ADB:Zöppritz, Karl

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Artikel „Zöppritz, Karl“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 434–437, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Z%C3%B6ppritz,_Karl&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 14:22 Uhr UTC)
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Zöppritz: Karl Z., Physiker und Geograph, geboren am 14. April 1838 zu Darmstadt, † am 21. März 1885 zu Königsberg i. Pr. Aus wohlhabender Familie hervorgegangen, war Z. in der Lage, sich ganz und gar, ohne Rücksicht auf die für das Leben so vieler bedeutender Männer maßgebenden äußeren Verhältnisse, der Wissenschaft zu widmen, und die längere Studienzeit, welche er, ungehemmt durch Sorgen für spätere Anstellung, ausschließlich seiner geistigen Ausbildung widmete, hat später ihre reichen Früchte getragen. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt als kaum Siebzehnjähriger absolvirt hatte, besuchte er noch die dortige höhere Gewerbeschule, aus welcher nachmals die technische Hochschule erwuchs, und welche schon damals, dank dem verdienten Külp, treffliche Gelegenheit bot, sich in den exacten Disciplinen zu vervollkommnen. Ungewöhnlich gut vorbereitet, bezog Z. im Herbst 1856 die Universität Heidelberg, wo er drei Semester verblieb, und zu Ostern 1858 wandte er sich nach Königsberg i. Pr., welche Hochschule sich unter Richelot und Franz Neumann noch immer den alten Ruhm, den sie unter Bessel und Jacobi errungen, unversehrt bewahrt hatte. Neumann nun war es, dem zu liebe Z. nicht weniger denn 61/2 Jahre an der ostpreußischen Universität verweilte, denn die mathematische Physik war sein Lieblingsfach geworden, und nirgendwo sonst wäre für deren Studium eine bessere Gelegenheit geboten gewesen, als eben hier. So entstand denn auch in Königsberg seine Habilitationsschrift „Theorie der Querschwingungen eines elastischen, am einen Ende belasteten Stabes“ (Tübingen 1865); Neumann hatte ihm das Thema gestellt, und Kupffer’s Experimentaluntersuchungen über den bezeichneten Gegenstand lieferten ein ausgezeichnetes Material zur Erprobung der auf analytischem Wege gefundenen Sätze. Die Habilitation erfolgte im Herbst 1865 zu Tübingen, nachdem die Promotion und ein längerer Aufenthalt zur Kenntnißnahme der Fachanstalten in Paris vorausgegangen waren.

In Tübingen las Z. fünf Semester über verschiedene Gebiete der reinen Mathematik und theoretischen Physik; 1867 aber folgte er einem Rufe als außerordentlicher Professor nach Gießen, wo er 25 Semester festgehalten wurde. Voll befriedigen konnte ihn die dortige Stellung nicht, denn die Anzahl der Mathematikstudirenden war nicht sehr groß, und die Vorlesungen, welche er über Optik, Wärme- und kinetische Gastheorie, Bewegung der Flüssigkeiten und galvanischen Ströme, sowie über Kugelfunctionen hielt, konnten nicht in dem Maße anregend wirken, wie dies wol anderswo möglich gewesen wäre. Speciell Geographisches findet sich in den Lectionskatalogen nicht; auch das Tübinger Colleg über physische Erdkunde scheint in Gießen nicht wiederholt worden zu sein; dafür aber gewährte einigen Ersatz der feldmesserische Kurs, welcher mit den Forststudirenden abzuhalten war und mehrfach wiederholt wurde. Von lebhafter schriftstellerischer Thätigkeit ist in dieser Periode nicht die Rede. Einem vom Wesen der Wärme handelnden Schriftchen (Tübingen 1866) folgte 1870 ein ebenfolches „Ueber die Arbeitsvorräthe der Natur und ihre Benützung“ (Virchow-Holtzendorff’sche Sammlung V, 102), und in Verbindung mit dem Geologen Streng veröffentlicht Z. in den Berichten der Oberhessischen Naturforschenden Gesellschaft eine Beschreibung der Tertiärvulkane des Vogelsgebirges. Die wichtigste [435] Arbeit aus diesem Zeitraume (Poggendorff’s Annalen d. Phys. u. Chem., Neue Folge, V) beschäftigte sich theoretisch und experimentell mit der Frage, ob für das Meerwasser ein ähnliches Dichtemaximum bei verhältnißmäßig hoher Temperatur sich nachweisen lasse, wie es bekanntlich dem süßen Wasser bei +4° C. eigen ist. Die Methoden, welche Z. zur Anwendung brachte, zeichneten sich durch besondere Genauigkeit aus; im Einverständniß mit anderen Physikern konnte er den strengen Nachweis führen, daß Salzwasser kein solch abweichendes Verhalten zeigt, und damit waren alle die Schlüsse, welche man voreilig über die Wärmevertheilung in den Tiefen der Weltmeere gezogen hatte, als unzuverlässig erkannt.

