ADB:Reinhard, Franz Volkmar

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Artikel „Reinhard, Franz Volkmar“ von Ernst Wilhelm Förstemann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 32–35, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reinhard,_Franz_Volkmar&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 11:04 Uhr UTC)
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Reinhard: Franz Volkmar R. ward am 12. März 1753 zu Vohenstrauß, einem Marktflecken im Herzogthum Sulzbach geboren, wo sein Vater Johann Stephan Matthias R. ein hochangesehener Prediger war. Dieser hat den Sohn in dessen ersten fünfzehn Lebensjahren ganz allein unterrichtet. An der Bibel hat R. das Lesen gelernt und sie war für ihn in seiner frühen Kindheit fast die einzige Lecture; kein Wunder, daß sie für ihn sein Lebenlang das Buch der Bücher blieb. Daneben führte ihn der Vater, selbst tüchtig classisch gebildet und für das Alterthum begeistert, in die antiken Sprachen und Litteraturen ein, namentlich schon früh in den Cicero und Virgil. Deutsche Schriftsteller zu lesen hatte er in seiner Jugend kaum Anlaß, namentlich seitdem der Vater durch eine Feuersbrunst seine ganze Bibliothek verloren hatte; und doch regte sich seit seinem neunten Jahre schon ein lebhafter Drang zum Dichten in ihm. Besondern Einfluß auf ihn hatten Haller’s Gedichte, die er 13 Jahre alt kennen lernte. Endlich war die Gewöhnung an streng logisches Denken, namentlich beim Entwerfen von Dispositionen, ein Bildungselement, welches R. seinem Vater verdankte. Als R. 15 Jahre alt war (1768), entließ ihn der Vater auf das Gymnasium poeticum zu Regensburg, dem er selbst seine Schulbildung verdankte; wenige Tage nach der Trennung starb der Vater, einige Monate später die Mutter. Da die vier Kinder in sehr beschränkten Vermögensverhältnissen zurückgeblieben waren, wurde unserm R. seine weitere Ausbildung nur durch eine Freistelle und sonstige Unterstützungen möglich, die er in Regensburg erhielt. Während der fünftehalb Jahre, die er dort zubrachte und während deren er sich namentlich des wohlwollenden Einflusses des Conrectors Töpfer erfreuen konnte, hat er fast ausschließlich der Beschäftigung mit den antiken Schriftstellern gelebt, die er in seltenem Umfange las, ebenso wie er das neue Testament eifrig in der Ursprache studirte. Nach der dortigen Schulordnung hörte er auch wöchentlich drei Predigten, doch hielt er sich selbst damals für unfähig zum künftigen Predigen, da ihm seine schwächliche Körperbeschaffenheit daran hinderlich zu sein schien. Doch als er zu Ostern 1773 kaum die Universität Wittenberg bezogen hatte, machte er wenigstens einen ersten Versuch im Predigen in dem kleinen Nachbardorfe Dietrichsdorf, und dieser Versuch gelang über alle Erwartung, indem er ihm nicht bloß Anerkennung verschaffte, sondern auch bewies, daß seine Körperkraft dazu ausreichte. Damals warf er sich mit Eifer auf das Hebräische und andere orientalische Sprachen, noch mehr aber auf das ihn ungemein fördernde Studium der Philosophie; besonders ist ihm hier die Beschäftigung mit den Schriften von Crusius von dauerndem Einflusse gewesen. Er hörte auch [33] exegetische und dogmatische Vorlesungen, doch blieben ihm manche für ihn gewiß nützliche Fächer bei den damaligen Zuständen in Wittenberg fern. Während dieser vier Studienjahre war Reinhard’s kleines Vermögen aufgezehrt und er empfing den Rest desselben zur Rückkehr in die Heimath. Aber da mehrere Professoren ihm warm zuredeten, sich in Wittenberg zu habilitiren und ihm für diesen Fall einige Unterstüzungen in Aussicht stellten, so entschloß er sich, ihrem Rathe zu folgen und disputirte am 26. Febr. 1777 über seine Abhandlung „De versionis Alexandrinae auctoritate et usu in constituenda librorum hebraicorum lectione genuina“. Diese Arbeit ist ebenso wie seine anderen akademischen Schriften, die hier ihrer großen Anzahl wegen nicht einzeln aufgeführt werden können, in seinen von Pölitz herausgegebenen „Opuscula academica“ abgedruckt. Während seine philologischen und philosophischen Vorlesungen zahlreiche Zuhörer gewannen, stieg er in der akademischen Laufbahn bald höher. Schon im April 1778 erhielt er den Titel eines Adjuncten der philosophischen Facultät und, da man von ihm auch eigentlich theologische Vorlesungen zu hören wünschte, im November desselben Jahres den Rang eine Baccalaureus der Theologie, beides