ADB:Wydenbrugk, Oskar Freiherr von

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Artikel „Wydenbrugk, Wilhelm Eberhard Oskar von“ von Gustav Lämmerhirt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 383–392, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wydenbrugk,_Oskar_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 16:21 Uhr UTC)
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Wydenbrugk: Wilhelm Eberhard Oskar von W., Staatsmann, weimarischer Märzminister, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, ist der letzte Sproß der deutschen Linie eines Geschlechtes von uraltem freiherrlichen Adel, welches seinen Ursprung örtlich im niedersächsischen Emsgau, da wo jetzt die westfälische Stadt Wiedenbrück liegt, zeitlich in der sagenhaften Umgebung des Sachsenherzogs Widukind zu finden glaubt. Das erste urkundliche Zeugniß für die Familie geht ins Jahr 1187 zurück, im J. 1532 vollzog Kaiser Karl V. für seinen tapfern und ritterlichen Kriegsmann Eberhard v. W. eine Bestätigung des Wappens und Freiherrntitels. – Als unser Politiker am 7. October 1815 (Angabe des Kirchenbuchs), zu Aschenhausen in der Rhön, wo sich seine Eltern (Freiherr Wilhelm Peter Alexander und Ernestine Dorothea Auguste geb. Sternberger) vorübergehend aufhielten, geboren wurde, war die Familie durch Schuld des Großvaters, der als Oberst in niederländischen Diensten ein flottes und kostspieliges Leben geführt hatte, finanziell zurückgekommen. Auf einem vom Vater erpachteten großen Gute zu Vacha verlebte W. seine erste Jugend in fortwährendem Verkehr mit der Natur. Hier war es auch wo ein Unglücksfall dem früher schlanken, schöngewachsenen waghalsigen Knaben die Verkrümmung des Rückgrats brachte, die den Mann sein ganzes Leben lang entstellte. Durch einen tüchtigen Philologen und charakterfesten Menschen, den Hamburger Dr. Juksch vorbereitet kam Oskar auf das Eisenacher Gymnasium und besuchte später die Universitäten Jena, Heidelberg und Berlin, wo er sich besonders zu Savigny hingezogen fühlte. Seine beiden juristischen Staatsexamina bestand er in Jena, das erste im December 1837, das zweite anderthalb Jahr später, und da er sich unter Leitung des Rechtsanwalts Justizrath Schambach ausgezeichnet in der Praxis bewährte, so wurde er bald zum Amtsadvocaten ernannt und ihm die Stadt Eisenach als Wohnsitz angewiesen, die ihn nun sieben Jahr lang beherbergte. Durch gediegene Fachbildung, Klarheit, Gewissenhaftigkeit und herzbezwingende Redlichkeit brachte er es nicht nur zu einer guten Praxis, sondern machte auch weitere Kreise auf sich aufmerksam. In wöchentlichen Vorträgen die er auf der „Phantasie“, einem Vergnügungslocal bei Eisenach, zu halten pflegte, sprach er aus was ihn in politischer Hinsicht bewegte. „In unsern Tagen [384] lebt, wie in jener Zeit (Befreiungskriege) ein vaterländischer Sinn auf, aber nicht als unmittelbare Folge einer gewaltigen, das Volk erregenden Weltbegebenheit, sondern als Erzeugniß ruhiger Fortentwickelung“, so schrieb W. in seinen der Eisenacher Zeit angehörenden „Briefen über deutsche Nationalgesetzgebung“ (Jena 1848). Dies Büchlein ist eine Widerlegung der Bedenken seines Lehrers Savigny gegen die Fähigkeit der Zeit ein einheitliches deutsches Gesetzbuch hervorzubringen, wie es die Tagesstimmung an Stelle des geltenden römischen Rechtes forderte. – Seitdem der Regierungsantritt König Friedrich Wilhelm’s IV. die allgemeinen Hoffnungen auf Gewährung freierer Formen so grausam enttäuscht hatte regte sich, neben politischem Mißvergnügen, gewissermaßen als Gegenschlag, die Opposition zuerst in Süddeutschland. Adam v. Itzstein, der bekannte badische Liberale, versammelte meist auf seinem Gute Hallgarten im Rheingau freisinnige Abgeordnete zu gemeinsamer Besprechung freiheitlicher Maßregeln besonders in den Landtagen und in der Presse. Die Zahl der Theilnehmer an diesen Zusammenkünften sowie der Kreis der daran interessirten Länder wuchs mit der Zeit. Zu den Süddeutschen traten bald Mitteldeutsche, zuletzt sogar einzelne Preußen. W., der infolge seiner öffentlichen Vorträge schon einen verhältnißmäßig großen Ruf liberaler Gesinnung genoß, war ebenfalls längere Zeit Itzstein’s Gast auf Hallgarten gewesen und scheint diesem, wie die Widmung der