ADB:Usteri, Leonhard (Pädagoge)

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Artikel „Usteri, Leonhard“ von Otto Hunziker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 396–397, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Usteri,_Leonhard_(P%C3%A4dagoge)&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 06:23 Uhr UTC)
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Usteri: Leonhard U. von Zürich, geboren am 31. März 1741, nach seines Vaters frühem Tod von einer trefflichen Mutter erzogen, ward schon in seiner Jugend durch vorzügliche Lehrer (Bodmer, Breitinger, J. Geßner, Däniker) ungewöhnlich vielseitig angeregt, entschied sich für das Studium der Theologie, begab sich aber nach seiner Aufnahme in den geistlichen Stand 1760 zunächst für anderthalb Jahre auf Reisen, die ihn nach Genf, dann nach Italien und Frankreich führten. In Rom an Winckelmann empfohlen, erwarb er sich nicht nur unter dessen Leitung eingehende Kenntnisse in der classischen Kunst, sondern auch des großen Mannes persönliche Freundschaft, von welcher die durch U. nachmals herausgegebenen „Briefe Winckelmann’s an seine Freunde in der Schweiz“ (Zürich, Orell 1778) beredtes Zeugniß ablegen. In Paris gewann er die volle Hochachtung J. J. Rousseau’s, die ihm bis an dessen Lebensende verblieb. „Quoi, mon cher Usteri“, – schrieb ihm dieser in einem seiner Briefe, – „vous êtes homme d’église et vous cédez dans la dispute? Ce trait seul me suffit et dit plus que tout le reste. Je vous voue mon estime et une amitié éternelle et comptez que cela tiendra. … Adieu, homme vertueux, je ne puis vous dire quelle impression m’ont faite vos dernières lettres. En voyant de près le clergé protestant, j’avois appris à ne l’estimer que ce qu’il vaut. Je ferai une autre fois des jugements plus restreints, car mon ami Usteri réhabilite bien la robe qu’il porte. Je vous embrasse.“ (3. October 1763).

Nach seiner Rückkehr in die Heimath widmete sich Usteri vorerst Privatstudien. Im J. 1764 gründete er sich einen Hausstand; die Hochzeitsreise ging in die Westschweiz, nach Môtiers zu Rousseau „um von diesem liebenswürdigen Priester der Natur den zweiten Segen zu empfangen“. Im nämlichen Jahre erhielt er die Professur der hebräischen Sprache an den höhern Schulen seiner Vaterstadt und damit entschied sich für ihn die Wahl der pädagogischen Laufbahn. Eben hatte er die höchste Sprosse an der Stufenleiter der zürcherischen Lehrstellen durch seine Ernennung zum Professor der Theologie 1788 erstiegen, als unter der Ueberanstrengung für die Vorbereitung zum neuen Amte seine Kraft zusammenbrach; von einem typhösen Fieber halb genesen starb er an den Folgen eines Nervenschlages am 14. Mai 1789, erst 48 Jahre alt.

In hohem Maße zierten ihn die Tugenden des Menschen, Lehrers und Bürgers. Ein treu besorgter Vater seiner Familie, war er zugleich seinen Schülern nicht blos anregender Lehrer von seltener Vielseitigkeit des Wissens und unermüdlicher Gewissenhaftigkeit, durch sein äußeres Auftreten imponirend und zugleich die Herzen gewinnend, sondern auch väterlicher Freund und Berather selber über ihre Jugendzeit hinaus. An der 1768 an Hand genommenen Reform der städtischen Schulen hatte er neben Prof. Breitinger, Bürgermeister Heidegger u. A. hervorragenden Antheil; er war es auch, der von der durchgeführten Reorganisation dem Publicum in einer den ganzen Schulorganismus einläßlich beleuchtenden „Nachricht von den neuen Schulanstalten in Zürich“ Kunde gab (1773). Durch seine Beziehungen zu Rousseau und Winckelmann, durch seine ausgedehnte Correspondenz sowol mit ausländischen Gelehrten als mit der geistreichen Julie Bondeli in Bern ist U. einer der hauptsächlichsten Träger der universellen Culturbestrebungen, deren intensive Pflege den Ruhm Zürichs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausmacht. Daneben widmete er einen Theil seiner Zeit der Leitung der Zürcher Stadtbibliothek; er war eines der fleißigsten Mitglieder der physikalischen Gesellschaft; ein sehr thätiger Förderer ihrer Bemühungen um Verbesserung der Landwirthschaft, betheiligte er sich namentlich auch bei den von dieser Gesellschaft ins Leben [397] gerufenen „Bauerngesprächen“ (einer Organisation belehrender Unterredungen mit strebsamen Landwirthen); auch den damals von Pfarrer Keller in Schlieren unternommenen Versuchen im Unterrichten Taubstummer lieh er seine besonderes Aufmerksamkeit und seine Feder. (Helvet. Almanach 1780, 1781.)

