ADB:Staden, Sigismund Theophil

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Artikel „Staden, Sigmund Gottlieb“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 367–368, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Staden,_Sigismund_Theophil&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 11:08 Uhr UTC)
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Staden: Sigmund Gottlieb oder Theophilus S., ein Sohn Johann’s, soll 1607 in Nürnberg geboren sein; da aber sein Vater zur Zeit in Kulmbach lebte, so kann doch Sigmund wohl nur dort geboren sein. Sein Tod erfolgte um 1655 in Nürnberg. Sicheres über sein Leben ist bis jetzt noch nicht zu Tage gekommen. Nur das Eine ist gewiß, daß nach Johann’s Tode der Organist Dretzel sein Nachfolger an St. Sebald wurde und St. den dadurch an St. Lorenz erledigten Organistenposten erhielt. Das war ums Jahr 1634. Daß er denselben Posten noch 1644 bekleidete, bestätigt ein vierstimmiges geistliches Liederbuch „Seelen-Music, erster Theil“, welches in diesem Jahre in Nürnberg erschien. St. ist uns von ganz besonderem Interesse durch ein Singspiel, eine kleine Oper, welche er im Auftrage Harsdörffer’s componirte, in dessen „Gesprechspielen“ im 4. Theile 1644 sie Aufnahme fand.[WS 1] Ein Neudruck mit ausgesetztem Generalbaß erschien 1881 im 13. Bande der Monatshefte für Musikgeschichte. Dieses Singspiel ist der bis jetzt älteste Versuch eines Deutschen, die Oper der Italiener nach Deutschland zu verpflanzen. Man erkennt die Selbständigkeit des Componisten, der nicht sklavisch sich an seine Vorbilder anschließt, sondern eigene Wege geht, muß aber auch wieder gestehen, daß er das Wesen der italienischen [368] Oper in keiner Weise erfaßt hat. Der Italiener war gerade im Recitativ bedeutend, und lyrische Stellen ließ er nur eintreten, wo ihn der Text dazu veranlaßte. Erst weit später verknöcherte er in der Form, als das virtuose Arienwesen alles Andere überwucherte. Staden’s Recitativ dagegen ist kein rechtes Recitativ, sondern besteht in liederartigen Ergüssen. Hin und wieder nimmt er zwar einen Anlauf zum Recitativ, doch lange dauert es nicht, bis er sich wieder im lyrischen Stile befindet. Schon daß St. größtentheils das Strophenlied benützt, ist ein Beweis der geringen Erkenntniß des eigentlichen Wesens der Oper. Außerdem ist Staden’s Erfindungsgabe nur gering, und so bleibt uns von seiner Oper nur der Beweis, daß diese Form dem Deutschen vorläufig noch verschlossen blieb. Man sieht auch, daß sich der Deutsche danach gar nicht drängte, und erst durch Reinhard Keiser’s geniale Schöpfungen wurde ihm die Lust eröffnet, seine Kräfte auch darin zu versuchen. Bis jetzt kennen wir aber nur noch einen Componisten, der sich mit Keiser und allen Italienern messen konnte, und das ist der braunschweigische Capellmeister Schürmann, ein Zeitgenosse Keiser’s (vgl. A. D. B. XXXIII, 94 und die Oper Ludwig der Fromme im 17. Bde. der Publicationen der Gesellschaft für Musikforschung). Alle übrigen deutschen Operncomponisten schlossen sich so sklavisch an die Italiener an, daß sie ihre deutsche Empfindungsart vollständig opferten und um zu gefallen, italienische Opern schrieben! (Hasse und Graun.) – St. hat noch mehreres hinterlassen und zwar außer 17 Liedern im 2. bis 4. Theil des oben genannten Harsdörffer’schen Werkes noch das theatralische Stück: „Der sieben Tugenden Planeten, Töne oder Stimmen“ im 5. Theile. Ferner befinden sich in Rist’s Neuen himmlischen Liedern zehn von St. componirte. Koch in seiner Geschichte des Kirchenliedes IV, 116 sagt, daß seine geistlichen Melodien verwälscht seien. Winterfeld geht gerade auf die Rist’schen geistlichen Lieder in seinem evangelischen Kirchengesange II, 378 sehr ausführlich ein und theilt auch in der Beilage eines derselben mit. Koch’s Urtheil muß hiernach als völlig verfehlt angesehen werden, denn die Lieder sind von einer so echt deutschen Einfachheit, daß man an eine Verwälschung in keiner Weise erinnert wird. Man wünschte aber, daß sie sich ein klein wenig über das Niveau des Alltäglichen erheben möchten. Staden’s geistliche Melodien haben sich aus diesem Grunde auch nie verbreitet, noch Aufnahme in Gesangbücher gefunden. Ein größeres Verdienst erwarb er sich durch die Neuausgabe von Hans Leo Haßler’s „Kirchen Gesäng: Psalmen und geistliche Lieder“, Nürnberg bei Dümler, 107 (kgl. Bibl. Berlin). St. hat mehrfach geändert, das Fünfstimmige nicht gerade zu seinem Vortheile vierstimmig gesetzt und die zwei achtstimmigen ganz weggelassen. Dafür hat er fünf Lieder eigener Composition hinzugefügt und elf von seinem Vater Johann St. Winterfeld sagt über dieselben: Die Tonsätze sind rein, angemessen, aber nicht ausgezeichnet und denen Haßler’s auf keine Weise zu vergleichen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist „Das Geistliche Waldgedicht oder Freudenspiel, genant Seelewig“ (Nürnberg 1644)