oben genannten Briefe lehrt, sehr nahe getreten zu sein. Das ist auch eine Seite der „ruhigen Fortentwickelung vaterländischen Sinnes“, von der W. spricht. Daß diesem Sinne „höherer innerer Werth, dauernder Bestand und mehr befruchtende Kraft als früher beizumessen sei“ sollte sich in gleicher Weise später bewähren. Das Jahr 1847 brachte W. eine Probe seiner Popularität: Die Stadt Eisenach wählte ihn zum Abgeordneten für den elften weimarischen Landtag. Ohne Zweifel der Bedeutendste unter allen Mitgliedern machte er sich in Weimar, getreu den Itzstein’schen Grundsätzen, furchtlose Behandlung öffentlicher Mißstände zur Aufgabe. Auch der weimarische Staatskörper hatte einen „leidenden Theil“, das waren die Verhältnisse des großh. Kammervermögens. Besonders infolge der durch die Napoleonischen Kriege und den neuen Schloßbau nöthig gewordenen außerordentlichen Ausgaben war dieses, hauptsächlich aus dem Ertrag der Domänen und Regalien gespeiste Kammervermögen im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts so übermäßig in Anspruch genommen worden, daß gleich dem ersten Landtage vom Jahre 1817/18 die leidige Mittheilung von einem ständigen Deficit in den Kammercassen hatte gemacht werden müssen. Nun bestand zwar eine strenge Trennung zwischen dem Kammervermögen und dem Landschaftsvermögen, aber zur Deckung dieses Deficits forderte man eine jährliche Beihülfe aus Landschaftsmitteln. Der Landtag bewilligte sie und in dem Gesetz vom 17. April 1821 „über die Bedeutung des Kammervermögens im Staatshaushalte des Großherzogthums“ ward der seit wenigen Jahren erst gewohnheitsmäßige Zustand in folgender Weise fixirt: Einmal sollte das Kammervermögen ausschließlich dem Landesherrn zustehen und nicht zum Regierungsaufwande herangezogen werden. Ferner wurde von der Landschaft eine Verbindlichkeit anerkannt in Fällen, wo das Kammervermögen zur Erfüllung seiner Bestimmung nicht ausreiche einen Zuschuß aus Landschaftsmitteln zu gewähren. Im Laufe der Zeit kehrte sich aber das Verhältniß um: Da die Einkünfte des Kammervermögens stets stiegen, konnte 1847 nicht mehr füglich von einem Falle die Rede sein, in welchem dieses seinen Bestimmungen nicht genügt hätte. Wohl aber war das Landschaftsvermögen mager geblieben und mußte manchmal durch neue Steuerumlagen, die immer böses Blut setzen, wieder einigermaßen aufgefrischt werden. Es wäre jetzt vielmehr eine Bestimmung nützlich gewesen, nach welcher bei Mangel an landschaftlichen Mitteln [385] auch Kammermittel zu Regierungszwecken zu verwenden Rechtens sein sollte. Es lag ja in der Hand des Fürsten, factisch Kammermittel zu Aufgaben der Landesverwaltung herzugeben und dies ist auch geschehen. Aber an dem Fehlen einer betreffenden rechtlichen Bestimmung hatte allmählich das Volksbewußtsein Anstoß genommen. Eine Vorstellung wie die: der Fürst sei der reiche Mann, der Unterthan erlange vielleicht einmal von des Fürsten Tisch ein paar Brosamen, ohne doch darauf ein Recht zu haben, drohte das innige Verhältniß wie es zwischen Großherzog Karl Friedrich und seinen Landeskindern waltete, zu trüben. Das durfte nicht sein! Dazu kam noch ein Zweites: die Form in der die Kammer den größten Theil ihrer Berechtigungen dem Volke gegenüber geltend machte war die der Naturalzinsen und Realgefälle. Diese Form war dem Zeitgeiste nicht mehr genehm. Hatte deshalb schon der Minister von Gersdorf eine Gesetzgebung betreffend Ablösung der Feudallasten vorbereitet, so legte W. jetzt kühn den Finger an die eigentliche Wunde. Sein Antrag in der Landtagssitzung vom 29. März 1847, welcher kurz gesagt – unter Wiederaufnahme eines Gedankens des Großherzogs Karl August auf eine Vereinigung des Kammervermögens mit dem landschaftlichen in der Art hinzielte, daß die Einkünfte des ersteren zur Hauptlandschaftscasse fließen sollten, dagegen sollte aus dieser eine Civilliste für das großherzogliche Haus abgegeben werden, – dieser Antrag geschah „unter allgemeiner Zustimmung des Landes“ und machte seinen Urheber überall volksthümlich. (Vgl. den Artikel „Weimarischer Landtag“ in der Illustrirten Ztg. 25. März 1848 S. 207.) Sein bei dieser Gelegenheit gesprochenes Wort „Krebsschäden heilt man nicht mit Rosenwasser“ war bald in manches Mannes Munde. Der Landtag brachte kurz vor