ADB:Ungern-Sternberg, Alexander Freiherr von

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Artikel „Ungern-Sternberg, Alexander Freiherr von“ von Heinrich Pröhle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 299–302, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ungern-Sternberg,_Alexander_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 00:30 Uhr UTC)
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Band 39 (1895), S. 299–302 (Quelle).
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Ungern: Peter Alexander Freiherr v. U.-Sternberg, bedeutender Romanschriftsteller der Aristokratie zur Zeit des jungen Deutschland. Am 22. April 1806 wurde er auf seinem väterlichen Gute Noistfer bei Reval in Esthland geboren. Er gehörte einer wahrhaft internationalen und zwar deutsch-ungarisch-schwedisch-russischen Adelsfamilie an. Im elterlichen Hause, aber wol stets in Abwesenheit des Vaters, vorgebildet, erhielt er seine ganze Schul- und Universitätsbildung in den russischen Ostseeprovinzen, namentlich zu Dorpat. Hier sollte er sich der Jurisprudenz widmen, zeigte aber fast nur Sinn für die Dichtkunst. 1829 lebte er einige Zeit in Petersburg. Nicht die französische Julirevolution war es, die ihn von dort mehr nach Westen zog, sondern die Cholera vertrieb ihn. Sie scheuchte ihn immer vor sich her über Berlin und Dresden bis nach Württemberg und Baden. In Stuttgart wurde er ganz wie um jene Zeit Lenau in den Kreis von Gustav Schwab, dem Herausgeber des Morgenblattes, aufgenommen und an Cotta als Verleger empfohlen, der ihn erst später als einen Vielschreiber wieder fallen ließ. U. lernte Kaspar Hauser und Lord Stanhope kennen, den er nicht glücklich bei Uhland einführte. Nirgends aber wurde er so heimisch als bei der Großherzogin Stephanie in Mannheim. 1832 erschien seine Novelle „Die Zerrissenen“. Wie der Titel des Romans „Die Europamüden“ von Ernst Willkomm, so wurde damals das Wort „Zerrissenheit“ ein stereotyper Ausdruck für gewisse krankhafte Erscheinungen der Zeit. Indessen war hierbei die Anwendung des Wortes doch eine von Ungern’s Auffassung etwas verschiedene und ironisch gemeint. Seine „Zerrissenen“ sind nicht etwa gewöhnliche [300] Vertreter des jungen Deutschland, sondern Fürsten, Prälaten, Convertiten und Mönche. U. irrt jedoch, wenn er „Die Zerrissenen“ für eine originelle Arbeit hält. Sie sind eine trotz der matten Fortsetzung „Eduard“ im ganzen gelungene Nachahmung von Hoffmann’s „Elixire des Teufels“. Für den Zauberapparat hat vielleicht noch ein anderer Hoffmann’scher Roman als Vorbild gedient. Hoffmann war dem jungen Dichter schon in Rußland bekannt geworden. Seine Beziehungen zu den Polen mußten den jungen Russen fesseln und nun hatte er gar in Baden sich auf einem ähnlichen katholischen Boden gefunden wie Hoffmann in Bamberg, welches denselben zu den Elixiren begeistert hatte. 1836 erschien von U. der Roman „Galathee“, 1838 das Feeenmärchen „Fortunat“ in zwei Bänden, „Palmyra oder Tagebuch eines Papageis“ und „Psyche“. Litteratur- und Charakterbilder waren 1834 „Lessing“ und „Molière“. Mit diesen Arbeiten verwandt war der Memoirenroman „St. Sylvan“, der 1839 in Frankfurt a. M. erschien. In demselben Jahre gab er in Berlin den zweibändigen Roman „Callenfels“ heraus. 