ADB:Schwilgué, Johann Baptist

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Artikel „Schwilgué, Johann Baptist“ von J. Diener. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 447–448, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schwilgu%C3%A9,_Johann_Baptist&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 03:59 Uhr UTC)
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Schwilgué: Johann Baptist S., hervorragender Mechaniker und berühmt durch die Erneuerung der astronomischen Uhr des Straßburger Münsters, wurde zu Straßburg i. E. am 18. December 1776 geboren. Schon früh zeigte sich die Vorliebe des Knaben für die Mechanik, indem er im Kleinen die Maschinen nachbildete, welche er zu sehen Gelegenheit hatte und sich die Apparate für seine physikalischen Versuche selbst verfertigte. Sein Talent erhielt einen mächtigen Impuls durch das alte Meisterwerk der Mechanik, die astronomische Uhr im südlichen Arm des Münster-Querschiffs. In den Jahren 1560–74 nach den Angaben von Konrad Dasypodius (s. A. D. B. IV, 764) durch zwei Gebrüder Habrecht aus Schaffhausen erbaut, zählte sie lange zu den sieben Wunderwerken Deutschlands, bis sie seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Verfall gerieth und endlich 1789 ihren Gang einstellte. Der 15jährige S. faßte den festen Entschluß, dieses stumme todte Werk zu neuem Leben zu erwecken. Als 1791 die Stürme der Revolution hereinbrachen, ging sein Vater, ein Beamter der Verwaltung, seiner Stellung verlustig und zog mit seiner Familie nach Schlettstadt. Aber auch hier verließ den jungen S. keinen Augenblick der Gedanke an die Münsteruhr. Er war es, der ihn den Beruf eines Uhrmachers ergreifen ließ. Ohne Lehrmeister brachte er es so weit darin, daß er 1795 im Alter von 19 Jahren eine Uhrmacherwerkstatt einrichten konnte. Daneben betrieb er eifrig, die Nacht zu Hülfe nehmend, das Studium der Mathematik und Astronomie, das ihn befähigen sollte, als Dasypodius und Habrecht zugleich die Münsteruhr vollkommner wieder herzustellen. Früh schon war man auf die hervorragenden mathematischen Kenntnisse Schwilgué’s aufmerksam geworden. 1793 wurde ihm das Amt eines Aichmeisters in Schlettstadt übertragen. In dieser Stellung suchte er nach Kräften den Uebergang von dem alten zum metrischen Maß- und Gewichtssystem, der besonders im Elsaß langsam von statten ging, durch tabellarische Aufstellungen zu erleichtern. Im J. 1808 erhielt er, der niemals irgend ein Examen abgelegt, die Stelle als Lehrer der Mathematik am Gymnasium zu Schlettstadt. 1815 gelang es ihm, immer im Hinblick auf die Erneuerung der Münsteruhr, nachdem er schon an der Möglichkeit einer Lösung verzweifelt, einen Mechanismus zu construiren, der die ganze Berechnung des Kirchenjahres (comput ecclésiastique), nämlich die goldene Zahl, den Sonnencyklus, die Indiktion, den Sonntagsbuchstaben, die Epakten und das Datum des Ostersonntags für jedes Jahr anzeigte. Sechs Jahre später stellte er dies sein Werk der Akademie der Wissenschaften in Paris vor; aber dies hohe Institut brachte dem Erfinder kein Interesse und seiner Erfindung kein Verständniß entgegen. Mehr von beiden fand S. bei dem König Ludwig XVIII., der ihm eine Audienz bewilligte und in derselben das Werk eingehend sich erklären ließ. Im J. 1825 wurde er mit der Reparatur der städtischen Brückenwage in Schlettstadt beauftragt, und die Verbesserungen, welche er daran anbrachte, führten ihn dazu, die Decimalwage in ihrer jetzt gebräuchlichen Form zu erfinden. (Das Originalmodell einer solchen Wage hat im Kunstgewerbemuseum zu Straßburg Aufstellung gefunden.) Außerdem veranlaßte ihn jene Arbeit, sich 1827 mit dem Maschinenfabrikanten Rollé geschäftlich zu verbinden und nach Straßburg überzusiedeln. Das Etablissement mit der Fabrik in Grafenstaden stellte 1834 auf der französischen Industrieausstellung in Paris aus. S. erhielt bei dieser Gelegenheit das Kreuz der Ehrenlegion. Die Geschäftsverbindung mit Rollé, welche contractlich 10 Jahre dauerte, wurde 1837 bei ihrem Ablauf von S. [448] nicht wieder erneuert, der sich jetzt ganz der Erneuerung der Münsteruhr widmen wollte. Mit seiner Uebersiedelung nach Straßburg war er nämlich der Erreichung dieses seines Lebensplanes bedeutend näher gerückt. Schon 1825 hatte er Gelegenheit gehabt, das Innere der alten Münsteruhr zu untersuchen und sich davon zu überzeugen, daß er schon als 15jähriger Jüngling sich den Mechanismus derselben ganz richtig vorgestellt hatte. 