ADB:Zimmermann, Robert von

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Artikel „Zimmermann, Robert von“ von Bernhard Münz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 294–299, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zimmermann,_Robert_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 17:28 Uhr UTC)
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Zimmermann: Robert von Z. wurde am 2. November 1824 in Prag als Sohn eines Schulrathes geboren. Er legte die Gymnasialstudien in Prag unter der Leitung seines Vaters zurück und besuchte dann die dortige Universität, wo ihm der um die Entwicklung der Wissenschaft und des Unterrichtswesens in Oesterreich hochverdiente Franz Exner den Sinn für die Philosophie, insbesondere die Herbart’sche erschloß, welche den poetisch veranlagten Jüngling 1841 zu dem sinnigen Gedichte begeisterte:

Es gibt zu klar sich Euren Blicken dar;
Weil es nicht prahlt, drum dünkt es Euch gewöhnlich,
[295] Ihr wollt in Luft Euch baden gleich dem Aar,
Und mit der Erde bleibt Ihr unversöhnlich.

Weß ist die Schuld, daß brach der Boden liegt,
Und Ihr verzweifelnd weg von ihm Euch wendet?
Weil Ihr im Himmel neue Furchen pflügt,
Eh’ noch der Erdenacker umgewendet!

Es war für seine nachmalige wissenschaftliche Thätigkeit von großem Vortheile, daß er ähnlich dem Mathematiker Drobisch, welcher den Lehrstuhl der Philosophie und Mathematik in Leipzig inne hatte, durch die Pforten der Mathematik und Astronomie in die Hallen der Philosophie eintrat. Bei der Fortsetzung seiner Studien an der Wiener Universität wirkten namentlich Ettingshausen in der Physik, Schrötter in der Chemie und Littrow in der Astronomie auf ihn ein. Am 26. Mai 1846 erwarb er in Wien den philosophischen Doctorgrad und wurde im März 1847 Assistent an der Wiener Sternwarte. Im Sturmjahre 1848 war er Mitglied der Studentenlegion und schuf damals sein berühmt gewordenes Gedicht an die „Märzgefallenen“. Im März 1849 habilitirte er sich unter den verheißungsvollen Auspicien der eben erst verkündigten Lehr- und Lernfreiheit als Privatdocent der Philosophie an der Wiener Universität. Er machte rasch Carrière. Er wurde noch in demselben Jahre zum außerordentlichen Professor der Philosophie an der damaligen Universität in Olmütz ernannt; in das Jahr 1852 fällt seine Beförderung zum ordentlichen Professor der Philosophie in Prag; im April 1861 trat er die Wiener Professur an. Seiner segensreichen Wirksamkeit setzte der Tod am 1. September 1898 ein Ziel.

Z. entfaltete eine fruchtbare litterarische Thätigkeit. Sittlicher Ernst, methodische Strenge, wissenschaftliche Bedächtigkeit und ästhetisches Maß drücken seinen Schriften den Stempel auf. Wir ersehen aus denselben, daß er sein Leben lang ein Vorkämpfer Herbart’s war, welcher den scheinbar so bequemen Weg der Ableitung aller philosophischen Wahrheiten aus einem einzigen Princip verlassen, den Ausgangspunkt des Philosophirens in die vielgestaltige Sinnenwelt verlegt und überdies den mathematischen Calcül an die Stelle genialer Intuition gesetzt hat. Er hielt zu Herbart in der festen Ueberzeugung, daß er mehr als die Anhänger anderer Richtungen Kant treu geblieben ist. Diese Ueberzeugung besteht freilich nicht vor dem Richterstuhle der Kritik. Allerdings hat Herbart sich selbst einen Kantianer genannt; sein Geistesgang zeigt jedoch nirgends eine merkbare Beeinflussung durch Kant. Seine Metaphysik berührt sich mit Kant’s Kriticismus nur insofern, als er mit ihm lehrt: „Unser Begriff von einem Gegenstande mag enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm herausgehen, um diesem die Existenz beizulegen“. Allein bei näherer Betrachtung wird uns klar, daß diese Berührung nur eine scheinbare, durch Worte und Ausdruck hervorgerufene ist, und daß Herbart in Wirklichkeit mit seiner Lehre vom absoluten Sein gar nicht auf dem Boden der Kantischen Philosophie steht. Kant behauptet, daß das Dasein nicht ein Prädicat oder eine Determination irgend eines Dinges sei; er nennt das Dasein absolute Position. Absolute Position und Wirklichkeit ist ihm dasselbe, und er benützt die Einsicht in das Wesen des Daseins, um die Anmaßung der hergebrachten metaphysischen Speculationen, die leere Hirngespinnste sind, zurückzuweisen. Herbart spricht auch vom absoluten Sein, von absoluter Position. Aber schon an der ersten Stelle, wo von dem Sein die Rede ist, erklärt er es für „absolute Ruhe und Stille, feierliches Schweigen über der Spiegelfläche des ruhenden Meeres“ und stets schließt er von der absoluten Position alle Negationen und Relationen aus. Herbart’s Begriff der absoluten Position, aus welchem unmittelbar [296] seine Lehre von den unveränderlichen Realen hervorgetrieben wird, ist also ein ganz anderer als der Kant’s. Kant’s Begriff vom Dasein verweist ihn direct auf die Erfahrung, Herbart’s Begriff setzt ihn in Widerspruch mit derselben. Herbart hat die Kantische Philosophie nur soweit berücksichtigt, als sie wirklich oder scheinbar sich mit seinen eigenen Meinungen verschmelzen ließ.

