ADB:Sigebert von Gembloux

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Artikel „Sigebert“ von Wilhelm Wattenbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 246–247, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sigebert_von_Gembloux&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 19:54 Uhr UTC)
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Sigebert: Chronist, Mönch der Benedictinerabtei Gembloux, unweit Namur im Sprengel von Lüttich, geboren um 1030, † am 5. October 1112. S. war romanischer Abkunft und Sprache, aber Angehöriger des deutschen Reiches. Schon sehr früh als Mönch eingekleidet, hat er vorzüglich als Lehrer gewirkt; in jungen Jahren vom Abt Fulkuin nach dem Vincenzkloster in Metz berufen, stand er der dortigen Schule vor, bis er um 1070 zurückkehrte und nun in gleicher Stellung in seinem eigenen Kloster blieb bis an seinen Tod. Ehrgeiz war ihm fremd, und er hat niemals nach höheren Stellungen gestrebt, genoß aber als durchgebildeter Gelehrter und gewandter Schriftsteller einer großen Autorität. Seinem Berufe ernstlich und aufrichtig ergeben, schrieb er verschiedene Werke kirchlichen Inhalts, bearbeitete namentlich ältere Legenden, darunter das Martyrium der thebäischen Legion in einem Heldengedicht, welches sich durch geschickte Behandlung des Hexameters auszeichnet, sowie durch die Kunst, womit er, unterstützt durch umfassende geschichtliche Kenntnisse, seiner Legende durch Darstellung der Zeitverhältnisse einen lebensvollen Hintergrund zu schaffen wußte. Sehr lebhaft bewegten ihn die Gegensätze, welche damals in der Kirche sich bekämpften und namentlich auch den Lütticher Sprengel beunruhigten, wo die Bischöfe zum Kaiser hielten, in einigen Klöstern aber die neuen ascetischen und hierarchischen Grundsätze eifrige Anhänger hatten. S. war durchaus reformatorisch gesinnt, billigte aber nicht die Bestrebungen, die ganze Kirche unter das Joch des Mönchthums zu beugen, und am wenigsten die rücksichtslose Gewaltthätigkeit, womit Hildebrand seine Forderungen durchsetzte, indem überall die Volksmassen oder dienstwilligen Laienfürsten gegen die Obrigkeiten aufgehetzt wurden. Furchtlos sprach S. seine Ueberzeugung aus in Abhandlungen, die in Briefform erschienen und um so größeren Eindruck machten, weil er auf den Wunsch des Archidiakon Heinrich und als Organ der Lütticher Kirche schrieb. Er antwortete auf Gregor VII. berühmtes Schreiben an Hermann von Metz über die Berechtigung des Papstes, den König zu bannen und den Eid der Treue zu lösen, und widerlegte die Behauptung, daß die Messen verheiratheter Priester ungültig wären: vorzüglich ist es die Aufreizung des Volkes zur Gewaltthätigkeit gegen solche Priester, welche er in ihren schlimmen Folgen darstellt und als unchristlich verwirft. Mit besonderer Lebhaftigkeit und vortrefflicher Beweisführung bekämpfte er endlich im Namen der Lütticher Kirche das Verfahren Paschalis II., welcher den Grafen Robert von Flandern zu einem förmlichen Kreuzzuge gegen diese [247] kaisertreue Kirche aufgefordert hatte: mit allem Apparat geistlicher Gelehrsamkeit stellt er dieses unerhörte Vorgehen als unchristlich und unerlaubt dar.

Von Sigebert’s geschichtlichen Arbeiten ist zuerst das Leben des Bischofs Dietrich I. von Metz zu nennen, welches er im Vincenzkloster zu Ehren dieses seines Stifters verfaßte; es ist als Jugendarbeit in einer zu gesucht zierlichen Schreibart und mit zur Schau getragener Gelehrsamkeit verfaßt, aber auch schon ausgezeichnet durch umfassende Geschichtskenntniß; dem Zweck entsprechend sind alle Schatten fortgelassen, welche S. selbst in seiner Chronik später nicht verschwiegen hat. Auch das Leben Wicbert’s, des Stifters von Gembloux, nebst der Geschichte des Klosters bis 1048, hat er geschrieben, und nachdem es ihm gelungen war, von Bischof Otbert die Erlaubniß zur feierlichen Erhebung der Gebeine zu erlangen, noch kurz vor seinem Tode die Antiphonen und Lectionen zur Feier des neuen Festes verfaßt. Sein Hauptwerk aber und das für die Folgezeit wirksamste war seine Chronik, deren Ausarbeitung er in seinem Alter unternahm, beginnend mit dem J. 381 nach dem Ende der Chronik des Prosper. Es kam ihm vorzüglich auf die chronologische Ordnung an, und unendliche Mühe hat er auf die Einreihung der damals so hochgehaltenen Legenden verwandt: kritische Zweifel lagen ihm fern. Eine ausführlichere Behandlung der ihm naheliegenden Zeit lag nicht in seinem Plan, doch ist die nach Vollendung der ersten Ausgabe bis 1106 hinzugefügte Fortsetzung etwas eingehender. Wesentlich auf objectiven Bericht der Thatsachen sich beschränkend, verhehlt er doch auch hier nicht seine Mißbilligung des durch Gregor VII. entfachten Kampfes. Den Schluß bildet der ohne Commentar mitgetheilte Vertrag Heinrich’s V. mit Paschalis II. vom 13. April 1111. Als bequemes und zweckmäßiges Handbuch der Weltgeschichte, welches einem dringenden Bedürfniß entgegenkam, mit umfassender Belesenheit ausgearbeitet, war die Chronik bei den Zeitgenossen und in den folgenden Jahrhunderten außerordentlich geschätzt und wurde vielfach mit Zusätzen und Fortsetzungen versehen. Ihre Autorität war groß, man hielt sie für vollkommen zuverlässig. Erst im 19. Jahrhundert hat die genauere Prüfung gezeigt, daß abgesehen von dem Mangel an Kritik, doch auch seine chronologischen Ansetzungen lange nicht so sorgfältig und genau sind, wie man gemeint hatte, und da außerdem die von ihm benutzten Quellen fast ohne Ausnahme auch uns bekannt sind, gilt die Chronik jetzt als beinahe werthlos. Das ist die Wirkung der sehr sorgfältigen Ausgabe von C. L. Bethmann, welchem es geglückt war, das Autograph der Chronik aufzufinden; mit größtem Fleiße hat er überall die Quellen nachgewiesen. Auch ein Werk über die kirchlichen Schriftsteller hat S. verfaßt, doch auch darin fehlt die nöthige Sorgfalt; im letzten Capitel hat er seine eigenen Schriften verzeichnet.

S. Hirsch, De Vita et Scriptis Sigiberti Gemblacensis, Berol. 1841. – Chron. ed. C. L. Bethmann, Mon. Germ. Script. Vol. VI. – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsquellen II, Cap. IV, 22.