ADB:Scherenberg, Christian Friedrich

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Artikel „Scherenberg, Christian Friedrich“ von Robert Boxberger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 98–99, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scherenberg,_Christian_Friedrich&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 18:48 Uhr UTC)
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Band 31 (1890), S. 98–99 (Quelle).
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Scherenberg: Christian Friedrich S., deutscher Dichter des 19. Jahrhunderts, wurde am 5. Mai 1798 zu Stettin in einer Kaufmannsfamilie geboren. Während der Belagerung seiner Vaterstadt 1813 ward er zu einem Verwandten nach Stepnitz gebracht. Später kam er zu einem Advocaten in Stettin, um sich durch eine schöne Handschrift und stilistische Fertigkeit für den Kaufmannsstand vorzubereiten. Aber der Advocat bewog Scherenberg’s Vater, ihn dem Stettiner Gymnasium anzuvertrauen. Sein Vater siedelte 1814 nach Swinemünde über, während der Sohn in Stettin zurückblieb. Dieser widmete jedoch seine Thätigkeit weniger den Schularbeiten, als einem Liebhabertheater. Endlich ward seine Neigung zum Theater so stark, daß er aus dem Elternhause verschwand und nach Berlin ging, zunächst wol, um sich hier kaufmännisch auszubilden, bald aber, um sich dichtend und schauspielernd auf eine Künstlerlaufbahn vorzubereiten. Dies meldete er 1818, als er schon Jahr und Tag in Berlin war, seinem Vater, der von dieser Nachricht wenig erbaut war. Besonders war es der Umgang mit Friedrich Wilhelm Porth, dem später berühmten Dresdener Hofschauspieler, der ihn für die Schauspielerlaufbahn bestimmte. Er suchte Fühlung mit den Berliner Theatern, und der Generalintendant des Hoftheaters, Graf Brühl, empfahl ihn der Unterweisung des berühmten Schauspielers Pius Alexander Wolf. Da dieser ihm die praktische Ausbildung als Schauspieler empfahl, so begab sich S. 1818 zu einer in gutem Künstlerrufe stehenden Truppe nach Magdeburg, wo er bis zu seiner Verheirathung 1821 die weltbedeutenden Bretter betrat. Dann ward er Secretär und Expedient im Consistorium, bald aber, von 1827–32 Secretär und Expedient im sogenannten „Donataire-Proceß“, den die von Napoleon I. mit Dotationen im Königreiche Westfalen bedachten Fremden gegen die jene Dotationen nicht anerkennenden späteren Regierungen der westfälischen Lande führten. Häufige Reisen in dieser verwickelten Angelegenheit wirkten anregend und wohlthätig auf S., lockerten aber das Verhältniß zu seiner Familie. Nach Beendigung dieses Processes ward er „Lieferant der Magdeburger Garnison- u. Lazareth-Verwaltung“. Ostern 1838 aber verließ er seine Gattin und ging mit seinen Kindern nach Berlin, um als Schriftsteller zu leben. Nun begann eine Leidenszeit unseres Dichters, in der ihn Entbehrungen aller Art bedrängten; aber sein heiterer Muth ward dadurch wenig getrübt. Eine bessere Zeit brach für ihn an, als er Ende November 1840 durch den damaligen Schauspieler, später, nach 1848, Vorleser des Königs Friedrich Wilhelm IV., Hofrath Louis Schneider in die Dichtergesellschaft „Tunnel“ eingeführt wurde, in der damals der spätere Cultusminister Heinrich v. Mühler den Vorsitz führte. Sie war von dem bekannten Humoristen M. G. Saphir gegründet worden. Durch sie wurde er auch mit dem späteren Minister Heinrich Friedberg bekannt, der ihm bis an seinen Tod die wärmste Theilnahme widmete, in dessen Haus er häufig verkehrte, und dessen Gattin seine verehrte Freundin ward. Auch für Scherenberg’s dichterische Anerkennung sorgte Friedberg, indem er dessen Gedichte sammelte und zum Druck beförderte (Berlin 1845, vierte, vermehrte Auflage 1869). Major Blesson machte ihm eine Correctorstelle an einem militärischen Journal ausfindig, und L. Schneider empfahl ihn als Uebersetzer an Both’s Bühnenrepertoire; aber bei diesen litterarischen Zwangarbeiten würde der seine Freiheit über alles liebende Dichter schlecht bestanden [99] haben, wenn nicht auch hier die sorgsame Freundin, Friedberg’s Gattin, eingegriffen hätte. Seine „Gedichte“ erwarben ihm die Anerkennung des damaligen Gouverneurs von Berlin, Generalfeldmarschalls v. Müffling und des Generals v. Nostitz, der Blücher in der Schlacht von Ligny gerettet hatte. Dies bewog S., sich mit der Litteratur des Krieges von 1815 zu beschäftigen, und so entstand das erste seiner vaterländischen Gedichte, welches er am 9. November 1845 im „Tunnel“ vorlas. Diese vaterländischen Gedichte sind es, die S. mit einem Schlage berühmt machten, da sie der Geistesrichtung der Zeit entgegenkamen. Mit einer Widmung an Nostitz erschien „Ligny“ 1846 in Berlin im Druck (4. Aufl. 1870). Das folgende vaterländische Gedicht „Waterloo“, welches L. Schneider dem König mit dessen Beifall vorlas, wurde auf des Königs Kosten gedruckt (Berlin 1849, 6. Aufl. 1869), und des Königs Bruder, der Prinz von Preußen, spätere Kaiser Wilhelm I. schickte dem Dichter als Gegengeschenk seine anonyme Schrift „Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf über die deutsche Wehrverfassung“. Sehr dankbar erwies sich das rednerische Pathos dieser Dichtungen für declamatorische Bravourleistungen, und ihrerseits verdankten sie ihren Ruhm und ihre Verbreitung zum nicht geringen Theile dem Auftreten der sogenannten „Rhetoren“, an deren Spitze damals Julius Schramm stand, der aber bald von Palleske übertroffen wurde. Schramm wurde von den Gardeofficieren nach Berlin berufen, um ihnen „Waterloo“ zu declamiren; dann trat er zunächst in Stettin damit auf, wo er von Palleske abgelöst wurde, und bald erklang Scherenberg’s Ruhm in ganz Deutschland. Auch eine bleibende Stellung wurde für ihn ermittelt; 1845 ward er Bibliothekarassistent und 1850 Unterbibliothekar im Kriegsministerium, nachdem er sich 1847 zum zweiten Male, mit einer Berlinerin, verheirathet hatte. Sein Vorgesetzter war in dieser Stellung der Oberbibliothekar und bekannte Verfasser von Seeromanen, Heinrich Smidt, mit dem er sich, obgleich sie beide Mitglieder des „Tunnels“ waren, nicht zum besten vertrug. Den Quälereien dieses Amtes ward er 1854 durch eine königliche Pension von 300 Thalern auf drei Jahre enthoben. Der altbewährte Freund Heinrich Friedberg und der damalige Flügeladjutant des Königs, Graf v. Bismarck-Bohlen hatten dieselbe vermittelt.

