ADB:Reinking, Dietrich von

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Artikel „Reinking, Dietrich“ von Ernst Landsberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 90–93, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reinking,_Dietrich_von&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 12:40 Uhr UTC)
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Reinking: Dietrich (Theodorus) R., Jurist und Staatsmann, ist geboren am 10. März 1590 zu Windau in Kurland, wohin sich sein Vater Otto R. zu einem Verwandten, dem kurländischen Stallmeister Otto Teuffel begeben hatte, nachdem schon der Großvater Johann R. Münster, den alten Sitz der Familie, beim Uebertritte zur lutherischen Confession mit Osnabrück vertauscht hatte. In letztere Stadt kehrte dann zunächst der junge Dietrich 1603 zum Besuche der dortigen Schule zurück, gelangte von dort auf die Schule zu Lemgo, 1609 an das akademische Gymnasium zu Stadthagen und bezog 1611 die Universität Köln, um sich der Jurisprudenz zu widmen. Nach zweijährigem Studium zum Vater zurückgekehrt, erkannte er bald, daß in Kurland für weitere Fortbildung in der Rechtswissenschaft wie für das Fortkommen eines gelehrten Juristen der Boden nicht günstig sei; er begab sich deshalb schon im folgenden Jahre wieder nach Westdeutschland, mit der Richtung auf Gießen zu, welches er jedoch erst 1615 erreichte, nachdem er den Winter über in Marburg sich hatte durch die Furcht vor einer an der anderen hessischen Universität wüthenden Seuche zurückhalten lassen. Von dieser Zeit ab nehmen seine Studien eine selbständige Gestaltung an, besonders nach der Seite des Staatsrechts hin, er beginnt Privatvorlesungen über dasselbe zu halten, tritt mit Marburger und Gießener Professoren, wie G. Antonii (s. A. D. B. I, 496) und Hermann Vultejus in persönlichen Verkehr, erwirbt am 7. März 1616 zu Gießen die Licentia und gelangt am 3. October desselben Jahres ebendort auf eine staatsrechtliche Inauguraldissertation hin zur Doctorwürde; an dem gleichen Tage hat er seine Heirath begangen mit Catharina Pistorius, einer Verwandten des Antonii. Schon im folgenden Jahre trat er dann für diesen, welcher inzwischen schwer erkrankt war, in die Gießener juristische Facultät als professor extraordinarius ein, ward jedoch unmittelbar darauf aus der akademischen Thätigkeit in die richterliche und staatsmännische, welchen von da ab sein Leben gehört, hinübergezogen durch einen Ruf seitens des Landgrafen Landgrafen Ludwig von Hessen. Als dessen Rath und Beisitzer des Gießener Dicasteriums ließ er 1619 seinen „Tractatus de regimine saeculari et ecclesiastico“ zu Gießen erscheinen, dasjenige Werk, welches seinen Ruf als Publicist und Jurist begründet und erhalten hat, welches als Monument einer eigenartigen und scharf durchgeführten, wenngleich bald veralteten Auffassung des deutschen Reichsstaatsrechts den 30jährigen Krieg durchmachen und überleben und eine erhebliche Wirkung noch gar viel länger ausüben sollte. R., in lutherischer Gesinnung erzogen und Schüler des G. Antonii, tritt nämlich in diesem seinem Werke zunächst auf als strenger Autoritarier und Centralist in Staat und Kirche; für das Regiment der letzteren legt er ein zu dem späteren Episcopalsystem überleitendes klares, obschon gemäßigtes Territorialsystem zu Grunde; für ersteren hält er fest an der mittelalterlichen Auffassung des imperium und imperator, indem er sich durchweg möglichst an die mittelalterliche Doctrin und Beweisführung, besonders des Bartolus[WS 1], anlehnt, ohne an dem Gegensatze zwischen diesen alten Theorien und dem sein inneres Wesen erfüllenden Protestantismus irgend welchen Anstoß zu nehmen. Zugleich aber weiß er in Behandlungsweise, Materialhäufung, Detailausbildung und Berücksichtigung der Praxis den durch die seit etwa einem Menschenalter erfolgte Ausbildung des Staatsrechts zu einer besondern Wissenschaft erweckten Bedürfnissen genug zu thun. Diese vermittelnde Stellung zwischen Mittelalter und Neuzeit; die Kunst, mit welcher er die aus der Anschauung der thatsächlichen Verhältnisse emporgewachsenen Angriffe gegen