seiner Vertagung am 4. Mai 1847 Wydenbrugk’s Antrag als den seinigen zur Kenntniß der Staatsregierung. Die Minister, Schweitzer voran, waren schon in der betreffenden Sitzung dem Antragsteller scharf aber unglücklich entgegengetreten, sie gaben jetzt auch dem Großherzog den Rath das Ansinnen zurückzuweisen. Aber ehe noch die am 21. Februar 1848 wieder zusammengetretenen Landstände die landesfürstliche Antwort erhielten, kamen die Märzereignisse. Die zweite Märzwoche des „tollen Jahres“ war Wydenbrugk’s große Zeit. Seine Beredtsamkeit hat sich nie bemüht die Leidenschaften aufzuwühlen, vielmehr durch Vernunftgründe sie zu besänftigen, vom Agitator hatte er nichts an sich, wol aber vom Beherrscher der Massen. Dies zeigte sich am 4. März als er im Landtage nach einem breit ausholenden Vortrage über die Weltlage die Abgeordneten zu bestimmen wußte dem Großherzoge einige auf die Verbesserung der gemeindeutschen Verhältnisse zielende Maßregeln, u. A. Anregung zur Beseitigung der Karlsbader Beschlüsse anzuempfehlen. Noch mehr trat das hervor in den folgenden Tagen draußen auf den Straßen und Plätzen der Stadt. Die revolutionäre Stimmung hatte auch die Weimaraner angesteckt. Am 8. März abends gab eine erregte Volksmenge im Schloßhofe dem Landesherrn ihre Wünsche nicht nur inbezug auf das Kammervermögen sondern auch wegen Einführung von Preßfreiheit, Nationalvertretung, Volksbewaffnung, Geschwornengerichten zu erkennen, Forderungen wie sie damals beinahe in allen deutschen Ländern gleichlautend ausgesprochen wurden. Karl Friedrich stellte durch die mit erhabener Würde gegebene Versicherung, daß alles geschehen solle was sich mit Recht und Pflicht vereinigen lasse, die Ruhe wieder her. Hatte schon hier der Abgeordnete v. W. durch sein Wort der Menge ihr unziemliches Benehmen zum Bewußtsein gebracht, so ward am 9. und 10. März bei der Bildung der Bürgerwehr Wydenbrugk’s Anwesenheit auf dem Rathhause von allen Seiten willkommen geheißen. Am 11. März darauf nahm das Begehren des Volks eine bestimmtere Gestalt an: auf seinen [386] Schultern trug es den geliebten W. vor die Augen des Fürsten, der Sturz der verhaßten alten Minister Schweitzer und von Gersdorff, sowie des Kammerpräsidenten Thon wurde verlangt, an ihre Stelle hätte man gern W. ins Ministerium erhoben gesehen. Das Decret, worin der Großherzog ihn zum geheimen Staatsrath ernennt und ins Ministerium beruft datirt noch von demselben Tage. „Man sah darin das Mittel, dem Gesetze die Herrschaft zu erhalten.“ Hören wir, wie er sich drei Tage nachher im Landtage über diese unerwartete Wendung seines Schicksals ausspricht: „Der Staatsdienst, selbst der höchste, war nie mein Streben, jedoch die Ereignisse der letzten Tage drängten dazu. Es mußte jemand ins Staatsministerium treten, der das Vertrauen des Volks bereits besaß, nicht erst erwerben sollte.“ Wir glauben ihm, daß er die neue Würde niemals gesucht hat, eben deshalb hielt er es auch für ein Gebot der Ehre sie nur so lange zu behalten, als es die bewegten Zeiten erforderten. Und um so verzeihlicher ist es, daß in einem Augenblick wo Vorparlament und Nationalversammlung in Frankfurt in Aussicht standen in der Seele eines Patrioten wie W. die Pflichten des neuen Amtes zurücktraten vor dem „Wunsche für die gemeinsamen deutschen Angelegenheiten, für die Auferbauung des Vaterlandes in verjüngter Gestalt mit thätig sein zu können.“ Die ersten Wünsche des Volkes wurden erfüllt: seit dem 1. April 1848 waren Kammer- und Landschaftsvermögen vereinigt, die Civilliste war vom Landtag auf 280 000 Thaler festgesetzt, aber der Großherzog hatte aus freier Entschließung vorläufig wegen der schlechten Finanzlage sich mit 250 000 Thalern jährlich zufrieden erklärt. Da erschien von W. eine Flugschrift: „Die Neugestaltung des deutschen Vaterlandes, ein Programm“ (Weimar 1848), geschrieben in der Voraussicht seiner Wahl nach Frankfurt. Die Schrift enthält freilich nichts charakteristisches, denn Einheit und Freiheit des großen deutschen Landes waren damals allgemeine Schlagwörter. Am 26. April ward sein sehnlicher Wunsch erfüllt, die 117 Wahlmänner wählten ihn mit 116 Stimmen (die fehlende war seine eigene) also einstimmig zum Abgeordneten der Stadt Weimar für die Frankfurter Nationalversammlung.

