ADB:Reihing, Jacob

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Artikel „Reihing, Jacob“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 698–700, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reihing,_Jacob&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 18:10 Uhr UTC)
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Reihing: Jacob R., geb. am 6. Januar 1579 in Augsburg, † am 5. Mai 1628 zu Tübingen, bekannt durch seine polemische Thätigkeit gegen die protestantische Kirche, noch bekannter durch seinen Uebertritt zu dieser Kirche. Einem altadeligen Augsburger Geschlecht entstammend (Vater: Jakob R., Mutter: Katharine geb. Vähler), hatte er schon als Knabe das Unglück, seine Eltern zu verlieren; mit seinem Bruder Konrad wurde er in dem Jesuitencollegium zu Ingolstadt erzogen, infolge eines Gelübdes, in schwerer Krankheit abgelegt, trat er in den Orden selbst ein und wurde wegen seiner Gelehrsamkeit, seiner scharfen klaren Polemik und wegen seiner Gewandtheit dort hochgeehrt und einer der eifrigsten Vorkämpfer des Ordens und damit des Katholicismus. Sein Noviziat bestand er in Landsberg, dann wurde er Professor in Innsbruck, später Lehrer der Theologie und Philosophie in Ingolstadt; der Ordensgeneral Aquaviva selbst ertheilte ihm den theologischen Doctorgrad, eine Zeit lang war R. in Dillingen thätig; ein größerer Wirkungskreis eröffnete sich ihm, als er Nov. 1613 mit Magdalena, der gelehrten aber bigotten Frau von Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg nach Neuburg kam. Wolfgang Wilhelm war am 19. Juli 1613 heimlich zur römischen Kirche übergetreten, ob R. dabei schon thätig gewesen ist, läßt sich nicht feststellen; in Neuburg war er Hofgeistlicher des herzoglichen Paares, las im Zimmer Magdalena’s die Messe und als Wolfgang Wilhelm am 23. Mai 1614 in Düsseldorf offen zum Katholicismus übertrat, ertheilte ihm R. die Firmung, hielt auch Nachmittags eine berühmte Predigt über die wahren Kennzeichen der Kirche, wie er denn in der Schrift Muri civitatis sanctae, Köln 1614 (auch ins Deutsche übersetzt: der katholischen Religion 12 Grundfesten) den Uebertritt des Herzogs zu rechtfertigen versuchte. Die Schrift erregte durch ihre Klarheit und Bündigkeit, noch mehr aber durch die Veranlassung, der sie ihre Entstehung verdankte, ziemliches Aufsehen; den Angriffen, womit die evangelischen Theologen Balthasar Meisner, Matthias Hoë von Honegg und Fabricius Bassecourt ihn bekämpften, setzte R. sein Buch: „Excubiae angelicae civitatis sanctae“, Neuburg 1617, und sein „Enchiridium catholicum“, ein sehr geschickt abgefaßtes Handbüchlein zur Vertheidigung des katholischen [699] Glaubens, entgegen. Ebenso eifrig arbeitete R., von Wolfgang Wilhelm zu seinem Hofprediger ernannt, an der Katholisirung von Pfalz-Neuburg; nach dem Tode seines Vaters Philipp Ludwig, 12. August 1614, führte Wolfgang Wilhelm die Gegenreformation in seinem Lande durch, zuerst langsam und mit gelinden Mitteln, bald aber mit allem Eifer und unter harten Bedrückungen und Gewaltthaten gegen seine Unterthanen. Eines der thätigsten Werkzeuge dabei war R.; es ist nicht möglich, in allem Einzelnen dies nachzuweisen, es sei nur erwähnt, daß er an der Disputation zwischen dem evangelischen Hofprediger Heilbrunner und seinem Ordensbruder Keller zu Neuburg, 24. Juni 1615, theilnahm, in der neugegründeten Schule in Neuburg jeden Sonntag eine Kinderlehre hielt, welche aber immer mehr in eine Disputation ausartete, er gründete Niederlassungen seines Ordens in verschiedenen Städten, und ähnliches. Da geschah auf einmal das Unerwartete, daß er, welcher sich rühmte, so viele Evangelische von ihrem Glauben abwendig gemacht zu haben, sich selbst zu diesem bekehrte. Am 5. Januar 1621, während gerade mit Trompetenschall und Heerpauken die Evangelischen in Neuburg vor ihren Fürsten geladen wurden, um von ihm ins Glaubensverhör