos und gütig gegen Jedermann. Sein am 29. März 1899 in Neuenburg erfolgter Tod rief am Orte seiner langjährigen Wirksamkeit allgemeine Trauer hervor und die große Theilnahme an seiner Bestattung legte beredtes Zeugniß ab von der Liebe und Verehrung, die dem Dahingeschiedenen gezollt wurden.

Nach Mittheilungen des Herrn Dr. Eugen Munzinger in Olten und Musikdirector Röthlisberger in Neuenburg, und mit Benutzung des von A. Niggli geschriebenen Nekrologs in Nr. 15 der Schweiz. Musikzeitung vom 22. April 1899.