Als sein Hauptverdienst aber galt den Zeitgenossen, daß er nach der Reform der Knabenschulen durch die städtischen Behörden als einfacher Privatmann es unternahm, nun auch der seit den Zeiten der Reformation gänzlich zurückgestellten Mädchenbildung zu ihrem Rechte zu verhelfen. Die auf seine Anregung 1773 begründete und von ihm bis zu seinem Lebensende geleitete Töchterschule entwickelte sich, in mäßigem Rahmen nur die nothwendigsten Bildungsfächer umfassend, unter der in seine Ansichten ganz eintretenden trefflichen Lehrerin Susanna Goßweiler rasch zu einer lebenskräftigen Anstalt, die bald auch in andern Schweizer Städten Nachahmung fand, und er hatte wenige Tage vor seinem Tode die Freude, den Gönnern des Instituts die Mittheilung zu machen, daß dasselbe nun künftig ohne deren jährliche Beiträge – trotzdem der Unterricht für die Schülerinnen durchaus unentgeltlich war – fortgesetzt werden könne, da die vorhandenen Capitalien für die gegenwärtige Lage und weitere Entwickelung der Schule ausreichen.

Die charakteristische Eigenthümlichkeit von Usteri’s Wesen und Wirken war ruhige Harmonie, maßvolle Besonnenheit bezüglich der anzustrebenden Ziele, unentwegte Treue und Beharrlichkeit in der Durchführung des Angestrebten. Seines Werthes bewußt, vermied er mit demselben zu prunken. Das Streben litterarisch zu glänzen war ihm fremd. Selbst Lieblingsprojecte konnte er wieder bei Seite legen, wenn er sah daß ihre Zeit noch nicht gekommen war; so hatte er zum Zwecke der Organisation einer höheren Bildungsanstalt für das weibliche Geschlecht bereits 1774 ein Buch „vom Unterricht für Frauenzimmer“ geschrieben, es blieb in seinem Pulte unvollendet und unveröffentlicht, bis ihn der Tod erreichte. Die gleiche ruhige Verständigkeit prägte sich auch in seinen wissenschaftlichen und theologischen Anschauungen aus; dem in den siebziger Jahren bei einigen jungen Theologen auftretenden Schwärmergeist trat er mit väterlicher Mahnung nicht ohne Erfolg entgegen. Die Trauer am Grabe des schlichten Mannes war eine ungewöhnlich tiefgehende und allgemeine, ohne Unterschied des Standes und der Richtungen; Lavater bezeichnete ihn in einer eigens gedichteten Trauerode als „den Mann, der vorwärts nur gestrebt, so kurz und doch so lang gelebt.“

Leonh. Usteri in L. Meister’s „Berühmte Männer Helvetiens“ (Zürich) 1. Ausg. 1792, III. Bd. 4. Heft S. 35–59, 2. Ausg. II. Bd. S. 160–177; diese von Usteri’s älterem Sohne, dem nachmaligen Bürgermeister P. Usteri, geschriebene biograph. Skizze findet sich erweitert in des letzteren „kleinen gesammelten Schriften“, herausgegeb. v. H. Zschokke, Arau 1832. – Leben und Charakterzüge L. Usteri’s, Neujahrsblatt der zürch. Gesellschaft auf der Chorherrenstube 1824 (von J. Konr. Orelli, d. ä.) – J. J. Holzhalb, Suppl. zu Leu’s helvet. Lexikon VI, p. 236. – M. Lutz, Nekrolog denkwürdiger Schweizer S. 542. Aarau 1812. – R. Hanhart, Erzählungen aus der Schweizergeschichte IV, 496. – Hunziker, Geschichte d. schweiz. Volksschule I, 271–275. Zürich 1881. – P. Usteri, Briefwechsel J. J. Rousseau’s mit L. Usteri in Zürich u. D. Roguin in Yverdon (litterar. Beilage zum Programm der Kantonsschule in Zürich 1886). – H. Blümner, Mittheilgn. aus Briefen an L. Usteri (Züricher Taschenb. 1884). – Ed. Bodemann, Julie v. Bondeli und ihr Freundeskreis. Hannover 1874. – Th. Vetter, Aus d. Jugendjahren d. höh. Töchtersch. i. Zürich (Beil. z. Progr. ders. 1895).