1840 erschien in Stuttgart „Georgette“. Nach der Stuttgarter Zeit verweilte U. besonders lange in Weimar. Hier verkehrte er viel mit den Frauen im Goethe’schen Hause, am liebsten aber mit Stephan Schütze (s. A. D. B. XXXIII, 146). Eine Reise Ungern’s nach Rußland wegen Krankheit seiner Mutter führte ihn, weil er unterwegs die Todesnachricht erhielt, nur bis Lübeck. Von seinen Geschwistern sah er Niemand wieder, nicht einmal die Stiftsdame, welcher er den Roman „Susanne“ widmete. Von den andern beiden Schwestern erfuhr er nicht einmal, ob sie verheirathet waren. Doch war er trotz der damaligen Umkehr in Lübeck später mindestens noch einmal in Petersburg. Er versuchte vergeblich dort eine Stellung zu erhalten, etwa eine Professur für Litteratur und Geschichte. Nicht vor diesen Petersburger Versuchen ließ er sich in Berlin nieder, 1841. In demselben Jahre erschien zu Leipzig „Tutu. Phantastische Episoden und Excursionen“. Die etwas sonderbaren Illustrationen machen trotz Unzelmann’s Beistand zunächst mit Ungern’s hübschem Zeichentalente bekannt. So schildert das kecke Buch die Versetzung eines Engels auf die Erde, wo er sich mit den neuen Erfindungen und den vornehmen Gesellschaftskreisen bekannt macht und wo ihm nur ein Kuß verboten ist. Ebenfalls in Leipzig erschienen 1842 auch der aus herrnhutischen Anregungen hervorgegangene „Missionar“ und „Diane“ (3 Bde.). In der letzteren schilderte U. unter anderen eine alte Berliner Milchverkäuferin, aber auch nicht unbedenkliche Localitäten der Hauptstadt. Mit solchen Berliner Volksscenen glaubte er der Romanlitteratur eine Anregung gegeben zu haben. Vielleicht sehr zur Unzeit wünschte er sich gerade jetzt Friedrich Wilhelm IV. zu nähern. Er empfand es bitter, daß Tieck, der schon während seiner Jünglingsjahre in Rußland fast den meisten Einfluß auf ihn ausgeübt hatte, trotzdem daß der Dichter des Phantasus sich durch einen leicht mit dem Freiherrn v. U.-St. zu verwechselnden schriftstellernden Vetter Ungern’s in Dresden vielfach hatte patronisiren lassen, doch auch für den jungen russischen Dichter in Berlin nichts thun zu wollen schien. Die Wirkung dieser Verstimmung war vielleicht, daß U. in seinem nun folgenden besten Romane „Susanne“ (2 Bde., Berlin 1847) als mehr denn rücksichtsloser Schilderer der vornehmsten Kreise Berlins auftritt. Eben in diese Kreise soll die reifende Susanne, eine Waise, eingeführt werden. Sie wird von zwei ausschweifenden Oheimen, welche die höchsten Aemter bekleiden, deshalb einer Dame übergeben, mit der einer der Brüder selbst ein Verhältniß gehabt hat. Da dieser Bruder wirklich fromm geworden ist, ohne sich übrigens in seinen Sitten geändert zu haben, so zweifelt er nicht, daß der Anstand bei der Erzieherin, die ja ebenfalls fromm geworden ist, gewahrt wird. Leider liebt Susanne einen Hochstapler und um ihn zu retten heirathet sie ihn [301] nach seiner Scheidung von der Erzieherin. Vergeblich opfert nun der Oheim sein Rittergut, um Susanne zu retten. Sie wird endlich von dem Hochstapler an einen russischen Fürsten verkauft, kehrt aber rein zu dem alten Pfarrer zurück, der sie zur Tugend erzogen hat und die Bettlerin auf dem Kirchhofe ihres Dorfes bestattet. Auf diesen Roman Ungern’s folgte allerdings die Märzrevolution, aber kein neues Jena, was bei einer solchen Verderbniß Berlins, wie U. sie geschildert hatte, gewiß hätte der Fall sein müssen. U. wirkte durch diesen Roman auf einen der besten Romane Spielhagen’s ein. Dieser stellte aber der Unsittlichkeit der höheren Stände die Revolution selbst, die inzwischen stattgefunden hatte, mit einem in erneuter Weise aufblühenden Bürgerthume voll Reichthums und gewerblichen Glanzes entgegen. Das war den schweren falschen Beschuldigungen