ADB:Muther, Theodor

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Artikel „Muther, Theodor“ von Karl Schulz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 104–107, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Muther,_Theodor&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 02:36 Uhr UTC)
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Band 23 (1886), S. 104–107 (Quelle).
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Muther: Theodor M., Rechtsgelehrter, geb. am 15. August 1826 zu Rottenbach im Herzogthum Koburg, wo sein Vater Pfarrer war. Er besuchte das Gymnasium in Koburg und studirte seit 1847 die Rechtswissenschaft in Jena und Erlangen. An der letzteren Universität erwarb sich M. die juristische Doctorwürde. Er bestand dann das juristische Staatsexamen zu Koburg und wurde 1852 daselbst Gerichtsadvocat. Noch in demselben Jahre wandte er sich jedoch nach Berlin, um weitere wissenschaftliche Studien behufs Ergreifens der [105] akademischen Carrière zu machen. Bestimmend für seine wissenschaftliche Richtung wurden namentlich F. L. v. Keller’s Vorlesungen über Pandecten und ganz besonders dessen Uebungen in der Interpretation römischer Quellenstellen. Tiefen Einfluß auf M. übte auch der Umgang mit F. J. Stahl, in dessen Hause er viel verkehrte und mit dessen Frau ihn verwandtschaftliche Beziehungen verbanden. In Halle habilitirte sich M. 1853 für römisches Recht und Civilproceß. Nur mit geringen pecuniären Mitteln ausgerüstet erwarb er sich durch Repetitorien so viel, als er zu seiner Existenz brauchte. Zu seinen Erstlingsarbeiten: „Die Ersitzung der Servituten mit besonderer Berücksichtigung der Wegservituten“ (Erlangen 1852), „De origine processus provocatorii ex lege diffamari“ (Erlangae, Deichert 1853) trat die sorgsame und gründliche Monographie: „Sequestration und Arrest im römischen Recht“ (Leipzig 1856). 1856 wurde M. als außerordentlicher Professor nach Königsberg berufen. Gegen wissenschaftliche Richtungen, die er für verwerflich hielt, trat er in diesen seinen jüngeren Jahren mit großer Schärfe auf. So wandte er sich nach einem polemischen Wortwechsel mit Ihering gegen das Windscheid’sche Buch „Die Actio des römischen Civilrechts“ (Düsseldorf 1856) in einer besonderen Schrift „Zur Lehre von der römischen Actio, dem heutigen Klagerecht, der Litiscontestation und der Singularsuccession in Obligationen“ (Erlangen 1857), nicht ohne dem Gegensatz wissenschaftlicher Anschauung einen schrofferen Ausdruck zu geben, als es das Wesen der Sache erforderte. Vom dogmatischen Streit kehrte M. wieder zur historischen Forschung zurück mit dem Buche: „Die Gewissensvertretung im gemeinen deutschen Recht, mit Berücksichtigung von Particulargesetzgebungen, besonders der sächsischen und preußischen“ (Erlangen 1860). 1863 folgte M. einem Rufe nach Rostock, wo er nahezu 10 Jahre weilte, bis er 1872 gern und freudig einen Ruf als Oberappellationsrath und Professor an die heimathliche Hochschule nach Jena annahm. Seine reiche Lehrthätigkeit erstreckte sich im Ganzen genommen auf Institutionen, römische Rechtsgeschichte, Geschichte des römischen Civilprocesses, Pandecten, gemeinen Civilproceß, civilistische Litterärgeschichte. Sein Vortrag war nicht glänzend, aber eindrucksvoll durch die Sicherheit und Bestimmtheit des Ueberlieferten. Von besonderem Einfluß war seine Lehrthätigkeit in den von ihm mit Vorliebe gepflegten und mit großer Gewissenhaftigkeit geleiteten seminaristischen Uebungen. M. interpretirte mit seinen Schülern Gajus, Ulpian, einzelne Titel der Pandecten, hielt praktische Uebungen im Pandectenrecht und Proceß, sowie Relatorium des Processes. Die von den Schülern dabei gefertigten schriftlichen Arbeiten wurden aufs Sorgfältigste mit ihnen besprochen. Warmes Interesse für die Studentenschaft und ein tiefgehender Sinn für die corporative Verfassung der Universitäten ließen M. an den akademischen Angelegenheiten den regsten Antheil nehmen. Auch seiner historischen Forschung war das Universitätswesen ein bevorzugtes Arbeitsfeld, welches in naher Verbindung stand mit der juristischen Litterärgeschichte und namentlich dem so interessanten Capitel dieser, der Aufnahme des römischen Rechtes in Deutschland. Besonders zwei Sammlungen von Vorträgen und Aufsätzen zeugen von den tiefen quellenmäßigen Kenntnissen und der sicheren Beherrschung des weitschichtigen Materials, welche diesen Forschungen zu Grunde liegen. Es sind: „Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben im Zeitalter der Reformation. Vorträge“ (Erlangen 1866) und „Zur Geschichte der Rechtswissenschaft und der Universitäten in Deutschland“ (Jena 1876). Die meisten dieser Arbeiten waren vorher entweder einzeln wie „Der Reformationsjurist D. Hieronymus Schürpf“ (Erlangen 1858), oder in Zeitschriften z. B. den Preußischen Provinzialblättern, den Glaser’schen Jahrbüchern für Staats- und Gesellschaftswissenschaften u. s. w. erschienen. Demselben Gebiet gehören noch an: „Die [106] Wittenberger Universitäts- und Facultätsstatuten vom Jahre 1508“ (Halle 1867). Sie wurden von M. in Gemeinschaft mit E. Dümmler herausgegeben, nachdem M. bereits 1859 die Statuten der juristischen Facultät zu Wittenberg mit sorgfältiger Einleitung veröffentlicht hatte. Die Einleitung jener zur Feier der 50jährigen Vereinigung von Halle und Wittenberg erschienenen Festschrift giebt eine Schilderung von Wittenberg, der „Mutter unserer heutigen Universitäten“ und eine klare Uebersicht über die Entwickelung der deutschen Universitätsverfassung überhaupt. Dahin gehört auch: Ph. Melanthonis de legibus oratio Ed. II“ (Vimariae 1869). Die Zustände des juristischen Unterrichts unterzog M. in seiner Jenaer Antrittsvorlesung einer Kritik: „Die Reform des juristischen Unterrichts“ (Weimar 1873). Die mit der Schrift „De origine proc. provoc.“ begonnene und mit der „Gewissensvertretung“ fortgesetzte Arbeit der historischen Erforschung des mittelalterlichen Processes beschäftigte ihn sein ganzes Leben. Früchte dieser mühsamen Forschungen waren noch: „Zur Geschichte des römisch-canonischen Processes in Deutschland während des 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts“ (Festschrift zu Wächter’s 50jährigem Doctorjubiläum. Rostock 1872), ferner Joannis Urbach Processus Judicii qui Panoramitani Ordo Judiciarius a multis dicitur“ (Halis 1873). Der Text dieses einflußreichen Proceßlehrbuchs, welches M. als ein Werk des Erfurter Juristen Urbach nachgewiesen hat, ist nach zahlreichen Handschriften mit großer Sorgfalt hergestellt. Ein Abschluß war diesen Studien leider nicht beschieden, erst nach dem Tode des Verfassers erschien aus den hinterlassenen Materialien als ein dem Abschluß nahegewesener Theil einer Geschichte des römisch-canonischen Processes: „Johannes Urbach von Th. Muther. Nach dessen hinterlassenen Papieren bearbeitet und herausgegeben von E. Landsberg“ (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte herausgegeben von O. Gierke, XIII, Breslau 1882). Das „Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts“ gab M. im Vereine mit E. Bekker in 6 Bänden von 1857–1863 heraus. In der gegenwärtigen Biographie (Bd. 1–8) bearbeitete er zahlreiche Biographien deutscher Juristen besonders des 15. und 16. Jahrhunderts, z. B. die von Brück, den Carpzoven, Fachs u. s. w.

