ADB:Otmar (Abt von St. Gallen)

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Artikel „Otmar (Abt von St. Gallen)“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 546–548, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Otmar_(Abt_von_St._Gallen)&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 09:41 Uhr UTC)
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St. Otmar, erster Abt von St. Gallen, gestorben am 16. November 759. Nicht der landesfremde Columbansjünger St. Gallus (A. D. B. VIII, 345. 346) ist der Urheber eines eigentlich klösterlichen Lebens und damit der [547] zukünftigen Größe St. Gallens gewesen, sondern der im curischen Rätien unter der Obhut des dortigen Präses Victor herangebildete Alamanne O. Derselbe stand zuerst einer Kirche des St. Florinus in Rätien – vielleicht derjenigen zu Remüs im Unter-Engadin – vor. Dann aber wurde er nach der von Gallus wahrscheinlich 613 geschaffenen Ansiedelung in der Gebirgseinsamkeit an der Steinach berufen. Der angesehenen Centenar Waltram, von dessen Familie die am thurgauischen Bodenseeufer liegende und wahrscheinlich auch den Arbongau in sich schließende Hundertschaft den Namen Waltramshundert erhielt, hatte in O. die geeignete Persönlichkeit erkannt, um bei der Zelle, für die ihm als dem „tribunus Arbonensis“ die Sorge oblag, eine klösterliche Ordnung zu gestalten. 720 geschah diese Einführung des der Regel entsprechenden Lebens, zugleich mit baulichen Veränderungen, die zwar wohl noch in bescheidenem Maßstabe sich hielten. Anstalten zur Aufnahme von Armen, ein Siechenhaus wurde errichtet, und der mildherzige Abt widmete sich ganz voran diesen Werken der Barmherzigkeit. Ebenso ist die Annahme gestattet, daß die ersten Anfänge der Schule schon unter O. fallen. Ferner beginnen zahlreichere urkundlicher Nachrichten über die Ausstattung des Klosters, und zwar kommen die Schenkungen und Uebertragungen von Landbesitz alsbald nicht blos aus den nächsten Umgebungen, sondern besonders auch aus den entfernteren zürichgauischen Gegenden des Thurgaus, ferner von den jenseitigen Ufern des Bodensees, sowie aus der Baar und vorzüglich aus dem Breisgau. Als 747 der Majordomus Karlmann nach Niederlegung seiner Gewalt nach Italien ging, besuchte er St. Gallen und empfahl seinem Bruder Pippin brieflich das Kloster. Darauf reiste O. mit diesem Schreiben an den Hof Pippin’s. Dieser übergab dem Abte behufs Einführung in St. Gallen die Benedictiner-Regel, vor der nunmehr die Regel Columbans zurücktrat. Ferner schenkte er einige zinspflichtige Leute im Thurgau – eine später urkundliche Erwähnung Ludwigs des Frommen gedenkt noch einer ähnlichen Vergabung im Breisgau – und eine Glocke an das Kloster. Der Umstand, daß 746 durch Karlmanns scharfe Maßregeln die Alamannen endgültig zum Gehorsam zurückgebracht worden waren, mag diese nähere Verbindung St. Gallens mit dem arnulfingischen Hause erklären. Dagegen ist in Anbetracht der weitgehenden, in der nachherigen St. Galler Tradition überall zu Tage tretenden Widersprüche abzulehnen, was noch von weiteren Beziehungen des Klosters vorgebracht wird, von einer Uebertragung St. Gallens schon an Karl Martell, sowie von einer Immunitäts-Ertheilung durch Pippin. Das Aufblühen des Klosters rief nun aber Angriffe auf O. hervor. Die durch Pippin als Statthalter mit einer außerordentlichen Amtsgewalt ausgestatteten Grafen Warin und Ruodhart erlaubten sich habgierige Eingriffe in das Klostervermögen und legten Abt O., als er sich für sein Recht bei Pippin verwandte, gefangen. In seiner Haft, wohl nur kurze Zeit nach seiner Wegführung vom Kloster, starb O.: der Platz seines Todes, das Inselchen Werd am Ausflusse des Rheines aus dem Bodensee, vor dem Städtchen Stein, ist heute mit seiner Capelle St. Otmar ein Wallfahrtsort. Erst eine aus späteren parteigefärbten Vorstellungen herausgewachsene Beleuchtung dieser Dinge hat in der in St. Gallen erwachsenden Geschichtserzählung den Constanzer Bischof Sidonius in die Angelegenheiten von Otmars Entfernung verflochten.