Z. war indeß keineswegs ein blinder Nachbeter seines Meisters, er hat vielmehr die Mängel seiner Philosophie aufgedeckt. Von den vielen Einwürfen, welche gegen Herbart’s Versuch, mittelst seiner Theorie der Selbsterhaltungen die empirische Thatsache der Veränderung zu erklären, erhoben wurden, finden sich die triftigsten in seinen frühesten Monographien: „Leibnitz’ Monadologie“ (1847) und „Leibnitz und Herbart“ (1849), welche letztere von der dänischen Gesellschaft der Wissenschaften mit dem Preise gekrönt wurde. Ebenso zog er in der „Aesthetik als Formwissenschaft“ (1865) gegen die Annahme der einfachen Empfindungen zu Felde. Vollends setzte er seiner Selbständigkeit in der „Anthroposophie“ (1882), welche eine Fortbildung und Umbildung des Herbart’schen Ideencomplexes bietet, die Krone auf. Er leitet den Begriff der Philosophie von ihrem uralten Namen ab, demzufolge sie nicht nur das Wissen zu erforschen, sondern auch das Gewußte in die Wirklichkeit einzuführen hat, da man dasjenige, was man liebt, zu verkörpern bemüht ist. Nach Herbart erlangt die Philosophie das Wissen durch Bearbeitung von Begriffen. Z. will aber die Philosophie als Wissenschaft zur Kunst der Verwirklichung ihrer Begriffe steigern. Als Wissenschaft hat sie die durch Erfahrung gewonnenen oder durch Gewöhnung und Ueberlieferung überkommenen Begriffe von dem, was wirklich und wahr ist, zu wirklichen, d. h. stichhältigen Begriffen umzuarbeiten; als Kunst hat sie die Aufgabe, das in bloßen Gedanken oder in Sachen bestehende Wirkliche zu einem den Anforderungen des Begriffes gemäßen Wirklichen umzusetzen. Die Philosophie als Wissenschaft hat Begriffsmuster, die Philosophie als Kunst Musterbegriffe darzustellen. Jene bedürfen eines Musters, dem sie als musterhaft zu entsprechen haben, diese dagegen sind selbst Muster, welchen die Sachen entsprechen sollen. In jedem Begriffe läßt sich aber, was ihn zum Begriffe macht, seine Form und, was ihn zu diesem besonderen Begriffe macht, sein Inhalt unterscheiden. Das Muster, dem jeder Begriff zu gleichen hat, um als musterhaft zu gelten, kann sich mithin sowol auf seine Form als auf seinen Inhalt oder auch auf beide zugleich beziehen. Es wird daher eine Musterform geben, die als Norm für alle Begriffe ohne Unterschied gilt, und eine Musterform, deren Norm je nach dem gemeinsamen Inhalte bestimmt wird. Die Normen, die sich auf alle Begriffe, welche für musterhaft gelten sollen, erstrecken, machen den Inhalt der Logik aus. Die je nach ihrem Inhalte, der ein Seiendes oder ein Nichtseiendes sein kann, ihre Norm empfangenden Begriffe machen den Juhalt der philosophischen Physik oder Metaphysik und der Aesthetik aus. Die Metaphysik entwickelt die Musterbegriffe des Wirklichen durch die Bearbeitung des Rohmaterials der empirischen Physik. Die Aesthetik beschafft die Musterbegriffe für Inhalte von Begriffen, die nicht als solche, sondern ausschließlich als gedachte Inhalte einen Gefühlsausdruck im Gemüthe des Denkenden mit sich führen, durch welchen sie vom Denkenden beifällig oder mißfällig beurtheilt werden. Da die Aeußerung des Gefallens oder Mißfallens über die unvermeidliche Willensbethätigung zugleich eine Entscheidung über den sittlichen Werth, das Ethos des Wollenden in sich birgt, so können die als Normen für das Wollen dienenden ästhetischen Begriffe für eine besondere philosophische Disciplin, die Ethik ausgeschieden werden. Musterbegriffe aber für jede Art nachahmende Thätigkeit werden Ideen genannt, und zwar als Vorbilder für das Denken, das zum Wissen werden soll, logische Ideen, als Vorbilder für irgend eine [297] andere auf Hervorbringung eines Beifallswerthen gerichtete schaffende Thätigkeit ästhetische Ideen.