nach voraufgegangenen abermaligen Disputationen. Im J. 1780 erhielt er eine außerordentliche Professur der Philosophie und bekleidete in demselben Jahre zum ersten Male die Würde eines Decans der philosophischen Facultät; infolge dieser Stellung trat die Theologie vorübergehend für ihn gegen die Philosophie in den Hintergrund. In diese Zeit fällt auch seine erste eheliche Verbindung, und zwar mit der Wittwe seines Lehrers, des Professors der Theologie Schmid, die ihm auch ein nicht unbeträchtliches Vermögen zubrachte und damit seine bis dahin äußerst beschränkte äußere Lage endete; zugleich gelangte er dadurch auch in den Besitz einer reichhaltigen Büchersammlung. Nach Wernsdorf’s Tode im J. 1782 erhielt R. die vierte ordentliche Professur in der theologischen Facultät, jedoch mit ausdrücklicher Beibehaltung der außerordentlichen philosophischen Professur; er war damals 29 Jahre alt. Zugleich promovirte er am 15. November 1782 als Doctor der Theologie und trat im Monat darauf sein theologisches Lehramt an, mit einer Rede über die Rücksichten, die ein Theologe auf den Geist seiner Zeit zu nehmen habe. Und schon im nächsten Jahre erhielt er eine neue Würde zu den bisherigen, nämlich die als Propst an der Schloß- und Universitätskirche, womit zugleich die Assessorstelle im geistlichen Provinzialconsistorium zu Wittenberg verbunden war. Von da ab hatte er wöchentlich zu predigen, und zwar vor einem Publicum, das großentheils aus angehenden Theologen bestand; zu den Vorbereitungen auf diese Predigten verwendete er stets eine große Sorgfalt und zwar arbeitete er jede Predigt aus Vorsicht eine beträchtliche Zeit früher aus, ehe sie zu halten war. Das akademische Rectorat hat er, nachdem er es vorher einmal wegen seiner gehäuften Geschäfte ausgeschlagen, nur einmal (1790–91) bekleidet, während er inzwischen in die dritte und dann in die zweite theologische Professur aufgerückt war. Einen ehrenvollen Ruf an die Universität Helmstädt schlug er aus und eine ihm von Dresden infolge dessen angebotene bedeutende Gehaltserhöhung lehnte er ab. So hat er 15 Jahre lang in lebhaftem geistigem Umgange mit Collegen und Freunden, in unausgesetzter (doch nie nächtlicher) wissenschaftlicher Arbeit, in höchst bedeutender Einwirkung auf seine zahlreichen Zuhörer der Universität angehört, bis ihn 1791 von Dresden her der Ruf traf, welcher ihn auf die höchste Stufe seines Wirkens, in die Stelle eines Oberhofpredigers und Kirchenraths zu Dresden erhob und ihm damit eine rein praktische Wirksamkeit zuwies. Außer regelmäßigen Predigten vor einem gebildeten, zum Theil glänzenden Kreise lag es ihm ob, Examina mit den Candidaten des Predigtamts und Colloquia mit den designirten [34] Superintendenten zu halten, wobei ihm der lateinische Ausdruck in ungewöhnlichem Maße zu Gebote stand. Ferner gehörte zu seinem Amte die Betheiligung an der Oberaufsicht über die beiden Universitäten, die drei Landesschulen und die beiden Schullehrerseminare Sachsens, die er mehrfach persönlich zu revidiren und über die er oft eingehende Gutachten abzufassen hatte. Aus seinem häuslichen Leben ist zu erwähnen, daß er sich in Dresden nach dem Tode seiner ersten Gattin mit der hochgebildeten Tochter des bedeutenden Mineralogen, späteren Berghauptmanns v. Charpentier zu Freiberg vermählte, die dem gastlichen, oft von Gelehrten aufgesuchten Hause mit Würde und Geschick vorstand und ihn in seinen fortdauernden Leiden, besonders seit seinem unglücklichen Beinbruche im J. 1803, mit größter Aufopferung pflegte. In der That hat er lange und viel gelitten, doch so, daß er noch das Jahr 1812 in voller Amtsthätigkeit antrat, im Frühlinge noch predigte, noch Ostern die Examina abhielt, ja bis in die letzten Lebenstage seiner Correspondenz und seinen wissenschaftlichen Arbeiten oblag; am Morgen des 6. Sept. 1812 verschied er, ohne bettlägerig gewesen zu sein; sein 60. Lebensjahr hat er nicht mehr vollendet. In seinem häuslichen Leben war R. hochachtbar, ein treuer liebevoller Gatte (Kinder sind ihm nicht beschieden gewesen), ein aufrichtiger Freund seiner Freunde, unter denen wir namentlich Pölitz und Böttiger hervorheben, ein aufopfernder und freigebiger Berather und Helfer für unendlich viele Arme und Nothleidende. Seine Wirksamkeit als akademischer Lehrer und als Mitglied einer geistlichen Behörde hat reiche und schöne Früchte getragen; am meisten fruchtbar aber ist sie in