ADB:Rapp, Moritz

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Artikel „Rapp, Moritz“ von Hermann Fischer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 297–299, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rapp,_Moritz&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 14:18 Uhr UTC)
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Rapp: Karl Moritz R., geboren zu Stuttgart am 23. December 1803, † daselbst am 7. April 1883. – R. war der zweite Sohn des Stuttgarter Kaufmanns und Kunstfreundes Gottlob Heinrich R. (s. d.); er durchlief das Stuttgarter Gymnasium und studirte in Tübingen zuerst Jurisprudenz, dann neuere Sprachen und Litteraturen. Mehrmalige Reisen führten ihn durch Deutschland, nach Frankreich, in die Schweiz, nach Skandinavien und halfen den Grund zu ausgedehnten Sprachkenntnissen legen. Nachdem R. schon 1827 zum Dr. phil. promovirt hatte, ließ er sich 1832 als Docent für ausländische Sprache und Litteratur in Tübingen nieder. Wegen Kränklichkeit gab er 1837 seinen Lehrauftrag auf und lebte in den folgenden Jahren meistens in Rottweil. Im J. 1844 nahm er seine Vorlesungen wieder auf und hat von da an bis zu seiner Pensionirung über Sprachvergleichung, über moderne Sprachen in weitem Umfang (italienisch, spanisch, niederländisch, deutsch, slavische Idiome), sowie über hervorragende Dichter der modernen Völker, einmal auch über das altgriechische Drama gelesen. Im J. 1846 erhielt R. den Titel und Rang, 1852 die wirkliche Stellung eines außerordentlichen Professors. 1880 wurde er pensionirt; er siedelte später nach Cannstatt, zuletzt in seine Vaterstadt Stuttgart über, wo er nach kurzem Aufenthalt starb. Er war unvermählt und hat ein höchst zurückgezogenes und entbehrungsvolles Leben geführt. – R. war ein Mann von vielseitigem Talent und großem Fleiß, dem zur Erreichung bedeutender Erfolge nur mehr Schulung und Beschränkung nothgethan hatte. Er hatte Talent für bildende Kunst, wie sein Vater, aber wohl noch mehr für Musik, was aus seinen Schriften spricht. Abgesehen von seinen in Zeitschriften (Morgenblatt, Tübinger Jahrbücher der Gegenwart, Herrig’s Archiv, Cottaische Vierteljahrsschrift, Die deutschen Mundarten und wol noch anderswo) zerstreuten Artikeln hat er eine Anzahl von einzelnen Werken veröffentlicht, die ich hier zusammenstelle, weil sie noch nirgends aufgeführt sind.

1) Poetische Arbeiten: a) Eigenes: „Dramatische Studien“. Erstes Stück. Die Prager Schlacht. Stuttg. 1828. Ferner, unter dem Pseudonym [298] „Jovialis“: „Lustspiele“. Tüb. 1835; „Atellanen“. Stuttg. u. Tüb. 1836, und „Atellanen“. Zweite Sammlung („von Rapp-Jovialis“). ibid. 1842; „Hans Sachs. Ein Lustspiel.“ Tüb. 1877, aber schon 1839–1842 verfaßt. b) Uebersetzungen: „Die Plautinischen Lustspiele, im Trimeter übersetzt.“ Stuttg. 1838–1852; „William Shaksperes Schauspiele, übersetzt und erläutert von Adelbert Keller und Moriz Rapp.“ Stuttg. 1843–1846. (Von Keller sind die Stücke aus der antiken Geschichte und Sage und die englischen Historiendramen; von R. alle übrigen nebst Lear und Macbeth); „Spanisches Theater“. 7 Bände. Hildburghausen 1868–1870. (Von R. sind Band 1, 3, 4, 7 ganz, Band 6 theilweise, sowie die Einleitungen zu Band 5 und 6).

2) Litterarhistorische Arbeiten: „Das goldene Alter der deutschen Poesie“. Zwei Bände. Tüb. 1861; „Geschichte des griechischen Schauspiels vom Standpunct der dramatischen Kunst“. ibid. 1862; „Studien über das englische Theater“. Zwei Abtheilungen. ibid. 1862.

3) Linguistische Arbeiten: „Versuch einer naturwissenschaftlichen Beleuchtung des Verhältnisses zwischen antiker Prosodie und dem modernen Sprachaccent“. Stuttg. u. Tüb. 1827 (Doctorarbeit); „Versuch einer Physiologie der Sprache“. Vier Bände. ibid. 1836–1841; „Vergleichende Grammatik“. Fünf Bände. ibid. 1852–1859.

