ADB:Wagenseil, Christian Jakob

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Artikel „Wagenseil, Christian Jakob“ von Max Mendheim in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 479–481, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wagenseil,_Christian_Jakob&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:26 Uhr UTC)
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Band 40 (1896), S. 479–481 (Quelle).
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Wagenseil: Christian Jakob W., Schriftsteller, Sohn des Weinhändlers (und späteren Besitzers einer Kattunfabrik) Philipp Jakob W. und dessen Gattin Maria Elisabeth, geb. Steck, wurde am 23. November 1756 in Kaufbeuren geboren. Nach dem frühen Tode seiner Mutter, deren „Gemüthlichkeit“ und „Liebe für Musik“ W. erbte, kam er im achten Lebensjahre in das Haus der Großmutter mütterlicherseits, einer streng religiösen Frau. Er besuchte dann die deutsche, später die lateinische Schule seiner Vaterstadt, erhielt auch frühzeitig Unterricht in der Musik, in der er nach und nach solche Fertigkeit erlangte, daß er in der Folge selbst zahlreiche Lieder mit Clavierbegleitung wie auch Arbeiten für die Kirche, das Concert und Theater liefern konnte und „für einen Dilettanten außergewöhnliche Leistungen als Componist und Clavierspieler“ entfaltete, auch mehrere Artikel in das 1788 von ihm herausgegebene „Magazin von und für Schwaben“ über die Musik in Schwaben schrieb. Nach beendigter Schulzeit trat W. als Lehrling in das Geschäft der Brüder seiner Mutter, entschloß sich jedoch anderthalb Jahre später auf allgemeines Zureden, sich dem Studium zu widmen. Er erhielt nun zunächst Privatunterricht in den Gymnasialfächern und kam dann Anfang 1773 auf das Gymnasium nach Ulm, wo er auch mit Schubart in Verkehr trat. Im Herbst 1775 bezog er die Universität Göttingen, um daselbst die Rechte zu studiren. Seine freien Stunden aber widmete er dem Studium der politischen und Litteraturgeschichte, der Lectüre schönwissenschaftlicher Werke sowie Schriftstellerarbeiten. „Das Denkmal“, berichtet er später in seiner Biographie Hutten’s (S. 252 ff.), welches der selige Herder Hutten setzte [im [480] „Teutschen Merkur“], begeisterte mich, … Hutten’s Gebeine zu erwecken. Ich las, sammelte zu Hutten’s Leben, verglich Ausgaben der Schriften etc., aber freilich noch ein wenig flüchtig, denn ich stand erst im 21. Lebensjahre und hatte schon so vieles im Kopfe, was mit der Zeit hervorgehen sollte“; so z. B. eine „Geschichte des peinlichen Gerichtswesens unter Friedrich III., Max I. und Karl V.,“ eine „Geschichte der Bänkelsänger“, eine „Geschichte der Tempelherren“, ein „Leben Franzens von Sickingen“, zu welch allem er damals sammelte. Der Besuch Hamburgs und des dortigen Theaters im Frühjahr 1778 ermunterte ihn zur Abfassung des Schauspiels mit Gesang „Ehrlichkeit und Liebe“, das von Wolf in Weimar componirt und auch 1779 aufgeführt wurde. Im Herbst 1778 verließ W. Göttingen mit der Absicht, über Gotha in seine Vaterstadt zurückzukehren, ließ sich aber in Gotha alsbald von dem Buchhändler Ettinger überreden, eine Zeit lang hier zu bleiben und sich an der Redaction von Ewald’s „Gelehrter Zeitung“ zu betheiligen. Nachdem er hier sein schon erwähntes Schauspiel vollendet und auf die Bühne gebracht hatte, schrieb er den Roman „Schildheim“ (2 Bde. 1779), bearbeitete einige ältere Stücke für das Hoftheater und verfaßte selbst eine „Unparteiische Geschichte“ desselben. Als sich ihm aber im Herbst 1779 in seiner Vaterstadt Aussicht auf eine städtische Anstellung eröffnete, kehrte er über Frankfurt a/M., wo er schon bei seiner Reise von Kaufbeuren nach Göttingen von Goethe freundlich aufgenommen worden war, dahin zurück. Aber die erhoffte Anstellung erfolgte nicht so bald. W. mußte sich drei Jahre lang als Advocat und Schriftsteller einen spärlichen Unterhalt erwerben. 1782 wurde er endlich als Vicar des kranken Stadtgerichtsactuars und Kanzleisubstituten und des Kanzleidirectors mit 80 fl. Gehalt angestellt und 1789 als Nachfolger des ersteren eingewiesen, endlich 1794 zum Kanzleidirector ernannt.

