Allerlei Goldwagen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: E. K.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Allerlei Goldwagen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 432–434
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[432]
Allerlei Goldwagen.

Wie herzlich sauer mußten es sich doch in alten Zeiten die „ehrsambten und fürsichtigen“ Handelsherren und Goldwechsler werden lassen, um die beinahe durchweg dem morgenländischen Ritus der Beschneidung unterworfenen Ducaten und Pistolen ihrem Werthe gemäß zu würdigen! Fast ergreift uns Mitleid beim Anblicke jener alten Kaufherren mit der Brille auf der Nase und der schwankenden Goldwage in der zitternden Hand, wie sie uns Quentin Messys[WS 1] und andere Niederländer gemalt haben, und selbst der prächtige Goldwieger Rembrandt’s beginnt uns trotz der um ihn her in dem mächtigen Kaufgewölbe aufgestapelten Reichthümer zu dauern, wenn wir denken, daß er noch den Inhalt aller vor ihm stehenden Ducatensäcke Stück für Stück nachwiegen soll.

Seit die Goldwährung bei uns eingeführt ist, hat wohl Mancher die vom Großvater ererbte Goldwage aus dem abgegriffenen Futterale wieder hervorgeholt, wenn er sich nicht eine der in den letzten Jahren schaarenweise patentirten neuen Goldwagen angeschafft hat. Dieselben lassen sich in zwei Hauptclassen eintheilen, nämlich in solche, die nur zum gelegentlichen Nachwiegen einzelner verdächtiger Stücke bestimmt sind, und in andere, welche dem dicken Goldwieger Rembrandt’s viel Schweiß gespart haben würden, da er ihnen seine Schätze sackweise hätte übergeben können, unter Garantie einer gewissenhaften Aussonderung aller nicht vollwichtigen Stücke.

Die Goldwagen der ersteren Gattung sind der Mehrzahl nach einfache, wenn auch oft sehr praktisch eingerichtete Hand-Schnellwagen, das heißt ungleicharmige Hebel, bei denen man die zwei bis drei im Verkehr befindlichen Goldmünzen mit einem sogenannten Läufergewichte wiegt, oder sie selbst als Läufergewicht mit einem unbeweglichen Gegengewichte vergleicht. Es handelt sich ja in allen diesen Fällen nur um die Erreichung des sogenannten Passirgewichtes, also eines Grenzwerthes, an dem nichts fehlen darf. Eine äußerst sinnreiche Wage für den gleichen Zweck hat der bekannte Volksschriftsteller A. Bernstein in Berlin vor zwei Jahren erdacht, bei welcher man die zu prüfenden Goldstücke durch eine geneigte Laufrinne auf der hohen Kante rollen und über die auf besondere Weise unterstützte Wägeplatte hinweglaufen läßt, etwa wie man mit Lastwagen auf die großen Brückenwagen fährt, wobei aber das Goldstück ohne Aufenthalt weiterrollt und gleichsam im Trabe gewogen wird. Die Rollbahn besitzt am unteren Ende zwei Ausgänge nebeneinander, die von einer vor dem Zwischenpfosten stehenden Blechfahne abwechselnd geöffnet und geschlossen werden, je nachdem sich das Fahnenblatt an die rechte oder an die linke Seitenwand der Bahn vor den Eingängen anlehnt. Nehmen wir an, das Stück habe nicht den vorgeschriebenen Minimaldruck auf die Platte geübt, so stellt sich die in demselben Augenblicke von dem Mechanismus benachrichtigte Fahne so, daß sie die Pforte der Gerechten verschließt, sodaß das Stück seinen Lauf zu den andern zu leicht befundenen Sündern nehmen muß. Die Fahne verrichtet also das Amt des heiligen Michael mit der Seelen-Wage und dem Gerichtsschwert auf den alten Auferstehungsbildern, und wenn ich nicht irre, ist auf diesen von der Firma Ravené und Söhne in Berlin (Wallstraße 92 u. 93) gelieferten Wagen die „Pforte der Gerechten“, jener religiösen Anschauung gemäß, wirklich zur Rechten und die der armen Sünder zur Linken der [434] Bahn angebracht. Natürlich kann man ein Stück nach dem andern auf den Pfad der Prüfung senden, und es ist ohne Zweifel ein sehr hübsches Feierabends-Vergnügen für den Geschäftsmann, bei welchem im Laufe des Tages viele Goldfüchse eingegangen sind, dieselben auf diese mühelose und amüsante Weise zu prüfen, um zu sehen, ob kein räudiges Schaf darunter gerathen ist. Auch ist dieses Vergnügen nicht eben kostspielig, denn eine solche Bernstein’sche Wage kostet nur hundert Mark und noch weniger.

