ADB:Nicolai, Johann David

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Artikel „Nicolai, Johann David“ von Johann Friedrich Iken in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 593–596, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nicolai,_Johann_David&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 09:41 Uhr UTC)
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Nicolai: Johann David N., Doctor der Theologie und Prediger an der lutherischen Domgemeinde zu Bremen. Geboren am 25. Februar 1742 zu Hamburg in einfachen Verhältnissen (sein Vater war ein unbemittelter Mehlhändler), entschloß er sich zum theologischen Studium, und es gelang ihm, die Schulen seiner Vaterstadt und die Universität Göttingen besuchen zu können, wobei er sich ein vielseitiges Wissen aneignete. Nach Vollendung dieser Lehrzeit (1767) ließ er sich nicht nur zu Hamburg, sondern auch durch ein besonderes Examen zu Stade im Hannoverschen unter die Predigtamtscandidaten aufnehmen. In Folge davon konnte ihm, nach zweijährigem Wirken als Hauslehrer zu Bremervörde, die Stelle eines Subrectors an der zu Hannover gehörigen lateinischen Domschule in der Stadt Bremen verliehen werden, welche er am 25. April 1771 antrat. In der freien Reichsstadt Bremen nämlich war die früher erzbischöfliche Domkirche nebst Schule und anderen dazu gehörigen Gebäuden nach der Reformation nicht an die Stadt gefallen, sondern davon getrennt geblieben, im Westfälischen Frieden dann mit dem übrigen erzbischöflichen Gebiet an Schweden und hernach an Braunschweig-Lüneburg oder Hannover gekommen. Die Folge [594] davon war gewesen, daß diese Kirche auch den zweiten Glaubenswechsel in Bremen, nämlich den zum Calvinismus (seit 1562), nicht mitgemacht, sondern lutherisch geblieben war. Da nun die lutherische Bewohnerschaft Bremens sich durch Zuzug aus der Umgegend fortwährend vermehrte und um die Zeit von Nicolai’s Antritt ca. 18,000 betrug (neben 14,000 Reformirten), so gewann auch die Domkirche immer größere Bedeutung in der Stadt; sie hatte mehrere Volks- und eine lateinische Schule mit höherer akademischer Abtheilung („Athenäum“), sowie ein eigenes Waisenhaus. Unter ihren vier Pastoren führte der erste den Titel eines Superintendenten und Consistorialrathes. N. bewährte sich an der Schule als tüchtiger Lehrer, sodaß er 1778 zur Rectorstelle hinaufrückte. Er verfaßte in dieser Zeit auch eine größere, mehr praktisch und erbaulich gehaltene Erklärung des Neuen Testamentes in vier Abtheilungen, welche in jener Zeit mehrfach erwähnt und benutzt wurde (1775 und 1776). 1781 aber trat er als vierter Prediger am Dom in den eigentlichen geistlichen Beruf ein. Bei seinen großen Rednergaben, seinem unermüdlichen Fleiße, seiner hingebenden Treue und persönlichen Liebenswürdigkeit gelang es ihm bald, die Liebe der Gemeinde und die Achtung Anderer zu erwerben. Ein ernster Kampf aber wurde ihm zu Theil, als in Folge der durch den Reichsdeputationshauptschluß zu Regensburg (1802 und 1803) in Deutschland herbeigeführten Territorialveränderungen das erwähnte politische Mißverhältniß in Bremen zu einer Aenderung gelangte. Die Stadt erhielt nämlich damals nicht nur viele ihr früher gehörende, aber an mächtige Nachbarn verlorene Gebietstheile zurück, sondern zugleich bekam sie die sämmtlichen, in ihren Mauern gelegenen, ehemals erzbischöflichen Gebäude (im Ganzen 154 meistens recht ansehnliche Häuser) mit allem Zubehör (26. October 1802). Damit ergab sich die wichtige Folgerung, daß auch die große lutherische Domkirche und Gemeinde unter reformirte Leitung gerieth. Zwar konnte das jetzt nicht mehr bedenklich erscheinen. Hatten sich doch die confessionellen Gegensätze bereits bedeutend abgeschwächt und weitherziger Duldung Platz gemacht. Auch erließ der Bremer Rath, welcher die kirchliche mit der bürgerlichen Herrschaft in sich vereinigte, bald ein Proclam, welche den neuen Unterthanen völlige Glaubensfreiheit zusicherte (12. Februar 1803), gleichwie er auch, was bisher nie geschehen, einen Lutheraner unter seine eigenen Mitglieder aufnahm. Allein mit solch gutgemeinten Absichten und Ansätzen ließen sich die in der neugeschaffenen Situation liegenden Schwierigkeiten noch nicht lösen. Fragte es sich doch, in welches rechtliche Verhältniß nun diese Domgemeinde mit ihren Predigern zum Rath und anderen Stadtgemeinden zu treten, und wer die Verwaltung ihrer Schulen, ihres Waisenhauses und ihrer ansehnlichen Güter (der sogen. Structurgüter) zu übernehmen habe. Und während man von Seiten des Domes möglichste Selbständigkeit unter dem jus circa sacra des Rathes, zugleich aber auch endliche Gewährleistung aller den Lutheranern in Bremen bisher noch vorenthaltenen Rechte (für die Prediger: Gebührenempfang für kirchliche Handlungen sowie