Die Philosophie ist also nach Z. Ideenforschung, welche die Normen der wissenschaftlichen, künstlerischen und sittlichen Thätigkeit festzustellen hat. Die Logik und die im Geiste Herbart’s mit der Aesthetik combinirte Ethik gehen der Metaphysik voran, und der Grund, warum etwas wahr, schön oder gut ist, wird stets nur in der Form, nie in der Wirklichkeit gesucht. Erst die Metaphysik unternimmt es, das Nicht-Ich, das Ich und das Social-Ich zu begreifen. Die Krönung der Ideenforschung der Philosophie erblickt Z. in der Durchdringung des Wirklichen mit den Ideen durch die Philosophie der Kunst. Unter Kunst versteht er hier ein auf Wissen sich stützendes Können und er unterscheidet, je nachdem das eigene oder ein fremdes Bewußtsein oder die physische Natur nach der Norm der Ideen umgebildet wird, die Bildungskunst, die Bildkunst und die bildende Kunst. Die Bildungskunst formt als logische Kunst unser eigenes Bewußtsein durch Läuterung desselben von allen dem rein wissenschaftlichen Interesse fremden Bestandtheilen, als ästhetische Kunst verwandelt sie das ohne Rücksicht auf ästhetische Zwecke entstandene eigene Vorstellen in ein schönes, d. h. unbedingt wohlgefälliges. Die Bildekunst zielt auf Ideendarstellung im fremden Bewußtsein, und zwar im ungeformten, jugendlichen durch erziehenden Unterricht, in dem schon geformten, gereiften durch Regiment oder Zucht, im öffentlichen Bewußtsein durch Staatskunst oder Regierung. Die bildende Kunst ist Ideendarstellung in unbewußtem, sei es leblosem, sei es belebtem Stoffe. Durch die Hineinbildung der logischen Ideen in die leblose oder belebte Natur wird die bildende Kunst Weltverbesserung, durch die Verwirklichung der ästhetischen Ideen in derselben wird sie Weltverschönerung; die Umgestaltung der Erfahrungswelt endlich im Sinne der ethischen Ideen in eine Art Weltökonomik soll das größtmögliche Wohlbefinden aller empfindungsfähigen Wesen, die unter den gegebenen Verhältnissen bestmögliche Welt, den ethischen Kosmos herbeiführen helfen. Wie die bildende Kunst Erziehung der Natur, so ist die Bildungskunst eigene, die Bildekunst Erziehung des Menschengeschlechtes.

Zimmermann’s Philosophie geht also weder von der Annahme aus, daß das Wirkliche als solches vernünftig und das Vernünftige als solches wirklich sei, noch von der entgegengesetzten Annahme, daß das Wirkliche als solches vernunftlos oder gar vernunftwidrig sei. Sie setzt aber voraus, daß das Vernünftige, welches als solches nicht wirklich ist, wirklich und das Wirkliche, welches als solches nicht nothwendig vernünftig ist, vernünftig werden kann, werden soll und werden wird, wofern Jeder seine Schuldigkeit thut. Die Verwirklichung der Ideen ist weder eine Thatsache, die in der Vergangenheit, noch eine solche, die in der Gegenwart, sondern eine Aufgabe, deren Erfüllung in der Zukunft und in den Händen des Menschen liegt. Der Traum eines goldenen Zeitalters, von welchem ein nüchterner Rationalist wie Kant als von jenem des „ewigen Friedens“ und ein extremer Positivist wie Comte als dem „état positif“ schwärmten, wird dann realisirt sein, wenn die gesammte Ideenwelt Wirklichkeit oder, wie Schleiermacher es ausdrückte, „die Ethik Physik und die Physik Ethik“ geworden sein wird. Eine solche Philosophie, welche von der menschlichen Erfahrung ausgeht und doch zugleich an der Hand des logischen Denkens über sie hinausgeht, nennt sich mit Fug und Recht eine „ideale Weltansicht auf realistischer Grundlage“. Zimmermann’s Weltansicht bildet eine wichtige Etappe in der geschichtlichen Fortentwicklung des kritischen Realismus. Will man die tiefe Bedeutung des nachkantischen Realismus würdigen lernen, so muß man sich mit ihr vertraut machen.

