ADB:Raschle, Josabe

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Artikel „Raschle, Josabe“ von Hermann Wartmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 318–319, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Raschle,_Josabe&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:21 Uhr UTC)
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Raschle: Josabe R., geb. am 14. Nov. 1756 auf der Lad, Gemeinde Wattwil, Kanton St. Gallen, † am 28. August 1826 zu Wattwil, und seine beiden Söhne Abraham, geb. am 30. August 1792, † am 8. April 1863, und Rudolf, geb. am 13. April 1798, † am 8. April 1867, in Wattwil, gehören jenem kernhaften Schlage toggenburgischer Fabrikanten und Großindustriellen an, die – aus den einfachsten Verhältnissen hervorgegangen – schließlich mit ihren Unternehmungen die Welt umspannten und Tausenden ihrer Landsleute Arbeit und Verdienst gewährten. Die Jahre, in denen Josabe in seinem einsamen Bergthale aufwuchs, waren die Zeit der ersten Blüthe der St. Gallischen Baumwollenindustrie. Eben hatte sich die einfache Kunst des Baumwollspinnens und Webens über das ganze Land verbreitet. In den großen Kaufhäusern St. Gallens und Winterthurs fand sich das fertige Product aus der „Grafschaft Toggenburg“ zusammen, um von dort aus nach allen Richtungen hin vertrieben zu werden. Josabe R. begann seine Thätigkeit damit, daß er rohe Baumwolle kaufte, sie auf seinem Rücken in die Dörfer zwischen den Toggenburger Bergen und dem obern Zürichsee hinübertrug, wo noch wohlfeiler gesponnen wurde, als in dem schon sehr industriellen Thurthale. Dort verteilte er den Rohstoff in die Häuser, nahm ihn nachher als Gespinnst wieder zu Handen und verkaufte dieses mit bescheidenem Gewinn an die größeren Garnhändler. Um das Jahr 1790 ging er dazu über, das Garn selbst zu gröberen Baumwolltüchern verweben zu lassen, später zu farbigen „Cottonnes“ und Nastüchern, und das Gewebe zum Verkauf zu bringen. Josabe R. war ein Fabrikant geworden und siedelte im J. 1805 von der Lad nach Wattwil über, um dem Verkehre näher zu sein. Die Söhne Abraham und Rudolf wuchsen in dem väterlichen Geschäfte auf und führten es nach des Vaters Tode von 1826–32 unter der väterlichen Firma gemeinsam in gewohnter Weise fort. Allerdings gewann es allmählich eine etwas größere Ausdehnung; doch beschränkte sich der Absatz fast ausschließlich auf das Inland. Das Ausfuhrgeschäft wurde erst kräftig an die Hand genommen, als sich die Brüder trennten und jeder sein eigenes Haus gründete (1832). Abraham, der ältere, blieb zunächst noch wesentlich auf der Grundlage des bisherigen Geschäftsbetriebs und erweiterte und ergänzte denselben mit seinem Associé J. G. Keller-Steffan von Bischofzell nur vorsichtig und nach und nach durch directen Verkehr mit dem Ausland in mäßigem Umfang. Rudolf, der jüngere, warf sich mit aller Macht auf den Export im großen Maßstabe. Er bereiste regelmäßig Italien, Holland, Frankreich und England, errichtete auf den wichtigsten Plätzen eigene Agenturen und knüpfte unmittelbare Verbindungen mit großen Geschäftshäusern in Nord- und Südamerika, der Levante, Ost- und Hinterindien und Manila an. Seit 1842 stand ihm als Associé Jakob Lanz aus dem bernischen Roggwil zur Seite, vorher die Gattin, ebenfalls aus dem Kanton Bern, eine geborene Elise Roth von Wangen, mit weitem Blick und hohen Geistesgaben ausgestattet; wie auch die Gattin Josabe’s, eine tüchtige Toggenburgerin Abderhalden, ganz wesentlich an dem geschäftlichen Aufbau des Hauses mitgearbeitet hat und überhaupt die Frauen in unserer Textilindustrie [319] eine sehr bedeutende Stellung einnehmen, wenn schon nicht viel von ihnen die Rede ist. In den Jahren 1850–60 beschäftigte die Firma J. R. Raschle & Co. etwa 4000 Handweber; der jährliche Garnverbrauch betrug 4–5000 Centner; die Weber- und Spulerlöhne beliefen sich auf annähernd 150,000 Gulden. Dazu hatte das Haus eine eigene kleinere Spinnerei von ca. 6000 Spindeln übernommen, um wenigstens einen Teil der benöthigten Garne selbst anfertigen zu können. Zu den mehrfarbigen glatten Handgeweben waren die Jacquardgewebe getreten, die seit den vierziger Jahren besonders im Verkehr mit dem Orient eine große Rolle spielten. Aber seit dem Krimkriege begann die Bedeutung der Levante als Absatzgebiet für die toggenburgische Buntweberei unaufhaltsam zu sinken; durch den amerikanischen Bürgerkrieg und die von ihm hervorgerufenen Prohibitivzölle gingen die Vereinigten Staaten als Käufer gänzlich verloren. Mehr als ersetzt wurden diese Verluste durch die steigende Bedeutung der hinterindischen und ostasiatischen Plätze, der Mittelpunkte des Verkehrs für die gewaltigen Bedürfnisse der malayischen Welt. Singapore und Penang, Java, Makassar und Manila traten auch für das Haus J. R. Raschle als die Abnehmer bunter Schärpen (Sarongs) und Mouchoirs in erste Linie. Mit der Eroberung dieser Märkte erreichte die toggenburgische Buntweberei überhaupt ihren Höhepunkt, und der kräftigende Einfluß dieses neuen Aufschwungs gab Muth und Mittel zu dem allgemeinen Uebergang auf die mechanische Anfertigung der eigentlichen Massenartikel; denn der mechanische Webstuhl mit Wechsel war inzwischen schon seit längerer Zeit erfunden worden, wenn auch bei uns bis dahin nur sehr spärlich zur Anwendung gekommen. Auch Rudolf R. erbaute im J. 1865 bei Wattwil eine mechanische Weberei mit 208 Stühlen; damals weitaus die schönste und besteingerichtete des Toggenburg und auch jetzt noch hinter wenigen zurückstehend. Zwei Jahre nachher starb er und hinterließ das von ihm unter Mitwirkung seines heute noch lebenden Associé zu voller Entwicklung und Blüthe gebrachte Geschäft seinem Nachfolger nach jeder Richtung gesund und stark. Mit Recht wird vor allem Rudolf R., neben ihm aber auch der Vater Josabe und der Bruder Abraham, zu den Bahnbrechern der toggenburgischen Buntweberei gezählt.