So hatte der erste Schritt, den Z. in die Physik der Erde that, gleich ein werthvolles Ergebniß zu verzeichnen. Daß er auch sonst schon gerne mit wissenschaftlicher Erdkunde zu thun hatte, erhellt aus den Titeln dreier in Gießen öffentlich gehaltener Vorträge (Ueber die bildliche Darstellung der Erdoberfläche; Ueber unterirdische Flüsse; Ueber Afrika). Vor allem aber trat er seit 1875 einem zwar unscheinbar aussehenden, in Wirklichkeit jedoch hochwichtigen Zweige der Geographie näher, in dessen Cultivirung er sich bald als voller Meister bewähren sollte. Dies war die rechnerische Herleitung gesicherter Orts- und Höhenbestimmungen aus den nicht selten der Exactheit entbehrenden Aufzeichnungen der Forschungsreisenden. Er begann mit Berechnung der von P. Schoenlein in Liberia gemachten Beobachtungen (Zeitschr. d. Gesellsch. f. Erdkunde zu Berlin, X) und ließ bald seine Bearbeitung der Reisebeschreibung De Pruyssenaere’s aus den Ländern am oberen Nil folgen, welche wegen der hohen Geschicklichkeit in der Verwerthung scheinbar unwesentlicher Notizen von allen Kennern für ein kritisches Meisterwerk erklärt worden ist (Petermann’s Geogr. Mittheilgn., Ergänzungshefte Nr. 50 und 51). Diese seine Leistungen fanden den allseitigsten Anklang, und viele Reisenden wandten sich an Z. mit dem Ersuchen, auch ihren Tagebüchern die gleiche sorgsame Behandlung angedeihen zu lassen. Dies ist denn auch reichlich geschehen, wie zahlreiche Artikel in Petermann’s Monatsheften beweisen. Junker, Kayser, v. Wißmann, v. Mechow, v. Schenk, Flegel und Graf Zichy hatten der liebevollen Pflege, welche Z. an diese mühsame Kleinarbeit wandte, beträchtliche Verbesserungen ihrer Routiers und meteorologischen Notizen zu danken.