Geradezu einen Markstein in der Geschichte der Wissenschaft bedeutet [298] Zimmermann’s „Aesthetik“ (1858–65), welche in einen analytischen und synthetischen Theil, in eine Geschichte der Aesthetik als philosophischer Wissenschaft und eine allgemeine Aesthetik als Formwissenschaft zerfällt. Er hat durch sie eine klaffende Lücke von ungeheuren Dimensionen in der philosophischen Litteratur ausgefüllt. Er war der Erste, welcher das der Rechtsphilosophie, Ethik, Logik und Psychologie zugestandene Recht auf abgesonderte historische Betrachtung der Aesthetik in ihrem vollen Umfange zuerkannt und von der Theorie zur Praxis übergehend, die Geschichte der Aesthetik von Plato bis auf Lotze und Trendelenburg zum Gegenstande einer in sich abgeschlossenen selbstständigen Forschung gemacht hat. Ohne Eitelkeit und Selbstüberschätzung durfte er sich den ersten Geschichtschreiber der Aesthetik nennen. Nirgends den eigenen Standpunkt verleugnend und doch überall die vornehme Ruhe des an sich haltenden Historikers bewahrend, hat das an sich bedeutende Werk bei jedem Vergleiche mit späteren Unternehmungen ähnlicher Art bisher wenigstens immer nur gewonnen. – Die Aesthetik als Wissenschaft ist nach Z. weder eine materiale, den Schein auf ein Sein beziehende, noch eine historische, den Schein seinem Ursprunge nach erklärende, sondern eine wesentlich formale, den Schein als Schein behandelnde Wissenschaft. Er nimmt mit Herbart als letzte absolute Bestandtheile alles Seins die sogenannten Realen an, welche ohne Qualität, schlechthin einfach, unveränderlich und unräumlich gedacht werden. Unser ganzes Weltbild kann demgemäß überhaupt nur in der Erfassung eines beziehungsvollen Scheins bestehen, und Gefallen und Mißfallen können sich lediglich auf die Verhältnisse der Theile dieses Scheins nach seinem Wie und Was beziehen. Der Gesichtspunkt, welcher das Wie, d. i. die Lebendigkeit, Kraft, Energie, Fülle und Mannichfaltigkeit des Scheins oder deren Gegentheile ins Auge faßt, kann der Gesichtspunkt der Quantität, derjenige, welcher die Einheitlichkeit oder Gegensätzlichkeit, die innere Uebereinstimmung oder den Widerstreit des Scheins zum Objecte hat, der qualitative heißen. Jener umfaßt das Verhältniß, in welchem das Quantum des vorschwebenden Scheins zu der Empfänglichkeit des ästhetischen Subjects steht, dieser begreift die Verhältnisse, in welchen die Theile des Scheins zu und unter einander stehen. Nach dem ersteren wird der starke, mit einem hohen Grade von Lebhaftigkeit dem ästhetischen Subjecte vorschwebende Schein von dem schwachen, nur mit einem geringen Grade von Lebhaftigkeit im Bewußtsein vorhandenen, der reiche, einen größeren Raum im Bewußtsein mit mannichfaltigem Inhalt ausfüllende Schein von dem dürftigen, mit einförmigem Inhalt erfüllten, der in sich zusammenhängende und geordnete Schein von dem zusammenhangslosen und in sich ungeordneten gesondert; nach dem letzteren werden in dem Inhalte des Scheins gleiche und ungleiche, verträgliche und unverträgliche, harmonische und disharmonische Theile unterschieden. Aus dem quantitativen Gesichtspunkte entspringt die ästhetische Idee der Vollkommenheit, welche darin besteht, daß der ästhetische Schein, sowol was dessen Vorgestelltwerden, als was dessen Vorgestelltes betrifft, zum „Vollen kömmt“. Aus dem qualitativen Gesichtspunkte ergeben sich die ästhetischen Ideen des Charakteristischen, des Harmonischen, der Correctheit und der Ausgleichung. Keine der genannten ästhetischen Ideen, welche unverkennbar an das Vorbild der fünf ethischen Ideen bei Herbart erinnern, ist das ganze Schöne, aber jede derselben bezeichnet ein Element des Schönen. Die drei ersten sind die positiven Merkmale desselben, die beiden letzten dienen ihm als negative Kriterien. Erst die Vereinigung sämmtlicher ästhetischer Ideen prägt dem ästhetischen Schein die Marke der Schönheit auf.