Die Beurtheilung aller dieser Arbeiten kann keine einheitliche sein; neben sehr interessanten geistreichen Gedanken sind schrullenhafte und pedantisch-kleinliche nicht selten. Immer erweckt, wo nicht die Originalität, doch die Unabhängigkeit des Denkers und Schriftstellers bedeutende Achtung. Die poetischen Werke zeigen das Studium Shakespeare’s, wohl auch der Spanier und der deutschen Romantik. Sehr bedeutende Leistungen im Ganzen sind nicht darunter, wohl aber geistvolle und bedeutende Einzelheiten. Störend wirkt, neben einer gewissen Originalitätssucht, die Pedanterie, mit der fremdsprachliche Kenntnisse zur Geltung gebracht und orthographische Absonderlichkeiten durchgeführt sind; auch die Vorliebe für Einmischung deutscher Mundarten wirkt nicht immer gut. Von den Uebersetzungen ist die Shakespeare’s wegen großer Freiheit gegen das Original zu nennen; diese Freiheit geht bis zur Veränderung scenischer Anordnungen und des Schauplatzes sammt den Personennamen; was bei minder weltbekannten Stücken leichter ertragen wird, das wirkt z. B., wenn Ophelia der Correctheit des dänischen Kostüms halber zu einer Ingeborg wird, geradezu unerträglich. Eine ähnliche Pedanterie und jedenfalls Mangel an nüchternem Sinn ist es, wenn R. Goethe’s Egmont umarbeitet, Schiller’s Wallenstein in zwei Stücke umformen oder seinen Tell ins Schweizerdeutsche übersetzen möchte. Die litterarhistorischen Arbeiten zeigen ganz ähnliche Schwächen. Aber wenn die über das englische Drama eine sehr schätzbare Materialsammlung, wenn auch seltsam geordnet, gibt, so enthalten die beiden andern, namentlich das Werk über die deutsche Poesie, neben großen Wunderlichkeiten und einer zu weit gehenden Hintansetzung des biographischen und chronologischen Factums, sehr viel interessante Bemerkungen; besonders ist die Selbständigkeit der Auffassung und die Unabhängigkeit von landläufigen Urtheilen, wenn auch oft allzustark ausgeprägt, zu rühmen, und es wäre zu wünschen, daß Rapp’s Auslassungen mehr studirt würden, als geschieht. Am werthvollsten sind wol die linguistischen Arbeiten. Sie haben alle ihren Schwerpunkt in dem, was R. „Physiologie“ der Sprache nennt, d. h. in seinen Anschauungen von der Natur der Laute und des Lautwechsels. Die fein gedachte Doctorarbeit ist jetzt veraltet. Am bedeutendsten ist wohl die Physiologie der Sprache. Es ist hier freilich oft construirt, wo mehr nur beobachtet sein sollte, anstatt der jetzt derartigen Arbeiten zu Grunde gelegten naturwissenschaftlichen Begründung ist öfters eine ästhetisch-philosophirende, [299] schematisirende beliebt; aber das empirische Material ist sehr reich, und das Ganze ist ein sehr beachtenswerther erster Versuch, der in der Geschichte der Linguistik trotz der Schwächen und der ermüdenden Längen, die er an sich hat, mit Ehren genannt werden darf. R. hat in dieser Arbeit – und das ist mit ein Grund, warum sie schnell veraltet ist – nur die beiden classischen Sprachen und die des romanischen und germanischen Sprachstammes behandelt. Diese Lücke füllte er aus, indem er in der Vergleichenden Grammatik die ganze indogermanische Sprachfamilie behandelte, mit Ausnahme des Keltischen, das er als eine derselben fremde Sprache ansah; im Uebrigen ist dieses Werk noch weniger für die Dauer bestimmt, als das vorhergehende. – Rapp’s Schriftstellerei ist, wie sein Leben, ein beständiger Kampf mit der Noth und dem Fluch einer isolirten Stellung. Der Wirkung in die Breite des Publicums hat er sich leider durch seine Seltsamkeiten beraubt. Er dürfte aber, wenn ihn auch Niemand zum Vorbild nehmen wird, mehr gelesen werden, denn es ist immer etwas von ihm zu lernen.

R. war bei seinem Tode schon ein vergessener Mann, der nirgends eine biographische Darstellung bekommen hat. Zu dem vorstehenden Abriß hat mir Herr Bibliothekar Dr. C. Geiger das amtliche Material aus den Tübinger Universitätsacten mit großer Freundlichkeit zukommen lassen.