ADB:Reinhold, Erasmus (Astronom)

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Artikel „Reinhold, Erasmus“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 77–79, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reinhold,_Erasmus_(Astronom)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 12:24 Uhr UTC)
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Reinhold: Erasmus R., Astronom, geboren am 21. October 1511 zu Saalfeld in Thüringen, † ebenda am 19. Februar 1553. Von Reinhold’s Jugendzeit weiß man so gut wie nichts; er studirte unter Milichius die mathematische Wissenschaften in Wittenberg und muß sich schon als Student ausgezeichnet haben, denn als man nach Joh. Volmar’s Tode, einer Anregung [78] Melanchthon’s folgend, zwei Professuren der Mathematik einrichtete, erhielt R. 1536 die Lehrstelle „Mathematum superiorum“, d. h. der Astronomie, während Rheticus (s. d. Artikel) als Professor „Mathematum inferiorum“ berufen wurde. Wie beide Männer ihre Lehrthätigkeit auffaßten, ersieht man aus einer sehr interessanten lateinischen Vorlesungsanzeige, welche uns Kästner aufbewahrt hat. Beide stellten sich frühzeitig auf die Seite der copernicanischen Reform und zwar muß R. sogar als der nachhaltigere Vertreter derselben bezeichnet werden, da Rheticus späterhin ganz und gar in seinen trigonometrischen Arbeiten aufging. Von R. müssen wir annehmen, daß ihm diplomatischer Tact in hohem Grade zu eigen war, denn während er in Druckschriften für Copernicus eintrat, verpflichtete ihn sein Lehramt zum Vortrage der ptolemaeischen Lehren, und daß an diesen festgehalten werde, darüber wachten eifrigst die Wittenberger Theologen; daß aber R. mit diesen letzteren, zumal mit Melanchthon und Cruciger, andauernd die besten Beziehungen unterhalten habe, wird uns ausdrücklich bezeugt. Als im J. 1552 Sachsen von der Pest heimgesucht wurde, verließen viele Wittenberger Professoren die Musenstadt, unter ihnen R., der in der Heimathstadt ein Asyl gefunden zu haben glaubte. Indeß scheint er den Keim der Seuche bereits in sich aufgenommen gehabt zu haben, denn er erlag der Pest mit den Worten: Vixi et quem dederas cursum mihi, Christe, peregi. Als Beobachter vermochte R. nicht viel zu leisten, in Wittenberg gab es damals noch keine eigentliche Sternwarte, und er mußte sich mit einem hölzernen Quadranten behelfen. Um so thätiger war er auf anderen Gebieten. Er legte 1542 für seine Zuhörer die damals noch auf allen Universitäten als Vorlesung im Gebrauche stehende Planetentheorik Peurbach’s (s. A. D. B. XXV, 559) von neuem auf, er gab 1549 das erste Buch des ptolemaeischen Almagestes griechisch und lateinisch mit Scholien heraus, er besorgte endlich eine verbesserte Auflage der Regiomontan’schen Directions- und Tangententafeln (posthum 1554 zu Tübingen erschienen). In der erstgenannten Publication findet sich bereits eine Art von Camera obscura beschrieben. Seiner ausgesprochenen Zuneigung zum copernicanischen Weltsystem entsprang ein Commentar zu den „Revolutiones orbium coelestium“, welcher leider nicht gedruckt und somit zu Verlust gerathen ist. Er ging aber auch noch weiter, er wollte auf dieses neue System ein Tafelwerk begründen, welches alles in dieser Hinsicht vorhanden an Güte übertreffen sollte, und dieser Plan gedieh auch zur Reife, da Melanchthon, der nur gegen die Consequenzen, keineswegs aber gegen die theoretische Seite der neuen Lehre eingenommen war, von dem preußischen Herzog Albrecht eine namhafte Geldhülfe zu erwirken wußte. Apelt hat uns den denkwürdigen Brief, welchen R. in dieser Angelegenheit an den Hofprediger Staphylus in Königsberg richtete, aufbehalten und deutsch wiedergegeben. Der Herzog nahm die Widmung der Tafeln an, welche unter dem Titel „Tabulae Prutenicae“ 1551 zu Wittenberg die Presse verließen, Neuauflagen wurden von Mästlin (Tübingen 1571) und Strubius[WS 1] (Wittenberg 1584) veranstaltet. Die preußischen Tafeln blieben durch fünfzig Jahre die Norm des rechnenden Astronomen, erst Kepler überholte sie durch seine Tabulae Rudolphinae, erkannte aber in deren Vorrede die Verdienste seines Vorläufers R. unumwunden an. Dieser letztere war von sämmtlichen Gelehrten des 16. Jahrhunderts am tiefsten in die Geheimnisse des Planetenlaufs eingedrungen, wie er denn auch schon eine Ahnung von der Ellipticität der Mond- und Merkurbahn gehabt zu haben scheint. Auch Reinhold’s Sohn, wie der Vater Erasmus genannt, muß ein tüchtiger Mathematiker gewesen sein, wiewohl er die Medicin zum Lebensberufe erwählt hatte und als praktischer Arzt in Saalfeld lebte, wo ihn Tycho Brahe auf seiner bekannten wissenschaftlichen Reise durch Deutschland besuchte. R. junior schrieb eine Abhandlung über den neu erschienenen Stern von 1572 und 1574 ein zu [79] Erfurt herausgekommenes „Lehrbuch der Feldmeß- und Markscheidekunst“. Es ist dies die erste systematische Darstellung der „unterirdischen Geometrie“, welche die deutsche Litteratur aufzuweisen hat.

R. Wolf, Geschichte der Astronomie, S. 209 ff., 236 ff., 242 ff., 296 ff., München 1877. – Apelt, Die Reformation der Sternkunde, S. 176 ff., Jena 1852. – Kästner, Geschichte der Mathematik, 1. Bd., S. 699 ff., Göttingen 1796, 2. Bd. S. 348 ff., 608 ff., Gött. 1797. – Geschichte der Astronomie von den ältesten bis auf gegenwärtige Zeiten, 1. Bd., S. 243 ff., Chemnitz 1792.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kaspar Str(a)ub(e), wirkte 1578 bis 1597 in Wittenberg.