Es ist nicht ganz leicht für den, welcher den Antheil Wydenbrugk’s an den Frankfurter Verhandlungen der Jahre 1848/49 überschauen muß, stets dessen innere Persönlichkeit rein im Auge zu behalten. Im Parteigetriebe ist so manches ganz falsche oder mindestens schiefe Licht auf ihn gefallen. Wir versuchen die nach unserer Ansicht falschen Züge seines Bildes in einem Brennpunkt zu sammeln, um dann das Gemälde gewissermaßen zu restaurieren. W., nach Vincke’s sarkastischen Worten „der kleine Staatsmann von Weimar der immer auf der Höhe der Zeit steht“ erscheint in den Schilderungen der Biedermann, Laube und Haym als ein Ultrademokrat, dessen Standpunkt haarscharf auf der Grenze liegt, wo die demokratische Lehre anfängt regierungsfähig zu werden, wol ein großes Talent aber ohne Charakter und politischen Takt. Er sucht sich nach dem Maße seines glühenden Ehrgeizes instinctmäßig immer bei der Führung der Dinge zu betheiligen und scheut nichts so sehr als Niederlagen. Seine Dialektik ist von sophistisch-taschenspielerischer Art. Oefters wird sogar seine Mißgestalt und dünne Stimme noch zur Vervollständigung dieses pikanten Zerrbildes herangezogen. Für einen Demokraten kann W. nur halten wer nicht weiß wie schon in seinem Wahlprogramm Feindschaft angesagt wird jeder Tyrannei „sie komme woher sie wolle, dem Pöbelunsinn nicht minder als der Willkürherrschaft eines Fürsten. Verächtlich war, ist und wird sein der schmeichelnde Liebediener, welcher dem Fürsten die Wahrheit verhüllt; nicht minder aber verächtlich ist der, welcher die heilige Vernunft zu Schanden werden läßt vor dem unverständigen und das Beste oft zerrüttenden Begehren einer leidenschaftlichen [387] oder ununterrichteten Menge“. Wer jedoch diese Ansicht kennt der wird verstehen wie W. dazu kam den König Ernst August von Hannover weil er die Anerkennung der Centralgewalt verweigert hatte einen „Rebellen gegen das Gesetz“ zu nennen (Juli 1848), wie er sogar die Berliner Nationalversammlung – allerdings in merkwürdiger Verkennung ihres völlig demokratischen Ursprungs – gegen die Preußische Regierung vertreten konnte (Nov.). Auf der andern Seite müssen wir ja wol Herzog Ernst II. in seinen Memoiren glauben, daß W. der Schöpfer der Idee eines thüringischen Gesammtstaats gewesen sei, wir werden aber in Abrede stellen, daß unser Abgeordneter mit den an diese Idee sich knüpfenden republikanischen Wühlereien das mindeste gemein gehabt habe, ebensowenig wie mit den späteren Märzvereinen. Das einzige was man von den Schilderungen unserer Gewährsmänner unbedenklich unterschreiben kann ist dies, daß W. keinen besonders weiten politischen Blick gehabt hat, und zwar war das eine Folge seines extrem großdeutschen Standpunktes. In seiner großen Rede gegen das Gagern’sche Programm (12. Januar 1849) finden sich die Worte: „Das Vaterland selbst gilt mir mehr als jede Staatsform, und Eins will ich unter allen Umständen und um jeden Preis, nämlich daß das Volk, welches als ein Naturganzes in die Weltgeschichte eingeführt worden ist, auch als solches wieder erscheine“. Damit, und besonders mit den Schlußworten „zerreißen sie den Boden Ihres Vaterlandes nicht!“ war Integrität des deutschen Bodens als einer seiner politischen Glaubensartikel ausgesprochen. Aber auch über die Form selbst, worunter Alldeutschland gefaßt werden sollte finden sich Gedanken bei ihm. Sein Princip war, wie es einmal von anderer Seite ausgedrückt wird „Zusammenfassung Deutschlands unter thunlichster Festhaltung des föderativen Gedankens“. Als die edelste Verwirklichung einer gänzlich einheitlichen Staatsverfassung erscheint in derselben Januarrede ein Bundesstaat mit einem Präsidium das zwischen Oesterreich und Preußen wechselt, also Deutschösterreich und Preußen balancirend, verbunden durch die Mittel- und Kleinstaaten. Die Kritiker haben wol recht wenn sie daraufhin W. im Negativen für stärker als im Positiven halten. Noch eines: neben dem Gedanken einer völligen Gleichheit aller Staaten inbezug auf ihren Werth für Alldeutschland scheint er die Meinung einer Gleichwerthigkeit aller Parteien zu hegen: daraus entsprang vielleicht sein Fraternisiren mit Blum und Genossen bei der Anfang Mai 1848 versuchten ersten Parteibildung