gegenüber wenigstens ein genügenderer Gegensatz als die Tugend der armen Susanne allein, die zwar immer rechtschaffen handelt, aber sich auch jedes Mal verrechnet. Nachgeholt muß werden, daß U. den König jedenfalls noch gesprochen hat. Vielleicht deshalb wurde er bei seinem Erscheinen auf dem Parlament zu Frankfurt a. M. während dessen erster Zeit sehr bemerkt. Der Susanne sieht man es noch nicht an, daß U. bald mit der Neuen preußischen Zeitung in Verbindung treten und 1849 in Bremen die Zeitromane „Die Royalisten“, „Die beiden Schützen“ und „Wilhelm“ (2 Bde.) herausgeben würde. U. ist nun auf einmal der stramme patriotische Erzähler, der den esprit abgeschafft hat. Seine Verehrung für den Prinzen von Preußen, dessen Gemahlin er schon in Weimar bei Hofe kennen gelernt hatte, thut wohl, doch hat er 1855 in seinen noch einmal geistvoll geschriebenen „Erinnerungsblättern“, die er später bis zum 6. Bändchen fortführte, gerade diese preußische Richtung wieder sehr entschieden und nachdrücklich verleugnet! Jedenfalls hatte aber U. einzelne gute Blicke in die preußische wie in die russische Geschichte gethan. Seine Auffassung des Charakters Friedrich’s des Großen (dessen unter den Rathschlägen von Preuß entstandene Reiterstatue unter den Linden er abscheulich fand) war 1848 schon befriedigender als die der meisten damaligen preußischen Geschichtschreiber. Hauptsächlich legte er diese Auffassung nieder in seiner noch immer lesenswerthen Schilderung der Kaiserin Katharina von Rußland, welche sich in seine „Berühmten deutschen Frauen des 18. Jahrhunderts“ (2 Bde.) verirrte. Diese geborene Prinzessin von Zerbst hielt bekanntlich in ihrem Verhalten gegen Friedrich bloß die Mitte zwischen Elisabeth und Peter III. Indessen war sie doch immerhin durch Friedrich nach Rußland empfohlen worden und nach Ungern’s Schilderung die glücklichste Nachahmerin seiner Kunst zu regieren. Höchst merkwürdig war es, daß die Schülerin sich nach dem Tode des Lehrers in Rußland noch vor so manche Fragen der französischen Revolution gestellt sah, welche Friedrich nicht erlebt hatte. U. legt ihr das merkwürdige Wort in den Mund: „Das kann ich für meine kleine Wirthschaft nicht gebrauchen“, welches an sich jedenfalls mehr für einen Markgrafen von Brandenburg als für die Kaiserin aller Reußen passen würde. Aus den Studien über Rußland ging 1849 Ungern’s Roman „Die gelbe Gräfin“ (2 Bde.) hervor. Es ist keineswegs die bedeutendste, aber die spannendste Erzählung Ungern’s, die einen ziemlich unwürdigen Gegenstand der Memoirenlitteratur frei behandelt. Elisabeth, welche wegen einer von Friedrich über sie gethanen verächtlichen Aeußerung diesen mit Krieg überzog, hatte schon in frühester Zeit heimlich eine Tochter geboren, welche später mit Hülfe einiger Franzosen außerhalb Rußlands in Sicherheit gebracht werden sollte. Die Franzosen erwiesen sich als unzuverlässig, dagegen wurde durch einen Rath beim Reichskammergericht in Wetzlar und seinen Sohn aufs beste für sie gesorgt. Doch bemächtigte sich sogleich in Wetzlar einer der Franzosen der Tochter eines Tausendkünstlers und gab sie für die Tochter der Elisabeth – die gelbe [302] Gräfin – aus. Die untergeschobene war sehr schön, aber halb blödsinnig. Sie mußte jedes Mal erst durch Schläge mit einem Instrumente, welches sie in einem schönen Futterale bei sich trug, wozu sie den Schlüssel selbst herausgab, zum öffentlichen Erscheinen gezwungen werden. In einer Gesellschaft beim Erzbischof von Köln, der den Franzosen