Gewiß also ist die längere Reihe von Jahren, die Z. in Gießen verbrachte, für ihn selbst und für die Wissenschaft in hohem Maße ersprießlich gewesen – für ihn selbst namentlich auch insofern, als er hier in der Tochter des bekannten Chemikers Will die treue Lebensgefährtin fand. Aber leicht ist zu denken, daß er dem Fache, für welches er eigentlich berufen und auch vorzüglich geeignet war, doch einigermaßen entfremdet wurde, je mehr die Geographie ihn auf neue Bahnen lenkte. Ihr hatte er auch sonst gerne seine Mußestunden zugeeignet; schon als Student hatte er, wie wir aus seinen Briefen an H. Wagner wissen, C. Ritter’s „Asien“ durchgearbeitet, und die Verfolgung kriegsgeschichtlicher Ereignisse auf der Karte war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Als er noch ein jüngerer Mann war, hatte es nur erst eine spärliche akademische Vertretung der Erdkunde gegeben; wer weiß, ob er nicht gleich anfangs die Pfade eingeschlagen hätte, die er nun erst als reifer Forscher betreten sollte. Während die Gießener Zeit sich ihrem Ende zuneigte, schuf er die bedeutendste seiner Arbeiten, durch welche dem uralten Probleme der Meeeresströmungen endlich der eine volle Aufklärung bringende Gesichtspunkt abgewonnen wurde (Ann. d Phys. u. Chem., Neue Folge, III und IV; von ihm selbst popularisirt in der Zeitschrift „Gaea“). Was vorher nur Einzelne geahnt, stand jetzt als unangreifbarer Lehrsatz da: Dauerwinde, wie gering auch ihre Intensität sein möge, [436] bringen durch Luftadhäsion die obersten Schichten einer Wassermasse in fortschreitende Bewegung, und wenn die Einwirkung nur lange genug anhält, so werden durch die innere Flüssigkeitsreibung auch die tiefsten Schichten in Mitleidenschaft gezogen. Damit waren die großen oceanischen Strömungen vollkommen zureichend erklärt.

Man konnte die Untersuchung, wie Z. selbst andeutet, ebensowol als eine physikalische wie auch als eine geographische auffassen, und angesichts ihres hohen Werthes war zu erwarten, daß der Autor bald für einen umfassenderen Wirkungskreis, sei es nun der einen oder anderen Art, in Aussicht genommen werden werde. Das Loos fiel auf die geographische Seite, denn 1880 wurde H. Wagner auf Wappäus’ Lehrstuhl in Göttingen berufen, und das dadurch vacant gewordene Königsberger Ordinariat wurde Z. zugetheilt, der so zum Collegen seines alten Freundes und Meisters Neumann wurde. Leider nur fünf Jahre war ihm hier zu wirken vergönnt, aber mit wahrem Feuereifer nahm er die mancherlei Aufgaben des neuen Berufes in die Hand, und als Lehrer wie als Schriftsteller entwickelte er eine ausgebreitete Thätigkeit. Seine Vorlesungen erstreckten sich auf die verschiedensten Theile der allgemeinen Erd- und speciellen Länderkunde, wie er denn auch Meteorologie und Klimatologie vortrug und selbst vor der seiner specifischen Begabung anscheinend am fernsten liegenden Disciplin, der Ethnographie, nicht zurückschreckte. Im December 1881 rief er die seitdem fröhlich gedeihende Geographische Gesellschaft zu Königsberg i. Pr. ins Leben, die er sehr häufig durch größere und kleinere Mittheilungen erfreute; 1884 war er eifrig bei der Begründung der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft betheiligt; 1881 und 1882 half seine Gegenwart wesentlich dazu, dem neu erstandenen Geographentage Werth und Bedeutung in den Augen der Fachgenossen zu sichern. In Berlin legte er die seitdem weiter ausgeführte Anschauung vom Inneren der Erde als einem mit „überkritischen“ Gasen gefüllten Raume dar, und in Halle a. S. wandte er sich gegen die Ueberschätzung des sogenannten Baer’schen Gesetzes über den Zusammenhang zwischen Erdumdrehung und Ungleichartigkeit der Flußufer. Königsberg und seine dortige Stellung waren ihm so lieb geworden, daß er 1884 die unter sehr günstigen Bedingungen erfolgte Berufung zur Leitung der geographischen Anstalt von Perthes in Gotha ablehnte und auch für Wien, wo man nach Simony’s Rücktritt stark an ihn gedacht hatte, schwerlich zu haben gewesen wäre.