im Parlament, ein Verhalten welches Biedermann scharf verurtheilt. Was Wydenbrugk’s äußere Stellung in der Nationalversammlung betrifft, so gehörte er dem politisch freisinnigen aber gemäßigten „Württemberger Hof“ (linkes Centrum) an und war nach der Anfang October infolge des Waffenstillstandes zu Malmoe und der Septemberereignisse erfolgten Spaltung dieses Clubs (Secession des „Augsburger Hofes“) eine Zeit lang Führer der Zurückgebliebenen. Im Herbst ward er zum Bevollmächtigten der weimarischen Regierung bei der provisorischen Centralgewalt ernannt. Das Kremsierer Programm (27. Nov.) rief bekanntlich die Frage nach der Stellung Oesterreichs in Deutschland hervor und führte eine gänzliche Neubildung der Parteiverhältnisse herbei. W., der noch eben als Hauptredner das kleindeutsche Gagern’sche Programm bekämpft hatte (12. Jan. 1849, s. o.) fand mit Welcker u. A. seinen Platz in dem am 10. Februar von den Oesterreichern und Großdeutschen gebildeten „großdeutschen Verfassungsausschuß“, welcher eine zwischen Oesterreich und Preußen abwechselnde Reichsstatthalterschaft forderte (ganz in Wydenbrugk’s Sinne). Wie sein Parteigenosse Welcker aber ward er von der Unmöglichkeit des Eintretens Oesterreichs in den deutschen Bundesstaat überzeugt. „Die Realisierung eines Bundesstaates in der vollen Consequenz“, so lesen wir in seiner Schrift: „Die deutsche Nation und das Kaiserreich“ (München 1862) [388] S. 200 Anm., „war allerdings mit der Kremsierer Verfassung (für Gesammtösterreich, 4. März) unvereinbar …. Der Begriff des Bundesstaates in seiner Consequenz beherrschte die Geister; er galt für gleichbedeutend mit dem Wohl des Vaterlandes. So wurde auch für mich die Veröffentlichung der Kremsierer Verfassung die Veranlassung einen andern Weg als den bis dahin gegangenen, zur Erreichung des Bundesstaates zu betreten. Aber nicht ohne im Stillen die größten Bedenken zu hegen, schloß ich mich dem Versuche des preußisch-deutschen Kaiserthums und später dem der Union, welche der Kern einer weiteren Gestaltung sein sollte, an.“ Das ist die Motivierung seines so viel gelästerten Uebertritts zur Erbkaiserpartei. Die Aufgabe des Parlaments war z. Z. dahin bestimmt worden, eine Verfassung für Deutschland zu Stande zu bringen. Dazu gehörte aber nicht nur Berathung einer solchen, sondern auch ihre Einführung in die Wirklichkeit. Am 28. März war die Berathung der Frankfurter Verfassung vollendet. Die Erbkaiserlichen hofften, sie auf gesetzlichem Wege zu verwirklichen und damit die Thätigkeit der Nationalversammlung zum guten Ziele zu führen. Das wäre auch in dem Augenblick geschehen gewesen, da Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone angenommen hätte. Der König aber lehnte ab. Und noch gab die Partei die Hoffnung nicht auf, ihr Werk zu retten. Sie schob dem Parlament selbst die Aufgabe zu, die Verfassung durchzuführen. Am 4. Mai stand ein Antrag folgenden Inhalts zur Abstimmung: Die Nationalversammlung fordert die Regierungen und das deutsche Volk auf, die Frankfurter Reichsverfassung zur Anerkennung und Geltung zu bringen. Sie bestimmt den Tag des Zusammentritts des ersten Reichstags und den Tag der Wahlen für das Volkshaus auf Grund der Verfassung. Sollte der König von Preußen bis zum Zusammentritt des Reichstags die Verfassung noch nicht anerkannt haben so vertritt derjenige Fürst, welcher ihm an Macht am nächsten steht, einstweilen seine Stelle als Reichsoberhaupt – abgesehen natürlich von Deutschösterreich. Dieser Antrag ist unter dem Namen Wydenbrugk’scher Antrag bekannt. Er ward angenommen, konnte aber das Scheitern der Aufgabe des Parlaments und dessen Untergang nicht verhindern. W. entfernte sich von Frankfurt, ohne officiell ausgetreten zu sein. Im Juni finden wir ihn dann unter den Theilnehmern der vom ehemaligen Frankfurter Centrum besuchten Besprechungen zu Gotha. Hier wurde anerkannt, daß die Durchführung der Reichsverfassung unmöglich sei aber den preußischen Bemühungen (Dreikönigsbündniß, Union) ein Vertrauensvotum gegeben. Dagegen beugte W. seiner Wahl zum Erfurter Unionsparlament (1850), wozu die Weimaraner nicht ungeneigt waren, vor, weil er sie „mit seinen Berufsgeschäften für unvereinbar halte“. Wirklich nur deshalb?

