ADB:Reuchlin, Hermann

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Artikel „Reuchlin, Hermann“ von Wilhelm Heyd in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 280–282, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reuchlin,_Hermann&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 19:19 Uhr UTC)
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Reuchlin: Dr. Hermann R., Historiker, Sohn des Decans Johann Christoph Friedrich R. in Heidenheim (Württemberg), weiterhin von einem Bruder des berühmten Humanisten Joh. R. abstammend, geboren am 9. Januar 1810 in der Stadt Markgröningen bei Ludwigsburg, wo sein Vater damals die Stelle des Diakonus bekleidete, † zu Stuttgart am 14. Mai 1873. Nachdem er das Studium der Theologie in Tübingen absolvirt hatte, füllte er einen guten Theil der Zwischenzeit bis zu seiner Bedienstung auf eine ebenso genußreiche, als für seine Geistesbildung förderliche Weise aus durch Reisen ins Ausland und durch Uebernahme zweier Hofmeisterstellen, zuerst bei dem Architekten L. T. J. Visconti in Paris, dann bei dem Syndikus der freien Stadt Hamburg Karl Sieveking in Ham, in dessen feingebildetem Hause Vertreter der Diplomatie, der Kunst und der Wissenschaft aus halb Europa aus- und eingingen. In die Heimath zurückgekehrt, erhielt er 1842 die Pfarrei Pfrondorf, von wo aus er den anregenden Verkehr mit den Angehörigen der nahen Universität Tübingen und die wissenschaftlichen Hilfsquellen derselben sich reichlich zu Gute kommen ließ; 1857 legte er jedoch diesen Kirchendienst nieder, um fortan in Stuttgart ganz seinen litterarischen Arbeiten zu leben. Den ersten Anstoß zu schriftstellerischem Schaffen hatte ihm eine Bildungsreise nach Frankreich gegeben, welche durch die Uebernahme jener Stelle im Viscontischen Hause sich zu einem einjährigen [281] Aufenthalte in Paris erweiterte (1835–36). Die französische Nation interessirte den lebhaften jungen Mann sehr, trotzdem daß sie damals ganz den materiellen Interessen hingegeben zu sein schien; er kehrte an ihr eine weniger auf der Oberfläche liegende Seite hervor, indem er die religiösen Zustände ins Auge faßte, wie sie in der Kirche und in freien Vereinen, in der Volkssitte und in der Presse zu Tage traten. Seinem Buche: „Das Christenthum in Frankreich innerhalb und außerhalb der Kirche“ (Hamburg 1837) wurde nachgerühmt, daß in ihm keine leidenschaftliche Parteinahme für die protestantische Minderheit sich bemerken ließ, vielmehr auch der katholischen Mehrheit eindringende Beachtung und Würdigung zu Theil wurde. Dem Verfasser erschien eine Verständigung beider Kirchen als erstrebenswerthes Ziel, und von diesem Gesichtspunkte aus sagte es ihm, dem protestantischen Theologen, zu, gerade aus der Geschichte der katholischen Kirche Frankreichs den Gegenstand für weitere umfassende Studien zu holen und eine im Schooße derselben erwachsene Richtung als Geschichtsschreiber zu behandeln, welche, wenn auch unbewußt, dem Protestantismus sich näherte. Die „Geschichte von Port-Royal“ (Hamburg und Gotha 1839–44) schildert die Blüthezeit des französischen Jansenismus, welcher unter der Regierung Ludwig’s XIV. trotz alles Gegenstrebens vom Hofe her an den edelsten Männern der Geistlichkeit und der Bürgerschaft offene Anhänger oder stille Förderer fand. Als Nebenarbeit hierzu ist anzusehen Reuchlin’s Monographie über Pascal, welcher bekanntlich an der Seite der Männer von Port-Royal mit seinem glänzenden Witz gegen den Jesuitismus ankämpfte („Pascals Leben und der Geist seiner Schriften.