Auf die Schlachten der Befreiungskriege, „Ligny“ und „Waterloo“ folgten in rückgängiger Bewegung „Leuthen“ (Berlin 1852, 3. Aufl. 1867), „Abukir“ (ebd. 1856) und „Hohenfriedberg“ (ebd. 1869), für welches letzte er 1868 vom Kronprinzen, späteren Kaiser Friedrich, wiederum eine Pension von 300 Thalern erhielt. In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte ihn vielfach ein Gedicht, dessen Held der Nordpolfahrer Franklin war; er fühlte das Bedürfniß, sein dichterisches Pathos einmal in einer anderen als der Schlachtenregion zu versuchen. Er hatte sich 25 Jahre lang mit diesem Stoffe getragen, aber trotz einiger dazu gemachten Ansätze ist nichts davon veröffentlicht worden, so wenig wie von seinen Dramen „Der Küchenball“ und „Der Nachbar“. Als er einmal aufräumen ließ, wurden von dem Franklin „elf Körbe voll Eismeer“ auf den Boden getragen. Innigere Freundschaft schloß er 1853 mit dem Bildhauer Drake, später mit Ferdinand Lassalle. Er starb in Berlin am 9. September 1881. Im J. 1860 war über ihn eine Schrift seines Freundes Heinrich v. Orelli erschienen.

Theodor Fontane, Christian Friedrich S. und das literarische Berlin von 1840 bis 1860. Berlin, 1885.