die alte Lehre von der [91] Herrlichkeit des Deutschen Reiches und der monarchischen Stellung des Deutschen Kaisers innerhalb desselben zurückzuweisen und die großen Traditionen aufrechtzuerhalten, dabei aber doch den gegebenen Umständen im einzelnen Rechnung zu tragen weiß; sie haben bewirkt, daß sein Werk sofort von allen kaiserlich-monarchisch Gesinnten adoptirt und allgemein als Rüstkammer benutzt wurde, aus deren reichem Inhalt die Freunde stets neue Waffen zogen, während die Feinde sich mit dem Buche als dem letzten und bedeutendsten derartigen Versuche immer wieder auseinanderzusetzen hatten. So wurde es denn auch, nachdem es inzwischen (1622, 1632, 1641) drei weitere Auflagen erlebt hatte, von einem sachlich wie stilistisch entschieden überlegenen Gegner, Hippolithus a Lapide (Bog. Ph. Chemnitz, s. A. D. B. IV, 114 ff.), in seiner bekannten „Dissertatio de ratione status in Imperio Romano-Germanico“ zum Gegenstande lebhaftester Angriffe gemacht, trotz deren zersetzender Schärfe R. an seinen alten Grundanschauungen festhielt, in welchen ihn auch die reichsrechtlichen Bestimmungen des westfälischen Friedens nicht irre machen konnten; in der fünften Auflage Frankfurt a. M. 1651 trägt er diesen Aenderungen Rechnung und versucht eine verzweifelte Abwehr gegen jene Angriffe; in dieser Form hat sich der Tractat noch lange Zeit in Ansehen behauptet und muß auch heute noch als die classische Vertretung seines, ja allerdings den traurigen Thatsachen vom Verfalle des Reiches und der Kaisermacht gegenüber von vornherein verlorenen, Standpunktes gelten. – Reinking’s doctrinäre Stellung bezeichnete ihn als den geeigneten Vertreter seines hessischen Landesherrn am kaiserlichen Hofe zur Schlichtung der in die zwanziger Jahre fallenden Marburgischen Erbhändel; so besuchte er in dieser Angelegenheit 1621 den Regensburger Reichstag, betrieb 1623 und 1624 das Verfahren bei dem kaiserlichen Hofrath durch Reisen nach Wien, wurde nach einem vorläufigen günstigen Erfolge vom Landgrafen Ludwig zum Vicekanzler der Regierung in Marburg ernannt und holte unter dessen Nachfolger Georg II. die kaiserliche endgültige Bestätigung des Vergleiches über die hessische Succession, sowie die Belehnung bei Ferdinand II. in Prag ein. Indem mit seinem wissenschaftlichen Rufe der eines geschickten und höchst zuverlässigen Staatsmannes sich verband, konnte weitere Anerkennung nicht ausbleiben: der Kaiser verlieh ihm, bei Gelegenheit jener Prager Reise, die Würde eines kaiserlichen Pfalzgrafen; sämmtliche hierfür sonst zu entrichtende Gebühren erließ ihm der Erzbischof von Mainz ehrenhalber; der Pfalzgraf v. Sulzbach trug ihm eine Kanzlerstelle an, welche er ablehnte; endlich kam Herzog Adolph Friedrich von Mecklenburg persönlich nach Darmstadt, um ihn für seinen Dienst sich vom Landgrafen auszubitten. Einem solchen Ersuchen war nicht zu widerstehen; nach ebenso zögernd und ungern ertheilter wie erbetener Entlassung aus Hessen begab sich R. 1632 als Kanzler nach Schwerin, griff dort sofort mit gewohnter Thätigkeit und Geschicklichkeit in die Geschäfte ein und dürfte besonders den 1635 erfolgten Beitritt zum Prager Frieden lebhaftest gefördert haben. Durch diese seiner kaiserlichen Gesinnung entsprechende Politik hat er sich den wüthenden Haß der Schweden zugezogen, zweimal ist er in ihre Gefangenschaft gerathen und beide Male von ihnen mit ausgesuchter Härte behandelt worden; nach der ersten dieser Bedrückungen schied er, da sein Fürst ihm ausreichenden Schutz zu gewähren nicht vermochte, in Gnaden entlassen, aus mecklenburgischen Diensten aus, um bald darauf, 1636, von dem Erzbischofe von Bremen, Friedrich, dem Sohne Christian’s IV. von Dänemark, abermals als Kanzler berufen zu werden. Aber nicht nur mußte er erleben, daß diese Stellung, in welcher er in Stade lebte, ihn ebensowenig vor schwedischer Vergewaltigung schützen konnte, sondern er sollte selbst nach zum zweiten Male erlangter Freiheit zum Erzbischofe zurückgekehrt und für ihn seit 1646 an den [92] Münster-Osnabrück’schen Friedensverhandlungen betheiligt, den Schmerz erfahren, daß es ihm nicht