Indessen haben alle diese Wagen, auch die letzterwähnte nicht ausgenommen, doch nur einen ziemlich beschränkten Wirkungskreis. Während man früher ja freilich genöthigt war, jedes Goldstück vor der Annahme zu prüfen, weil vollwichtige Stücke die Ausnahme bildeten und das goldene Handwerk der Beschneidung von Juden und Christen geübt wurde, bildet diese heimliche Operation nunmehr die Ausnahme; sie lohnt wohl bei dem gesunkenen Goldwerthe nicht mehr so recht. In Folge des dadurch vermehrten Vertrauens zu der vorherrschenden Vollwichtigkeit der Goldmünzen muß der Geschäftsmann schon anstandshalber und aus Coulanz seinen Kunden gegenüber darauf verzichten, jedes an der Casse eingezahlte Stück auf die Goldwage zu legen, und die nachträgliche Prüfung unterbleibt schon wegen ihrer Nutzlosigkeit. So angenehm nun diese Hebung des gegenseitigen Vertrauens im Privatverkehr ist, um so nothwendiger wird es, daß Geldwechsler, große öffentliche Cassen und Bankinstitute sich die beständige Prüfung und damit die Reinhaltung unserer Zahlmittel angelegen sein lassen.

Bei dem kolossalen, sich oft auf mehrere Millionen Mark beziffernden täglichen Geldverkehr würden bedeutende Arbeitskräfte nöthig sein, wenn diese Arbeit mit gewöhnlichen Goldwagen verrichtet werden sollte. Für diese Zwecke und namentlich auch für die Münzwerkstätten hatte man nun schon seit einer Reihe von Jahren automatische Wagen, welche die Massendurchwägung bedeutend beschleunigen und erleichtern, erdacht, aber diese Wagen, wie z. B. die Napier’sche, welche die Londoner Bank und Münze verwendete, waren ebenso complicirt wie kostbar, ohne darum alle Wünsche zu erfüllen. Diese älteren Kunstwerke wurden durch eine im Jahre 1871 von Ludwig Seyß in Atzgersdorf bei Wien erfundene Sortirwage, welche jetzt bei den meisten deutschen und sogar bei einigen außerdeutschen Münzstätten in Gebrauch ist, an Genauigkeit und Leistungsfähigkeit übertroffen. Sie ist in erster Linie den Münzzwecken angepaßt, indem sie selbstthätig sechs Sorten Münzplatten nach engbegrenzter Verschiedenheit ihres Gewichtes sondert, wird aber auch für Banken eingerichtet, für welche sie nur die über eine gewisse Grenze hinaus zu leichten und zu schweren Münzen von den richtigen absondert, also drei Classen von verschiedenem Gewichte liefert.

Aehnlich arbeitet eine 1876 von dem Mechaniker Paul Bunge in Hamburg erfundene und, so viel mir bekannt, auf der dortigen Münze angewendete automatische Goldwage, während sich für Bankzwecke, bei denen ja überwichtige Goldstücke kaum in Betracht kommen, eine noch einfachere von dem Mechaniker Paul Stückradt in Berlin construirte neue Wage am besten zu eignen scheint, weil sie außerordentlich zuverlässig und schnell arbeitet. Die neue deutsche Reichsbank hat nicht weniger als fünf dieser Stückradt’schen von der Firma Hugo Becker in Berlin (Johanniterstraße 8) gearbeiteten Goldwagen in beständigem Betriebe, und ebenso haben sich die königliche Seehandlung, die Discontogesellschaft, die Stadthauptcasse, die städtische Erleuchtungscasse – um hier nur vier Berliner öffentliche Cassen zu nennen – mit diesem wundervollen, niemals müden und niemals irrenden Instrumente versehen.