W. suchte Trost in der gewissenhaften Erfüllung seiner Amtspflichten. Mit dem 1. Oct. 1849 war eine neue Organisation der weimarischen Staatsbehörden eingetreten. Er war zum Chef des zweiten Departements des Staatsministeriums ernannt und hatte Justiz und Cultus unter sich. Schon 1847, als an einen Ministerposten für ihn noch nicht zu denken war, hatte W. als Berichterstatter über einen dem weimarischen Landtage vorliegenden Proceßgesetzentwurf die Frage, ob das Großherzogthum berufen sei für sich allein gesetzgeberisch vorzugehen, verneint. In einer Zeit, wo im gesammten deutschen Volke Anzeichen einer erstrebten Einigung vorhanden seien, scheine ihm solches für keinen Staat gerathen. Nun, die Hoffnungen auf Einheit Alldeutschlands waren inzwischen bedenklich herabgestimmt. Dennoch suchte die weimarische Regierung, Watzdorf, der als einziger Minister die Märzstürme überdauert hatte (s. A. D. B. XLI, 258) so gut wie W. auch in der Folgezeit so viel als möglich ein vereinzeltes Vorgehen Weimars in Hinsicht auf Ersatz alter abgelebter Formen durch neue zu vermeiden. Wenigstens die thüringischen Staaten beabsichtigte man in dieser [389] Richtung gemeinsam zu interessiren. Schon im Juli 1848 war es Watzdorf gewesen, der auf einer Conferenz zu Gotha Neuerungen in der Justiz und Verwaltung durch engeres Zusammenwirken der thüringischen Regierungen angeregt hatte, im Herbst und Winter desselben Jahres tagte eine Commission zum Entwurf einer Strafproceßordnung und eines Strafgesetzbuches in Jena. Weimarischer Theilnehmer daran war Gustav v. Ekendahl († 1855), den W. selbst „einen der anerkanntesten Juristen des Großherzogthums“ nennt. Es folgten im Sommer 1849 Zusammenkünfte von Landtagsmitgliedern aus Weimar, Attenburg, Meiningen, Gotha und Coburg zu Gotha und Coburg mit denselben Zielen. Auch diese Erwartungen erlitten starke Einbuße, die kleinen Staaten entfernten sich im Fortschreiten der Gesetzgebung sogar weiter von einander als je. Als Bodensatz blieb nur zurück eine nähere Verbindung zwischen Weimar und den beiden Schwarzburg. Davon zeugt der Staatsvertrag vom 23. März 1850 wegen Errichtung eines gemeinschaftlichen Appellationsgerichtes zu Eisenach und zweier gemeinschaftlichen Kreisgerichte zu Sondershausen und Arnstadt. Es geschah auch zur Erfüllung einer Märzforderung, daß am 20. März desselben Jahres im Gebiete der drei Staaten Geschwornengerichte gebildet und öffentliches mündliches Strafverfahren für alle Verbrechen eingeführt wurde (für politische allein galt es im Weimarischen schon seit dem 6. October 1848). Ekendahl hatte im Winter vorher in Berlin die Handhabung dieses Verfahrens und die Einrichtung der Staatsanwaltschaft näher kennen gelernt. 1851 wurden gemeinsam die Vorarbeiten für eine neue Civilproceßordnung begonnen, welche am Rechte des Königreichs Sachsen Anlehnung suchte. In andern Beziehungen – ich meine besonders das Gesetz über die Aufhebung des Lehensverbandes vom 29. April 1851 – konnte selbst solch ein bescheidenes Maß von Gemeinsamkeit nicht erreicht werden. Was Schule und Kirche betrifft so treten auch hier die Nachwirkungen des achtundvierziger Geistes unter Wydenbrugk’s Regiment wohlthätig hervor, wie denn die Anregung zur Reformation auf diesem Gebiete vom Landtag des Revolutionsjahrs selbst gegeben worden ist. Zwar Hand in Hand mit den Nachbarregierungen konnte man hier so wenig wie in der Justiz gehen, aber in der Landesgesetzgebung werden überall Kräfte die bisher brach lagen gelöst und befreit. Das am 1. Mai 1851 erlassene „Gesetz über einige das Volksschulwesen betreffende Fragen“ brachte zwar „wegen der bedrängten Verhältnisse der Gegenwart“ keine umfassenden Reformen, doch wurden darin die Grundzüge des von einer staatlichen Commission im Januar und Februar 1849 bearbeiteten Entwurfs verwirklicht. Es handelte sich um Verbesserung der Volkslehrerbildung durch Neuorganisation der Seminarien, Hebung der socialen Stellung der Lehrer (sie wurden der niederen Küsterdienste in der Kirche enthoben), Garantie ihrer Besoldung durch Gemeinde, Staat und Kirche, Oberaufsichtsrecht des Staates über die Schule, ausgeübt durch die Geistlichen, Gründung von Fortbildungsschulen, Realschulen etc. Eine am 1. November desselben Jahres 1851 eingeführte neue Kirchgemeindeordnung wollte eine stärkere Betheiligung der Gemeindeglieder am kirchlichen Leben herbeiführen dadurch daß sie die Wahl von solchen in den Kirchgemeindevorstand vorschrieb und den Gemeinden das sogen. votum negativum (Recht gegen einen zur Pfarrstelle präsentirten Candidaten Bedenken zu erheben) wieder möglich machte. Auch hat sich schon W. die Frage vorgelegt, ob nicht eine Synodalverfassung ins Leben treten könne und in diesem Sinne auf der deutschen kirchlichen Conferenz zu Eisenach (Mai 1853) Berathungen über Einrichtung und Aufgaben von Bezirks- oder Diöcesansynoden angeregt. Dies sind Gedanken, welche erst nach 20 Jahren (1876) ihre Erfüllung finden sollten. Wir treten in die Reactionsperiode ein, denn Reaction war es, wenn auch verfassungsmäßig und ohne die mindeste [390] Gewaltsamkeit angegriffen, was durch die Beschlüsse des wiedererstandenen Bundestages vom 23. August 1851 in Weimar wie anderswo herbeigeführt wurde. Die Aufhebung der deutschen Grundrechte ward danach auch hier nothwendig. Ferner forderte die von Frankfurt aus zur Pflicht gemachte Revision der Landesgesetzgebungen nach dem Gesichtspunkt ihrer Uebereinstimmung mit den Grundgesetzen des Bundes den Ersatz des weimarischen Wahlgesetzes vom 17. Novbr. 