gelang, demselben sein Fürstenthum zu retten; als die Reichsunmittelbarkeit der Stadt Bremen anerkannt und Verden als Herzogthum den Schweden überlassen worden war, hatten zugleich Friedrich sein Land, R. seine Kanzlerschaft verloren. Da muß es nun für letztern, nach so vielen Wendungen und Schickungen, als eine überaus günstige Führung erscheinen, daß sehr bald darauf, 1648, durch den Tod Christian’s IV., eben sein bisheriger Herr, Friedrich, zur Thronfolge in Dänemark gelangte und allsogleich seines in allen Nöthen treuen und wohlbewährten Rathes gedenkend ihn zu sich rief, bei Antritt der Regierung mit den ehrenvollsten Missionen betraute, zum geheimen Rath, so wie zum Kanzler der Herzogthümer Schleswig und Holstein und schließlich 1650 auch zum Präsidenten des Pinnebergischen höchsten Gerichts mit dem Wohnsitze in Glückstadt ernannte. Die so endlich gewonnene Ruhe benutzte der bisher unstät Umhergetriebene zunächst zur Ausarbeitung der schon erwähnten, 1651 erschienen fünften Auflage seines „Tractatus“; sodann aber zur Anfertigung eines Werkes, welches in eigenthümlicher Weise die politische und Lebensklugheit des Mannes gemischt mit seiner mit den Jahren immer mehr und mehr hervortretenden tiefinnerlichen Frömmigkeit zeigt: es sind Grundsätze, Anschauungen, Aphorismen u. dgl. zur Kunst, die Menschen zu kennen und zu regieren, gezogen aus den Sprüchen oder gestützt auf die Beispiele der Bibel, welche er unter dem charakteristischen Titel „Biblische Polizey“ in Frankfurt a. M. 1653 hat erscheinen lassen. Daneben ging eine eingreifende Theilnahme an den laufenden Verwaltungsangelegenheiten nicht nur, sondern auch an der dänischen Landes- und Verfassungsgesetzgebung her; die Vermögensverhältnisse wurden consolidirt durch die Restitution in das Lehnsgut Wellingsbüttel, welches früher schon erworben worden, dann aber wieder verloren gegangen war; 1655 wurde er zum Vormundschaftsrathe des Prinzen Johann August von Schleswig-Holstein ernannt und von Kaiser Ferdinand III. in den Adelstand erhoben; auffallender Weise entschloß er sich, nachdem er 1661 seine erste Ehefrau verloren hatte, noch am 20. Februar 1663 eine neue Ehe einzugehen mit der Wittwe des Landvogts in Dithmarschen Johann Vieth, Dorothea geb. Scheel. In immer höherem Grade aber, trotz hoher Ehren, großen Ruhmes, erfolgreicher Thätigkeit erschien dem Alternden alles irdische, auch „die Wissenschaft in publico und in privato iure“, hohl und eitel; religiöse Fragen, die Kunst des Betens, Leidens und Sterbens bilden das Thema, auf welches er seine Gedanken, welche freilich von jeher gerne eine derartige Richtung nahmen, immer ausschließlicher concentrirt; die verschiedenen Betrachtungen, welche er hierbei zu eigenem Gebrauch niederschrieb, sind nach seinem Tode veröffentlicht worden, vereint mit einem dieselben alle kurz zusammenfassenden „Selbstbekenntniß“, welches in außerordentlich kräftiger Sprache und einer für den alten Hof- und Staatsmann rührend naiven Weise die Summe seiner Irrungen, Strebungen und religiösen Ueberzeugungen zieht; in dieser Gesinnung ist er, 75jährig, am 15. December 1664 zu Glückstadt gestorben. – Von seinen Werken verdient außer den bereits besprochenen Hauptarbeiten etwa noch der „Tractatus synopticus de retractu consanguinitatis“, Marburg 1631, Erwähnung; zu den sonst vollständigen Aufzählungen bei Jugler und Strieder liefert einen kleinen Nachtrag v. Stintzing, S. 198, Anm. 2.

Balthasar Arend, laudatio funebris, abgedruckt in Witten, Memoriae Ictorum, 397 ff. – Moller, Cimbria literata 2, 697 ff. – Jugler, Beiträge V, 199–219. – Strieder, Hessische Gelehrtengeschichte XI, 265–285. – Moser, Patriotisches Archiv XI, 383 ff. – Tholuck, Lebenszeugen der lutherischen Kirche, 110 ff. – v. Schulte, Geschichte der Quellen und Litteratur [93] des kanonischen Rechts III, 2, S. 38 ff. – v. Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft II, 1, S. 189–211.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Bartolus de Saxoferrato, italienisch Bartolo da Sassoferrato, (Ende 1313–1357); einer der bedeutendsten Rechtslehrer des Mittelalters