Proclamations- und Copulationsrecht, für die Gemeindeglieder: Berechtigung zu allen bürgerlichen Aemtern) beanspruchte, glaubte man rathsseitig der Domgemeinde als solcher gar keine rechtliche Stellung zuerkennen zu können, sondern Alles der freien Verfügung der Stadtobrigkeit anheimgegeben zu sehen, wie denn auch der Rath ohne Weiteres die Inspection von Schulen und Waisenhaus, sowie die Verwaltung der Structurgüter an sich nahm. Auch die Erwählung eines lutherischen Predigers an der reformirten St. Ansgariikirche (1804) begünstigte die neue Obrigkeit zur allmähligen Vertheilung der großen Domgemeinde. Hieraus erwuchs nun eine heftige Zwietracht, die sich, nach vielen erfolglosen Petitionen seitens der Domgemeinde, zu einem Rechtsstreite beim [595] Reichskammergerichte in Wetzlar gestaltete, neben welchem auch ein erbitterter Federkrieg innerhalb und außerhalb Bremens geführt wurde. An der Spitze der für den Dom Streitenden stand N., welcher in verschiedenen Schriften mit großer Ausführlichkeit und hohem Pathos seine Sache führte, auch als geistiger Urheber aller auf jener Seite geschehenen Schritte galt, weßhalb man den Streit auch wohl als den „Nicolai’schen Kirchenstreit“ bezeichnet hat. Zur Entscheidung kam die Sache zunächst noch nicht, indem 1806 das Deutsche Reich und mit ihm das Reichskammergericht zu Ende ging. Die Hauptfragen blieben damit ungelöst, und bei vielen Veranlassungen trat stets auf’s Neue der Widerspruch der sich unterdrückt glaubenden Domgemeinde hervor. Endlich gelang es, unter dem Drucke der schweren Zeitereignisse, zu einem Ausgleich zu kommen, indem man vor der Einverleibung Bremens in das französische Kaiserreich (December 1810) schnell eine beiderseits befriedigende Einigung schloß. N. hatte sich durch diese Begebenheiten in besonders hohem Grade das Vertrauen seiner Gemeinde erworben, war auch während der Zeit erster Geistlicher (Pastor primarius) an seiner Kirche geworden. Unter der französischen Fremdherrschaft gehörte er zu den 30 angesehenen Bürgern, welche mit ihrem Kopfe für das Leben des ersten städtischen Präfecten einstehen mußten und war bei der eintretenden Gährung längere Zeit in Gefahr, nach Wesel transportirt zu werden. Die Befreiung feierte er durch verschiedene, zum Theil in den Druck gegebene Predigten. Auch die 300jährige Erinnerung der Reformation (October 1817) begeisterte ihn zu schwungvollen Reden. Doch sollte dies hochgefeierte Ereigniß für ihn wieder von unerwünschter Folge werden. Von dem Zuge zur Union nämlich, welcher damals durch das protestantische Deutschland ging, wurden auch in Bremen Viele erfaßt, und es ging namentlich von dem bekannten Pastor Dräseke an St. Ansgariikirche ein Versuch aus, dieselbe in der Weise durchzuführen, daß die vielen in der Stadt wohnenden Lutheraner den verschiedenen städtischen Gemeinden zugewiesen würden. So wenig der keinswegs confessionell lutherische, sondern mild rationalistische N. den anderen Evangelischen abgeneigt war, so sehr fürchtete er auch diesmal eine Zerstückelung der großen Domgemeinde und widerstand darum diesem Ansinnen in kräftigster und erfolgreichster Weise mit Wort und Schrift (1823). Andererseits hatte er sich gern mit den Reformirten den ersten Anfängen der Norddeutschen Mission angeschlossen und gehörte zu deren Bremer Deputation (1819). Im Uebrigen war es ihm vergönnt, bis in sein hohes Alter in der Gemeinde wirksam zu sein. Dieselbe zeichnete ihn schon bei seiner 25. Amtsfeier (1806) aus, indem sie für ihn den theologischen Doctortitel von Göttingen erbat. 1821 aber, bei der 50jährigen Feier seiner Thätigkeit an der Domkirche, wurde dem Greise ein großartiges Jubelfest zu Theil. Nicht minder tiefempfunden erschien dann 1826 die allgemeine Trauer um ihn, als der 84jährige, nachdem er ein Jahr vorher sein Amt niedergelegt (9. Januar 1825), am 3. April d. J. heimgegangen war. Eine über seine locale und zeitgeschichtliche Stellung hinausreichende Bedeutung hat N. gerade nicht erlangt, doch ist er durch die erwähnten Ereignisse, durch viele bei den verschiedensten Gelegenheiten gehaltenen Predigten, Brochüren und andere, mehr der Erbauung oder dem Augenblick dienende, Schriften, im Zusammenhang mit seinen hervorragenden Gaben zu seiner Zeit eine in weiten Kreisen mit Achtung genannte Persönlichkeit gewesen.

Rotermund, Bremisches Gelehrtenlexikon, und Geschichte der Bremer Domkirche. Die meisten der von N. herausgegebenen Schriften finden sich in der Bremer Stadtbibliothek, woselbst die bei Gelegenheit des Streites zwischen Dom und Stadt von verschiedenen Seiten erschienenen Schriften in [596] 7 Bänden zusammengefaßt sind. Ueber diesen Streit insbesondere s. den Aufsatz von Dr. A. Kühtmann: Der Nicolai’sche Kirchenstreit, in dem Brem. Jahrb. XI. Bd. S. 58 ff.