genommen zu werden, entfloh R. aus Neuburg nach Hochstädt zu der evangelischen Mutter des Herzogs und von dort über Ulm nach Stuttgart, um daselbst „sicher Geleit zu erlangen und sein Gewissen zur Ruhe zu setzen“. Aeußerliche Gründe zu diesem gewagten Schritte, der ein ungeheures Aufsehen erregte, sind nicht nachzuweisen, die Beschuldigungen seiner früheren Ordensbrüder, seiner späteren Gegner, er sei aus Furcht vor Strafe wegen fleischlicher Vergehen aus Neuburg entflohen, wies R. mit Leichtigkeit als ganz nichtig zurück. Schon in seiner obenerwähnten Schrift muri hatte er die Autorität der heil. Schrift in einer Weise betont, welche in der katholischen Kirche kaum zulässig ist, die späteren Streitschriften, das Verlangen der Leute, welche er zum Katholicismus bekehren sollte, trieb ihn noch mehr zum Studium der Bibel, die Folge davon war eine innere Unruhe, welcher er nur durch Uebertritt und Flucht glaubte begegnen zu können. Herzog Johann Friedrich von Württemberg ließ, ehe er ihn aufnahm, durch den Kanzler Lucas Osiander und den Professor Thumm ein strenges Examen mit ihm anstellen, und als dasselbe sehr günstig für R. und dessen Rechtgläubigkeit ausfiel, sandte er ihn, reich ausgestattet, nach Tübingen, wo er im herzoglichen Stipendium den Freitisch und in der Nähe eine Wohnung angewiesen erhielt. Den Abgesandten des Herzogs von Neuburg und Baiern, welche in Tübingen R. durch Versprechungen und Drohungen zur Rückkehr zu bewegen suchten (27. Januar), setzte dieser standhaften Widerstand entgegen, auch der Herzog verweigerte seine Auslieferung und sorgte für Reihing’s Schutz. Am 2. Februar bestand R. ein neues Verhör vor dem collegium theologicum, wobei er auch die gegen ihn erhobenen Anklagen widerlegte. Am 23. November fand in Gegenwart des Herzogs Johann Friedrich, der sich sehr für diese Angelegenheit interessirte, sowie anderer fürstlicher Personen und der ganzen Universität in der St. Georgenkirche zu Tübingen der feierliche Uebertritt Reihing’s zur lutherischen Kirche statt. Reihing’s Vortrag Laquei pontificii contriti erschien sogleich im Druck und rief eine Menge Gegenschriften hervor. Am 21. Februar 1622 ernannte ihn der Herzog zu der ausdrücklich für ihn geschaffenen außerordentlichen Professur theologicarum controversiarum, er mußte die Concordienformel unterschreiben, auch wurde ihm auferlegt, alles was er veröffentliche, vorher der theologischen Facultät und dem Consistorium vorzulegen. Am 3. April 1622 habilitirte er sich mit der Schrift: „Adversus larvatum Jesuitam Dillinganum“; man erwartete von ihm besonders in der Polemik große Erfolge. 1. Mai 1622 verheirathete er sich mit Marie Welser, einer Augsburger Patricierstochter; aufs neue erging von jesuitischer Seite eine Fluth von [700] Schmähschriften gegen R. December 1625 wurde er ordentlicher Professor der Theologie und Superintendent des Stipendiums, März 1626 Prediger an der Georgenkirche; nicht lange genoß er diese Würden, Ende 1627 erkrankte er, wurde wassersüchtig und entschlief sanft am 5. Mai 1628; drei Tage nachher wurde er in der St. Georgenkirche begraben; seiner Ehe war ein Söhnlein entsprossen, von dessen Schicksalen nichts bekannt ist. Ueber seinen Tod wurden von den Jesuiten die unsinnigsten Lügen verbreitet, seine Tübinger Collegen rühmten seinen ehrbaren Wandel und seine Freundlichkeit gegen Jedermann. – Quellen außer dem, was R. in seinen eigenen Schriften über sein Leben angiebt: die Leichenrede von Lucas Osiander, Tübingen 1628. – Oehler, das Leben von Dr. Jacob Reihing in: der wahre Protestant, herausgegeben von Dr. Marriott, Bd. III. 1854, auf den Originalacten beruhend; Brock, die evangelisch-lutherische Kirche der ehemaligen Pfalzgrafschaft Neuburg, 1847. Von seinen Schriften ist noch besonders zu nennen: „Retraction und gründliche Widerlegung seines falschgenannten katholischen Handbuchs.“ 1626.