Otmar’s Leiche blieb längere Zeit auf Werd; denn erst nach zehn Jahren wagten es die Mönche, dieselbe nach dem Kloster zu bringen. Das spätere Attribut des Heiligen, „St. Otmars Lägel“, das Fäßchen, welches derselbe auf dem Arme trägt, weist auf ein Wunder hin, das von der Ueberfahrt des Körpers über den See erzählt wird, wobei das im Schiffe für die Ruderer mitgeführte Gefäß eine auch im Sprichwort gerühmte Unversiegbarkeit aufgewiesen [548] habe. In der Kirche, die in etwas soliderer, geräumiger Bauart durch O. selbst an die Stelle des alten Bethauses ohne Zweifel gesetzt worden war, wurde er nun beigesetzt. Dann aber gerieth Otmar’s Andenken sichtlich allmählich in Vergessenheit, sodaß 830 beim Niederreißen jener alten St. Galluskirche man schwere Steine auf seine Grabstätte niederfallen ließ. Man trug nun die Reliquien in die St. Peterskirche, ließ sie aber wieder ein Menschenalter hindurch liegen. Erst am 24. September 867, drei Jahre nachdem der Leib des Heiligen in die längst beendigte St. Galluskirche zurückgebracht worden war, geschah unter Abt Grimald die letzte feierliche Translation in die inzwischen erstellte und an diesem Tage durch Bischof Salomon I. von Constanz eingeweihte St. Otmarskirche, welche später das westlichste Stück des das Münster bildenden Gebäudecomplexes ausmachte. Diese Translationen gaben ferner den Anlaß zu historiographischen Arbeiten über O. Gleich nach derjenigen von 830 schrieb der gleiche Diakonus Gozbert (A. D. B. IX, 523), welcher schon in seiner Fortsetzung der Wunder des heiligen Gallus von O. gehandelt hatte, ein Leben des Heiligen sammt einigen Wundern, bis auf die Gegenwart hinunter. Nachher, nach den Feierlichkeiten von 864 und besonders von 867, machte sich der Lehrer an der Klosterschule Iso (A. D. B. XIV, 637) an die Arbeit und beschrieb diese Translationen, fügte geschehene Wunder bei, beleuchtete aber vorzugsweise, nach den besten Quellen, nochmals unter Festsetzung der Zeitverhältnisse in einem Excurse die Geschichte des Abtes und seiner Reliquien. Seit 867 stieg das Ansehen Otmar’s als eines Heiligen. Von 878 ist die erste Urkunde, welche O. neben Gallus als Schutzpatron des Klosters nennt, während noch der Bauplan aus Abt Gozbert’s Zeit Otmar’s gar nicht gedacht hatte. Kaiser Karl III. dann war ein besonders warmer Verehrer Otmar’s, zu dessen Dienst er den königlichen Hof Stammheim an St. Gallen schenkte. Von da an erschienen Gallus und O. als einander gänzlich beigeordnet, und noch heute ist in der Umgebung von St. Gallen der 16. November, der Tag Otmar’s, ein besonders populärer Festtag.

Vgl. die vom Verf. d. Art. in Heft 12 und 13 der Mittheilungen des histor. Vereins von St. Gallen neu edirten, oben erwähnten Geschichtsquellen und Ratperts Casus, mit den kritischen Erörterungen in dem beigegebenen Commentare.