W. hat sich in dieser Zeit um seine Vaterstadt, namentlich um die Erweiterung der Volksbildung, die Hebung des Schulunterrichts und die Besserung des heruntergekommenen Theaters namhafte Verdienste erworben und durch seine zahlreichen, theils populär-wissenschaftlichen, theils belletristischen Werke selbst zur Bereicherung der Lehrmittel beigetragen. Aber auch auf dem Gebiete der Gemeindeverwaltung hat er, besonders in den Kriegsjahren von 1790 bis 1804, seiner Vaterstadt hervorragende Dienste geleistet, wenn er auch oft genug nur Undank dafür erntete.

Im J. 1804 wurde W. als Stadtcommissar und Polizeidirector nach Kempten versetzt und dort 1808 zum Rathe des Illerkreises ernannt; 1817 kam er als Regierungsrath des Oberdonaukreises nach Augsburg, wurde jedoch gegen seinen Wunsch, des Alters wegen, schon 1820 in den Ruhestand versetzt. Er starb nach kurzer Krankheit am 8. Januar 1839 in Augsburg.

W. ist schriftstellerisch auf den verschiedensten Gebieten ungemein thätig gewesen, ohne jedoch auf irgend einem etwas besonders hervorragendes geleistet zu haben. Seine Gedichte sind durchaus harmlose Liedchen im Geschmacke der Dichter des Hainbundes, die er meist persönlich kennen gelernt hatte; am bekanntesten, aber heute auch vergessen, war wol einst das von ihm selbst und auch von mehreren anderen componirte „Arm und klein ist meine Hütte“ (vgl. darüber den von W. herausgegebenen „Litterarischen Almanach“ Bd. 4, S. 322 f.; in Bd. 5 ist das Lied als musikalische Beilage aufgenommen); sein „Litterarischer Almanach. Von Lic. Simon Ratzeberger dem Jüngsten“ (6 Bde., 1827–32) ist eigentlich nur eine Sammlung von litterarhistorischen und bibliographischen Curiositäten; eine Art Fortsetzung desselben mit Ausdehnung auf geschichtliche Merkwürdigkeiten bildet das „Unterhaltungsbuch für Freunde der Geschichte und Litteratur“ (2 Bde., 1837–38). Von seinen historischen Arbeiten kommen hauptsächlich seine Arbeiten über Hutten in Betracht, mit dem er sich fast [481] 50 Jahre lang beschäftigt hat. So gab er 1783 den ersten Band der „Sämmtlichen Werke Huttens“ heraus, dem noch vier ähnliche folgen sollten, aber wegen Theilnahmlosigkeit des Publicums nicht folgten; im J. 1800 veröffentlichte er dann im „Pantheon der Deutschen“ eine Skizze über Hutten’s Leben, aus der 1823 das Buch „Ulrich von Hutten nach seinem Leben, seinem Charakter und seinen Schriften geschildert“ entstand, in dessen 5. Abschnitt (S. 252 ff.) er auch über die Geschichte seiner Arbeiten zu Hutten berichtet. Seiner Gattin, Magdalena Sibylla geb. v. Schütz (geboren am 23. Januar 1760 in Memmingen, † am 15. Juli 1830 in Augsburg), die sich am 14. Mai 1787 mit W. vermählte und ihm nachmals elf Kinder schenkte, hat er in der Schrift „Einige Züge aus dem Leben und Charakter der Frau M. S. W., geb. von Schütz, aufgesetzt von ihrem Gatten“ (Augsburg 1830; vgl. auch den „Neuen Nekrolog“ für 1830) einen liebevollen Nachruf gewidmet. Eine Aufzählung seiner sämmtlichen Schriften, denen noch das genannte „Unterhaltungsbuch“ hinzuzufügen ist, bietet W. selbst auf S. 269–284 des 6. Bandes seines „Litterarischen Almanachs; auch der „Neue Nekrolog“ für 1839, S. 121 ff. enthält eine solche.

Proben aus der Lebens- und Bildungsgeschichte eines seit mehr als fünfzig Jahren nicht unbekannten Schriftstellers (d. s. Bruchstücke, bis zum October 1779 reichend, einer ungedruckten Selbstbiographie Wagenseil’s) am Schluß jedes Bandes des Unterhaltungsbuches für Freunde der Geschichte und Litteratur. – Neuer Nekrolog für 1839, S. 115–123.