Aus der Königsberger Zeit liegen, neben Recensionen und kleineren Beiträgen zu verschiedenen Journalen, hauptsächlich die kartographischen Arbeiten und die Berichte für das „Geographische Jahrbuch“ vor. Der „Leitfaden der Kartenentwurfslehre“ (Leipzig 1884) ist ein vortreffliches Büchlein, nicht eben gemeinverständlich im stricten Wortsinne, aber äußerst geschickt, um den, der ein gewisses Maß mathematischer Vorkenntnisse mitbringt, mit allen Grundlehren des Netzentwurfes vertraut zu machen. Insonderheit errang sich Beachtung die einfache Ableitung der allgemeinen Regeln, welche Tissot für die Beurtheilung der einzelnen Abbildungsarten aufgestellt hatte. Gesondert erörterte Z. diese neue Methodik in der „Zeitschr. f. d. Vermessungswesen“, in welcher er auch die Orthographie der aus dem Arabischen in die angewandte Mathematik übergegangenen Kunstausdrücke auf eine richtige Grundlage zu stellen bestrebt war. Für H. Wagner’s „Jahrbuch“, früher in Verbindung mit Behm herausgegeben, lieferte Z. den afrikanischen Bericht, in dem sich eine seltene Beherrschung des Stoffes mit voller Klarheit der Darstellung verbindet, und vollständig neu schuf er die fortlaufenden Referate über die „Fortschritte der Geophysik“, welch letzteres Wort er zwar nicht selber gebildet, aber als der erste in umfassenderer Gebrauchsweise angewandt hat. Diese inhaltreichen Auszüge aus der namhafteren schriftstellerischen Production [437] der Gegenwart sind mit Recht als „Muster positiver Kritik“ bezeichnet worden, und dem Forscher sind sie durchweg unentbehrlich. Wir erwähnen endlich der viele fruchtbare Keime physikalisch-geographischer Natur enthaltenden Abhandlung über die Schwankungen des Meeresspiegels (Ann. d. Phys. u. Chem., Neue Folge, XI) und eines sehr instructiven Aufsatzes über den soeben wieder in den Vordergrund des öffentlichen Interesses tretenden Nicaragua-Canal (Ztschr. d. Gesellsch. f. Erdkunde zu Berlin, XIV).

Wer Z. persönlich kannte, hätte ihm sicher ein langes Leben prognosticirt, denn sein kräftiger Körper machte den Eindruck seltener Gesundheit und Rüstigkeit. Von Jugend auf begeisterter Turner, hatte er sich später auch zu einem ausdauernden Fußwanderer ausgebildet, der in den Alpen, wie wenige, zu Hause war, wie er denn auch in den Veröffentlichungen des D.-Oest. Alpenvereines manch einschlägige Schilderung niedergelegt hat. Bis kurz vor seinem Tode waren ihm auch körperliche Leiden unbekannt geblieben. Da ergriff den noch nicht Siebenundvierzigjährigen eine tückische Infectionskrankheit, über deren wahres Wesen keine Klarheit erbracht zu werden vermochte, und in wenigen Tagen war seine irdische Laufbahn beendet, zum tiefsten Leide seiner Familie, seiner Freunde, aller Derer, welche die Eigenart dieses kernhaften Menschen zu erkennen berufen gewesen waren.

Es ist in einem Nekrologe gesagt worden, Z. sei als Afrikakenner schwer, als Kartograph und Berechner geographischer Beobachtungen schwerer, als Geophysiker aber überhaupt kaum zu ersetzen. Hieran wird festzuhalten sein, so rege auch auf den Gebieten, die er meisterhaft beherrschte, seitdem weiter gearbeitet worden sein mag. Die „Geophysik“, welche er, der Angabe eines Freundes zufolge, geplant haben soll, ist uns vorenthalten geblieben; sollte ein wenn auch nur unvollkommener Ersatz dessen, was er uns darzureichen gedachte, im Bereiche der Möglichkeit liegen, so könnte dies nur im engsten Anschlusse an die Fingerzeige geschehen, welche uns seine umfassende Geistesarbeit so mannichfaltig an die Hand zu geben im Stande ist.

G. Hirschfeld, Gedächtnisrede auf Karl Zöppritz, gehalten am 10. April 1885 vor der Geographischen Gesellschaft zu Königsberg, Königsberg i. Pr. 1885. – H. Wagner, Karl Zöppritz, Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1885, Nr. 5 u. 6. – S. G., Karl Zöppritz, Beilage zur Allg. Zeitung, April 1885.