1848 (Princip: allgemeines gleiches Stimmrecht) durch ein neues vom 6. April 1852 (Princip: indirecte Wahlen). Die Folge davon war der Austritt der am Princip des alten Wahlgesetzes festhaltenden Linken (12 Abgeordnete unter der Führung von Fries) aus dem Landtage und ein ultraconservativer neuer Landtag von 1853, ohne jede Opposition. In solcher Atmosphäre konnte sich ein Theilnehmer an der Frankfurter Nationalversammlung nicht mehr wohl fühlen. Zwar die Angriffe der Partei Fries, welche ihm verschiedentlich in der damals neugegründeten Zeitung „Deutschland“ Gesinnungslosigkeit vorwarf, weil er auch nach solchen Veränderungen sein Amt beibehalte, ließen W. kalt, denn er sagte sich, daß er seine Pflichten als Minister nicht persönlich liebgewordenen Principien opfern dürfe. (W. und Fries waren übrigens auch in der großen deutschen Frage Antipoden: Fries trat später dem kleindeutschen Nationalverein bei.) Auch fühlte sich W. noch Ende 1853 im Besitz des Vertrauens der großen Mehrheit des Volke wie am Anfang seiner politischen Laufbahn. Aber immerhin, er kam auf den schon mehrfach gehegten, auch ausgesprochenen Wunsch des Rücktritts zurück und er konnte es mit Ehren, war ja doch Anfang 1854 die Angelegenheit des Kammervermögens, der er seine ersten Lorbeeren verdankte, auch formell völlig abgeschlossen: ohne an der Verwaltung etwas zu ändern war das hausgesetzliche Eigenthumsrecht des fürstlichen Hauses am Kammervermögen und die Unantastbarkeit desselben sichergestellt worden. Unter dem 29. Mai 1854 gewährte Großherzog Karl Alexander ihm den erbetenen Abschied. W. hat wol unter allen Märzministern die längste Amtsdauer gehabt.

Er zog sich mit seiner Familie – seit December 1852 war er mit der älteren Tochter des Ingenieurobersten v. Hörmann verheirathet – auf seine Besitzung Deiblerhof bei Tegernsee zurück und lebte eine Zeit lang ganz seiner Neigung zu Naturgenuß und Landwirthschaft. 1859 gab er um der Erziehung seiner drei Töchter willen das Berggut auf und verlegte seinen Wohnsitz nach München. Verkehr mit Männern der Litteratur und Wissenschaft, auch mit liberalen Politikern regte ihn hier an und rückte ihn seiner eigentlichen Sphäre, der Theilnahme am Staatsleben wieder näher. Zunächst allerdings nur theoretisch-litterarisch. Von ihm erschienen damals: „Die Umbildung des Feudalstaates in den modernen Staat“ (München 1861) und das schon oben erwähnte Buch über die deutsche Nation und das Kaiserreich als eine Entgegnung auf die unter demselben Titel erschienene Schrift von H. v. Sybel. Bald aber lockten ihn die Geschicke des Vaterlandes wieder vom Schreibtisch ins Leben heraus. Prinz Wilhelm hatte die Regierung in Preußen übernommen. Der liberale Geist, der von seinem Regiment ausging, brachte auch die Deutsche Frage, die noch ungelöst in aller Herzen schlummerte, bald überall wieder in Fluß. War es in den Märztagen das Volk gewesen von dem im letzten Grunde positive Vorschläge für die Neugestaltung Deutschlands ausgingen, während die Regierungen damals beurtheilt und gerichtet hatten, so geschah es jetzt umgekehrt: die Regierungen traten mit Organisationsvorschlägen hervor, Vertreter des Volkes traten corporativ zusammen und begutachteten sie. Schon 1859 hatte sich der „Nationalverein“ kleindeutsch gesinnter Männer gebildet und inzwischen (1861) ein von Sachsen ausgegangenes Bundesreformprogramm in großdeutschem Sinne abgelehnt. Seitdem waren sowol von Preußen als von Oesterreich (in Verbindung [391] mit den vier Königreichen, Darmstadt und Nassau) neue derartige Programme vorgelegt worden (Winter 1861/62). Da ließ es unsern W. nicht mehr ruhen: es drängte ihn in die Oeffentlichkeit. Nachdem er mit Gesinnungsgenossen zu Rosenheim am Inn eine Vorbesprechung gehalten, berief er im October 1862 eine Versammlung der großdeutschen Richtung nach Frankfurt, die von ungefähr 500 Theilnehmern besucht war. Hier constituirte sich als Gegenstück zum Nationalverein der „großdeutsche Reformverein“. Was alle diese neuen Reformprojecte Gemeinsames hatten, war die Verheißung einer Volksvertretung beim Bunde, ein Gedanke, der vor 20 Jahren noch ganz unmöglich gewesen wäre. Und zwar sollte sie die Form einer Versammlung von Delegirten der Einzellandtage annehmen. Mancher hätte sich wol an Stelle dieser complicirten Form eine unmittelbar gewählte Vertreterversammlung gewünscht, allein W. war hier der sehr gesunden Meinung wie sie sich in dem Sprüchwort ausdrückt, daß der Sperling in der Hand besser sei als die Taube auf dem Dache („Reichstag oder Parlament?“ Jena 1862). Er zog eine Delegirtenversammlung („Reichstag“), weil man sie im Augenblicke haben konnte, einer freigewählten („Parlament“) vor. – Der neue „Reformverein“ erprobte seine kritische Ader an dem österreichischen Programm für den Fürstencongreß von 1863, welches er durch Wydenbrugk’s Mund als eine geeignete Grundlage für die Entwicklung der deutschen Verfassung anerkannte. Er erklärte sich auch – in dieser Frage gemeinsam mit dem Nationalverein – nach dem Tode König Friedrich’s VII. von Dänemark sofort für das Recht der Schleswig-Holsteiner. (Ende 1863.)