Es ist ein Vergnügen, der überaus sauberen Arbeit des zwar immer noch complicirten, aber bei alledem sehr dauerhaften Mechanismus zuzusehen. Versuchen wir dem Leser, so weit es ohne Abbildung und Detailschilderung möglich ist, ein Bild von dieser Wage, welche in einem Kasten von vierundvierzig Centimeter Länge und ungefähr der halben Höhe und Breite eingeschlossen ist, zu geben! Sie wird bei den Berliner Cassen meist von einer Wasserdruckmaschine getrieben, deren Werk pro Tag für acht Pfennige Leitungswasser verbraucht; andernfalls kann ein Uhrwerk den Betrieb besorgen. Wenn die Maschine geht, so sieht man, wie der hinter einer Glaswand sichtbare Wagebalken nur für den Augenblick der Wägung freigelassen und nach Beendigung derselben jedes Mal sofort wieder festgehalten und gestützt wird, wodurch alle Schwankungen der Wage verhindert und ein schnelles Hintereinander-Fortarbeiten ermöglicht wird. Ueber dem Glaskasten, in welchem die Wage arbeitet, befindet sich ein schräges Zuführungsrohr, in welches man mit einem Male eine lange Rolle beliebiger Goldmünzen einlegen kann, nachdem man das entsprechende Passirgewicht innen auf die Wage gelegt hat. Ein kleiner Schieber befördert in genau gemessener Zeitfolge immer das unterste Stück der Rolle, eines nach dem andern, wie man Geld zählt, auf eine durchbrochene kreisrunde Stahlplatte, die im Deckel des Kastens am Fuße des Zuführungsrohres sichtbar ist. Diese nur wenig die Münzen an Umfang übertreffende Platte ist die Wägeplatte; sie neigt sich, wenn die Münze das Passirgewicht erreicht oder übersteigt, ein wenig nach einer Seite. An eben dieser Seite führen unmittelbar von dem Rande der beweglichen Platte übereinander zwei Schachte in die getrennten Sammelkästen, sodaß die horizontale Scheidewand dieser Schachte genau mit der zu leicht oder gar nicht belasteten Wägeplatte abschneidet. Fehlt nun am Passirgewicht des Goldstückes auch nur der zehnte Theil eines As, so vermag er das Plättchen nicht um Haaresbreite unter das Niveau des Armensündersteigs hinab zu drücken, und ein Paar gleich darauf im regelmäßigen Gange der Maschinerie durch das durchbrochene Plättchen selbst heranrückende Executionsstiftchen werfen es ohne Gnade und Barmherzigkeit auf denselben, wo es zu den übrigen Ausgeworfenen und zu leicht Befundenen hinabgleitet. Die anderen, im Vollbesitze des pflichtmäßigen Tugendgehaltes befindlichen Stücke dagegen erzwingen sich durch das Gewicht ihres Auftretens und ihrer Würde, eines nach dem anderen, den Eintritt in den Raum der Honoratioren. Das unnachsichtliche Hinabsenden der Stücke an den Ort, wo sie hingehören, einzig nach dem Ausfalle des Wägungsbefundes und ohne Ansehen der fürstlichen Personen und Titel ihres Gepräges, erinnert immer wieder, und hier wegen der Massenauslese noch unwiderstehlicher, an die verkündete Sonderung der Menschenseelen in zwei Abtheilungen.

Die Stückradt-Becker’sche Wage durchmustert in der Stunde etwa vierundzwanzigtausend Mark, in zehn Arbeitsstunden also nahezu eine Viertelmillion, und man kann die tägliche Goldcirculation der Reichsbank nach dem Umstande ermessen, daß sie fünf solcher Wagen in Dienst stellen mußte. Geringere Summen werden von dem emsigen Control-Automaten oft in derselben Zeit durchgeprüft, die der Cassirer braucht, um die Empfangs-Quittung über den eingezahlten Betrag auszustellen. Dabei kommen keine Irrthümer vor, denn die Maschine kennt keine Abspannung und kein Zerstreutsein; sie denkt nicht und kann daher auch keine falschen Gedanken haben, wie der dem Irrthume verfallene Mensch, der sich fast regelmäßig nachträglich damit entschuldigt, daß er „gedacht“ habe, es sei so und so. Ebenso selten kommen Betriebsstörungen vor, weil die Maschine von der Außenwelt in einem solchen Grade abgeschlossen ist, daß selbst die Wägung an einem äußern Schalter vor sich geht; die Stücke wirken nur aus der Ferne auf die in ihrem Glaskasten abgeschlossene und ohne unnöthige Schwankungen ihres Amtes wartende Wage. Durch eine fernere fein erfundene Vorrichtung ist eine tiefer greifende Beschädigung des, wie man sich denken kann, sehr genau abgeglichenen Werkes noch dadurch erschwert, daß die treibende Maschine nicht unmittelbar auf die Triebwelle der Wage wirkt. Die Triebschnur läuft nämlich vorher über zwei Spannrollen, die bei dem geringsten Stoß oder Hinderniß sich sofort einander nähern, sodaß die Schnur ausgespannt wird.

Obwohl dieser Bank-Automat so vollkommen seiner Aufgabe gewachsen ist, daß er jede beliebige Goldmünze, deren Passirgewicht man besitzt, mit gleicher Genauigkeit nachwägt, ist seine Maschinerie immer noch bedeutend einfacher und der Preis daher entsprechend niedriger als derjenige der vorhin erwähnten automatischen Goldwagen, die ursprünglich für die weitergehenden Ansprüche der Münzwerkstätten und Prägeanstalten erbaut sind. Dieser Umstand und die internationale Anwendbarkeit dürften der Stückradt’schen Wage eine bedeutende Verbreitung sichern. Ein allgemeineres Interesse aber darf sie beanspruchen, weil sie in einer beständigen Säuberung und Ueberwachung unseres circulirenden Goldes an der Centralstelle ihre „Lebensaufgabe“ findet und ohne Rast und Ruhe dafür thätig ist.

E. K.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist Quentin Massys