mit vielem Gelde unterstützt hatte, wurde ihr Irrsinn entdeckt. Dennoch kam sie nach Ungern’s Romane gleich der ersten Tochter der Elisabeth noch unter Katharina II. nach Rußland, wo beide untergingen. Die echte Gräfin hatte als Gattin des jungen Mannes aus Wetzlar einige Jahre verborgen in der Schweiz gelebt, war aber dann auf einige Zeit durch die französische Revolution nach Paris gerufen worden. Das erinnert an Goethe’s „Natürliche Tochter“, mit welcher dieser Leihbibliotheksroman sonst in keiner Hinsicht etwas gemein hat. Doch stand die Arbeit noch weit über den „Braunen Märchen“ und dem zweibändigen „Deutschen Gilblas“ (1850 und 1852). Die Erwartung des Dichters, daß die schlüpfrigen „Braunen Märchen“ ihm zum Verdienst angerechnet werden könnten, erfüllte sich nicht. Im Gegentheil bewirkte er wol hauptsächlich durch sie, daß trotz seines Talentes und trotz der mancherlei Anstrengungen die er machte, seine ganze zweite schriftstellerische Periode seit der Märzrevolution als eine Periode des allmählichen Absterbens betrachtet und er selbst wegen seiner Charakterlosigkeit schnell vergessen wurde. Selbst „Die Brüder“, ein Roman in fünf Bändchen (1852), widerlegt nicht A. Stern’s spätere Aeußerung im Lexikon der Nationallitteratur über ihn, daß er „immer frivol“ sei, obgleich in diesem Romane im Gegensatz zum Hause des Lehrers das Absterben der Liebe unter vornehmen und reichen Geschwistern auf eine ergreifende Weise verurtheilt wird. 1854 erschien der Geisterroman „Das stille Haus“, der wieder stark an eine Arbeit von Hoffmann erinnert, 1857 und 1858 „Die Dresdener Galerie“, 1851 „Fasching in Wien“, 1852 „Carneval in Berlin“, 1853 „Macargan“ und in drei Bänden „Ritter von Marienburg“, 1859 die biographischen je dreibändigen Romane „Dorothea von Curland“ und 1861 „Elisabeth Charlotte“, 1861 in drei Bänden die „Künstlerbilder“ und 1862 „Peter Paul Rubens“. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei noch erwähnt, daß U., ebenfalls nach Hoffmann’s Vorgange, gewöhnlich für mehrere Erzählungen, die er jedoch nicht wie Hoffmann mit einander verband, einen gemeinsamen Titel wählte, z. B. „Die Nachtlampe“, „Novellen“ u. s. w. Trotz seiner außerordentlichen Fruchtbarkeit war er in Berlin, wo er seine Wohnung stets in Gasthöfen genommen zu haben scheint, verarmt. Er war damals eine hohe, stattliche, noch immer blühende Erscheinung mit rundem Gesichte und vollem Haar. Erst nach 1850 scheint er seinen Wohnsitz nach Dresden verlegt zu haben. Erst dort verheirathete er sich mit Karoline Luise geb. v. Waldow. Die letzten Lebensjahre verbrachte er mit ihr auf dem Gute Granzow, an der Eisenbahn von Berlin nach Stralsund, das ihm sein Schwager, der Kammerherr Franz v. Waldow auf Dannenwalde, zum Wohnsitze anwies. Am 23. März 1867 starb seine Gemahlin im Alter von 56 Jahren. An ihrem Sarge befindet sich über dem Gesichte der Leiche ein Schiebefenster. 1876 wurde die Leiche aus dem Gewölbe in die Erde gesenkt, wobei man das Gesicht noch gut erhalten fand. Eigenthümliche Andenken bewahrt man von dem Romanschriftsteller U. selbst, der sehr eitel auf seine Hände war und dieselben in vielen Gipsabdrücken hinterließ. Er starb ein Jahr nach seiner Gemahlin am 24. August 1868, 62 Jahre alt, am Schlagflusse in Dannenwalde, wo er bei seinem Schwager zum Besuche war.

Daß U. vermählt war und wann er starb, ist aus einem Briefe des Herrn Pastor Breithaupt aus Tornow bei Dannenwalde 4. Mai 1891 genommen. – Mündl. Mittheilung v. W. Hemsen u. s. w.