seinen Predigten gewesen, die er sowohl in Wittenberg, als in Dresden stets vor gefüllter Kirche hielt. In diesen Predigten zeigt er sich, wie es sein Bildungsgang mit sich brachte, kurz gesagt als einen wesentlich philosophisch denkenden Theologen. Die strengste Logik blickt überall in der Eintheilung und Anordnung des Stoffes hindurch, ebenso in der Ausführung die Psychologie und vor allem die Ethik. Seine theologische Stellung brachte ihn dem herrschenden Rationalismus seiner Zeit nahe, doch hielt er sich von den Plattheiten und Auswüchsen dieser Richtung schon anfangs fern; im Laufe der Jahre hat er dem Supernaturalismus sich immer mehr genähert und mußte sich deshalb oft den Vorwurf der Inconsequenz gefallen lassen. Das Dogmatische bildet in seinen Predigten in der Regel den Ausgangspunkt, das Moralische den Kern der Betrachtung und die Vereinigung beider das Ziel. Von seinen Schriften, die hier im Einzelnen nicht aufgeführt werden können und deren Verzeichniß an anderen Orten (z. B. in seiner von Pölitz verfaßten Biographie, in Kayser’s Bücherlexikon u. s. w.) verzeichnet sind, steht deshalb die große in 35 Bänden erschienene und vom Jahre 1795 bis 1812 reichende Sammlung seiner Predigten an der Spitze; mehrere Bände dieser Sammlung erfuhren eine zweite Auflage. Daneben sind noch viele seiner Predigten einzeln oder in kleinere Gruppen zusammengefaßt im Druck erschienen, einige auch in französischer, holländischer, dänischer, schwedischer, englischer Uebersetzung. Die zweite Stelle nimmt sein System der christlichen Moral ein, das zuerst zu Wittenberg und Zerbst 1788 in zwei Bänden erschien, dann aber, bis auf vier Bände erweitert, noch während seines Lebens in vier Auflagen herauskam, denen 1815 eine fünfte folgte. Hervorzuheben ist ferner sein „Versuch über den Plan, welchen der Stifter der christlichen Religion zum Besten der Menschheit entwarf“ (Wittenberg und Zerbst 1781, fünfte Auflage 1830); seine Schrift „Ueber das Wunderbare und die Verwunderung, ein psychologischer Versuch“ (Wittenberg und Zerbst 1782), „Ueber den Kleinigkeitsgeist in der Sittenlehre“ (Meißen 1801), „Vorlesungen über die Dogmatik“ (von Berger herausgegeben, Amberg u. Sulzbach 1801, in dritter Auflage 1812), die zahlreichen von Pölitz besorgten „Opuscula academica“ (zwei Bände, Leipzig [35] 1808–9), endlich die „Geständnisse, seine Predigten und seine Bildung zum Prediger betreffend, in Briefen an einen Freund“ (Sulzbach 1810). Nach seinem Tode erschienen noch (von Hacker zu Leipzig 1813 herausgegeben) die „Psalmen, übersetzt und ihrem Hauptinhalte nach erläutert“. Zu bemerken ist bei Gelegenheit dieser letzten Schrift, daß die eigentliche Exegese für R. nie eine besonders hervortretende Richtung gewesen ist und daß ihm auch historische Betrachtungen stets ferner gelegen haben, als er es selbst gewünscht hat. Eine Art Chrestomathie aus Reinhard’s Schriften (Darstellung der philosophischen und theologischen Lehrsätze des Oberhofpredigers Reinhard) hat Pölitz in vier Theilen (Amberg und Sulzbach 1801–1804) herausgegeben. Recensionen hat R. nur in seinen früheren Jahren geschrieben, und zwar deren fünfzig in den Jahren 1788–1796 für die allgemeine Litteraturzeitung; auch für die allgemeine deutsche Bibliothek hat er deren viele geliefert, doch ist jetzt wegen der Anonymität nicht möglich zu bestimmen, was von ihm herrührt. Von seinen Briefen sind viele an verschiedenen Stellen, namentlich durch Pölitz, zum Druck befördert; handschriftlich befindet sich sein Briefwechsel mit Böttiger, sowie manche auf ihn bezügliche Schriftstücke auf der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden.

D. Franz Volkmar Reinhard nach seinem Leben und Wirken dargestellt von Karl Heinrich Ludwig Pölitz. Erste Abtheilung, Biographie. Leipzig 1813; zweite Abtheilung, Charakteristik. Leipzig 1815. – Franz Volkmar Reinhard, gemalt von Georg v. Charpentier, litterarisch gezeichnet von C. A. Böttiger. Dresden 1813. 4°. – Heinrich Gottlieb Tzschirner, Briefe, veranlaßt durch Reinhard’s Geständnisse. Leipzig 1811. – Fr. Aug. Koethe, Ueber Franz Volkmar Reinhard’s Leben und Bildung. Jena 1812. – Maxim. Friedr. Scheibler, Aus dem Leben Fr. V. Reinhards. Leipzig 1823. – Derselbe, Memoria Reinhardi Magni. Solisbaci 1826. – D. Erdmann, Artikel Reinhard in Herzog’s Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche. Zweite Aufl., Bd. 12 (Leipzig 1883).