Von strenger religiöser Gesinnung und politisch ein conservativer Preuße hat er am öffentlichen politischen Leben Preußens namentlich in den Jahren 1856 bis 1863 thätigeren Antheil genommen und sich da „viel Feinde und viel Ehre“ erworben. Später stand er einer activen politischen Theilnahme fern, folgte aber mit Sympathie und klarem Urtheil der Neugestaltung des deutschen Reiches. Im Oberappellationsgericht zu Jena war er ein einflußreiches und an den Debatten sich lebhaft und streitbar betheiligendes Mitglied. M. war zweimal verheirathet, in erster Ehe mit Marie Mumm von Schwarzenstein aus Frankfurt a. M. Die Ehe, die 1864 geschlossen worden war, löste zum unsäglichen Schmerz des Gatten der Tod schon 1865, bei der Geburt eines Knaben. In der Widmung seines Buches: „Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben“ hat M. der Geschiedenen in ergreifenden Worten ein schönes Denkmal gesetzt. 1868 ging er eine zweite, glückliche Ehe mit Emma Kraiß aus Koburg ein, 1873 entriß ihm der Tod sein einziges Söhnchen Albert. Früher schon hatte ein vorzeitiger Tod ihm einen wissenschaftlich hochstehenden Bruder geraubt, der gleichfalls Jurist war (Ferdinand M., geb. am 28. März 1838, Schüler von Brinz und Sanio, Advocat in Koburg, Verfasser von „In fr. VI. communia praediorum comm.“ Erl. 1858, † 26. März 1867). Muther’s verschlossene Innerlichkeit trug schwer an diesen Verlusten, so heiter er wol auch in seiner behaglichen und gerne mit Collegen und Studenten getheilten Häuslichkeit gelegentlich sein konnte. Im letzten Lebensjahre traf ihn ein Schlaganfall, von dem er sich nicht völlig erholte. [107] Am 29. November 1878 entriß ihn ein plötzlicher, in Folge Lungenödems eingetretener Tod seiner Wirksamkeit.

K. Schulz, Kritsche Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgegeben von Brinz und Pözl. 21. Bd. S. 321–327. H. Boehlau, Beilage zu den Mecklenburgischen Anzeigen Nr. 285 vom 6. December 1879.