Die frühe Beschäftigung mit der Astronomie scheint bei Z. noch lange nachgewirkt zu haben. Man wird schwerlich fehlgehen, wenn man zumal die [299] eigenthümliche Art, wie er das Naturschöne behandelt, die tiefsinnige Conception der in dem stillen Walten der Naturgesetze sich offenbarenden Schönheit, die Schilderung der ästhetischen Reize, welche dem Weltall im Ganzen, seiner harmonischen Gliederung, seiner erhabenen Ordnung, der strengen Regelmäßigkeit im Spiele seiner Veränderung innewohnen, auf ihre Rechnung setzt. Allein auch seine Formulirung der ästhetischen Ideen selbst und seine Analyse der die Vorstellung des Scheins im Gemüthe begleitenden Zusätze des Wohlgefallens oder Mißfallens haben vielfach ein mathematisches oder geometrisches Gepräge. Ob aber auch die Mannichfaltigkeit der ästhetisch-psychologischen Erscheinungen durch seine Formeln nicht ganz und restlos gedeckt werden mag, so war ihre Aufstellung doch von unschätzbarem Werthe; denn sie zeigten seinen Nachfolgern deutlich und sicher die Richtung, in welcher das Schöne zu suchen ist. Es läßt sich nun einmal nicht hinwegleugnen, daß von Z. zu Fechner, dem großen Schöpfer der Experimental-Aesthetik, ein gerader Weg führt.

Höchst beachtenswerth ist die Grenze, welche Z. in dem in den „Studien und Kritiken zur Philosophie und Aesthetik“ (1870) befindlichen Aufsatz: „Ein musikalischer Laokoon“ zwischen Musik und Poesie zieht. Er spricht selbst auf die Gefahr hin, von tausenden zartfühlender Seelen als ein Barbar verschrieen zu werden, das große Wort gelassen aus, daß die Musik gedankenlos ist und dieses Geschick mit allen freien Künsten, die Dichtung ausgenommen, theilt. Gedanken im eigentlichen Sinne des Wortes sind eben nur streng gesonderte Anschauungen, Begriffe, Urtheile und Schlüsse, und diese lassen sich nur in Worten ausdrücken. Die auffallende Thatsache, daß Künstler, vornehmlich aber Tonkünstler, von ihrer Kunst abgesehen, nicht selten unbedeutende Menschen sind, wäre gar nicht zu begreifen, wenn man annähme, daß musikalische Gedanken sich mit logischen decken. Betrachten wir aber die letzteren und die Ton-, Farben- und Formvorstellungen als verschiedene Vorstellungskreise, so ist jene Erscheinung leicht zu erklären. Gerade je ausschließlicher in einem Individuum ein Vorstellungskreis entwickelt ist, desto dürftiger fallen die anderen aus. Neben reichster Ton- und Harmonienfülle findet die größte Gedankenarmuth Platz. Umgekehrt wäre bei dem Dichter, in welchem das rhythmische, das musikalische und das Gedankenelement zusammenwirken, eine gleichzeitige Entwicklung aller drei dahinbezüglichen Vorstellungskreise unschwer denkbar, wenn eine glückliche Anlage und eine geregelte Erziehung Hand in Hand mit einander gehen würden. Damit soll selbstverständlich dem eigenthümlichen Werthe der Musik nichts genommen, nur von dem ihr angedichteten soll sie befreit werden. Ihre allzu guten Freunde sind es, vor denen sie behütet werden soll. Wenn der Componist Gedanken auszudrücken hätte. „er würfe, je größere es sind, desto eher ein so unbehülfliches Werkzeug wie die Töne weg und schriebe Bücher statt dessen oder dichtete Verse“. Eben weil sein Geist auf Schöpfungen gerichtet ist, die keine poetischen, philosophischen und politischen, sondern rein musikalische Gedanken enthalten, schafft er Harmonien und nur Harmonien. Von ihm verlangen, er solle Gedanken haben, heißt vom Orangenbaum verlangen, daß er Birnen tragen solle.