1827 machte er dann dem Magistrat drei Vorschläge: Der erste ging dahin, die Uhr lediglich in ihren alten Stand zu setzen. Der zweite bezweckte unter Beibehaltung des Gehäuses dem Werke eine Vervollkommnung zu geben, welche den Fortschritten der Mechanik seit dem 16. Jahrhundert entsprechen würde, während der dritte eine vollständig neue Uhr an die Stelle der alten setzen wollte. Wieder ruhte die Sache einige Jahre, bis 1833 der Gemeinderath, diesmal ein republikanischer, die Ausführung eines der Vorschläge im Princip beschloß und drei Jahre später S. mit der des zweiten betraute. Am 2. October 1842, bei Gelegenheit eines in Straßburg tagenden wissenschaftlichen Congresses, setzte S. die Uhr zum ersten Male in Gang. Er schenkte damit seiner Vaterstadt eines der wunderbarsten Werke der Mechanik, welche menschlicher Scharfsinn je erdachte. Jeden Mittag sammelt sich vor der Uhr eine zahlreiche Menge, welche den stundenschlagenden Tod, den flügelschlagenden und krähenden Hahn und die vor dem segnenden Heiland vorüberwandelnden Apostel bewundert. Diese automatischen Figuren sind aber nur ein untergeordnetes Beiwerk gegenüber den kalendarischen und astronomischen Theilen derselben. Die Uhr zeigt nämlich außer der mittleren auch die wahre Sonnenzeit und die wahre Sternzeit. Sie enthält ein vollständiges Kalendarium des laufenden Jahres, indem sie selbstthätig um Mitternacht des 31. December sich nach den veränderten Angaben des neuen Jahres regulirt und sowohl die Schalttage wie die Daten der beweglichen Feste an der ihnen zukommenden Stelle erscheinen läßt. Ein Planetarium zeigt die Bewegungen der sieben mit unbewaffnetem Auge sichtbaren Planeten, welche im Verhältnisse zu ihrer wirklichen Größe durch vergoldete Kugeln dargestellt, ihre Bahn in der gleichen Weise und in denselben Zeiträumen durchlaufen wie am Firmament. Wenn man bedenkt, daß Mercur seinen Lauf in 88, Saturn den seinen in 10 747 Tagen vollendet, so begreift man die außerordentliche Leistung Schwilgué’s. Die Uhr zeigt außerdem die Mondphasen, die Sonnen- und Mondfinsternisse, kurz, sie ist im Kleinen eine möglichst getreue Darstellung des großen Weltmechanismus, dessen Nachbildung sich der frühere „kleine Hexenmeister“, seiner Knabenneigung getreu, zur Lebensaufgabe gestellt hatte. Nach ihrer Vollendung krönten Ehren und Anerkennung den Lebensabend Schwilgué’s. Feste und Aufzüge werden ihm dargebracht, er wurde Officier der Ehrenlegion, sein Bild, von Guérin gemalt, schmückte das Gehäuse seiner Uhr. Aber still und bescheiden zog er sich allmählich aus der Oeffentlichkeit zurück, indem er die Leitung seines Geschäfts, dessen Erzeugnisse (besonders Thurmuhren) bis in die fernsten Weltgegenden Verbreitung fanden (s. Horloges et instruments de précision. Ancienne maison S. Strasb. 1878 und öfter) seinen Werkführern, den Gebr. Ungerer überließ, bis zu seinem Tode vertieft in die Lösung mechanischer und mathematischer Probleme (Zahnräder). Er starb am 5. December 1856.

Sein einzig überlebender Sohn Karl S. beschrieb das Leben seines Vaters in der „Notice sur la vie de mon père J. B. S.“, Straßburg 1857, 1858. Von demselben erschien bei der Vollendung der Münsteruhr 1842 eine „Description abrégée de l’horloge astronomique de la cathédrale de Strasbourg.“ Deutsch 1844. Eine genaue Beschreibung des Mechanismus von S. selbst ist im Archiv des Frauenhauses niedergelegt.
J. Diener.