Es ist für die Abklärung der politischen Anschauungen Wydenbrugk’s sehr werthvoll gewesen, daß sich ihm Gelegenheit bot, activ an der Lösung der für Deutschland schicksalsvollen schleswig-holsteiner Frage theilzunehmen, in deren Verlauf der kleindeutsche Gedanke durch einen Bismarck vertreten den ersten reellen Sieg über die großdeutsche Idee davontrug. W. war am 11. Novbr. 1863 durch den coburgischen Staatsrath Francke, einen Vertrauten des augustenburger Herzogs Friedrich, als dessen Agent bei der österreichischen Regierung gewonnen worden und siedelte nach Wien über. Hier gehörte er bis 1867 zu den hoffnungslosen Gegenspielern des großen Staatsmannes, der von Anfang an im Interesse des Ganzen auf die Annexion der Herzogthümer für Preußen hinsteuerte und in der Verfolgung dieses Zieles „die größte all’ seiner diplomatischen Leistungen vollbrachte“ (Heyck). Wir können natürlich auf eine ausführliche Darstellung dieses geschichtlichen Dramas hier nicht eingehen. Wydenbrugk’s amtliche Berichte und Correspondenzen mit Samwer über seine Verhandlungen mit Rechberg, Mensdorff, Biegeleben und verschiedenen Gesandten fremder Mächte in Wien sind im 3. Bande der Memoiren Herzog Ernst’s II. und neuerdings in dem Werk von Jansen-Samwer benutzt. Er schöpfte die schmerzliche Ueberzeugung von der Schwäche Oesterreichs Preußen gegenüber an der Quelle. Er ahnte seitdem daß der kleindeutsche Gedanke siegreich bleiben werde, hielt aber eben deswegen seine öffentliche politische Thätigkeit für abgeschlossen. Die Zeit hat ihn dann alle großdeutsche Empfindlichkeit vergessen lassen über der Freude am nationalen Aufschwung von 1871.

Nach Baiern zurückgekehrt erwarb er die Schöffau zwischen Oberaudorf und Kiefersfelden an der Tiroler Grenze und verlebte auf diesem Landsitz in behaglicher Ruhe und Geselligkeit noch beinahe zehn Jahre. Er bethätigte sich nur noch als Publicist, denn eine Geschichte des deutschen Adels, an der er zeitweise arbeitete, ist nie fertig geworden. Sein Hauptblatt war die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ (hier ist der größte Theil seiner Beiträge mit n gezeichnet), dann schrieb er früher oder später noch für „Der deutsche Zuschauer, Blätter für Politik und Geschichte“ (Jena, Frommann), für die „Hildburghausener Ergänzungsblätter [392] zur Kenntniß der Gegenwart“, „Deutsche Warte“ u. A. In den letzten Jahren kränkelte er. Am 9. Juni 1876 nahm ihn der Tod hinweg.

Nekrolog von F. v. L. i. d. Beil. z. Augsb. Allg. Ztg., 21. u. 22. Juli 1876. – F. v. Löher, Beitr. z. Gesch. etc. II, 467 ff. – Weimarische Landtagsschriften u. Zeitungen 1847–55, 1876. – Gleichzeitige Parlamentsberichte von Biedermann (Erinnerungen a. d. Paulskirche, Mein Leben, Dreißig Jahre deutscher Geschichte), Laube, Haym, Jürgens u. A. – Ernst II., Aus meinem Leben und aus meiner Zeit I u. III. – Mollat, Reden u. Redner d. ersten deutschen Parlaments. – Jansen-Samwer, Schleswig-Holsteins Befreiung. – Wurzbach, Lexikon 59, 38.