“ Stuttgart 1840). Zur Zeit, da R. die Schrift über Port-Royal vollendete, deren zweiter Band nach dem Leben Pascal’s erschien, hatten die gegenseitigen Beziehungen zwischen den beiden Kirchen schon eine Wendung genommen, welche eine Versöhnung derselben in weite Ferne rückte. Der Verfasser selbst, welchen die Vorarbeiten zu jenem Bande im J. 1840 nach Italien führten, gewann durch das eifrige Studium von Kirchenlehre und Praxis, wie sie ihm am Mittelpunkt des Katholicismus entgegentraten, ein schärferes Verständniß für die bestehenden Gegensätze, wovon die anonym erschienen „Bilder und Skizzen aus Rom“ (Stuttgart 1844) sattsam Zeugniß geben. Angesichts der im damaligen Rom herrschenden Unduldsamkeit gewährte es R. Befriedigung, eine (unter dem Namen Bernhard veröffentlichte, nachher nicht fortgesetzte) Reihe von „Lebensbildern aus den letzten Jahrzehnten des deutschen Kaiserreichs“ mit der Schilderung eines Prälaten zu eröffnen, der bei tiefer katholischer Frömmigkeit die tolerante Gesinnung Joseph’s II. theilte und sein geistliches Territorium nach den Maximen Friedrich’s d. Gr. regierte: „Franz Ludwig von Erthal, Fürstbischof von Bamberg und Würzburg“. Tüb. 1852. – Als im deutschen Volk die nationale Bewegung in Fluß kam, schloß sich ihr R. mit der ganzen Wärme eines früheren Burschenschäftlers an, namentlich begleitete er mit seiner Theilnahme die zum Kampf gegen den äußeren oder inneren Feind ausrückenden Truppen und er glaubte seine Liebe zu dem Volk in Waffen auf keine nützlichere Weise bethätigen zu können, als indem er unter dem Titel: „Der deutsche Soldat“ von Fr. Bernhard“ (1–10, 1849–51) eine gesunde Lectüre für Soldaten und Unterofficiere schuf, welche die Lust zum Kriegshandwerk in ihnen mehren, ihre Vaterlandsliebe stärken und ein richtigeres Urtheil über die Zeitereignisse unter ihnen verbreiten sollte. Alle seine Arbeitskraft aber concentrirte R. vom Jahre 1855 ab bis zum Ende seiner Tage auf die Geschichte einer mit den Deutschen gleichzeitig um ihre Einheit ringenden Nation, der italienischen. Schon die ersten Anläufe der Italiener zur Abschüttlung der Fremdherrschaft hatte er verständnißvoller und unparteiischer betrachtet, als die große Mehrzahl der Deutschen, die glänzende Durchführung des Einheitsgedankens [282] durch ihre Führer erhöhte noch seine Sympathie, welche übrigens nie in blinden Enthusiasmus ausartete. Der persönliche Verkehr mit Männern der verschiedensten Parteirichtungen und Lebensstellungen, welchen er bei wiederholtem Aufenthalt in Italien (1856, 1860, 1868) anknüpfte und pflegte, gewährte ihm reichen Einblick in die Zustände, Bestrebungen und Stimmungen des Volks, enthüllte ihm die Ziele der Parteihäupter, die Triebfedern der Regierenden, und dies war sehr viel werth in einer Zeit, da die Memoiren, Briefe und Documente für diese Periode noch sehr spärlich in die Oeffentlichkeit getreten waren. Uebrigens benützte R. neben der persönlichen Information die gedruckten Hülfsmittel in weitestem Umfang, nur daß er der Stimme der patriotischen Dichter Italiens nicht genug Gehör gab. Das Werk wuchs allmählich zu vier Bänden heran („Geschichte Italiens von der Gründung der regierenden Dynastien bis zur Gegenwart“. Thl. 1–4. Leipzig 1859–73). Einen Theil des überreichen Stoffs verarbeitete R. noch in kleineren Monographien („Lebensbilder zur Zeitgeschichte.“ 1–3. Nördl. 1861–62) und Abhandlungen. Dem Werthe des Inhalts kam leider in Reuchlin’s Schriften die Darstellung nicht überall gleich; es fehlt seinem Stil an Leichtigkeit; die Erzählung fließt nicht ruhig dahin, wird vielmehr gar zu oft unterbrochen durch Zwischengedanken, welche überdies häufig in eine wenig glückliche Form gehüllt sind. Aber belebend und anregend, nicht selten geistreich und fesselnd ist das, was er schrieb.

W. Lang, Hermann Reuchlin in: Von und aus Schwaben. H. 2. Stuttg. 1886. S. 90–109. – Bilder aus vergangener Zeit. Theil 2. Bilder aus Karl Sievekings Leben (Hamb. 1887). S. 157, 162, 304. – Familiennotizen.